Sonntag, 4. Dezember 2016

359 »Gruselige Fabeltiere in Gotteshäusern«

Teil  359 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Fotos 1 und 2 : Kuriose Kreatur vor den Pyramiden. Fotomontage

Die Kreatur könnte auf einem steinernen Podest im Wüstensand vor den Pyramiden auf dem Gizeh-Plateau stehen. Sie könnte aber ebenso einem SF-Schocker entsprungen sein, als mörderisches Alienmonster.  Das Ding ist aber kein mythisches Mischwesen aus Ägypten wie der rätselhafte Sphinx. Es ist aber auch nicht der Fantasie eines SF-Schriftstellers entsprungen. Es existiert real, nicht in fernen Landen wie Ägypten, sondern in Deutschland, nicht vor unserer Haustür, sondern in einem der meistbesuchten Kulturdenkmäler Europas, im Dom zu Bamberg.

Bamberg, Sonntag, 9. September 2012. Sonderführungen machten interessierte Besucher des Doms mit einer geheimnisvollen Welt vertraut, die sonst nicht öffentlich zugänglich ist. »Die Welt der Heiligen und Fabelwesen – Tag des offenen Denkmals im Bamberger Dom«. Konkreter: Es ging um das Chorgestühl des Westchores im Bamberger Dom. Der »Neue Wiesenbote« (1) wusste zu berichten, dass da –  »kunstvoll von Meistern des Mittelalters ausgestattet« - in Holz geschnitzte Figürchen von Heiligen, aber auch von Fabelwesen gezeigt wurden.

Foto 3: Chorgestühl im Ostchor

Zu den aus Holz geschnitzten Kreaturen gehört das sphinxartige Mischwesen, im Chorgestühl des Bamberger Doms. Zum Ostchor gelangt man über zwei Treppen, rechts und links vom Kaisergrab. Anno 1499 erhielt Tielman Riemenschneider den Auftrag für das Grabmal des Kaiserpaares. Der Meister machte sich sofort ans Werk. Vierzehn Jahre später wurde die kunstvolle Tumba im Dom aufgestellt. Die Deckplatte aus Kalkstein soll von Riemenschneider selbst geschaffen worden sein. Die seitlichen Reliefs aus Jura-Marmor dürften ein Gemeinschaftswerk der Riemenschneiderwerkstatt sein.

Am oberen Ende der Treppen versperrt ein Tau den Weg. Das Chorgestühl im östlichen Georgenchor  entstand um 1300. Die Holzplastiken – zum Beispiel von der mysteriösen »Sphinx« –  können sehr wohl viel älter sein. Mit meinem Teleobjektiv hole ich mir die seltsamen Mischwesen heran.

Foto 4: Einige der kuriosen Kreaturen im Bamberger Dom

Mich stört, offen gesagt, das moderne Gestühl zwischen dem Chorgestühl rechts und links. Die Fabelwesen am Gestühl aus alten Zeiten wirken befremdlich, unpassend. Und gar nicht christlich: die sorgsam geschnitzten Fabelwesen, über denen hoch oben thront in der Apsiswölbung Christus, die Arme weit ausgebreitet (Foto 12, ganz unten!). Das fromme Fresko wurde bis März 1928 von Akademieprofessor Karl Kaspar geschaffen. Es kommt mir so vor, als segne Christus die ganze Welt, zu der eben auch die geheimnisvollen Mischwesen am Chorgestühl gehören. Von oben ragt die Hand Gottes ins Bild, segnend, bestätigend.


Foto 5: Fabelwesen am Gestühl

Fabeltiere in Gotteshäusern sind keine besonders seltene Rarität. Sie kommen sogar häufig vor, werden aber meist übersehen. Achim Hubel, Professor für Denkmalpflege an der Universität von Bamberg, hat von 1984 bis 2009 den Dom zu Regensburg saniert und auf das Gründlichste Zentimeter für Zentimeter untersucht. Tausende Fotos entstanden (2). In den 25 Jahren intensivster Erforschung des Regensburger Doms entdeckte der Wissenschaftler 297 Figuren, die keinen so recht biblischen Hintergrund haben. 221 Fabelwesen wurden einst im steinernen Gotteshaus verewigt. Nicht alles war für die Augen der Gottesdienstbesucher bestimmt. Im Interview mit KAN, der »Katholischen Nachrichtenagentur«, konstatierte der Experte: »Weit oben waren die Bildhauer manchmal sehr frech, ja ungeniert.« Ungeklärt bleibt, warum »Kobolde« und »Drachen« gern dort einen Platz fanden, wo man gewöhnlich nicht hinschaut oder hinschauen kann. Sollte man sie gar nicht so leicht finden? Wurden diese Monster vielleicht sogar ohne Wissen der Bauherrn installiert? Im 11., aber auch noch bis ins 14. Jahrhundert hinein, waren europaweit Künstler unterwegs. Bei der Gestaltung der Kirchen jener Zeit legte man offenbar großen Wert auf archaische Skulpturen.


Foto 6: Kamel mit Menschenkopf

Monster und Fabelwesen zogen in die Gotteshäuser ein. Beispiel: Das »Münster St. Bonifatius« zu Hameln wurde im 13./14. Jahrhundert nach einem Brand umgebaut. Hat man die saurierartigen Wesen hoch oben an den Säulenkapitellen vom Vorgängerbau übernommen? Die furchteinflößenden Wesen, zum Teil im archaischen Zweikampf dargestellt, finden auch heute bei den Besuchern des Gotteshauses kaum Beachtung. Man muss schon den Kopf in den Nacken legen und am besten mit einem Opernglas oder ordentlichen Teleobjektiv die »Köpfchen« der Säulen absuchen, um fündig zu werden. Man könnte die mysteriösen Darstellungen viel besser erkennen, wenn die kleinen Scheinwerfer auch einmal zum Einsatz kämen. Bei meinen diversen Besuchen vor Ort war das nie der Fall. So wirkten die Kreaturen im Halbdunkel noch gespenstischer: zum Beispiel wie kräftige, langhalsige Saurier beim Kampf auf Leben und Tod, die muskulösen Hälse würgend ineinander verschlungen.

Foto 7: Noch ein Mischwesen vom Bamberger Dom

Das eher unscheinbare Kirchlein von Wistedt (Samtgemeinde Tostedt im Landkreis Harburg in Niedersachsen) zum Beispiel versetzt den Besucher immer wieder in Erstaunen. Von außen wirkt es fast ärmlich, die Fresken an der Wand im Inneren aber haben es in sich. Wir erkennen den Heiligen Antonius mit seinen Schweinen und Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu. Selbst Bildreste lassen mehr als nur erahnen, wer da gezeigt wird, wie zum Beispiel der Heilige Petrus. Aber was für ein Tier mit mächtigem Schwanz wurde da verewigt? Und was macht der kleine Mensch – vielleicht ein Kind – mit der rätselhaften Kreatur? Wird das unidentifizierbare Monster vielleicht gar gemolken? Wir werden immer wieder zu Spekulationen herausgefordert – von uralten Kunstwerken in alten Kirchen. So hat – zum Beispiel – die Kirche San Frediano ein rätselhaftes Fabelwesen zu bieten, an dem schon der Zahn der Zeit arg genagt hat: Ist es eine Mischung aus Fledermaus und Engel? Oder wurde da einst eine Art Dracula porträtiert? Leider  fehlt heute inzwischen einiges vom sakralen (?) Bild.

Foto 8: Eines der Fabelwesen von Kastelaz

Man muss aber nicht in die Toskana, nach Lucca, pilgern, um Fabelwesen in und an Kirchen zu entdecken? Wer sucht, der wird auch in Deutschland fündig, in alten wie in neueren Kirchen. Man muss auch nicht nach Kappadokien reisen, wo in Felskirchen wie der »St. Barbara Kapelle« (11. Jahrhundert) zahlreiche, auch erschreckende Fabelwesen mit roter Farbe an die Wände gepinselt wurden. Dort starren sie von Kuppel und Wänden. Haben sie ihren Ursprung in vorchristlichen, heidnischen Zeiten? Jahrtausende alte unterirdische Städte just dort lassen erahnen, dass im heutigen Kappadokien schon lange vor Einzug des Christentums eine uralte, weithin unbekannte Kultur blühte.

Fotos 9-12
Antiken Ursprungs sind die gespenstischen Fabelwesen (Fotos 9-12, links!) von St. Jakob in Kastelaz bei Tramin an der Weinstraße, Südtirol (3). Einst gab es dort, so wird überliefert, einen Tempel der Göttin Isis, der von einer christlichen Kirche abgelöst wurde. In Fresken werden zwei Welten einander gegenübergestellt: die der frommen christlichen Apostel und jene der monströsen Mischwesen, die einander brutal bekämpfen. Da treffen Fisch-Menschwesen auf einen Kentaur mit tierischem Leib und menschlichem Oberkörper. Da kommen Pfeil und Bogen zum Einsatz. Wenn die christliche Kirche wie angenommen im 13. Jahrhundert einen heidnischen Tempel ersetzte, wieso hat man dann heidnische Motive im christlichen Gotteshaus verewigt? Sollten heute in Vergessenheit geratene Kulte noch zu christlichen Zeiten praktiziert worden sein? War noch im 13. Jahrhundert der alte heidnische Volksglauben so fest in der religiösen Welt der christlichen Menschen verwurzelt, dass man ihn nicht einfach verbieten konnte? Lockte man die Heiden mit ihnen vertrauten Darstellungen von Fabelwesen in die christlichen Gotteshäuser? Wurde der christliche Glaube mit Bildern aus heidnischen Zeiten illustriert? Warum finden sich so viele gruselige Fabelwesen in Kirchen?



Fußnoten

1) Online-Zeitung für die Fränkische Schweiz, 9. September 2012
2) Hubel, Achim und Manfred Schuller, Manfred (Hrsg.): »Der Dom zu Regensburg – Fotodokumentation. Fotografiert und zusammengestellt von Achim Hubel«, »Die Kunstdenkmäler von Bayern«, Band 7, Teil 4, Regensburg 2012.
3) Düriegl, Ursula: »Die Fabelwesen von St. Jakob in Kastelaz bei Tramin/ Romanische Bilderwelt antiken und vorantiken Ursprungs«, Wien 2003

Foto 13: Christus in der Apsiswölbung im Bamberger Dom

Zu den Fotos 

Fotos 1 und 2: Kuriose Kreatur vor den Pyramiden. Fotomontage Ursula Prem. Beide Fotos Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Chorgestühl im Ostchor. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Einige der kuriosen Kreaturen im Bamberger Dom. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Fabelwesen am Gestühl. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Kamel mit Menschenkopf. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Noch ein Mischwesen vom Bamberger Dom
Foto 8: Eines der Favelwesen von Kastelaz. Foto wikimedia commons public domain 
Fotos 9-12: Gespenstische Fabelwesen von St. Jakob. Fotos wikimedia commons public domain 
Foto 13: Christus in der Apsiswölbung im Bamberger Dom. Foto Walter-Jörg Langbein

360 »Heilige Quellen«,
Teil  360 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 11.12.2016


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