»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: Hoch oben im Hamelner Münster ... |
Monstermauern wurden weltweit errichtet, und das schon in grauer Vorzeit. Monstermauern wurden in unterschiedlichen Kulturen zu unterschiedlichen Zeiten gebaut, und das häufig mit schier unglaublicher Präzision. Tonnenschwere Kolosse wurden mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit millimetergenau aufeinander und ineinander gefügt. Manchmal sind die Fugen zwischen den Steinriesen kaum zu erkennen und so eng, dass selbst eine Rasierklinge nicht dazwischen passt. Wurden zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Regionen immer wieder die gleichen Techniken entwickelt? Wir wissen nicht wirklich, wie gigantische Steinmonster bewegt, bearbeitet, angehoben und ineinander gefügt wurden. Primitiv waren unsere Altvorderen jedenfalls nicht.
Fotos 2 und 3: Fabelwesen im Hamelner Münster |
Monsterwesen findet man auf Jahrtausende alten Steinreliefs in fremden Ländern und Kulturen, aber auch bei uns vor der sprichwörtlichen Haustür, wo man sie eigentlich nicht erwartet: in zahlreichen alten Kirchen! Es gibt sie, und man kann sie auch entdecken, so man sie denn auch sucht. Häufig sind sie hoch oben an Säulenkapitellen angebracht, mehr oder minder versteckt vor den Augen der damaligen Menschen. Mit einem guten Teleobjektiv kann man sie aber zum Beispiel im Hamelner Dom studieren. Dann staunt man über das wilde Getier, das da – saurierartig – auf Leben und Tod miteinander kämpft.
Warum wurden hoch oben auf den Säulenkapitellen vom Hamelner Münster derlei Monsterwesen verewigt? In der Krypta des Doms von Paderborn findet sich im Schnitzwerk nicht minder Mysteriöses. Da gibt es zum Beispiel einen Drachen (Foto 5!). Macht er sich für einen Angriff bereit? Oder versucht er, sich für einen größeren Feind so gut es geht unsichtbar zu machen? Die Kreatur kauert geduckt, den Kopf gesenkt, die spitzen Zähne im Maul machen einen gefährlichen Eindruck. Ist dieses Wesen der Fantasie des unbekannten Künstlers entsprungen?
Foto 5: Ein lauernder Drachen in der Krypta |
Ein anderes Schnitzwerk (Foto 6) zeigt eine irdischere Szene. Findet da so etwas wie ein Hahnenkampf statt? Hähne von »Bauer Müllers« Hof sind das aber nicht. Es sind irgendwelche kämpferisch veranlagte Vogel-Fabelwesen. Derlei mysteriöse Kreaturen treten seit Jahrtausenden auf unserem Planeten auf, in Stein gemeißelt, in Holz geschnitzt, von München bis Mexico. Natürlich kann man sie alle christlich interpretieren. Quetzalcoatl, der vom Himmel steigt und wieder in den Himmel verschwindet, hat frappierende Ähnlichkeit mit einem Messias, der vom Himmel hoch kam und sich wieder in den Himmel zurück aufmachte. Christliche Interpreten werden auf einen solchen Vergleich mit Empörung reagieren. Das ändert aber nichts daran, dass es schon lange vor der islamischen, christlichen, ja auch vor der jüdischen Zeit Messiasgestalten gab. Sie alle kamen aus dem Himmel, entschwanden wieder im Himmel und versprachen, dereinst wieder auf die Erde zurück zu kommen.
Spätestens seit Erich von Däniken wissen wir, dass derlei »Messiasse« schlicht und einfach kosmische Besucher gewesen sein können, die unsere Vorfahren besuchten, die irgendwann ihre kosmische Reise fortsetzten, nicht ohne ihre Wiederkehr anzukündigen.
Foto 7: »Katze« zwischen »Salamandern«? |
Kehren wir in die Unterwelt der Krypta des Paderborner Doms zurück. Ein weiteres Schnitzwerk (Foto 7!) zeigt in der Mitte ein katzenartiges Wesen, rechts und links davon schlängeln und ringeln sich zwei Salamander (?) oder Schlangen mit Beinen. Beide »Reptilien« attackieren den »Tiger«. Sie beißen von rechts und links das Katzentier. Natürlich gibt es ein schönes Zauberwort zur Erklärung: »allegorische Darstellung«. Das Etikett »Allegorie« ist schnell zur Hand, sobald es gilt, geheimnisvolle Darstellungen zu erklären. Freilich werden auf diese Weise oft Fragen nicht beantwortet, sondern Antworten vermieden. Sobald man ein kurioses Kunstwerk nicht erklären kann, hilft die Etikettierung »Allegorie« über die Notwendigkeit, wirklich nach einer Bedeutung zu suchen, hinweg.
Regelrecht wild geht es auf einem anderen geschnitzten Szenebild in Holz zu. Beim genaueren Hinschauen machen wir gleich sechs kämpfende Wesen aus. Die sechs sind dermaßen ineinander verschlungen. Mir ging es jedenfalls so, dass ich gar nicht so leicht erkennen konnte, wie viele Wesen da im Knäuel der Leiber auszumachen sind. Welche Flügel gehören zu welcher Kreatur gehören? Welcher Kopf gehört zu welchem Leib?
Fotos 8a und 8b: 6 »Monster« an der Kirchenbank |
Mischwesen wie ägyptische Sphingen sind meist unschwer zu definieren. Da sitzt zum Beispiel ein menschliches Haupt auf dem Leib eines Tieres. Mischwesen sind in der Regel Mixturen aus verschiedenen real existierenden Lebewesen. Beim Anblick dieses Getümmels von sechs Kreaturen habe ich so meine Schwierigkeiten. Was sind da für Tiere involviert?
Wir alle kennen die Kraft der Fantasie. Man muss nur in den bewölkten Himmel blicken, und schon formieren sich Wilken zu Landschaften oder Gesichtern. Wir bilden aus zufälligen Anordnungen von Wolken konkrete Bilder, die so freilich nur in unserer Vorstellung existieren. Im Fall der Schnitzereien an den Bankenden in der Krypta des Doms zu Paderborn verhält es sich anders. Da sind wirklich von Menschenhand geschaffene Darstellungen von Wesen. Und doch wirkt auch hier unsere Fantasie beim »Erkennen« mit. Wir wissen: Da (Fotos 08a und 08b) wurden Lebewesen verewigt. Was aber wollte der unbekannte Künstler konkret darstellen?
Zentral im Getümmel (Foto 8c!) gelegen ist das Gesicht eines Hominiden, vielleicht eines Affen (Nr.1). Vorne links könnte so etwas wie ein schlecht gelauntes Schwein vom Betrachter aus gesehen nach links blicken. Erkennen wir einen Rüssel? Bei Nr. 3 bietet sich der Vergleich mit einem Hund oder Wolf an.
Auf einem Schlangenleib sitzt ein Tierkopf (Nr. 4). Aber: Was für ein Tier bekam da einen so unpassenden Leib verpasst? Nr. 5 ist noch schwerer einzuschätzen. Hat dieses Wesen nur eine etwas seltsam geformte Nase? Oder ist das ein Schnabel, der nicht so recht zum Gesicht zu passen scheint? Mächtige gefiederte Schwingen verdecken den Leib des Tieres. Wenn es ein vogelartiges Tier sein sollte, das da ins dunkle Holz geschnitzt wurde, macht der Schnabel durchaus Sinn. Zu guter Letzt: Nr.6 hat wiederum Schwingen aufzuweisen.
Margarete Niggemeyer hat einen vorzüglichen Führer zu einer Vielzahl von geheimnisvollen Kreaturen im Paderborner Dom verfasst. »Lob der Schöpfung – Die Tier- und Pflanzenwelt im Hohen Dom zu Paderborn« heißt das empfehlenswerte Werk (1). Leider ist es nur noch antiquarisch erhältlich. Für alle, die das Rätselhafte im Dom zu Paderborn suchen, ist das wichtige Werk der ideale Führer. Unter der Zwischenüberschrift »Fabelwesen an Bänken« schreibt die Autorin (2): »In der Krypta schmücken vielfach Fabeltiere als Ornament die Bankenden. … Diese Fabelwesen verschlingen sich gegenseitig, ihre Köpfe legen sie aneinander, bedecken mit ihren Flügeln den Körper oder stoßen mit ihren Schnäbeln aneinander. Andere wiederum verschlingen ein schlangenartiges Tier.«
Die Krypta unter dem Dom ist als Ort der Stille und des Gebets gedacht. Natürlich habe ich beim Studium der Schnitzwerke Rücksicht auf Gläubige genommen. Fotografiert habe ich – ohne Blitz – nur, wenn ich allein in der Krypta war. So verbrachte ich manche Stunde im Raum unter dem Dom, der vor einem Jahrtausend vielleicht Reliquienschreine enthielt.
Margarete Niggemeyer macht uns auf noch eine Besonderheit aufmerksam (3): »Die Holztür vor den Orgelpfeifen in der Krypta ist ebenfalls mit Fabelwesen geschmückt.« Es sind zwei Darstellungen in die hölzernen Türen eingefügt worden (Fotos 9 und 10!), die an Laubsägearbeiten erinnern. Ein Teufel sitzt da, das Haupt geneigt, an einer Pflanze saugend. Ob er auf diese Weise ein natürliches Rauschmittel konsumiert? Teile des Teufels sind offenbar abgebrochen. Ich meine aber ein typisches Teufelsmerkmal erkennen zu können, den Bocksfuß.
Besonders leicht übersehen wird am Handlauf der Treppe, die die Unterwelt der Krypta mit dem Kirchenschiff verbindet – natürlich ein Fabelwesen… Fazit: Fabelwesen allenthalten. Was aber mögen sie bedeuten? Sind es die berühmt-berüchtigten Allegorien? Wir fragen uns, wann ein bestimmtes Kunstwerk geschaffen wurde. Wichtiger aber scheint mir aber, wann geheimnisvolle Motive zum ersten Mal aufgetaucht sind und in welcher Form sie über die Jahrhunderte hinweg immer wieder zum Einsatz kamen. Frappierend ist es meiner Meinung nach, dass Drachen- und Monstermotive weltweit in unterschiedlichsten Kulturen zu unterschiedlichsten Zeiten in unterschiedlichsten Ländern auftauchen. Wer hat den Urdrachen wann und wo erfunden?
Foto 12: Raum der Stille, Raum des Gebets |
Fußnoten
1) Margarete Niggemeyer: »Lob der Schöpfung – Die Tier- und Pflanzenwelt im Hohen Dom zu Paderborn«, Paderborn 2011
2) ebenda, S. 29 rechts unten
3) ebenda
Zu den Fotos
Foto 1: Hoch oben im Hamelner Münster ...
Fotos 2 und 3: Fabelwesen im Hamelner Münster
Foto 4: Die Krypta vom Dom zu Paderborn
Foto 5: Ein lauernder Drachen in der Krypta
Foto 6: Ein »Hahnenkampf«?
Foto 7: »Katze« zwischen »Salamandern«?
Fotos 8a und 8b: 6 »Monster« an der Kirchenbank
Foto 8c: »Monstersuchbild« an der Kirchenbank
Fotos 9 und 10: Teufel im Drogenrausch und springender Drachen
Foto 11: Fabelwesen im Handlauf
Foto 12: Raum der Stille, Raum des Gebets
363 »Übergang zur Anderswelt«,
Teil 363 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 01.01.2017
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