»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: Gott Radegast |
Der kleine alte Mann kam meiner Vorstellung von einem Waldschrat recht nahe. Karl May hätte wohl seine helle Freude mit ihm gehabt und ihn in einen seiner Romane eingebaut, sei es als Held, den es in den »Wilden Westen« verschlagen hat, sei es als Hauptperson in einem seiner Heimatromane. Ferdi, so nannte sich das liebenswürdige Original mit starken Tendenzen zum Unikum, war eigenen Angaben nach 80 Jahre alt. Vielleicht hatte der urwüchsige Mann aber auch schon ein Jahrhundert auf dem kerzengraden Buckel. Seine Gestalt war schmächtig und dabei doch kraftvoll. Wind und Wetter hatten seine Gesichtshaut gegerbt. Er wirkte alt und doch irgendwie zeitlos. Seine Augen lachten aus der manchmal starr wirkenden Maske seines Gesichts.
Kenngelernt habe ich das Original von einem Menschen bei Erkundungsgängen in der Region des Ochsenkopf im Fichtelgebirge. Ferdi erzählte mir Interessantes aus der Geschichte des mit über 1.000 Metern zweithöchsten Berges im Fichtelgebirge. So erfuhr ich, dass er einst »Vichtelberg« oder »hoher Vichtelberg« hieß. Ob da eine Erinnerung an »Wichtel« mitschwingt, die längst vergessenen Mythen im Berg hausten?
Anno 1495 taucht erstmals der Name »Ochsenkopf« in Bergwerksakten auf. Wie es zum Namen »Ochsenkopf« kam, das ist umstritten. Vermutlich wurde auf dem Berg der Gott Radegast verehrt. Darauf deutet ein in Stein gemeißelter Stierkopf hin, der auf dem Gipfel des Ochsenkopf gefunden wurde. Schon vor 50 Jahren, Ende der 1960er, war die Gravur arg verwaschen, trotzdem aber noch zu erkennen. Mein Vater schätzte den Ochsenkopf sehr. Er fuhr begeistert Ski, auch am Ochsenkopf. Mich schleppte er oft mit und zeigte mir auch den in den Stein eingeritzten Ochsenkopf. Wiederholt stand ich vor der Ritzzeichnung, fuhr mit dem Zeigefinger die Konturen des »Ochsenkopfs« nach.
Fotos 4 und 5: Radegast's Ochsenkopf |
Dann und wann wurden die Umrisse des Kopfes mit Kreide nachgezogen, um sie zu verdeutlichen. Nicht immer war wirklich zu erkennen, was einst, wer weiß wann, in den Stein geritzt worden war. Die Hörner jedenfalls waren abgerundet, nicht spitz. Sollte da eine Gottheit gezeigt werden? Oder ein Mensch, der als Zeichen der Gottheit Hörner trug? Bei meinen Versuchen einer zeichnerischen Rekonstruktion war ich natürlich bemüht, mich dem Original anzunähern. Ich habe darauf verzichtet, mit Fantasie zu ergänzen, was ein Gesicht vervollständigen würde. Nasenlöcher zum Beispiel vermag ich nicht zu sehen.
Radegast alias Svarožić wird als »Sohn des Svarog« übersetzt. Svarog war als »himmlischer Vater«, als »Himmelsgott«. Sohn Svarožić war als Sonnengott auch für das irdische Feuer zuständig.
Als interessantes Kuriosum notierte ich mir über Gott Radegast alias Svarožić erzählte: »Diesen Stiergott gibt es wirklich! Im letzten Kriegsjahr, anno 1945, habe ich erlebt, wie dieser Gott einen Feuerblitz vom Himmel warf! An der Stelle, wo die göttliche Glut aufschlug, tat sich ein Erdspalt auf. Daraus quoll Wasser. Leider ist die Quelle in den 1960ern versiegt!« Das Quellwasser, so versicherte mir Ferdi treuherzig, habe »heilende Wirkung« gehabt. Inzwischen weiß ich, dass dort, wo Quellgöttinnen angebetet wurden, Quellen Kurgästen aus nah und fern Linderung oder Heilung von Gebrechen bringen sollen.
Foto 6: Auch der Dom von Paderborn steht auf Quellgebiet |
In Paderborn erzählte mir ein Geistlicher ausführlich und geheimniskrämerisch von der Mythologie der Quellen. Im Lauf der Recherchen und Kirchen und Klöstern machte ich eine, wie ich meine, erstaunliche Entdeckung. So manche Nonne, so mancher Priester weiß sehr viel mehr über heidnische Ursprünge christlicher Stätten. Offen darüber sprechen aber nur die wenigsten.
Unsere Altvorderen brachten in Sachen Quellen die Götter ins Spiel: Aus den Gefilden der Himmlischen schleudern Götter Blitze gen Erde. Die reißen den Himmel auf und Wasser fließt zur Erde. Die Blitze reißen aber auch Löcher ins Erdreich und Quellwasser tritt wieder zutage. Dieses anschauliche Bild ist schon uralt. Darauf weist auch Karl Weinhold in seiner bemerkenswerten Abhandlung »Die Verehrung der Quellen« (1) hin. Weinhold (2) schreibt (3): »Woher kommt das Quellwasser? Die Mythe antwortet, aus dem Sitz der Götter, dem wolkensammelnden Himmel. Der Blitz spaltet die Wolken und die himmlischen Wasser strömen zur Erde; der Blitz fährt in den Erdboden und der Quell springt hervor.« Und weiter: »Wo ein kirchliches Wunder das Wasser hervorruft, tritt die Naturmythe ganz zurück.« Freiwillig geschieht das freilich nicht. Die Naturmythe wird vielmehr ganz gezielt und bewusst zurückgetreten.
Foto 7: Paderborns einst heilige Quellen sprudeln noch |
Westlich von Belgrad, am Ufer des Flusses Suave, fanden Archäologen eine Tonspindel (4). Das Objekt wurde der Vinca-Kultur zugeordnet und auf die Zeit um 5000 v.Chr. datiert. Professor Toby Griffen, Southern Illinois University Edwardsville, entzifferte die eingeritzte Zeichenfolge mit: »Bär – Göttin – Vogel – Göttin – Bär – Göttin – Göttin«. Seine Übersetzung: »Bärgöttin und Vogelgöttin sind wirklich die Bärgöttin«. Somit wird klar: Die Verehrung der Göttin ist sehr viel älter als der patriarchalische Monotheismus von Judentum, Christentum und Islam.
Foto 8: Schwarze Madonna, Bad Birnbach |
So beschreibt Heide Götter-Abendroth in ihrem Buch »Berggöttinnen der Alpen« (5), wie uralte vorchristliche Orte der Verehrung der Göttinnen umfunktioniert wurden (6): »Mit den Kirchen und Kapellen auf den alten Heiligen Hügeln wurde die christliche Symbolik auf viel ältere symbolische Vorstellungen draufgesetzt. Wenn man frühere Kultstätten nicht zerstört hat, so wurden sie umfunktioniert, was insbesondere dann geschah, wenn die Verehrung der Bevölkerung an dem alten heiligen Platz festhielt. Das missionarische Prinzip, das dabei zur Anwendung kam, war, die vorchristliche Symbolik auf christliche Gestalten zu übertragen, doch den Sinn zu verdrehen, sodass die Bevölkerung quasi dasselbe, aber im christlichen Gewand vorfand.«
Unterschiedliche Göttinnen mit unterschiedlichen Aspekten wurden gern in Jesu Mutter Maria verwandelt. So wurde aus einer heidnischen »Himmelsgöttin« die jüdisch-christliche Maria als »Himmelsfrau«. Wo einst von den »Heiden« eine Göttin der Unterwelt angebetet wurde, dort findet unter christlichem Vorzeichen die Verherrlichung einer »schwarzen Madonna« statt. An Totengöttinnen, die Verstorbene entgegennehmen erinnern mich zahlreiche Marienbilder und Statuen, die Maria zeigen, wie sie den toten Jesus hält.
Foto 9: Schwarze Göttin? |
Wo einst Göttinnen verehrt wurden, haben mütterliche Madonnen das Regiment über die einst heidnischen Kultstätten übernommen. Fürsorglich und liebevoll kümmern sie sich um den kleinen Jesus. Kurzum: Heidnische Göttinnen verschwanden nicht spurlos, sie wurden sehr häufig durch Marien ersetzt. Oder genauer: die heidnischen Muttergottheiten wurden in christliche umgewandelt. Heide Götter-Abendroth (6): »Besonders auffällig sind in diesem Zusammenhang Marien-Wallfahrtskirchen. Sie befinden sich auf sehr wichtigen alten Kultplätzen der Göttin.«
Friedrich Muthmann (8), ein renommierter deutscher klassischer Archäologe und Kunsthistoriker, veröffentlichte 1975 im »Archäologischen Verlag Basel« einen großformatigen Folianten mit »Studien zur Quellenverehrung im Altertum und Mittelalter« (9). Leider erschien das grundlegende Werk nur in einer Miniauflage von 750 Exemplaren. Muthmann schreibt (10): »Wie in den Ländern des Mittelmeergebietes, so bildete die Verehrung von Quellen und Brunnen auch in den Ländern nördlich der Alpen schon in vorgeschichtlicher Zeit ein wichtiges Element des religiösen Lebens.« Und weiter (11): »Heilige Quellen entsprangen im Schatten heiliger Bäume bei den Tempeln, wie wir es … aus der Errichtung von Kirchen, Kapellen und Klöstern an quellenreichen Orten schließen können, deren Wahl sich häufig daraus erklären läßt, daß sich hier schon in heidnischer Zeit ein Heiligtum befand.« Die Schriften »der christlichen Bekehrer« so Muthmann (12), »enthalten Beschreibungen von alten Quellkulten und Mahnungen zu ihrer Bekämpfung und Ausrottung«.
Foto 10: Maria, Dom zu Paderborn |
Heide Göttner-Abendroth verdeutlicht, worum es geht (13): »Jede Quelle symbolisiert seit uralter Auffassung im Kleinen den Schoß der Erde, denn das hervorfließende Wasser macht die Wiesen grün und das Land fruchtbar.« Viele Göttinnen sind mit Heiligen Quellen eng verbunden: die Lebensspenderin Schakti, sie lebt in heiligen Quellen Indiens. In der Bretagne heißt Schakti Sul und ist eine Göttin der Quellen. Suls Statuen sollen, so berichten es Legenden, von christlichen Missionaren immer wieder in Flüsse geworfen worden sein. Auf wundersame Weise tauchten sie immer wieder auf und wurden reumütig wieder aufgestellt. Ganz ähnliche Geschichten kennt der christliche Volksglaube. So soll auch eine Statue der Gottesmutter Maria in Lügde Feuer und Wasser getrotzt haben. Der Statue, die »ausrangiert« werden sollte, konnten weder Feuer noch Wasser etwas anhaben. Sie verbrannte nicht und versank auch nicht in den Fluten. Göttinnen wie der Mutter Gottes wird eine geradezu übernatürliche Unverwüstbarkeit nachgesagt. Geschichten über unterstörbare heidnische Göttinnen wurden auf Maria, die Himmelskönigin, übertragen.
Fußnoten
Foto 11: Diente eine Todesgöttin als Vorbild? |
Quellen in Deutschland« in Berlin als schmales Bändchen. Heide Göttner-
Abendroth nahm es 1999 in ein wirklich wichtiges Werk auf, das ich wärmstens
zur Lektüre empfehlen kann.
Göttner-Abendroth, Heide (Hrsg.): »Mythologische Landschaft Deutschland«,
Bern 1999, Weinhold, Karl: »Die Verehrung der Quellen«, Seiten 14-36
2) Karl Weinhold, * 26. Oktober 1823; † 15. August 1901 in Berlin
3) siehe 1, S. 14
4) Göttner-Abendroth, Heide: »Berggöttinnen der Alpen/ Matriarchale
Landschaftsmythologie in vier Alpenländern«, Edition Raetia, 1 Auflage,
21. April 2016.
5) Ich zitiere die eBook-Ausgabe, Pos. 313, Zwischenüberschrift »Siebte Methode:
Kirchenforschung«
6) Francia, Luisa: »Eine Göttin für jeden Tag«, Nymphenburger Verlag 2016. Ich
nutzte die eBook-Ausgabe als Quelle, Pos. 29
7) Göttner-Abendroth, Heide: »Berggöttinnen der Alpen/ Matriarchale
Landschaftsmythologie in vier Alpenländern«, Edition Raetia, 1 Auflage: 21.
April 2016, eBook-Ausgabe, Position 312
8) * 15. April 1901 in Elberfeld; † 17. März 1981 in Bern
9) Muthmann, Friedrich: »Mutter und Quelle/ Studien zur Quellenverehrung im
Altertum und Mittelalter«, Basel 1975
10) ebenda, Zeilen 6-8 von oben
11) ebenda, Zeilen 12-15 von oben, Rechtschreibung wurde übernommen. So blieb
das »ß« erhalten, der Rechtschreibreform zum Trotz.
12) ebenda, Zeilen 16 und 17 von oben
13) Göttner-Abendroth, Heide: »Berggöttinnen der Alpen/ Matriarchale
Landschaftsmythologie in vier Alpenländern«, Edition Raetia, 1 Auflage: 21.
April 2016. Ich zitiere die eBook-Ausgabe, Pos. 913
Foto 12: Eine der unverwüstlichen Marien. Stadtkirche Lügde |
Zu den Fotos
Foto 1 Gott Radegast, frühes 16. Jahrhundert. wiki commons
Fotos 2 und 3: Der Ochsenkopf vom Ochsenkopf. Foto 2 wikimedia commons/ Thomas Kees.
Foto 3 wikimedia commons/ Thomas Kees. Nachzeichnung Walter-Jörg Langbein
Fotos 4 und 5: Radegast's Ochsenkopf. Foto 4 wikimedia commons/ Thomas Kees. Foto 5 wikimedia commons/ Thomas Kees. Nachzeichnung Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Auch der Dom von Paderborn steht auf Quellgebiet. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Paderborns einst heilige Quellen sprudeln noch. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Schwarze Madonna der Holzkapelle im Lugenser Wald Bad Birnbach. Foto Heidi Stahl
Foto 9: Schwarze Göttin. Schwarze Madonna der Holzkapelle im Lugenser Wald Bad Birnbach. Foto Heidi Stahl
Foto 10: Maria, Dom zu Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Diente eine Todesgöttin als Vorbild? Maria und der tote Jesus, Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 12: Eine der unverwüstlichen Marien. Stadtkirche Lügde
365 »Feuerberg und Heiliger Quell'«,
Teil 365 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 15.01.2017
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