Sonntag, 1. Mai 2011

67 »Der Engel der Apokalypse und der Bienenkorb aus Stein«

Teil 67 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Engel der Apokalypse
(Foto Cayambe)
»Und wohin soll die nächste Reise gehen?« fragt mich der Zahnarzt und bohrt gnadenlos weiter. Meinem weit geöffneten Mund entwichen einige unartikulierte Laute. »Aha.. also nach Südamerika... und wohin genau?« Wieder versuche ich zu antworten, so gut das mit weit aufgerissenem Mund und einem surrenden Bohrer am schmerzenden Zahn möglich ist. »Ecuador.. Ecuador... Ja, da möchte ich auch gern mal hin... zum Beispiel nach Quito!« Ich wundere mich schon lange nicht mehr darüber, dass der Zahnarzt genau versteht, was jeden anderen Menschen kaum noch an menschliche Sprache erinnert. Geduldig hört er meine Sprechversuche an, arbeitet konzentriert weiter, nickt und empfiehlt: »Dann müssen Sie aber unbedingt den Engel der Apokalypse besuchen!« Ich nicke. »Nicht mit dem Kopf wackeln, oder wollen Sie, dass ich in die Zunge bohre?« Ärgerlich schüttelt der Herr im weißen Kittel den Kopf und bohrt weiter. »Gleich haben wir's!«

Einige Wochen später stehe ich am Fuße des »Engels der Apokalypse«. Anibal Lopez aus Quito setzte ihn nach den präzisen Vorgaben von Augustín de la Herrán Motottas zusammen. 7000 vorgefertigte Aluminiumteile wuchsen so zu einer mysteriösen Statue zusammen. Das geflügelte Wesen, 45 Meter hoch, steht auf einem Globus, um den sich eine riesige Schlange windet. Ist es wirklich eine Schlange? Der Kopf erinnert mehr an ein monströses Fabelwesen als an die Schlange, die im Paradies Eva verführte.

Am 28. März 1976 weihte Pablo Munoz Vega, der 11. Erzbischof von Quito, das Denkmal. Für den frommen Kirchenmann war es die Maria von Quito. Hat er die mächtigen Flügel an den Schultern der stolzen Statue übersehen? Mir sind keine Mariendarstellungen mit Flügeln bekannt. Verschmitzt lächelnd erklärt mir ein Geistlicher vor Ort: »Wir nennen sie lieber Maria von Quito als unseren ›Engel der Apokalypse‹! Maria klingt nicht so furchteinflößend wie ›Engel des Weltuntergangs‹« Als Vorlage diente eine kleine Skulptur, die Bernardo de Legardo anno 1734 geschaffen hat: die »Jungfrau von Quito« heißt sie, ist auch unter dem Namen »die Tänzerin« bekannt.

Milde lächelnd blick die Statue auf blutgetränkten Boden. Anno 1822 fand hier die Schlacht von Pichincha statt. General Antonio José de Sucre besiegte die spanischen Truppen. Aufständische Rebellen beendeten damit endgültig die Vormacht der Spanier, die so viel Leid über Südamerika gebracht hatten.

Blick auf Moloch Quito (Foto W.-J. Langbein)
Ich stehe zu Füßen der Statue, auf einem Hügel am Rande Quitos. Die Erderhebung hat die Gestalt eines Brotleibes, deshalb heißt sie im Volksmund »El Panecillo«. »Hier oben stand einst ein Denkmal der Heiden. Sie beteten zu den Gestirnen und beobachten Sonne, Mond und Sterne.« Der Kultbau, der wohl schon vor den Zeiten der Inkas gebaut wurde, sei von den Spaniern zerstört worden. Zusammen mit dem Geistlichen gehe ich einige Schritte in Richtung einer kleinen steinernen Mauer. Zu unseren Füßen erstreckt sich Moloch Quito. Aus etwas mehr als 3000 Metern Höhe lässt sich die Hauptstadt Ecuadors überblicken. Sie liegt unter einer wabernden Glocke aus Abgasen aus Fabrikschornsteinen und von qualmenden Feuern in den Armenvierteln. Wie viele Menschen in der Stadt wohnen, die sich wie ein Krake ausbreitet, weiß niemand wirklich zu sagen. Amtliche Daten, von eifrigen Beamten ermittelt, sind wenig verlässlich. Denn ständig strömen aus der verarmten ländlichen Umgebung Arbeitsuchende in die Stadt. Sie bauen sich illegal Hütten. 1.500.000 Menschen soll Quito anno 2005 beherbergt haben. Heute mögen es 1.700.000 oder mehr sein.

Der mysteriöse »Bienenkorb« (Foto W.-J.Langbein)
Zu unseren Füßen mache ich ein seltsames »Gebäude« aus: eine steinerne Kuppel ohne Fenster. »Das ist der Bienenkorb von Quito...« erklärt mir der Geistliche fast etwas unwirsch. »Manche nennen das Ding auch ›la olla‹, Kochtopf...« Das kuriose Denkmal ist knapp über sechs Meter hoch, sein Durchmesser beträgt drei Meter. Die einzige Öffnung führt nach oben, zum Himmel. 45 cm misst das kreisrunde Loch. Gebaut wurde es aus exakt zugehauenen, feinporigen Andesit-Steinen. Das Material ist also vulkanischen Ursprungs.

Mit dem Priester umrunde ich auf gepflastertem Boden das mysteriöse Gebäude. Seine Basis liegt tiefer, ragt aus einem runden Schacht empor. »Kommt man heute noch hinein?« möchte ich wissen. Ich erfahre, dass das möglich ist. Man muss nur vom »steinernen Bienenkorb« bergab, Richtung Stadt klettern. Dann kommt man an einen Tunneleingang. Kriecht man in den steinernen Schlund, so gelangt man unterirdisch direkt in das Innere des Bienenkorbs hinein. Empfehlenswert ist ein solcher Versuch aber nicht.

Schon der Abstieg zum Tunneleingang ist nicht ungefährlich. Und im kurzen Tunnel selbst hausen angeblich Obdachlose, die neugierige Touristen in ihrem Unterschlupf nur ungern sehen. Überhaupt gilt der Region um den »Bienenkorb« als höchst gefährlich. Touristen wird dringend abgeraten, zu Fuß von der Stadt herauf zum Denkmal zu wandern. So warnt »Ecuador und Galápgos«, ein Reiseführer (1): »Da der Weg zum ›Freiheitsgipfel‹ nicht ungefährlich ist, sollte man ein Taxi nehmen. Vom Unabhängigkeitsplatz hinauf zum et eine Taxifahrt – die Wartezeit des Fahrers mit eingerechnet – 2 bis 3 US-Dollar!«

Verfasser Langbein vor dem  »Bienenkorb«
(Foto Willi Dünnenberger)
Welchem Zweck diente dieses runde »Auge«? Vielleicht war es ein Rauchabzug... Wenn im Inneren der steinernen Kuppel ein Feuer geschürt wurde, konnte der Qualm durch das kleine Loch in der kuppelförmigen Decke abziehen. Wenn der »Bienenkorb« so etwas wie eine Behausung war, wieso gab es dann keine Fenster? Und selbst wenn der Rauch durch die »Dachluke« entweichen konnte... dürfte der Qualm im Inneren einen längeren Aufenthalt höchst unangenehm gestaltet haben!

»Vielleicht war es ja auch so etwas wie ein Observatorium, zur Beobachtung von Sonne, Mond und Sternen....« räumt der kundige Geistliche ein. »Vielleicht ist das steinerne Ding ja eine alte heidnische Kultstätte?« Meine Vermutung wird empört mit einer barschen Handbewegung beiseite gewischt. Tatsächlich gab es einst als einzigen Schmuck an der Außenseite die Darstellung einer »Sonnengottheit«. Auf einer »Sonnenscheibe« war so etwas wie ein menschliches Gesicht zu sehen. Hatte also doch ein uraltes sakrales Gebäude die Zerstörungswut der Spanier überlebt? Das ursprüngliche Bauwerk sei von den Spaniern abgerissen, später sei eine Kopie errichtet worden... mit der Gravur einer heidnischen Sonnengottheit! Seltsam... Wie auch immer: der Bienenkorb wurde gemauert, die Inkas aber setzten nie Mörtel ein. Diese Tatsache spricht gegen die Inka als Erbauer des mysteriösen Monumentes. Wer aber hat es dann errichtet?

Quito ist von einer Apokalypse
bedroht... (Foto W.-J.Langbein)
Seltsam: Die Schlange mit dem Monsterkopf zu Füßen des Engels der Apokalypse und die Sonnen-Gottheit am »Bienenkorb« von Quito muten so gar nicht christlich an! Ich fühle mich an uralte matriarchalische Religionen erinnert, in denen Schlangen, Drachen, Sonne und Mond eine besonders wichtige Rolle spielten!

Geologisch ist Quito für Wissenschaftler sehr interessant. Fast die gesamte Stadt liegt auf sandigem Boden, den der Vulkanismus hinterlassen hat. Erdbeben und Vulkanausbrüche tauchten die Stadt immer wieder in apokalyptische Szenarien. Alte Gebäude, so wissen Einheimische, wurden mindestens vier Mal bei Vulkaneruptionen zerstört und wieder errichtet. Vierzehn Vulkane um Quito wirken recht bedrohlich. Fast zehn Jahre ist es her, dass der im Osten gelegene Reventador ausbrach. 2002 brach in der Millionenmetropole Chaos aus. Vulkanasche schien alles beerdigen zu wollen. Die Behörden riefen den Notstand aus.

Noch schlummert der Reventador, der seit Jahrhunderten regelmäßig ausbricht. Auf Satellitenfotos erkennt man seinen Schlund, der wie ein düsteres Tor zur Hölle aussieht. Vierzehn Vulkane umgeben Quito. Die meisten Bewohner verdrängen es wohl. Aber es ist eine Tatsache, dass ein Inferno droht. Jederzeit kann es wieder ausbrechen. Es wird zu einer Apokalypse von Quito kommen. Die Frage ist nicht, ob das geschieht... sondern wann!

Das Leben pulsiert in Quito wie in so mancher Millionenmetropole Südamerikas. Nirgendwo sonst aber weisen so viele schneebedeckte Vulkane auf eine mögliche Apokalypse hin. Im Süden thront stolz der Cotopaxai (5897 m), im Osten ragt der Antizana (5758 m) in den Himmel, im Norden lockt der Cayambe (5790) todesmutige Bergsteiger und im Westen dominiert der Pichincha (4675 m) das Panorama. Quito wird von einem Ring riesiger Vulkane umzingelt, deren schneebedeckte Häupter gigantische Mengen rotglühender Lava ausspeien können.

Der geflügelte »Engel der Apokalypse« scheint beschwichtigend die rechte Hand zu heben. Zu seinen Füßen windet sich eine Schlange den Globus... so wie ganze Ketten noch aktiver Vulkane unseren Erdball umschlingen. Die Apokalypse ist vorprogrammiert: Supervulkane bedrohen die Existenz der Menschheit. Von ihren wahren Ausmaßen haben wir keine Ahnung. So zeigte es sich, dass der gigantische Lavasee unter dem riesigen Areal des Yellowstone Nationalparks in Nordamerika noch sehr viel größer ist als bislang schon befürchtet.

Fußnote:(1) Falkenberg, Wolfgang: »Ecuador und Galapagos«, 4. Auflage, Bielefeld 2000, S. 145

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»Das Kreuz des Henkers«,
Teil 68 der Serie
»Monstermauern, Mythen und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 08.05.2011
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