Sonntag, 23. Juli 2017

392 »Von Tunneln, verborgenen Schätzen und Legenden«

Teil  392 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein



Fotos 1- 3: Tunneleingänge
Schon auf der abendlichen Rückfahrt ins Hotel bedauerte ich, nicht zumindest in einen der diversen Schächte gekrabbelt und das Innere eine dieser Riesenpyramiden erkundet zu haben. Und je weiter ich mich von den Pyramiden an der Küste Perus entfernte, umso größer wurde mein Wunsch, zurückzukehren und bäuchlings in einen der Gänge zu kriechen. 

Rasch vergessen war, wie brüchig schon die Eingänge wirkten. Da waren Brocken von den Decken gefallen, uralte Lehmziegel lagen am Boden der schmalen und niedrigen Tunnels. Und blickte man hinein in den Tunnel, so sah man, dass es da so weiter ging. Ein allzu neugieriger Besucher musste damit rechnen, beim Erkunden des Gangs verletzt zu werden. Schon ein Blick in die Eingänge zeigte: Da bestand Einsturzgefahr. Gut, so denke ich heute, dass ich auf das Abenteuer verzichtet habe!

Mutiger war ohne Zweifel Ephraim George Squier. Squier, 1821 in Bethlehem (New York) geboren, 1888 in New York City verstorben,  war der Sohn eines methodistischen Predigers. Journalismus lag ihm im Blut. So startete er eine wenig Erfolg versprechende »Karriere« als Herausgeber diverser Zeitungen, wechselte dann in die Politik. Schließlich studierte Squier Ingenieurwissenschaften. Nicht zuletzt mit diesem Hintergrundwissen erkundete er mit Abenteuerlust und wissenschaftlicher Präzision die uralten indianischen Erdpyramiden in den Tälern des Ohio und des Mississippi. 1848 erregte er mit seinem Werk über »Ancient Monuments of the Mississippi Valley« Aufsehen.

Foto 4: E.G.Squier
Mitte des 19. Jahrhunderts dokumentierte er die Existenz von erstaunlichen Bauten im Mississippi-Tal, die heute weitestgehend verschwunden sind. Die Erbauer von Erdpyramiden leisteten dort vor vielen Jahrhunderten Unglaubliches. Leider wurden ihre Meisterwerke, für die gigantische Mengen von Steinen und Erdreich transportiert und verarbeitet wurden, bewusst zerstört. Die »Einwanderer« benötigten immer mehr Flächen für die Landwirtschaft, da mussten Erdpyramiden weichen. Viele wurden abgetragen, neues Ackerland entstand.

Voreilig ist, wer auf die amerikanischen Siedler herabblicken zu können meint. In unseren Breiten wurden »Keltenschanzen« - immerhin oft zwei Jahrtausende alt – wie die Mounds in Amerika zerstört, eingeebnet und »zerpflügt«! Und das offenbar noch in jüngster Vergangenheit.

Kaum noch als der stolze Komplex zu erkennen, der die 2000jährige »Herlingsburg« auf dem Keuperberg beim Schiedersee in meiner lippischen Heimat einst war, ist die heute weitestgehend von Bäumen überwachsene Wallanlage . Heute muss man schon genau hinschauen, um Reste der einst mächtigen Wallanlage zu erkennen. Von uralten Grabanlagen sieht man im Dickicht nichts mehr. Einst gab es im Inneren des Komplexes Brunnen. Sie wurden längst zugeschüttet. Es ist traurig, dass die Spuren teilweise recht großer Kultanlagen, die es vor unserer eigenen Haustüre gab, im Verlauf der letzten Jahrhunderte zerstört und abgetragen wurden.

Fotos 5-8: Kaum noch zu erkennen...

Richtig sesshaft konnte oder wollte Squier wohl nicht werden. Er agierte aktiv in Politik und Diplomatie. führten Squier Mitte des 19. Jahrhunderts nach Zentral- und Südamerika. Oder war seine Sehnsucht nach fremden Ländern und deren Denkmälern der eigentliche Grund für den umtriebigen Squier in die Politik zu gehen? Wie dem auch sei: Anno1863 kam er  als »Kommissar der Unionsstaaten« nach Peru, wo er mit wachsender Begeisterung die ihn faszinierenden mysteriösen Monumente aus uralten Zeiten studierte. 1877 brachte er ein Werk über Peru heraus (1). Schon 1883 erschien die deutsche Übersetzung (1) »Peru - Reise- und Forschungs-Erlebnisse in dem Lande der Incas«.

Foto 9: Squire's Peru

115 Jahre später war ich, ohne es zu wissen, auf Squiers Spuren unterwegs. Schon Squier hatten die gigantischen Pyramiden aus Millionen von an der Sonne getrockneten Lehmziegeln fasziniert. Schon Squier hat sich von Einheimischen erzählen lassen, dass sich im Inneren der großen »Pyramide zu Moche« Räume befänden.

Noch heute, so behaupten Einheimische, wüssten Eingeweihte, wie man in das Innere der Pyramiden zu geheimen Räumen gelangt. Squier schrieb im 19. Jahrhundert (2): »Es sollen in dem Bauwerke Gänge und Kammern vorhanden sein, welche nur die Indianer kennen und unter Schuttmassen sorgfältig verborgen halten. Einer dieser Gänge, so geht die allgemeine Sage, steigt von den Bauwerken am Hügelabhange herab und erstreckt sich unter dem Boden bis in das innerste Heiligtum der Pyramide, in das Gewölbe mit dem Leichnam des mächtigen Fürsten von Chimú, und in welchem vielleicht der ›große Fisch‹ verborgen liegt.«

Foto 10: So sahen die Lambayeque-Pyramiden um 1850 aus

 Bei mehreren der Pyramiden in den Gefilden von Lambayeque sind mir, wie berichtet, sehr niedrige und schmale Stolleneingänge aufgefallen. Sie befanden sich alle jeweils am Fuße der Pyramiden, direkt am Boden. Einen solchen Stollen beschreibt auch Squier anno 1877 (3):

»Er war von Schatzgräbern angelegt worden, und die herausgeförderten Stoffe bildeten an der Mündung des Stollens einen förmlichen kleinen Hügel. Da wir Lichter bei uns hatten, so folgten wir dem Gange bis an sein Ende. Es roch übel darin, und er war schlüpfrig von den Exkrementen der Fledermäuse, die an uns vorbeischwirrten, als sie aufgescheucht wurden, und unsere Lichter ausstieszen, als wenn sie die erzürnten Wächter der Schätze der Chimú-Könige wären. Die Besichtigung zeigte uns nichts auszer den durchhin gehenden Schichten von Ziegeln, keine Spur von Kammern oder Gängen.« (4)

Ich will offen sein: Mich interessiert überhaupt nicht, wie man in der wissenschaftlichen Literatur diese oder jene Kultur nennt, die angeblich diese oder jene Pyramide hervorgebracht hat. Heute spricht man von »Sicán-Kultur«, früher hatte man sich auf »Lambayeque-Kultur« geeinigt. Klar ist lediglich, dass die Pyramidenbauer an der Küste Perus lange vor den Inka aktiv waren und erstaunliche Bauwerke schufen.

Ich will offen sein: Ich habe so meine Zweifel an den Datierungen der gewaltigen Pyramiden, denen man heute noch nur ein relativ geringes Alter zubilligt. So soll Betán Grande bei Chiclayo zwischen 900 n.Chr. und 1100 n.Chr. das religiöse Zentrum der »Lambayeque-Kultur« gewesen sein. »Lambayeque« leitet sich von einer mythologisch-legendären Gestalt ab, von »Ñaymlap«. Ñaymlap soll so etwas wie ein präinkaischer Heros gewesen sein, ein Held, ein Reichsgründer. Angeblich galt Ñaymlap einst als leibhaftiger und unsterblicher Gott. Als er dann aber doch das Zeitliche segnete, so wird überliefert, habe man ihn klammheimlich in seinem Palast beerdigt. Das tumbe Volk sollte auch weiterhin an die Unsterblichkeit Ñaymlap glauben. Bis heute ist das Grab Ñaymlaps nicht gefunden worden. Wird man es je entdecken? Vorsicht ist geboten! Mag sein, dass sich ein früher Herrscher mit dem Namen Ñaymlap schmückte. Mag sein, dass man eines Tages tatsächlich das Grab eines Ñaymlap in einer der Pyramiden findet. Oder präziser: Vielleicht stößt man eines Tages bei Ausgrabungen auf das Grab eines frühen Mächtigen, den die Archäologie dann zu Ñaymlap erklärt. Das Grab des Ñaymlap dürfte schwer zu identifizieren sein, da schriftliche Aufzeichnungen und Beschreibungen aus den mythischen Zeit dieses Herrschers fehlen.

Foto 11: Weiteres Werk von E.G. Squier
Ñaymlap wurde erstmals im 16. Jahrhundert von Cabello de Balboa, einem verlässlichen Chronisten, erwähnt. Nach seit Generationen mündlich überlieferten Berichten tauchte Ñaymlap auf einem riesigen Floß »aus dem Norden« auf. Ich habe mir Legenden über den Heros Ñaymlap erzählen lassen, so wie dies schon Ephraim George Squier im späten 19. Jahrhundert tat. Squier vermeldet, was die stolzen Nachfahren der Pyramidenbauer von Lambayeque behauptet haben (5): »Sie seien zu einer sehr entlegenen Zeit auf einem ungeheuren Flosze von Norden her gekommen unter einem Häuptlinge groszer Geistesgaben und hohen Mutes. Mit Namen Ñaymlap, der viele Genossen und Beischläferinnen mitführte.«

Squier hörte altehrwürdige Legenden von einem riesigen Floß, mit dem Naymlap und Gefolge in der »San-Jose-Bucht« gelandet sein sollen. Andere Legenden, so wie sie mir erzählt wurden, vermelden freilich, dass unter Leitung von Ñaymlap eine wahre Floß-Armada eine neue Zivilisation in die Gefilde von Lambayeque brachte. Aus dieser »Urkultur« sollen die Mochica und Chimú hervorgegangen sein. Es folgten die Sican-Kultur, dann die mörderischen Spanier.

Im Herbst 2011 erhielt ich einen aufgeregt-euphorischen Anruf aus Peru. Der Archäologe Carlos Wester habe gerade den »Palast« von Ñaymlap entdeckt. Ich müsse mich umgehend auf die Reise nach Peru machen, wenn ich bei der Auffindung von Ñaymlaps Grab anwesend sein wolle. Unbeschreiblich kostbare Grabbeigaben aus Gold seien zu erwarten, und das in einer gewaltigen Menge. Man dürfe, ja müsse von Herrlichkeiten in Gold ausgehen, in einem Umfang und einer Kunstfertigkeit, wie man das noch nie gesehen habe. Man sei davon überzeugt, dass jeden Augenblick die Gebeine des mythologischen Herrschers ans Tageslicht kämen, ganz zu schweigen von den sterblichen Überresten unzähliger Menschenopfer, etwa von der Frau des Regenten und von seinen – wie Squier es moralisierend formulierte –  »Beischläferinnen«. Höchste Eile sei geboten. Bis heute kam es nicht zu der anno 2011 angeblich unmittelbar bevorstehenden sensationellen Entdeckung.

Fußnoten
1: Ephraim George Squier: »Peru - Incidents and Explorations in the Land of the Incas«, 1877. Mir liegt die Erstauflage der Übersetzung ins Deutsche vor: »Peru - Reise- und Forschungs-Erlebnisse in dem Lande der Incas«,  Leipzig 1883
Die Rechtschreibung wurde unverändert übernommen.
2: ebenda, Seite 160, Zeilen 11 bis 19 von unten
3: ebenda, Seite 160 ab der 7. Zeile von unten bis unten und Seite 161, Zeilen 1-4 von oben
4: Wer die Werke H.P. Lovecrafts kennt, wird erkennen, dass Squiers Schilderung einer Horrorstory von Lovecraft entnommen sein könnte!
5: Ephraim George Squier: »Peru - Incidents and Explorations in the Land of the Incas«, 1877. Mir liegt die Erstauflage der Übersetzung ins Deutsche vor: »Peru - Reise- und Forschungs-Erlebnisse in dem Lande der Incas«,  Leipzig 1883, Zitat Seite 204, Zeilen 4-7 von unten


Foto 12: Squier um 1870
Zu den Fotos
Fotos 1- 3: Tunneleingänge in die Pyramiden von Túcume und Co.
Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 4: E.G.Squier, etwa 1865. Historische Darstellung, gemeinfrei.
Fotos 5-8: Kaum noch zu erkennen, die Keltenschanze am Schiedersee.
Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Squire's Peru. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 10: So sahen die Lambayeque-Pyramiden um 1850 aus. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 11 Ein weiteres Werk von E.G. Squier. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein

Foto 12: Squier um 1870. Zeitgenössische Darstellung, gemeinfrei. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein

393 »Wo medizinmänner mit Teufeln sprachen«,
Teil  393 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 30.7.2017



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