Sonntag, 30. Juli 2017

393 »Wo Medizinmänner mit Teufeln sprachen«

Teil  393 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Pyramidenkomplex von Túcume im Überblick

Zweitausend Kilometer Küste hat Peru zu bieten. Weite lebensfeindliche Wüsten wirken wenig anziehend auf heutige Besucher. Und doch bietet eben diese kahlen Ebenen am »Stillen Ozean« ungeahnte Schätze, die sich viele Touristen auch heute noch, zu Beginn des dritten Jahrtausends nach Christus, entgehen lassen. Im Norden Perus, einen »Katzensprung« von der Grenze zum heutigen Ecuador entfernt, liegt Túcume, ein unscheinbares Dorf. Die schlichten Hütten kleben förmlich am wohl größten Pyramidenkomplex der Welt.

Warum ist das Interesse an derlei Mysterien aus riesigen Pyramiden aus Millionen von Lehm-Ziegeln nach wie vor gering? Warum werden selbst die hervorragenden Museen vor Ort viel zu wenig beachtet? Das mag daran liegen, dass die riesigen Pyramiden-Komplexe im Raum Lambayeque auf den ersten und zweiten Blick so imposant nicht sind. Man übersieht sie aus der Distanz leicht, weil sie – so groß sie sind – im Wüstenboden zu verschwinden scheinen.

Foto 2: Pyramiden, Mauern, Plattformen von Túcume

Thor Heyerdahl schreibt in seinem sehr informativen Werk »Die Pyramiden von Tucumé«, das leider nur noch antiquarisch erhältlich ist (2): »Als die spanischen Eroberer im frühen 16. Jahrhundert auf der Inkastraße an den Pyramiden von Tucumé vorüberritten, waren sie von dem Anblick dieser gewaltigen Monumente aus einer vergessenen Vergangenheit überwältigt. Tausende von modernen Touristen dagegen sind auf der neuen Fernstraße vorübergerauscht, ohne zu ahnen, was ihnen verborgen blieb: die Pyramiden von Tucumé, die durch Erosion eine wirkungsvolle Tarnung erhalten haben. Eine noch bessere Tarnung bieten ihre Dimensionen: Bleichen Sandsteingebirgen gleich ragen sie im tropischen Sonnenschein hoch auf, die blauen Anden als Schatten im Hintergrund.«

Thor Heyerdahl spricht davon, dass die Monsterbauten (3) »gegen Ende des 20. Jahrhunderts ins Rampenlicht gerieten«, Weltwunder sozusagen, die sich bis dahin »über die Ebenen auftürmten, als wären sie dort vom Schöpfer selbst hinterlassen worden. Gleichzeitig jedoch schienen sie ebenso unwirklich wie Gespenster zu sein.«

Foto 3: Schutzdächer für Archäologen (Túcume)

Die Pyramiden sehen auf den ersten und zweiten Blick gar nicht wie von Menschenhand errichtete Bauwerke riesigen Ausmaßes aus, sondern wie wenig attraktive Hügel. Die geradezu manchmal höllischen Temperaturen laden auch nicht unbedingt dazu ein, die Denkmäler verschwundener Kulturen zu besuchen. Noch heute nennt man die Pyramide von Túcume (4) im Dörfchen Túcume »El Purgatorio«, zu Deutsch »Das Fegefeuer«. Warum?

Ein Geistlicher vor Ort hatte eine Erklärung parat, die ich in dieser Form nirgendwo in der Literatur gefunden habe: »Die heidnischen Erbauer opferten auf den Pyramiden ihren Göttern Menschen, als es eine Hungersnot gab. Man glaubte, die Götter seien zornig und man müsse sie mit Blut besänftigen. Als aber die Götter stumm blieben und nicht helfend eingriffen, steckten die Heiden die Tempel auf den Pyramiden in Brand und verließen die Stätte des Grauens!« Tatsächlich hat der katholische Klerus die Pyramiden von Túcume seit Jahrhunderten zum abscheulichen Erbe der heidnischen Vorfahren erklärt, zum (5) »Ort, an dem die Medizinmänner der Vergangenheit und der Gegenwart mit den Teufeln kommunizierten«.

Foto 4: Pyramide an Pyramide 
oder Rampe und große Pyramide?

Die riesigen Pyramiden von Lambayeque – Treffunkt von Menschen und »Teufeln«? Meine Meinung: Die Pyramiden im Raum Lambayeque sind künstlich geschaffene Berge. Ich vermute sogar, dass weltweit alle Pyramiden mythologische Berge darstellen. Die ältesten künstlichen Berge sind die Zikkurats, die vor Jahrtausenden in Babylon entstanden. Ein Zikkurat, Ziggurat oder Ziqqurat war, ja was denn? Der Name verrät es uns: Ein »Schiggorat« war »hoch aufragend, hoch aufgetürmt, ein Himmelshügel, ein Götterberg«. Erinnern wir uns! Der allmächtige Gott des Alten Testaments landete auf dem Berg Sinai. Er fuhr aus himmlischen Gefilden herab, mit Schnauben, Feuer und Rauch. Und das war alles andere als ungefährlich für die Menschen. So musste ein Schutzzaun um den vorgesehenen Landeplatz errichtet werden, um die Menschen von der Gefahrenzone fernzuhalten (6): »Mose aber sprach zu Jahwe: Das Volk kann nicht auf den Berg Sinai steigen, denn du hast uns verwarnt und gesagt: Zieh eine Grenze um den Berg und heilige ihn.« Noch einmal zitiere ich aus dem Altem Testament (7): »Der ganze Berg Sinai aber rauchte, weil Jahwe auf den Berg herabfuhr im Feuer; und der Rauch stieg auf wie der Rauch von einem Schmelzofen und der ganze Berg bebte sehr.«

Kamen die himmlischen Götter weltweit aus himmlischen Gefilden herab, um auf Bergen zu landen? Auf den Pyramiden von Túcume sollen Teufel mit Medizinmännern kommuniziert haben. Waren damit die Götter der Pyramidenbauer gemeint, die sich auf den künstlichen Pyramidenbergen mit Menschen trafen? Wollten die Menschen von Lambayeque ihren Göttern unbedingt näher kommen? Waren es die »Oberpriester«, die auf die Spitzen der Pyramiden klettern durften, so wie es Moses erlaubt war, den Berg Sinai zu ersteigen, um sich hoch oben zwischen Himmel und Erde mit »Gott« zu treffen? Wurden im Zuge der Christianisierung aus den Himmelsgöttern der Pyramidenbauer im christlichen Sprachgebrauch Teufel? Das ist eine Spekulation, gewiss, aber eine – wie ich meine – berechtigte!

Foto 5: Imposanter Teilbereich des Pyramidenkomplexes (Túcume).

Vor Ort erlebte ich, wie an einer der Lambayeque-Pyramiden archäologische Ausgrabungen vorgenommen wurden. Die Wissenschaftler hatten über ihrer Ausgrabung ein schützendes Dach errichtet. Zum einen diente es als Sonnenschutz für die Archäologen. Zum anderen sollten auf die Pyramide dort, wo man die äußere schützende Schicht entfernt hatte, möglichst wenig schädliche Witterungseinflüsse einwirken. Vor allem wollte man vermeiden, dass Regenschauer Schäden anrichten können. Ich fragte einen Studenten, der mit großer Geduld Sand siebte, in der Hoffnung, kleine Artefakte aus alten Zeiten zu finden:


»Wurde schon eine Datierung der Pyramidensubstanz vorgenommen?« Der Student erklärte mir, das sei sehr schwierig. »Die äußere Schicht der Pyramide muss nicht zwangsläufig aus der Zeit des Pyramidenbaus stammen. Es ist durchaus möglich, dass im Lauf der Jahrhunderte die Pyramide immer wieder eine neue Schutzschicht erhielt. Wir wissen ja auch von den Inka, dass sie alte Pyramiden immer wieder überbauten, ihnen neue Außenhüllen aus Stein verpassten. Warum sollte das nicht auch bei den Pyramiden von Lambayeque der Fall sein?«

Foto 6: Abgeflachte Pyramide von Túcume

Wir wissen also nicht, wann im Bereich von Lambayeque mit dem Bau der ersten Pyramiden begonnen wurde. Womöglich wurden die ältesten Strukturen durch Anbauten auch immer wieder erweitert, so dass schließlich komplexe Strukturen entstanden. Mag sein, dass erst da und dort Pyramiden aufgeschichtet wurden, die man dann mit Monstermauern aus Ziegeln miteinander verband. Mag sein, dass die augenscheinliche Erosion so großen Schaden angerichtet hat, dass wir nie erfahren werden, wie die Pyramidenkomplexe einst ausgesehen haben. Vielleicht ist ja mal das Glück auf Seiten der Archäologen und sie entdecken Baupläne, so es die denn je gegeben haben sollte.


Manchmal drängt sich mir ein Verdacht auf: dass wir gar nicht alles wissen sollen, was wir wissen könnten. Was Wissenschaftler herausgefunden haben, das passt nicht immer zum aktuellen Wissensstand. So erfuhr ich vor Ort, dass im  Umfeld der Pyramiden von Túcume und Sipán »einige kostbare Masken« gefunden wurden, die ein Merkmal aufweisen, das nun gar nicht zu Südamerika passt: Sie hatten eingelegte blaue Augen!

Foto 7: Auch das sind künstliche Strukturen

Bis heute konnte ich in der wissenschaftlichen Literatur keinen einzigen Hinweis auf diese Masken mit blauen Augen finden. Ich konnte auch keine Maske in den Museen vor Ort (1) entdecken. Nur Thor Heyerdahl erwähnt eine (8) »auffallend blauäugige Mumienmaske von Sipán«, die er seinem Bekunden nach selbst in Händen hielt.

Hatten die Erbauer der Pyramiden also blaue Augen und woher kamen sie? Woher kam der erste Herrscher, Ñaymlap per Floß? Gab es Kontakt mit Europa, als die ersten Pyramiden an der Küste Perus gebaut wurden? Gab es lange vor Kolumbus europäische »Entdecker«? Gab es lange vor Kolumbus weltweite Seefahrt? Wurden die Ozeane schon sehr viel früher überquert als man heute noch glauben zu müssen meint? Am 8.5.2013 berichtete die Tageszeitung »Welt« (9):

»Wie kamen blonde Weiße vor Kolumbus nach Peru? Als die Konquistadoren in die Anden kamen, staunten sie über die hellhäutigen Chachapoyas. Nach genetischen Untersuchungen ist sich Hans Giffhorn sicher: Es handelt sich um Nachfahren von Kelten. Wer sich die Hinterlassenschaften der Kelten anschauen möchte, fährt naheliegender Weise zu den einschlägigen Orten in Deutschland, nach Frankreich und in andere Länder Westeuropas, um Überreste von Siedlungen, Grabstätten und Verteidigungsanlagen zu finden. Hat er sie alle durch, kann er allerdings auch nach Südamerika fahren, um am Ostrand der Anden Bauwerke und andere kulturelle Errungenschaften jenes frühen europäischen Volkes und seiner Nachfahren zu bewundern – alles aus einer Zeit viele Jahrhunderte vor der ersten Überfahrt von Christoph Kolumbus. Kelten waren nämlich lange vor Kolumbus in der Neuen Welt. Gemeinsam mit Karthagern.«

Foto 8: Pyramide und Wüstenei verschmelzen scheinbar

Es gibt durchaus Hinweise auf für bislang in der Wissenschaft bestrittene sehr frühe Besucher aus Europa in Peru. Sollten gar die Erbauer der nordperuanischen Riesenfestung Kuelap in den Hochanden ursprünglich aus Europa gekommen sein (10)? Noch sind derlei Spekulationen für die anerkannte Schulwissenschaft ein böses Sakrileg. Noch, so scheint mir, wagen Wissenschaftler aus Angst um ihr Renommee nicht, in dieser Richtung auch nur zu forschen. Wird sich daran etwas ändern? Kann sich daran überhaupt kurzfristig etwas ändern? Warum sträuben wir uns so sehr gegen die Vorstellung, dass die Menschheitsgeschichte nicht linear verlief? Weil wir Menschen des 21. Jahrhunderts uns unseren Vorfahren unbedingt haushoch überlegen fühlen möchten? Können wir nicht akzeptieren, dass die Menschheit vor Jahrtausenden sehr viel fortgeschrittener war als unsere Väter und Großväter? Die Bauten von Lambayeque und Kuelap stehen in keiner direkten Verbindung. Es wurden ganz unterschiedliche Baumaterialien verwendet. Und doch haben sie vielleicht etwas gemeinsam. Sie alle könnten nämlich Zeugnis ablegen für eine Hochkultur, die lange vor Kolumbus Transatlantikreisen beherrschte. Derlei Reisen darf es aber nach aktueller Wissenschaft nicht gegeben haben, also kann es auch nicht zu derartigen Reisen über die Meere gekommen sein?


Foto 9: Die Stadt der Wolkenmenschen (Chachapoyas)

Fußnoten
1) Diese Museen sind ein »Muss«:
»Museo Tumbas Reales de Sipán«, das »Museum der Königsgräber von Sipán«, Lambayeque
»Museo Arqueologico Nacional Brüning«, Lambayeque
»Museo de Sitio de Tucume«
»Museo de sitio Huaca Rajada«, Sipan
2) Heyerdahl, Thor: »Die Pyramiden von Tucumé«, München 1995, S. 8, Zeilen 1-7 von unten und Seite 10, Zeilen 1 und 2 von oben
3) ebenda, S.10, Zeilen 3-7 von oben
4) Heutige Schreibweise ist Túcume, nicht mehr Tucumé.
5) Heyerdahl, Thor: »Die Pyramiden von Tucumé«, München 1995, Seite 10, Zeilen 11-13 von oben
6) 2. Buch Mose Kapitel 19, Vers 23
7) 2. Buch Mose Kapitel 19, Vers 18
8) Heyerdahl, Thor: »Die Pyramiden von Tucumé«, München 1995, S. 17, 2. Zeile von unten
9) Meine Quelle ist die Online-Version des zitierten Artikels!
10) Meine Quelle ist die Online-Version des Artikels »Die Kelten kamen bis nach Peru«  der »Wienerzeitung« vom 20.9.2013


Foto 10: Eingang zum Komplex Kuelap


Zu den Fotos
Foto 1: Pyramidenkomplex von Túcume im Überblick. Foto wikimedia commons/ Euyasik
Foto 2: Pyramiden, Mauern, Plattformen von Túcume. Foto wikimedia commons Lomita
Foto 3: Schutzdächer für Archäologen (Túcume). Foto wikimedia commons Lourdes Cardenal
Foto 4: Pyramide an Pyramide oder Rampe und große Pyramide? Foto wikimedia commons Euyasik
Foto 5: Imposanter Teilbereich des Pyramidenkomplexes (Túcume). Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Abgeflachte Pyramide von Túcume. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Auch das sind künstliche Strukturen. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Pyramide und Wüstenei verschmelzen scheinbar. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Die Stadt der Wolkenmenschen (Chachapoyas). Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Eingang zum Komplex Kuelap. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Walter-Jörg Langbein unterwegs im Reich der Wolkenmenschen. Foto Ingeborg Diekmann


Foto 11: Walter-Jörg Langbein 
unterwegs im Reich der Wolkenmenschen. 
Foto Ingeborg Diekmann


394 »Auf der Suche nach der ältesten Pyramide«,
Teil  394 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 06.8.2017

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