Sonntag, 3. Juni 2012

124 »Von Toren aus Stein«

Das Geheimnis der Anden III,
Teil 124 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Der Verfasser im
»Tunnel« - Foto
Selbstauslöser,
Archiv Langbein
Ein schmales, niedriges Törchen aus Stein ist hinter einem Bretterverschlag verborgen. Ein missmutig drein blickender Wächter schiebt einsam Posten. Wenn sich ein neugieriger Besucher auch nur in seine Nähe verirrt, wird er auch schon mit wilden Gesten vertrieben. Als ich schon aus einiger Entfernung mit einem Kistchen edler Zigarren winke ... darf ich näher treten. Und als ich dem schon deutlich freundlicheren Zerberus gar eine der Zigarren anbiete, lacht er freundlich.

Wir schmauchen beide meine Havannas und klopfen uns gegenseitig auf die Schultern. Schließlich schenke ich ihm das ganze Kistchen Zigarren ... und der Mann verlässt demonstrativ seinen Posten. Er hat verstanden, dass ich gern durch das »Törchen« in die Unterwelt von Tiahuanaco kriechen möchte. Unter seinen Augen darf ich das nicht. Also entfernt er sich diskret.

Auf Ellenbogen und Knien krieche ich durch den sehr schmalen und niedrigen Eingang ... hinein in die Dunkelheit eines »Tunnels«. Es riecht muffig. Wie weit mag mich der Minigang führen? Ob er abrupt im Nichts endet? Ich werde es erfahren!

Meine Taschenlampe gibt schon nach wenigen Metern ihren Geist auf. Ich taste mich langsam weiter, meine Hände streichen über den Boden, die Seitenwände und die Decke ... Glatt polierte Platten sind nahtlos aneinander gefügt. Zentimeter für Zentimeter spüre ich ... nichts, nicht die Spur einer Fuge.

Licht am Ende des
Tunnels - Foto:
W-J.Langbein
Plötzlich stoße ich mich an einem Hindernis. Ein Stein liegt im Weg. Ich wage ein Experiment. Tatsächlich gelingt es mir, meinen Fotoapparat auf »Selbstauslöser« einzustellen, auf dem Hindernis zu deponieren ... und ein Foto von mir im »Tunnel« aufzunehmen. Ich muss zugeben: Mehrere Versuche hab ich gewagt, alle bis auf einer schlugen fehl. Eine einzige Aufnahme lässt erahnen, wie »abenteuerlich« mir meine Kriecherei in der Dunkelheit vorkam!

Wie weit ich krieche ... ich weiß es nicht. Wie lange ich unterwegs bin ... ich weiß es nicht. Und plötzlich taucht Licht am Ende des »Tunnels« auf ... Meine Augen haben sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Der Lichtpunkt blendet mich förmlich. Ich mache ein Foto. Deutlich sind die glatt polierten Wände zu erkennen. Später erfahre ich: der »Tunnel« war ein simpler Abwasserkanal von einst.

Was ich nicht verstehe: Wieso hat man die Wände eines Abwasserkanals so extrem glatt poliert? Warum hat man die einzelnen Platten millimetergenau zugeschnitten, so dass sie sich ohne erkennbare Fuge förmlich aneinander schmiegen ... während an »Stempelwänden« von Tiahuanaco geradezu stümperhaft Stein auf Stein gesetzt wurde? Da hat man seltsam fremdartig wirkende Köpfe aus Stein in Wänden verarbeitet. Hier kamen nur roh behauene Steine zum Einsatz. Zentimeterdicke »Fugen« weisen auf stümperhafte Arbeit hin. Warum hat man im verborgenen »Abwasserkanal« so präzise ... bei den »Tempelwänden« so schlampig gearbeitet?

Steinerner Kopf in einer Tempelwand
Foto: W-J.Langbein
Die steinernen Köpfe – jeder weist individuelle Kopfform und Gesichtszüge auf – wurden bei Ausgrabungsarbeiten gefunden. Wo sie einst im Bauwerk von Tiahuanaco platziert waren ... wir wissen es nicht. Mauerwerk wurde schlampig »rekonstruiert«, wo seit Generationen nur einsame Monolithen standen. Steinerne Köpfe wurden nach Gutdünken eingesetzt, wo sich eine passende Lücke ergab ... Kurzum: Die bewundernswert präzisen Steinmetzarbeiten im Tunnel sind Originale der Erbauer von Tiahuanaco. Die »rekonstruierten« Mauern mussten so primitiv ausfallen, weil die Archäologen die Erbauer zu den primitiven Steinzeitmenschen zählten.

Die Gesichter dieser Köpfe wirken fremdartig, zum Teil fast fratzenhaft. Sollten reale Individuen gezeigt werden? Sollten unterschiedliche Rassen im Stein verewigt werden? Leider können wir die starren Mienen nicht wie ein Buch lesen. Was sie uns wohl zu erzählen hätten? Prof. Hans Schindler-Bellamy, österreichischer Archäologe, erkundete intensiv Tiahuanaco, zum Verfasser: »Womöglich begann die Geschichte Südamerikas vor vielen Jahrtausenden in Tiahuanaco. Womöglich war sie sehr viel älter als die Kulturen von Sumer und Ägypten!«

Das Werk von
Archäologen
Foto: W-J.Langbein
Zur Erinnerung: Das »Museo Submisubterraneo Tiwanaku«, La Paz, ist ein Freilichtmuseum der besonderen Art: Die archäologischen Kostbarkeiten werden auf einem weitestgehend im Erdboden versenkten Platz zur Schau gestellt. Diese besondere Form wurde ganz bewusst gewählt. Die Erbauer des Museums imitierten einen »Tempel« von Tiahuanaco, 4.000 Meter über dem Meeresspiegel!

Nähert man sich der Anlage von Tiahuanaco auf einem kleinen Trampelpfad, so stößt man auf einen im Boden versenkten Tempel. In den Wänden sind seltsame Kopfskulpturen eingelassen, nach Gutdünken der Archäologen. Prof. Hans Schindler-Bellamy: »Dieser versenkte Platz ist so etwas wie ein Vorhof zum eigentlichen ›Tempel‹ von Tiahuanaco gewesen!«

Vom »versenkten Tempel«, den das Freilichtmuseum von La Paz imitiert, führt – nach Westen – eine steinerne Treppe empor zu einem Tor. Dieses Tor, flankiert von zwei tonnenschweren Monolithen, ist weit mehr als »nur« ein Eingang. Just zur Tag-und-Nachtgleiche geht die Sonne präzise in diesem steinernen Tor auf. Und wenn man vom versenkten Tempel aus gen Westen blickt ... just zum Termin der Tag- und Nachtgleiche ... konnte man erkennen, dass ein steinerner Riese mit roboterhaften Zügen exakt diese Position der Sonne markierte!

Versenkter Tempel von Tiahuanaco
Foto: Dr.Eugen Lehle
So beeindruckend das heutige Tiahuanaco auch ist ... wie imposant muss das Original gewesen sein, bevor es von Vertretern der ach so hoch stehenden europäischen Kultur verwüstet wurde! So beklagt Edmund Kiss in seinem Werk über »Das Sonnentor von Tihuanaku« (1): »Es ist ein Wunder, dass in Tihuanaku überhaupt noch Stein vorhanden ist, und wenn die übrig gebliebenen Blöcke nicht so schwer wären, dass sie sich dem Abtransport passiv widersetzten, und wenn sie nicht so fest wären, dass sie den Pistolenschießübungen fremder Touristen Trotz böten, und selbst Sprengversuche mit Pulver und Dynamit nicht immer zu dem gewünschten Ergebnis geführt haben, so wäre ganz sicher nichts mehr übrig.«

Weiter schreibt Kiss (2): »Zweifellos ist das Ruinenfeld schon seit Jahrtausenden von den vielen Völkern und ihren Herren … ausgeplündert worden, angefangen bei den Inkas bis zurück zu den Völkern aus dem Dunkel der vorgeschichtlichen Zeit. Dennoch war das, was an Plünderungen geschehen war, nichts gegen das, was das vordringende Christentum der Conquista in dieser Hinsicht geleistet hat. Spanische Chronisten der ersten Jahrzehnte der Eroberung erzählen von ragenden Mauern, die sie in Tihuanaku vorgefunden hätten.«

Die Treppe zum steinernen Tor
Foto: W-J.Langbein
Sie wurden als Steinbrüche benutzt, in christlichen Kirchen verbaut ... und mehr schlecht als recht von Archäologen »rekonstruiert«. Bedauernd stellt Kiss fest (3): »So ist die Kalasasaya, die weiträumige Sonnenwarte der vorgeschichtlichen Astronomen, verstümmelt worden.«

Als ich in den engen und niedrigen Gang kroch, hatte ich eine vage Hoffnung. Laut Prof. Hans Schindler-Bellamy gab es vor rund 90 Jahren auf dem Areal von Tiahuanaco noch Zugänge zu unterirdischen Räumen, deren Wände glatt wie Glas gewesen seien. Die mit unglaublicher Präzision zugeschnittenen Blöcke sollen millimetergenau aufeinander abgestimmt und zusammengefügt worden sein ... vor vielen Jahrtausenden. Diese Zugänge wurden, so Prof. Hans Schindler-Bellamy, zugeschüttet. Ich muss zugeben: Zumindest ein klein wenig hoffte ich, in einen dieser verschollenen Räume zu gelangen ... Eine solche Entdeckung war mir aber nicht gegönnt. Ich gelangte irgendwann wieder ins Freie ...

Wird man diese Räume je wieder entdecken? Sucht man überhaupt nach ihnen? Fakt ist: Allenfalls ein Prozent von Tiahuanaco wurde bislang ausgegraben. Es fehlt am Geld. Und ausländische Investoren kommen aus Nationalstolz nicht zum Zuge ...


Fußnoten
1 Kiss, Edmund: »Das Sonnenthor von Tihuanaku«, Leipzig 1937, S. 41 u. 42
2 ebenda, S.42
3 ebenda


Das Sonnentor
Das Geheimnis der Anden IV,
Teil 125 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein«,
erscheint am 10.06.2012



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