»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Fotos 1-3: Das Münster zu Freiburg 1931-1944 |
»Hören Sie endlich auf, sich mit diesem Österreicher zu beschäftigen!«, ermahnte mich streng der Leiter eines christlichen Studentenheims nach meinem Vortrag über den Schweizer Erich von Däniken und seine »Astronautengötter«. »Der Mann schreibt doch nur Unsinn! Warum haben Sie denn in Ihrem Vortrag nicht darauf hingewiesen, dass nach diesem Däniken der Weihnachtsbaum eine Rakete darstellt? Es war Ihnen wohl auch peinlich, dass dieser Scharlatan die Glaskugeln am Weihnachtsbaum für Nachbildungen von UFOs hält?« Höflich wies ich darauf hin, dass nirgendwo in Erich von Dänikens Büchern so ein Unsinn steht und dass Erich von Däniken auch nicht in seinen Vorträgen derlei hirnrissige Thesen vertritt. »Oder haben Sie das irgendwo bei Däniken gelesen?« Der Leiter des Studentenheims winkte ab. »Ich und Däniken lesen? Ich bitte Sie! So etwas unterstellen Sie mir?«
Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte habe ich immer wieder erlebt, dass gerade die schärfsten Gegner dänikenschen Gedankenguts wenig oder gar nichts von E.v.D. gelesen zu haben. »Mein« Pfarrer ließ sich durch Fakten nicht beirren. Er schwadronierte weiter: »Diese Himmelfahrten von Alexander dem Großen und Menschen wie Henoch und Elias hat es nicht gegeben!« Ich hatte in meinem Vortrag auf das weltweit auftretende Phänomen von Himmelsreisen hingewiesen.
Foto 4: Freiburg kurz vor Kriegsende 1944. |
An meinen Vortrag, den ich Mitte der 1970er in Erlangen gehalten habe, erinnere ich mich lebhaft, als ich mit Ingeborg Diekmann vor dem Eingang zur einstigen Nikolaus-Kapelle im Münster zu Freiburg stehe. Da wurde nämlich in den Stein eine seltsam anmutende Szene gemeißelt. Die präzise ausgearbeitete Darstellung zeigt einen Menschen, der in einer Art Bottich oder Gondel sitzt. Rechts und links sieht man zwei große Greifvögel, die – an Schnüren angebunden – den Menschen in die Lüfte tragen. Sind es Adler? Oder sollen zwei Exemplare des mystisch-mythischen »Vogel Greif« gemeint?
Fotos 5 und 6: Alexanders Himmelfahrt |
Nach übereinstimmender Meinung der Experten handelt es sich bei dem Mann um keinen Geringeren als Alexander den Großen. Als Vorlage für die Reliefarbeit vom Freiburger Münster diente wohl eine sehr alte, zunächst mündlich überlieferte Sage, die schließlich im dritten Jahrhundert in Alexanders Vita eigearbeitet wurde. Verschiedene Fassungen der Geschichte von Alexanders »Himmelfahrt« sind im byzantinischen Reich nachweisbar, wo sie schon im 4. nachchristlichen Jahrhundert kursierten. Noch im 7. Jahrhundert sollen Alexander-Biografien fabuliert worden sein.
Das Pfarrhoftor von St. Peter und Paul in Remagen ziert eine »Himmelfahrt« Alexanders, an einem der niedrigen Säulenkapitelle am Eingang zur einstigen Nikolaus-Kapelle sehen wir ein ähnliches Szenario. Mit List gelingt es Alexander, die Greifvögel dazu zu bringen, ihm als treibende Kraft zu helfen und in den Himmel zu fliegen. Alexander hält in beiden Händen je einen Spieß mit einem Hasen als Lockmittel. Die Greifvögel wollen natürlich die Hasen vertilgen und versuchen sie zu fangen. Doch wie hoch sie auch fliegen, der scheinbar so leicht erreichbaren Beute an den Spießen kommen sie keine Handbreit näher. So sehr sich die mächtigen Vögel auch anstrengen, Alexander hält die beiden Spieße eisern fest. So bleibt der Abstand von den Hasen zu den Schnäbeln der Adler immer gleich.
In Michael Endes »Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer« kommt das gleiche Prinzip zum Einsatz. Lukas, der Lokomotivführer befestigt an der eisernen Lokomotive Emma ein Gestänge mit einem Magneten am Ende. Der Magnet zieht die Lokomotive zu sich heran, das Gestänge hält aber den Magneten immer in gleichbleibender Distanz. So fährt und fliegt Emma, die wackere Lokomotive, immer in Richtung Magnet. Sie kann ihn aber nie erreichen, da das Gestänge immer für den gleichen Abstand sorgt. Der Magnet, darauf beruht das Lukas-Prinzip, zieht die Lokomotive zu sich heran, das Gestänge aber schiebt den Magnet gleichzeitig weiter weg, und so bewegt sich die Lokomotive, auf den Wogen des Meeres, in der Wüste wie in den Lüften. Freilich funktioniert die Lokomotive als »perpetuum mobile« nur in der »Augsburger Puppenkiste«.
Die Darstellung von Alexanders Himmelfahrt hat auf den ersten Blick wirklich nichts Christliches an sich. Für Strenggläubige ist sie sogar blasphemisch, denn ein heidnischer Regent darf doch nicht wie später Jesus in den Himmel aufgefahren sein! Warum wurde die heidnische Legende in einem christlichen Gotteshaus angebracht? Wenn man keine plausible Erklärung für ein Kunstwerk anzubieten hat, dann greift man gern zum Begriff »Allegorie«. Zieren geschnitzte Darstellungen von heidnischen Göttinnen den rätselhaften Altar im Kirchlein »St. Michael« zu Kirchbrak, dann sind das natürlich allegorische Darstellungen. Im damals jugoslawischen Crikvenica kam ich mit einem Kirchenrestaurator ins Gespräch. Er zeigte mir an einem beachtlichen Säulenkapitell in einer eher kleinen, dörflichen Kapelle ein kleines kurioses Relief. Es stellte eine bärtige Person darf, die – auf einer Art sitzend – von zwei gewaltigen Adlern in den Himmel getragen wurde. Hoch über dem Geschehen waren noch drei oder vier Sterne zu erkennen, die einst golden angemalt waren. »Sieht aus wie ein Astronaut!«, lachte der Restaurator. »Aber das hört man hier nicht gern. Also erklärt man die Darstellung zur Allegorie. Wenn etwas Allegorie heißt, darf alles in einer Kirche gezeigt werden!«
Offen gesagt: Der Mann auf der Wolke erinnerte mich überhaupt nicht an einen Astronauten. Zudem waren Teile seines Körpers nur noch zu erahnen oder schon ganz weggebröckelt. Aber unbestreitbar war, dass da jemand gen Himmel geflogen wurde.
Der Alexander der Große von Freiburg, der bei seiner Himmelfahrt zu den Sternen geschafft wird, stellt – als Allegorie – natürlich keinen realen Aufstieg von der Erde in den Himmel dar. Da klingen nicht etwa Erinnerungen an kosmische Reisen in grauer Vorzeit an, das wäre ja nicht christlich. Im übersichtlichen Führer »Das Münster zu Freiburg im Breisgau« heißt es klipp und klar (1): »Auf dem Kapitell ist die Himmelfahrt des mazedonischen Königs Alexander sinnbildlich für den menschlichen Hochmut dargestellt.« (2)
Foto 11: »Allegorische Darstellungen« von Kirchbrak. |
So ganz aus der Luft gegriffen ist diese Erklärung zunächst nicht. »Das große Kunstlexikon von P.W. Hartmann« weiß Interessantes zu berichten (3): »Der Sage nach ließ sich Alexander der Große von einem Adler- oder Greifengespann Richtung Himmel bringen, wurde aber von einem geflügelten Wesen zur Umkehr gezwungen. Im Mittelalter galt das Motiv als Symbol für den Hochmut.« Pius Enderle schreibt (4): »Die Umformung der geschichtlichen Taten Alexanders des Großen in das Reich der Sage setzte schon innerhalb der hellenistischen Zeit ein. Im Mittelalter fand die Legende von der Greifenfahrt Alexanders des Großen in der Literatur und Kunst zahlreiche Darstellungen, in welche sich die Freiburger Skulpturengruppe einreiht.« (5)
Nach Enderle wurden historische Begebenheiten aus dem realen Leben Alexanders in Sagen verarbeitet. Ich frage mich wie so oft beim Betrachten sakraler Kunstwerke und bei der Lektüre uralter Mythen, ob es heute noch möglich ist, den realen Hintergrund hinter märchenhaft-mythologisch anmutenden Darstellungen zu erkennen. Konkreter: Ist es möglich, dass es vor Jahrtausenden kosmische Besucher auf unserem Planeten gab, die als Götter in Mythen Eingang fanden und auf »religiösen« Darstellungen verewigt wurden? Haben die Reisen Alexanders und Fausts in den Himmel einen realen Hintergrund?
Für christliche Interpreten begeht Alexander, der in den Himmel reisen möchte, eine der sieben klassischen »Todsünden« (6). Der Begriff der »sieben Todsünden« ist theologisch eigentlich falsch, theologisch korrekt ist der Begriff »Hauptlaster«. Im Verlauf der vergangenen eineinhalb Jahrtausende gab es verschiedene, leicht voneinander abweichende Listen dieser besonders schweren Sünden. Die klassischen »7 Todsünden« – ich verwende den im Volksglauben weit verbreiteten Begriff – sind Superbia (Hochmut), Avaritia (Geiz), Luxuria (Wollust), Ira (Zorn), Gula (Völlerei), Invidia (Neid) und Acedia (Trägheit). Aus christlich-theologischer Sicht war Alexander der Große hochmütig und beging die schwere Sünde der Hoffart und die steht für den Theologen (7) »am Anfang aller menschlichen Laster«.
Foto 12: Allegorie oder Göttin? |
Was die Theologie verteufelt, priesen die frühen Alexander-Romane als höchst positive Eigenschaft (8): »Mit Wissensdurst und positiver Neugier wurde hier die unerhörte Tat Alexanders begründet, doch galt sie, insbesondere in Klerikerkreisen, auch und vor allem als Zeugnis eines sündhaften Hochmuts.« Religiöser Fundamentalismus macht den Menschen klein. Er hat nicht voller Forscherdrang nach wissenschaftlicher Erkenntnis zu suchen. Vielmehr hat er zu glauben und nicht etwa zu hinterfragen, was in »seinem« vermeintlich göttlich-heiligen Buch steht, sei es das Alte Testament, sei es die Bibel als Ganzes, sei es der Koran. Für den religiösen Fundamentalisten ist es sinnlos, außerhalb des jeweils gültigen »heiligen Buches« nach der Wahrheit zu suchen. Man hat sich darauf zu beschränken, die vermeintlich göttliche Offenbarung zu studieren und zu verinnerlichen, nicht etwa anzuzweifeln.
Wer daran glaubt, dass ein »heiliges Buch« die göttliche Wahrheit bietet, sieht gern menschliches Streben nach eigener Erkenntnis als sündhaften Hochmut an. Ein wie auch immer geartetes »heiliges Buch« verbietet geradezu eigenes Nachdenken, zweifelt man doch Gottes Wahrheit an, wenn man sich selbst auf die Suche nach Wahrheit macht und nicht davor zurückschreckt, logisches Denken dem Nachplappern vermeintlich göttlicher Wahrheiten vorzuziehen.
Foto 13: Allegorie oder Göttin Venus mit Taube? |
1) »Freiburger Münsterbauverein« (Hrsg.): »Das Münster zu Freiburg im Breisgau«, 4., überarbeitete Auflage, Lindenberg 2007, Seite 40, rechte Spalte, Zeilen 4-6 von oben
2) Siehe hierzu auch Farnell, Lewis R.: »Greek Hero Cults and Ideas of Immortality«, Oxford 1921
3) http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_275.html (Stand 3.12.2016)
4) Enderle, Pius: »Der Neue David und das Neue Jerusalem/ Zur Typologie-Symbolik am Freiburger Münster«, Verlag Karl Schillinger, Freiburg 1983, S. 36
5) Anmerkung des Verfassers: Die Bezeichnung »Skulpturengruppe« ist irreführend. Es handelt sich nicht um Skulpturen, sondern kleinformatige Flachreliefs.
6) Buterus, Alexandra et.al. »Die 7 Todsünden/1.700 Jahre Kulturgeschichte zwischen Tugend und Laster«, Münster 2015
7) Freiburger Münsterbauverein (Hrsg.): »Das Freiburger Münster«, 2. Auflage,
Regensburg 2011, S. 188
8) ebenda
Zu den Fotos
Fotos 1-3: Das Münster zu Freiburg 1931-1944. Foto 1 1931, Foto 2 Foto 1940, Foto 3 1944. Fotos Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Freiburg kurz vor Kriegsende 1944. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Fotos 5 und 6: Alexanders Himmelfahrt. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Alexanders Himmelfahrt. Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 8 und 9: Prinzip Lukas der Lokomotivführer. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Alexanders Himmelfahrt aus Pius Enderles Der Neue David und das Neue Jerusalem Zur Typologie-Symbolik am Freiburger Münster Verlag Karl Schillinger Freiburg 1983. Abdruckgenehmigung telefonisch eingeholt.
Foto 11: »Allegorische Darstellungen« von Kirchbrak. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 12: Allegorie oder Göttin (Kirchbrak). Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 13: Allegorie oder Göttin Venus mit Taube? (Kirchbrak) Foto Walter-Jörg Langbein
An alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim diesjährigen Seminar
"Phantastische Phänomene": Meine Aktion "Hilfe für Obdachlose in Bremen"
erbrachte insgesamt Euro 155,00. Ich habe "aufgestockt" auf Euro 175,00
und das Geld überwiesen an "Die Bremer Suppenengel e.V." Ich danke
allen, die zum Erfolg beigetragen haben. Recht herzlich - Walter.
374 »Zwischen den Zeiten«,
Teil 374 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 19.03.2017
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