Donnerstag, 10. August 2017

Karl May: Old Shatterhand, Winnetou und Nscho-tschi

Eine Würdigung von
Walter-Jörg Langbein


Old Shatterhand und
Nscho-tschi
Foto: Elmar Elbs
»Jeder kleine deutsche Junge wächst mit Winnetou, dem stolzen Häuptling der Apachen, auf oder mit Chingachgook, genauso wie mit Nscho-tschi und Ribanna, Helden wie Klehkih-petra, Old Shatterhand ...« schreibt John Asht in seinem opulenten Roman »Twin-Pryx« (1).

In der Tat: Karl May hat schon vor rund 150 Jahren Fantasiegestalten geschaffen, die für mehrere Generationen von Leserinnen und Lesern höchst real waren. Es scheint so, dass auch Karl May selbst manchmal nicht zwischen Realität und Fantasie unterscheiden konnte. Der berühmte Bestsellerautor aus Sachsen wuchs unter ärmlichsten Verhältnissen in einer Familie von Webern auf, in beengtesten Verhältnissen und ohne Aussicht auf ein Leben ohne Not. Karl May geriet auf die schiefe Bahn, beging einige in der Regel harmlosere Delikte ... und wurde drakonisch bestraft. Jahrelang saß er in Haftanstalten ... und sehnte sich nach Freiheit und Gerechtigkeit.

Noch in Haft entwickelte Karl May Konzepte für künftige Werke. Kaum in Freiheit schuf er sein alter ego, Old Shatterhand, der mit Winnetou durch die Weiten des Wilden Westens reitet ... Karl May kreierte eine Welt ohne Grenzen. Er trat in seinen Fantasien als Kämpfer für Rechtlose und Unterdrückte auf ... eine Art Superman des Wilden Westens. Karl May wurde in seinen Werken vom von der Justiz Verfolgten zur personifizierten Gerechtigkeit.

Karl May als
Kara Ben Nemsi
Karl May schuf so mit Old Shatterhand einen Helden, der die Enge der kleinbürgerlichen Realität verlässt und in den USA frei (wie nur ein Westmann sein kann) heroisch für Gerechtigkeit sorgt, zusammen mit seinem Blutsbruder Winnetou. Old Shatterhand war für unzählige Jugendliche mehrerer, ja inzwischen vieler Generationen die Idealgestalt, die sie selbst gern gewesen wären. Eingeengt durch bürgerliche Zwänge schulischer und elterlicher Bevormundung, durch Ohnmacht gegenüber den oft als ungerecht empfundenen Erwachsenen, ritt so mancher Jugendlicher als Old Shatterhand neben Winnetou von Abenteuer zu Abenteuer ... in seinen Träumen, in einer Welt, die so viel schöner war als die oft graue Wirklichkeit.

Es fällt auf, dass Old Shatterhand von alten Westmännern gern unterschätzt und als Greenhorn belächelt, ja verlacht wird. Aber dann erweist sich der Verkannte immer wieder als allen überlegener Held, der vermeintliche Autoritätspersonen »alt aussehen« lässt.

Karl May erträumte sich ein alter ego ... so wie seine zahllosen jugendlichen und junggebliebenen Leser. Karl May kreierte aber auch für Leserinnen eine bewundernswerte Gestalt, mit der sie sich identifizieren konnten: Nscho-tschi, Winnetous wunderschöne Schwester. Während in der deutschen Realität der Frau die Rolle als gehorsames Heimchen am Herd zugeordnet wird, ist Karl Mays Fantasiegestalt Nscho-tschi im »Wilden Westen« eine erstaunlich emanzipierte, selbstbewusste Indianerin. Nscho-tschi (»Schöner Tag«) bewegt sich im Kreise ihres Stammes selbstbewusst und stolz. Sie trifft selbst Entscheidungen und lässt nicht über sich bestimmen. Sie schwingt sich aufs Pferd und reitet wie eine Amazone. Wenn je einer von Karl May geschaffenen Gestalt im Film Gerechtigkeit widerfahren ist ... dann Nscho-tschi, dargestellt von der schönen Marie Versini! Wenn je Karl May in einer Verfilmung seiner Werke eine von ihm erfundene Gestalt wiedererkennen würde ... dann ist das Marie Versini als Nscho-tschi, die schöne Schwester Winnetous!

Marie Versini als die
schöne Nscho-tschi
Foto: Elmar Elbs
Im Film hat man Karl Mays Bild von Winnetous Schwester in glaubhafte Bilder umgesetzt. Lesen wir nach, wie Karl May die junge Frau beschreibt(2): Sie »war schön, sogar sehr schön. Europäisch gekleidet, hätte sie gewiss in jedem Salon Bewunderung erregt ... Ihr einziger Schmuck bestand aus ihrem langen, herrlichen Haare, welches in zwei starken, bläulich schwarzen Zöpfen ihr weit über die Hüften herabreichte.«

Karl Mays Old Shatterhand scheint sich nach und nach in die schöne Indianerin zu verlieben. Er spart nicht mit poetischen Komplimenten. Das deutet ein Dialog zwischen dem Mann mit der Schmetterfaust und der schönen Schwester Winnetous zart an (3): »›Nscho-tschi ist dein Name?‹ sagte ich. ›Ja.‹ - ›So danke dem, der ihn dir gegeben hat. Du konntest keinen passenderen bekommen, denn du bist wie ein schöner Frühlingstag, an welchem die ersten Blumen des Jahres zu duften beginnen.‹«

Karl May wird gern vorgeworfen, dass seine Romanwelt vor allem von starken Männern bestimmt wird: sowohl im Orient wie auch im »Wilden Westen«. Das trifft auch weitestgehend zu. Man bedenke aber, dass Karl May ein Kind des ausgehenden 20. Jahrhunderts war, das nicht gerade vom Gedanken der Gleichberechtigung geprägt war. Vor diesem Hintergrund mutet Karl Mays Nscho-tschi geradezu revolutionär ein. Seine anmutige Heldin passt so ganz und gar nicht in Karl Mays Zeit.

Gewiss, Nscho-tschi pflegt – ganz fürsorgliche Frau – den schwer verwundeten Old Shatterhand selbstlos und aufopfernd. Gewiss, Nscho-tschi verliebt sich – ganz Frau –in den Helden aus dem fernen Europa. Aber sie unterwirft sich eben nicht dem Mann. Sie lässt sich nicht von den Männern ihres Stammes herumkommandieren. Sie ist und bleibt stets selbstbewusst, sie versteht den Umgang mit Waffen wie die Besten der wackeren Krieger. Sie diskutiert mit den Männern wichtige Fragen, sie wird an Entscheidungen beteiligt ... als Gleichberechtigte.

 Historische Aufnahme:
Karl May als
Old Shatterhand
Karl May geht sehr geschickt vor. Er gibt sich als Old Shatterhand als Macho vom alten Schlag, geradezu überheblich und arrogant. Und muss dann im Gespräch mit Nscho-tschi klein beigeben! Und so entsteht ein für Karl Mays Zeit wirklich revolutionäres Bild vom Indianer und vom Weißen. Der vermeintlich »Wilde«, die verachtete »Rothaut« erweist sich als zivilisiert, der vermeintlich überlegene Mensch der ach so zivilisierten Welt als der eigentliche Rohling und Barbar!

Karl Mays Sympathien gelten der indianischen Kultur, die seiner Überzeugung nach freilich dem Untergang geweiht ist ... so wie Nscho-tschi vom Unhold Santer hinterrücks ermordet wird. Selbstkritisch geht Karl May mit der eigenen Kultur ins Gericht.

Immer wieder wetterten selbsternannte Volkserzieher gegen Karl May als vermeintlichen Schundliteraten. Tatsächlich aber bekämpfte Karl May Rassismus und überheblichen Dünkel gegenüber vermeintlich »primitiven« Völkern weitaus wirkungsvoller als jedes wissenschaftliche Traktat, als jedes Werk der so verehrten hehren Literatur. Karl May berührte ... und berührt die Herzen seiner Leserinnen und Leser ... und das seit Generationen!

Keine Frage: Karl May machte – speziell in seinen Fortsetzungsromanen – Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack. Immer wieder erweist sich – und wer wollte dem großen Sachsen das zum Vorwurf machen – Karl May als Kind seiner Zeit. Wer aber sucht, der findet immer wieder bemerkenswerte Perlen.. Zitate, die heute, zu Beginn des dritten Jahrtausends nach Christus, leider immer noch brandaktuell sind.

Kindle-Ausgabe
Old Surehand
So schreibt May in »Old Surehand 3« (4): »Geht mir mit einer Civilisation, die sich nur von Länderraub ernährt und nur im Blute watet! Wir wollen da gar nicht nur von der roten Rasse reden, o nein. Schaut in alle Erdteile, mögen sie heißen wie sie wollen! Wird da nicht überall und allerwärts grad von den Civilisiertesten der Civilisierten ein fortgesetzter Raub, ein gewaltthätiger Länderdiebstahl ausgeführt, durch welche Reiche gestürzt, Nationen vernichtet und Millionen und Abermillionen von Menschen um ihre angestammten Rechte betrogen werden? … Wenn Ihr ein guter Mensch seid, und der wollt Ihr doch gewiß wohl sein, so dürft Ihr Euer Urteil nicht nach der Ansicht der Eroberer richten, sondern nach den Meinungen und Gefühlen der Besiegten, der Unterdrückten und Unterjochten.«

Hier weiterlesen:
Marie Versini zum 77. Geburtstag
Marie Versini im Interview


Fußnoten
1: Asht, John: »Twin Pryx - Zwillingsbrut«, Erlangen, 1. Auflage 2011, S. 80
2: Karl May: »Winnetou I/ Reiseerzählung«, »Historisch-Kritische Ausgabe für die Karl-May-Gedächtnisstiftung«, herausgegeben von Hermann Wiedenroth und Hans Wollschläger, Abteilung IV, Band 12, Zürich 1990, S. 268
3: ebenda, S. 270
4 May, Karl: »Old Surehand 3«, eBook, Position 1742 von 8030

Interview mit Marie Versini

»Karl May zum 170. Geburtstag« erscheint am 25.02.2012

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1 Kommentar:

  1. Wonderful article! Your sentiments, Walter, echo my own, very deeply felt values that were so perfectly encapsulated in Karl May's Nsho-Chi (Nsch-Tschi) almost 120 years ago. Marie Versini portrayed Winnetou's sister with an 'Einfuehlungsvermoegen' that remains unequalled.
    2012 will be a good year to reflect on the values that Karl May seeded in his characters; they have long since begun to sprout, and one hopes that the fruits are not much longer in coming.
    Happy Birthday to Karl May on the 25th February 2012.
    Marlies Bugmann, Tasmania

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