Sonntag, 13. August 2017

395 »Fische im Berg und die Osterinsel-Connection«

Teil  395 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Hier soll der Monsterfisch hausen.

»Einst gab es einen See, direkt neben der großen Pyramide. Meine Urgroßeltern haben ihn noch gesehen. Der See verschwand und zurück blieb ein Seemonster, ein riesiger Rochen!« Interessiert lauschte ich der Erzählung eines greisen Mannes im Pyramidenfeld von Túcume. »Was ist aus dem Fische geworden?«, fragte ich. »Es gibt ihn noch! Er lebt im Berg von Túcume!«

Mitten im Areal der Pyramiden von Túcume ragt der Berg »La Raya« in den Himmel, zu Deutsch »der Rochen«. Der Legende Nach zog sich der riesengroße Fisch in den pyramidenförmigen Berg zurück, als das Christentum den »heidnischen Glauben« der Einheimischen verdrängte. Erstmals erzählt wurde mir die Legende von »La Raya« in den frühen 1980ern in Peru. Als gebürtiger Oberfranke staunte ich nicht schlecht, war mir eine ganz ähnliche Legende aus meiner Heimat bekannt.

Foto 2: Der Staffelberg.

So kannte ich schon seit meiner Kindheit die Sage vom Riesenfisch im Staffelberg. Demnach haust im Inneren des Staffelbergs ein riesiger Fisch in einem See. Der Fisch ist so groß, dass er sich kaum bewegen kann. Bedingt durch die Enge im Berg muss sich der Fisch rund machen, seinen Schwanz ins Maul nehmen. Eines Tages, so heißt es, wird er diese Anspannung nicht mehr aushalten und sich entrollen, nach Ewigkeiten ausstrecken. Dadurch wird dann, sagt die Sage, der Staffelberg förmlich zerfetzt und der See ergießt sich über das Frankenland.

Im Nordwesten der »Fränkischen Schweiz«, am »Oberen Maintal«, dominiert der markante Staffelberg auch heute noch die einst freilich sehr viel idyllischere Landschaft. Leider durchschneidet heute eine protzige Superschnellstraße das »Gottesgärtchen«. 539 Meter über Normalnull ragt der stolze Staffelberg in den Himmel. Der weithin sichtbare Tafelberg wurde immer wieder besiedelt, zuletzt im zweiten Jahrhundert von den Kelten, die den Berg zu einer Festung ausbauten und über dem Maintal ihre Stadt »Menosgada« errichteten.

Foto 3: Der Staffelberg.
Sigrid Radunz gibt in ihrem lesenswrten Büchlein »Der Staffelberg« die Sage vom »Fisch im Staffelberg« wie folgt wieder (1): »Wo heute der Staffelberg in die Höhe ragt, war vor Jahrmillionen das große Jurameer. Das Wasser des Meeres ist zwar verschwunden, doch tief im Staffelberg ist ein großer See geblieben. In diesem unterirdischen Gewässer lebt ein riesengroßer Fisch. Er ist so groß, dass er seinen Schwanz im Maul halten muss, um im Berginnern Platz zu haben. Sollte den Fisch eines Tages die Kraft verlassen, so dass er den Schwanz loslassen müsste, würde dieser mit mächtiger Kraft den Berg zerschlagen. Das Wasser im Staffelberg aber würde das ganze Frankenland überfluten und in ein unheimliches Meer verwandeln, wie es einstmals war.«

Wie kommt es, dass Sagen  in Peru wie im Frankenland von einem riesigen Fisch berichten, der in einem Berg haust? In beiden Fällen lebte der Fisch zunächst in einem See oder einem Meer, zog sich dann aber in einen Berg zurück. In Peru wird die Christianisierung als Grund dafür angeführt, dass sich der Fisch in den Berg zurückzieht. Steht der Monsterfisch in Peru für das »Heidentum«, das vom Christentum verdrängt wird? Besser gesagt: Symbolisiert der Riesenfisch den Glauben der Einheimischen, der sich in den »Untergrund« zurückzieht, der also weiter besteht, wenn auch nicht mehr öffentlich zelebriert wird? Kurioser Zufall: In der Frühgeschichte des Christentums war das Symbol für den neuen Glauben der Fisch. Einer recht alten Überlieferung zufolge wurde der Fisch als geheimes Erkennungszeichen von Christen benutzt. Das griechische Wort für Fisch, ἰχθύς, ichtýs, ist Buchstabe für Buchstabe das christliche Glaubensbekenntnis. Jeder einzelne Buchstabe steht für einen Begriff von fundamentaler Bedeutung für Christen: Ἰησοῦς Χριστός Θεοῦ Υἱός Σωτήρ, Jesus Christus, Sohn Gottes, Erlöser.

Zurück nach an die Pazifikküste von Peru, zurück nach Túcume! Die europäischen Eroberer von Túcume versuchten mit Brachialgewalt die Einheimischen vom christlichen Glauben zu überzeugen. Milde boten sie den Pyramidenbauern von Túcume die »Chance«, den eigenen Göttern abzuschwören und sich taufen zu lassen. Es scheint so, dass die Missionare für die Einheimischen alles andere als überzeugend waren. Theorie und Praxis lagen bei den plündernden Europäern weit, weit auseinander! Predigten sie doch einen Gott der Liebe, das aber als Gefolgsleute ihrer spanischen Landesleute, die in oft unvorstellbar grausamer Weise folterten und mordeten. Viele der Einheimischen verweigerten die Taufe und wurden auf den Pyramiden verbrannt. Nennt man deshalb noch heute eine der Pyramiden von Túcume im Dörfchen Túcume »El Purgatorio«, zu Deutsch »Das Fegefeuer«?  Der Name könnte von den Spaniern erfunden worden sein.

Auch wenn bei meinen Besuchen keine Feuer auf den Pyramiden von Túcume loderten, die Sonnenglut reichte mir vollkommen. So wanderte ich zwischen Pyramiden, Pyramidenresten, Überbleibseln von einstigen Monstermauern umher. Da und dort waren noch die Grundrisse von Gebäuden zu erahnen. Da und dort sind künstliche Strukturen wohl schon vor langer Zeit vom Wind verweht worden. Dünen aus Sand und trockenem Erdreich haben sie weitestgehend verschlungen. Das Areal ist riesig, finanzielle Mittel für archäologische Ausgrabungen sind knapp bemessen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass in absehbarer Zeit das riesige Gelände archäologisch erkundet werden wird. Nicht einmal die Pyramiden selbst, von wenigen  Ausnahmen abgesehen, wurden bislang untersucht. Die Wissenschaftler haben bei einigen der Riesenbauwerke partiell gegraben.


Foto 4: Gestalt mit Donald-Trump-Frisur.

Grabräuber waren da schon sehr viel aktiver. Die haben es ja auch einfacher als Archäologen, gehen brachial ans Werk. Archäologen sieben penibel das Erdreich oder den Sand durch, registrieren und fotografieren kleinste »Fundstücke«, Grabräuber schwingen schwere Eisenpickel und wuchtige Hacken. Was ihnen nicht wertvoll erscheint, etwa einfache Stoffe, lassen sie achtlos liegen. Scherben und Keramikstücke werfen sie an Ort und Stelle weg. Geld bringen nur ganze Tongefäße, möglichst bemalt. Archäologen hingegen freuen sich über jeden Scherben und immer wieder gelingt es ihnen, mit großer Geduld aus unzähligen Bruchstücken Tonwaren aus Vorinkazeiten zu rekonstruieren.

Seit Generationen wird spekuliert, was wohl in den Pyramiden, aber auch im Erdreich drum herum noch gefunden werden mag. Rätsel geben Reliefs auf die auf Mauerwerk gefunden wurden. Da gibt es zum Beispiel Personen, die eigenartige Gebilde auf dem Kopf tragen. Sind das Hüte? Es könnten aber auch kunstvolle Frisuren sein, die mich an die üppige Haarpracht des US-Präsidenten Donald Trump erinnern (Foto 4).

Foto 5: Entchen auf dem Kopf...

Andere Personen wieder wirken noch kurioser. Auch bei ihnen sitzt etwas auf dem Kopf. Aber was? Nach einer Frisur sieht es nicht aus. Ich saß vor einigen von diesen Kreationen, vor einigen dieser Kreaturen. Manche sind schon stark verwittert, ihre Konturen verschwimmen langsam. Einige der Gestalten erinnern mich an Lebkuchenmännchen, die auf dem Backblech zerflossen sind. Einige könnten einem Albtraum von Lovecraft entsprungen sein, andere wiederum wirken geradezu lächerlich wie Menschen im Faschingskostüm. Bein zwei Gestalten scheinen kleine Entchen auf den Köpfen zu sitzen.

Werden wir diese Bilder je verstehen? Sind es überhaupt naturgetreue Abbildungen von realen Dingen oder Wesen? Oder konnten die Erbauer der Pyramiden und Erschaffer der Reliefs in den uns heute unverständlichen Darstellungen lesen wie in einem Buch? Es verwundert: Ist es denn möglich, dass die Erbauer der riesigen Pyramiden von Túcume keine Schrift kannten? Es müssen doch Pläne entworfen worden, Berechnungen angestellt worden sein, bevor man Millionen und Abermillionen von  Adobesteinen zu künstlichen »Bergen« auftürmte. Und das soll ohne Schrift möglich gewesen sein? Ich habe da erhebliche Zweifel.

Fotos 6– 8: Vogelmenschen Túcume, Peru.

Unzählige Reliefs habe ich vor Ort gesehen, von denen ich nur einige fotografieren durfte. Je mehr ich mich in die Betrachtung dieser Kunstwerke vertieft habe, desto rätselhafter wurden sie  mir. Ein Motiv taucht wiederholt auf. Da sind Kreaturen zu sehen, die wie Mischwesen aussehen, wie Mixturen aus Mensch und Vogel. Und diese Wesen tragen kleine rundlich-ovale Objekte. Sind das Bällchen? Oder Eier? Mir kommt der »Vogelmann«-Kult der Osterinsel in den Sinn! Da mussten mutige Männer an einer senkrecht abfallenden Klippe zum tosenden Pazifik hinabklettern, dann zu einer kleinen vorgelagerten Insel schwimmen und mit einem Ei einer Schwalbenart zurückschwimmen und die senkrechte Steinwand erneut empor klettern.

Wurden an einigen Mauern im Umfeld der Túcume-Pyramiden »Vogelmänner« gezeigt, die Vogeleier vor sich her tragen? Kamen die Erbauer der Pyramiden von Túcume von der Osterinsel? Kam Naymlap von der Osterinsel? Vogelwesen mit »Eiern« sind jedenfalls auf Reliefs von Túcume zu sehen. Freilich sehen die Steinreliefs der Osterinsel völlig anders aus als die Kunstwerke von Túcume.


Fotos 9 und 10: Vogelmenschen Osterinsel.

Weiterführende Literatur zum Thema Staffelberg, vom Verfasser empfohlen

Botheroyd, Sylvia und Paul: »Deutschland/ Auf den Spuren der Kelten«,
     München 1989
Dippold, Günter (Hrsg): Der Staffelberg, Lichtenfels 1992
Klein, Thomas F.: »Wege zu den Kelten/ 100 Ausflüge in die Vergangenheit«,
     Stuttgart 2004 (Staffelberg S. 62f.)
Menghin, Wilfried: »Kelten, Römer und Germanen/ Archäologie und
     Geschichte in Deutschland«, Augsburg 1980 (GROSSFORMAT)
     (Staffelberg, S.116, 117, 127)
Radunz, Sigrid: »Der Staffelberg«, Lichtenfels 1983


Fußnoten
1) Radunz, Sigrid: »Der Staffelberg«, Lichtenfels 1998
2) Literatur zur Kunst der Osterinsel:
Esen-Baur, Heide-Margaret : »Untersuchungen über den Vogelmann-Kult auf der Osterinsel«, Wiesbaden 1983
Esen-Baur, Heide-Margaret : »1500 Jahre Kultur der Osterinsel – Schätze aus dem Land des Hotu Matua. Ausstellung veranstaltet von der Deutsch-Ibero-Amerikanischen Gesellschaft Frankfurt am Main, 5. April bis 3. September 1989«, Mainz am Rhein 1989


Zu den Fotos
Foto 1: Hier soll der Monsterfisch hausen. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Der Staffelberg. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Der Staffelberg. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Gestalt mit Donald-Trump-Frisur. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Entchen auf dem Kopf... Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 6– 8: Vogelmenschen Túcume, Peru. Fotos Walter-Jörg Langbein Archiv Walter-Jörg Langbein
Fotos 9 und 10: Vogelmenschen Osterinsel. Fotos Walter-Jörg Langbein Archiv Walter-Jörg Langbein


Walter-Jörg Langbein
396 »Heimat, deine Kelten«,
Teil  396 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 20.8.2017


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