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Sonntag, 23. April 2017

379 »Kelten, Maria und eine Heidenkirche«

Teil  379 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: St. Cyriak und Perpetua.
»Die Pfarrei St. Johann ist die alte Pfarrei Adelhausen-Wiehre. Die Entstehung dieser beiden Gemeinden geht in jene Zeiten zurück, da unsere Gegend von dem weit verbreiteten Volke der Kelten besiedelt war. Das beweist schon der Name der ältesten Kirche St. Einbetta. Jedenfalls wurden Adelhausen und die Wiehre schon in Urkunden vom Kloster St. Gallen vor über tausend Jahren erwähnt, also in einer Zeit, da an die Stadt Freiburg noch nicht zu denken war.« 

So (1) steht’s im Büchlein »Kirche und Pfarrei St. Johann Baptist zu Freiburg i.Br.«, zusammengetragen von Prälat Dr. Ernst Föhr, Pfarrer an St. Johann.

In Adelhausen strömten die Gläubigen in die »zu Ehren der Heiligen Perpetua eingeweihte Pfarrkirche«, wie Hochwürden Föhr zu vermelden weiß. Weiter lesen wir (2): »Diese wird in den alten Urkunden die Kilch zu St. Einbetten genannt.« (3) Unschwer ist im  Namen »St. Einbetten« eine der drei Heiligen Bethen zu erkennen, die ihrerseits heidnische Göttinnen in christlichem Gewand waren. Lesen wir nach bei Prälat Dr. Ernst Föhr (4):

»Die Kirche der zwei Gemeinden (Adelhausen und Wiehre) stammt aus der Zeit, als Missionare die Bewohner, meist Kelten, zum christlichen Glauben bekehrten. Zur Zeit der Stadtgründung im Jahre 1120 stand in der Wiehre ein Gotteshaus. Mittelpunkt des Dorfes Adelhausen war die Sankt-Einbeten-Kirche; sie war zugleich die Kultstätte beider Gemeinden. St. Einbet ist eine der Jungfrauen aus der legendären Schar der Begleiterinnen der Heiligen  Ursula. Der Name Sankt-Einbeten-Kirche spricht für das hohe Alter der Kultstätte.«

Foto 2: Maria von Guadalupe.

Auf meinen Reisen durch Zentral und Südamerika erfuhr ich immer wieder, dass christliche Kirchen just dort errichtet wurden, wo einst »heidnische Kultstätten« Pilger anlockten. Klaus-Rüdiger Mai (5): »Der Inbegriff des Christentums, die Theologie der Jungfrau Maria, ist im Grunde nicht christlichen Ursprungs, sondern eine Camouflage wesentlich älterer Kulte, nämlich der Kulte der Magna Mater, der Inanna, der Astarte, der Demeter, der Kybele oder Ceres, der großen … irdischen und unterirdischen Mutter- und Fruchtbarkeitsgottheiten der heidnischen Welt.«

Foto 3: Die riesige Pilgerkirche der Jungfrau Maria von Guadalupe

Ein Beispiel: Heute Pilgern Jahr für Jahr Millionen in einen Vorort von Mexico-City, um der »Maria von Guadalupe« zu huldigen. Die christliche Gottesmutter hatte eine heidnische Vorgängerin: Göttin  Tonantzin der Azteken. Tonantzin trug den Beinamen  »Unsere Heilige Mutter«. Aus Tonantzin wurde Maria. Das ist keine Spekulation, sondern Fakt! Denn Maria von Guadalupe wird auch heute noch in der Nahuatl-Sprache »Tonantzin« genannt. Professor Sandstrom weist darauf hin, dass viele Nachkommen der Azteken Maria von Guadalupe für die zurückkehrende Tonantzin gehalten haben.

Kurz zum göttlichen Stammbaum: Tonatiuh war ein Sonnengott der Azteken, seine Mutter war Tonantzin. Ihr wurden keine blutigen Tieropfer, sondern  Blumen und Früchte dargeboten. Zurück zu Maria, der christlichen Gottesmutter. Die christlichen Maria aber wurde als »Schlangenzertreterin« gepriesen. Aus der einst positiv bewerteten Schlange wurde das böse Reptil der Sünde. Interessant ist, dass in Mexiko die Gottesmutter als »Schlangenzertreterin« tituliert wird, während doch im Christentum Jesus als der Sohn Gottes beschrieben wird, der der Schlange (dem Teufel) den Kopf zermalmt.

Foto 4: »Göttermutter« Teteo Innan.
Im »Museo Nacional de Antropologia«, Mexico City,  stand ich vor einer steinernen Statue der »Göttermutter« Teteo Innan. Sie wurde in vorchristlichen Zeiten just dort verehrt, wo heute zur Maria von Guadalupe gebetet wird. Franziskanermönches Bernardino de Sahagún brachte Mitte des 16. Jahrhunderts einen Bericht über den Kult um Tonantzin zu Papier, der dokumentiert, was der Maria von Guadalupe vorausging (6):

»Einer von diesen (Kultplätzen) war ein kleiner Hügel, den sie (die Indios) Tepeacac und die Spanier Tepequilla nannten, und der heute ›Nuestra Señora de Guadalupe‹ heißt. An diesem Platz gab es einen Tempel, der der Mutter aller Götter geweiht war, die sie Tonantzin nannten, was ‚Unsere Mutter‘ bedeutet. Dort brachten sie viele Opfergaben zu Ehren der Göttin dar; sie kamen zu ihr aus weit entfernten Gegenden – aus mehr als 20 Meilen im Umkreis. Es kamen Männer, Frauen und Kinder zu diesem Fest.« Und aus der » Mutter aller Götter« wurde die christliche Mutter des göttlichen Sohnes, die Mutter Jesu.

Den Anhängerinnen der Muttergottheit fiel es dann besonders leicht, von Teteo Innan zu Maria zu wechseln. Allerdings wurde mir in Mexico City von zwei Priestern schmunzelnd versichert, dass so manche »Heidin« im Herzen nach wie vor Teteo Innan verehrt und »Maria« lediglich als christlichen Namen der uralten Aztekengöttin ansieht. Marias Sohn Jesus ist dann das christliche Pendant zum Sohn der Teteo Innan, zu Quetzalcoatl. Als ich den beiden Priestern von meinem Theologiestudium erzählte, wurden sie noch gesprächiger. So erfuhr ich, dass der aztekische Sohn der Göttin Quetzalcoatl gern als bärtiger Mann dargestellt wurde.

Foto 5: Maria von Guadalupe als Heiligenbildchen
Der Mediziner, Ethnologe und Ethnograph Georg Buschan(7) bringt es in seinem Werk »Altgermanische Überlieferungen« auf den Punkt, wenn er über die Motivation der missionierenden christlichen Geistlichkeit schreibt (8): »Die Geistlichkeit mußte also doch gemerkt haben, daß sie bei ihren Bekehrungsversuchen durch allzu große Strenge gegen die Heiden nichts ausrichtete; sie zog es also vor, mit einer gewissen Rücksicht vorzugehen, eine Brücke zwischen der neuen Lehre und dem alten Glauben zu schlagen, ihr gleichsam ein christliches Mäntelchen umzuhängen, um dadurch das Volk besser und leichter für sich zu gewinnen.«

Statt – wie so oft - »Heidnisches« zu zerstören, ging man vielerorts geschickter vor. Georg Buschan schreibt weiter (9): »Die Kirche ließ also die heidnischen Verehrungsstätten nach Möglichkeit weiter bestehen oder, wo sie bereits zerstört waren, ließ sie an der gleichen Stelle ihr Gotteshaus aufbauen, um den Zusammenhang zwischen den alten Göttern und dem neuen Gott zu wahren. Für eine ganze Reihe von christlichen Kirchen ist nachgewiesen, dass sie auf alten heidnischen, germanischen oder auch römischen Tempelruinen entstanden sind.«

Die Spuren der vorchristlichen Heiligtümer sind freilich in unseren Breiten weitestgehend verschwunden. Zudem, so habe ich den Eindruck, geriet mehr und mehr in Vergessenheit, was einst die Kultur in unseren Breiten ausgemacht hat. Spurlos verschwunden ist das einstige Heiligtum aus heidnischen Zeiten. Es befand sich just dort, wo dann die Bartholomäuskapelle und später ein Dom gebaut wurden. Das mit unzähligen Quellen gesegnete Gebiet von Paderborn – nach dem Fluss Pader benannt – lockte gewiss schon zu vorchristlichen Zeiten Heiden in die Region. Reste einer Inschrift, die nur wenige Meter vom Dom ausgegraben wurden, deuten auf eine sakrale Stätte hin. Karl der Große rühmte sich, den Drachen besiegt zu haben. Wem wurde im heidnischen Drachenheiligtum gehuldigt, welche Göttin oder welcher Gott wurde verehrt?

Foto 6: Bartholomäuskapelle am Dom zu Paderborn

Greifbare Fakten gibt es wenige. Richtig ist aber: Archäologen untersuchten penibel genau den Brandschutt, den sie bei Ausgrabungen nordöstlich der Bartholomäuskapelle sorgsam ausgruben. Dank ihrer geradezu pedantischen Geduld gelang es ihnen schließlich, Reste einer Inschrift zu entziffern. 

Sie mag einst einen Tempel geziert haben. Die Inschrift mag aber auch von Missionaren stammen, die das alte Heiligtum als heidnisch verabscheuten. Wie dem auch sei: Da ist von einem »Drachen« die Rede. Wurde Karl der Große als Sieger über das Heidentum der Sachsen gefeiert, als der Unterwerfer des Drachens?

Wo mag es noch heute Erinnerungen an einstige heidnische Heiligtümer geben, die stillschweigend vom Christentum übernommen wurden? Ich erinnere mich an einen Ausflug in meiner Kindheit. Gemeinsam mit den Großeltern erstieg ich den »Altenberg« bei Burgerroth in Unterfranken, Landkreis Würzburg. Staunend stand ich vor der »1000jährigen Linde« und der Kapelle, die damals auch noch unter dem Namen »Heidenkriche« bekannt gewesen sein soll. Eine geradezu furchteinflößende reliefartige Skulptur unter dem Chorerker geben Rätsel auf. Wurden sie von einem älteren Vorgängerbau übernommen? Sollen sie die heidnischen Göttinnen und Götter erschrecken und daran hindern, ins kleine christliche Gotteshaus einzudringen? Und vor allem: Was wird dargestellt? Deutlich zu erkennen ist eine Faust mit Dolch. Einen Körper scheint es nicht zu geben. Ein menschliches Haupt wird gewürgt, von wem oder was?

Foto 7: Mysteriöse(s) Wesen an der Kapelle

Von der »Heidenkirche« zum Staffelsee bei Murnau. Auch da gab’s einst heidnische Göttinnen. Auch hier begegnen wir wieder »unseren« drei Bethen! Fortsetzung folgt demnächst!



Foto 8
Fußnoten
1) Föhr, Dr. Ernst: »Kirche und Pfarrei St. Johann Baptist zu Freiburg i.Br.«, Erolzheim 1958, S. 6 (Foto 8!)
2) ebenda
3) Im Original steht »Kilch zu St. Einbetten«. Druckfehler? Sollte es »Kirch zu St. Einbetten« heißen?
4) Föhr, Dr. Ernst: »Kirche und Pfarrei St. Johann Baptist zu Freiburg i.Br.«, Erolzheim 1958, S. 7
5) Mai, Klaus-Rüdiger: »Die geheimen Religionen/ Götter, Sterne und Ekstase«, Köln 2012, S. 124, untere Hälfte der Seite
6) Zitat aus Wikipedia-Artikel »Tonantin«
7) * 14. April 1863 in Frankfurt/ Oder; † 6. November 1942 in Stettin
8) Buschan, Georg: »Altgermanische Überlieferungen in Kult und Brauchtum der Deutschen«, München 1936, S. 10
9) ebenda

Zu den Fotos:
Foto 1: St. Cyriak und Perpetua. Cover des kleinen Kunstführers Nr. 1216, Verlag Schnell & Steiner, 1. Auflage, München und Zürich 1980
Foto 2: Maria von Guadalupe. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Die riesige Pilgerkirche der Jungfrau Maria von Guadalupe. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: »Göttermutter« Teteo Innan. Foto wikimedia commons/ Éclusette
Foto 5: Maria von Guadalupe als Heiligenbildchen. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Bartholomäuskapelle am Dom zu Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Mysteriöse Wesen an der Kapelle. Foto wikimedia commons Holger Uwe Schmitt
Foto 8: Kirche und Pfarrei St. Johann Baptist zu Freiburg i.Br. Archiv Walter-Jörg Langbein
Fotos 9 und 10: Göttinnen gab's auch im Raum Murnau. Fotos Archiv Walter-Jörg Langbein

Fotos 9 und 10: Göttinnen gab's auch im Raum Murnau
380 »Eine Köpenickiade und drei Exgöttinnen«,
Teil  380 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 30.04.2017



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Sonntag, 1. Januar 2017

363 »Übergang zur Anderswelt«

Teil  363 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein

Foto 1: Im Vordergrund die Kaiserpfalz, im Hintergrund der Dom

Nur ein paar Schritte vom Eingang der »Bartholomäus-Kapelle« geht’s zum Eingang des Museums in der Kaiserpfalz. Hier hat Sachsenschlächter Karl der Große anno 776 einen Palast errichten lassen. Eine kräftig sprudelnde Wasserquelle bezog der Herrscher bei seinem Bauvorhaben natürlich mit ein. So war die Versorgung mit frischem Trinkwasser gewährleistet. Auf eine Kirche wollte der fromme Machtmensch nicht verzichten. So entstand neben dem weltlichen Palast ein relativ kleines Gotteshaus (Grundfläche 9 Meter x 20 Meter).

Karl der Große hasste Heidentum in jeder Form. Dem Machtpolitiker war klar, dass er rebellische Stämme am besten und wirkungsvollsten unterwerfen konnte, wenn er sie zur Aufgabe ihres alten Glaubens und zur Übernahme des christlichen Glaubens zwang. Ein schmerzhafter Dorn im Auge dürfte dem Regenten die Verehrung einer heiligen Quelle zu Paderborn gewesen sein. So vermerkte Georg Buschan in seinem Werk »Altgermanische Überlieferungen in Kult und Brauchtum der Deutschen« (1):

»Es wurde bereits an anderer Stelle erwähnt, daß in der Vorzeit Quellen mit der Verehrung von heiligen Pferden  in Verbindung standen. Eine solche heilige Quelle hat in germanischer Vorzeit auf dem Grund und Boden bestanden, wo der heutige Dom von Paderborn erbaut wurde. Die geschichtliche Überlieferung berichtet, daß Karl der Große diesen an der gleichen Stelle habe erbauen lassen, an der ein heidnisches Heiligtum gestanden habe, und die Legende fügt hinzu, daß unter ihm 500 Quellen entsprungen seien. Noch heute besteht als Erinnerung an den altgermanischen Kult der Brauch, daß die Fuhrleute ihre Pferde in die dortige Quelle, aus der seinerzeit Wodans heilige Rosse getränkt wurden, ziehen, da diese die wunderbare Eigenschaft besitzen soll, die Sehnen der Tiere zu stärken.«

Fotos 2 und 3: Interessante Führer zum Museum in der Kaiserpfalz

1964 wurden Spuren der alten Kaiserpfalz wieder entdeckt. Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe machten eine sensationelle Entdeckung. Unter meterhohem Schutt traten bei ihren Ausgrabungen große Teile der Kelleranlagen zutage. Und nicht nur das: Die über viele Jahrhunderte verschüttete Quelle konnte wiederbelebt werden.  Zu Zeiten Karls des Großen, also Ende des 8. Jahrhunderts, sprudelte sie wohl noch im Freien.

Im Jahr 1000 wütete ein Brand in Paderborn. Auch Karls Prachtbau wurde zerstört. Fünf Jahre später war es Bischof Meinwerk, der eine neue Pfalz bauen ließ. Im 13. Jahrhundert war der Palast baufällig, wurde wohl aufgegeben und stürzte irgendwann ein. Die Quelle verschwand unter Schutt und Trümmern. Sie versiegte. Heute sprudelt sie wieder die einst heilige Quelle – im Keller unter dem beeindruckenden »Museum in der Kaiserpfalz«.

Foto 4: Blick in die Bartholomäus-Kapelle

Es lohnt sich, das Museum neben der Bartholomäus-Kapelle zu besuchen. Wer nicht genügend Zeit für die zahlreichen Ausstellungsstücke hat, der sollte unbedingt in den Keller unter der Kaiserpfalz steigen. Er misst zehn mal sieben Meter. In der Mitte steht ein mächtiger Pfeiler. Eine Tür führte in einen angrenzenden Raum. Hier unten, unter der Pfalz, unter dem Niveau des Doms, kann man immer noch die Verehrung heiliger Quellen erahnen, ja erfühlen. Die stetig sprudelnde Quelle füllt die mysteriöse Unterwelt mit Wasser. Bis zu einer Höhe von eineinhalb Metern steht es im unterirdischen Gewölbe. Dezente Scheinwerfer unter der Wasseroberfläche lassen es in geheimnisvollem Türkis schimmern. Dabei ist es glasklar. Trinken sollte man es freilich in unseren Tagen nicht mehr. Wenn es draußen anhaltend regnet, dann führt das Quellwasser schlammige Anteile mit. Muffigen Geruch hatte ich erwartet, aber nicht angetroffen. Das Quellwasser steht aber auch nicht, es fließt aus dem Keller durch eine Maueröffnung ins Paderquellgebiet.

Foto 5: Treppe in die Unterwelt

Es lohnt sich, zunächst eine Treppe hinab in die »Unterwelt« zu steigen, dann einem schmalen Gang zu folgen. Und plötzlich steht man auf einem schmalen Vorsprung und blickt in den Quellkeller. Die Atmosphäre ist nicht wirklich zutreffend zu beschreiben. Karl der Große hat vermutlich vor mehr als 1200 Jahren aus dieser Quelle getrunken. Dabei dürfte es Karl nicht vordergründig um frisches Wasser gegangen sein. Er wollte vielmehr ein altes Quellheiligtum zur Wasserversorgung umfunktionieren. Wo einst – und wohl noch zu Karls Zeiten – Heiden kultische Handlungen verrichteten, entstand ein christliches Zentrum: die Pfalz des christlichen Herrschers nebst Kapelle und Kirche. Wasser spielte beim Bau von Kirchen und Klöstern immer eine wichtige Rolle (2).

Foto 6: Hier geht's zum Quellkeller

Priester wie Klosterbrüder wollten ja auch trinken. In vorchristlichen Zeiten freilich hatten Quellen eine tiefere, sprich religiöse Bedeutung. Heilige Göttinnen spendeten Wasser. Quellen waren Geschenke der Göttinnen und Göttinnen wurden in Quellheiligtümern verehrt. Die Archäologin Marija Gimbutas kommt zur Erkenntnis, dass die Heiligkeit lebenspendenden Wassers bereits in vorgeschichtlichen Zeiten für die Menschen fester Bestandteil ihres »heidnischen« Glaubens war. Gibutjas schreibt (3): »Die Mythen um Brunnen und warme Quellen lassen sich nicht vom Kult der lebenspendenden Göttin trennen. In der griechischen, römischen, keltischen und baltischen Überlieferung ist immer wieder von Göttinnen und Nymphen die Rede, die mit bestimmten Flüssen, Quellen und Brunnen in Verbindung stehen.«

Heidnische Quellheiligtümer wurden christianisiert, sprich überbaut. Alte Überlieferungen deuten darauf hin, dass die Quellen von Paderborn schon in vorchristlichen Zeiten von religiöser Bedeutung waren. Der Dom von Paderborn wurde auf derlei heilige Quellen gebaut. Und eine der Heiligen Quellen sprudelt noch heute im Keller der Pfalz beim Dom zu Paderborn. Just dort kam ich mit einem alten katholischen Geistlichen ins Gespräch, der mir bei einigen meiner zahlreichen Besuche der mysteriösen Stätten von Paderborn schon mehrfach begegnet war. »Haben Sie nicht neulich in der Krypta des Doms fotografiert?«, wollte der freundliche alte Herr von mir wissen. Ich bejahte. »Was interessiert Sie denn so besonders in der Krypta?«

Foto 7: Im Gewölbe des Quellkellers

Nach kurzem Zögern antwortete ich: »Die seltsamen Schnitzwerke an den Bankenden!« Der Geistliche riet mir: »Besuchen Sie doch auch die Krypta in der Abdinghof-Kirche«. Die sei ungefähr so alt wie der Dom. Und auch da gebe es an steinernen Säulenkapitellen ganz ähnliche Darstellungen. »Einige der Darstellungen erinnern doch sehr an Drachen!«, trug ich kundig vor. »Aber was haben diese Fabelwesen mit christlichen Gotteshäusern zu tun?« Erstaunliches sollte ich aus dem Mund des geistlichen erfahren. »Thales aus Milet (4) behauptete, Ursprung und Ende des Alls sei das Wasser. Wächter des Wassers waren die Drachen! Das ist altes heidnisches Glaubensgut, das zu Zeiten von Karl dem Großen keineswegs vergessen war! In der Krypta der Abdinghofkirche finden Sie Darstellungen von diesen Drachen!«


Fotos 8 und 9: Geheimnisvolle »Unterwelt«
Wasser, so der Geistliche, sei ein universales »Sinnbild« für die Göttin. Die Urgöttin habe alles aus sich hervorgebracht, habe alles geboren. »Das ›Wasser‹ steht für die ›Urmutter‹, aus der alles hervorgeht. Drachen hüten das Geheimnis des Wassers…« Joseph Campbell (1904-1987) schreibt im ersten Band seines monumentalen Werkes (5) über »Die Masken Gottes« (6): »Das Wasser überträgt die Kraft der Göttin; aber gleichermaßen ist sie es, die das Geheimnis des Wassers personifiziert, das Wasser der Geburt und der Auflösung – sei es des Einzelnen oder des Weltalls.«

Barbara Hutzl-Ronge, 1963 in Österreich geboren, lebt als freischaffende Autorin in Zürich. Sie gilt als eine der profundesten Kennerinnen alpiner Sagen, christlicher Legenden sowie vorchristlicher Mythen und Symbole. Sie hat sich intensiv mit der mythologischen Bedeutung von Quellen auseinandergesetzt und ein fundamentales Werk zur spannenden Thematik verfasst (7), betitelt »Quellgöttinnen, Flußheilige, Meerfrauen«. Sie schreibt (8): »Die Verehrung von Quellen kommt bei den KeltInnen besondere Bedeutung zu. Wie andere Völker auch verehrten die KeltInnen Göttinnen aus Dank für das kostbare Wasser. Darüber hinaus waren sie überzeugt, Quellen stellten den Übergang und somit die wichtigste Kontaktstelle zur Anderswelt dar. Die Quellverehrung läßt sich in keltisch besiedeltem Gebiet bis in frühgeschichtliche Zeit belegen.«

Foto 10: Geheimnisvoll leuchtet das Wasser

Unzählige Heiligenlegenden berichten, wie zum Beispiel die drei heiligen Jungfrauen auf wundersame Weise in Zeiten schrecklicher Dürre erquickendes Wasser aus der Erde sprudeln lassen (9). Karl Weinhold merkt sachkundig an (10): »Wo ein kirchliches Wunder das Wasser hervorruft, tritt die Naturmythe ganz zurück.« Die einst hochverehrten Quellgöttinnen wurden von der theologischen Obrigkeit nicht mehr geduldet. Da sie sich nicht einfach per Dekret aus dem Volksglauben verbannen ließen, wurden sie degradiert (11): »Sie wurden zu Truden und Hexen herabgedrückt, die ihre Versammlungen an den Quellen halten. Oder gar … zu schwarzen Heiden.«

Im kryptaartigen Quellkeller  mit seinen Gewölben, die sich im Wasser spiegeln, würden unsere keltischen Vorfahren so etwas wie einen Übergang in jenseitige Welten sehen. Auf mich machte die Stätte einen mystisch-geheimnisvollen Eindruck, den ich nicht in Worte kleiden kann. Dort unten würde es mich nicht übermäßig wundern, wenn ich plötzlich einem leibhaftigen lebenden Zeitgenossen Karls des Großen gegenüberstünde. Der Raum regt zum Nachdenken wie zum Träumen an.

Foto 11: Aus dieser Quelle trank Karl der Große

Die Ausführungen des alten Herrn im Quellkeller unter dem Kaiserpalast waren alles andere als typisch christlich, also recht interessant. So machte ich mich im Keller der Abdinghofkirche auf die Suche nach Drachen. Es dauerte etwas, denn die Lichtverhältnisse sind bescheiden. Ich wurde aber trotzdem fündig: in verschiedene Säulenkapitelle wurden sie von unbekannten Künstlern eingeschnitzt. Die »Drachen« sind nicht wirklich dreidimensional gestaltet, sie sind flach und erinnern mich an die Scharrbilder Englands. Auch da wurden einst Drachenbilder – allerdings riesengroß – geschaffen. Man hat Gras und Erdreich abgetragen bis man darunter auf weißen Kalkstein stieß und so wurden Konturen von Riesen, Pferden und auch Drachen sichtbar. Die »Drachen« von Paderborn wie jene aus Südengland wirken stilisiert.


Foto 12: Drache oder Pferd?

Die Riesendrachen von England erinnern manchmal an Pferde. Das mag daran liegen, dass die Riesenbilder im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder überarbeitet wurden. Waren es Kelten, die stilisierte Drachen in Riesengröße in den Boden scharrten? Hatten die Drachen in der Krypta der Abdinghofkirche keltische Vorbilder?


Fußnoten
1) Buschan, Georg: »Altgermanische Überlieferungen in Kult und Brauchtum der Deutschen«, München 1936, S.114, Zeilen 4-16 von oben
2) Legler, Rolf: »Tempel des Wassers/ Brunnen und Brunnenhäuser in den
Klöstern Europas«, Stuttgart 2005
3) Gimbutjas, Marija: »Die Sprache der Göttin«, 2. Auflage, Frankfurt 1996, S. 43
4) Thales von Milet, * um 624 v. Chr.; † um 547 v. Chr.
5) Campbell, Joseph: »Die Masken Gottes«, 4 Bände, München 1996
6) Campbell, Joseph: »Mythologie der Urvölker/ Die Masken Gottes«, Basel 1991, Seite 82, Zeilen 1-3 von unten
7) Hutzl-Ronge, Barbara: »Quellgöttinnen, Flußheilige, Meerfrauen«, München 
     2002
8) ebenda, Seite 32 ganz oben, 1 Druckfehler wurde korrigiert, ansonsten habe ich die Rechtschreibung unverändert übernommen, also nicht der Rechtschreibreform angepasst. So blieb das altehrwürdige ß erhalten.
9) Göttner-Abendroth, Heide (Hrsg.): »Mythologische Landschaft Deutschland«,
     Bern 1999, Weinhold, Karl: »Die Verehrung der Quellen«, Seiten 14-36
10) ebenda, Seite 15, Zeilen 21 und 20 von unten
11) ebenda, Seite 19, Zeilen 8-6 von unten

Foto 13: Der Legende nach steht der Dom auf einer Heiligen Quelle

Zur weiterführenden Lektüre empfohlen:

Wolfgang Bauer, Wolfgang und Sergius Golowin, Golowin: »Heilige Quellen,
     Heilende Brunnen«, Saarbrücken 2009
Göttner-Abendroth, Heide: »Mythologische Landschaft Deutschland«, Bern
     1999
Muthmann, Friedrich: »Mutter und Quelle. Studien zur Quellenverehrung im
     Altertum und im Mittelalter«, Basel  und Mainz 1975
Näsström, Britt-Marie und Teegen, Wolf-Rüdiger: »Quellheiligtümer und
     Quellkult«, erschienen in: »Reallexikon der Germanischen Altertumskunde«, 2.
     Auflage., Band 24, S. 15–29 Berlin und New York 2003

Foto 14: Blick zum Dom, bei Regen.

Zu den Fotos

Foto 1: Im Vordergrund die Kaiserpfalz, im Hintergrund der Dom. Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 2 und 3: Interessante Führer zum Museum in der Kaiserpfalz. Archiv Langbein.
Foto 4: Blick in die Bartholomäus-Kapelle
Foto 5: Treppe in die Unterwelt. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Hier geht's zum Quellkeller. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Im Gewölbe des Quellkellers. Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 8 und 9: Geheimnisvolle »Unterwelt«. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Geheimnisvoll leuchtet das Wasser. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Aus dieser Quelle trank Karl der Große. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 12: Drache oder Pferd? Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 13: Der Legende nach steht der Dom auf einer Heiligen Quelle. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 14: Blick zum Dom, bei Regen. Foto Walter-Jörg Langbein 
Foto 15: Der Dom vor 100 Jahren. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein

Foto 15: Der Dom vor 100 Jahren

364 »Vom Ochsenkopf zur unverwüstbaren Maria«,
Teil  364 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 08.01.2017



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Sonntag, 27. Juli 2014

236 »Ein Heidentempel, drei Göttinnen und der Dom von Worms«

»Ein Heidentempel, drei Göttinnen und der Dom von Worms«
Teil 236 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein

»Von Wunderdingen melden die Mären alter Zeit;
Von preisenswerten Helden, von großer Kühnheit,
von Freud‘ und Festlichkeiten, von Weinen und von Klagen,
von kühner Recken Streiten mögt ihr nun Wunder hören sagen.« (1)

Der Dom zu Worms bei Nacht. Foto W-J.Langbein

So beginnt das berühmte Nibelungenlied, das große mittelalterliche Heldenepos, das wohl zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden ist. Einer der wirklich wichtigen Schauplätze ist der Königshof zu Worms. In Worms will der legendäre Siegfried um Kriemhild werben. Vor dem Dom kommt es zum dramatischen Streit zwischen den Königinnen. Die beiden Damen sind sich uneins, wer im Rang höher steht. Ist es Siegfried? Ist es Gunther? Ist Siegfried Gunther ebenbürtig? Oder steht er unter dem König, als »Gefolgsmann«? Welche der Damen darf als erste den Dom zu Worms betreten? Wer darf über das Königreich zu Worms herrschen, Gunther oder Siegfried?

»Da saßen beisammen die Königinnen reich
Und gedachten zweier Recken, die waren ohnegleich.
Da sprach die schöne Kriemhild: ›Ich hab‘ einen Mann,
dem müßten diese Reiche alle sein untertan.‹
Da sprach zu ihr Frau Brunhild: ›Wie könnte das sein?
Wenn anders niemand lebte als du und er allein.
So möchten ihm die Reiche wohl zu Gebote stehn:
So lange Gunter lebte, so könnt‘ es nimmermehr geschehn.‹« (2)

Schon in der Schulzeit (3) musste ich mich intensiv mit dem »Nibelungenlied« auseinandersetzen. Stundenlange Vorträge, etwa über das Verständnis des Begriffs »Ehre« waren zu ertragen. Ich muss zugeben, dass mich damals staubtrockene Definitionen von Begriffen in mittelalterlicher Dichtung kaum interessierten. Was mich aber faszinierte, kam im Unterricht gar nicht vor: Gab es den gigantischen Schatz der Nibelungen wirklich? Wurde er tatsächlich im Rhein versenkt? Wenn ja.. wo? Kann man ihn noch bergen? Und sollte der unermesslich kostbare Schatz tatsächlich gefunden werden, wem gehört er dann?


Reich verzierter Torbogen zum Dom. 
Foto W-J.Langbein

Ich unterbreitete damals meinem Deutschlehrer den Vorschlag, eine Studienreise nach Worms zu unternehmen. Ob es noch Hinweise auf die Nibelungen zu entdecken galt? Leider wurde mein Vorschlag abgelehnt. Ein Jahrzehnt später – im Sommer 1979 – lernte ich meine Frau kennen. Und siehe da: Der Großvater meiner Frau, Dr. Karl Schütze, hat sich viele Jahre seines Lebens mit dem Nibelungenlied auseinandergesetzt. Der Germanist aus Glückstadt hat schließlich eine weitverbreitete Übersetzung des alten Heldenepos publiziert (4). Beim Recherchieren in Sachen Nibelungenlied und Worms stieß ich auf den Mitbegründer der wissenschaftlichen Germanistik. Friedrich Heinrich von der Hagen (1780 – 1856) setzte sich intensiv mit dem Nibelungenlied auseinander. Erst kurz vor seinem Tod erschien seine Arbeit »Nibelungen« (5). Posthum folgte »DerNibelungen Klage« (6). Bei Friedrich von der Hagen entdeckte ich eine kühne Behauptung (7): Demnach soll es in Worms eine »Sigfridskapelle« (8) gegeben haben. Diese Behauptung elektrisierte mich geradezu. So begann meine Recherche in Sachen Siegfried und Worms. Sollte es tatsächlich – wie von Friedrich von der Hagen postuliert – eine »Sigfridskapelle« gegeben haben? Belege dafür fand ich keine, entdeckte aber sehr wohl das sakrale Bauwerk, auf das sich von der Hagen bezieht. Zu meiner großen Enttäuschung wurde das mysteriöse Bauwerk zu Beginn des 19. Jahrhunderts abgerissen.


Die »Sigfridskapelle«. Historische Rekonstruktion. 
Foto: Archiv W-J.Langbein

Ohne Zweifel meint von der Hagen die »Johanneskirche«, die bis ins 19. Jahrhundert direkt neben dem Dom zu Worms stand. Dr. Eugen Kranzbühler widmet ihr, der »Johanneskirche«, in seinem bemerkenswerten Werk »Verschwundene Wormser Bauten« (9) im Kapitel »Die Pfarrkirchen« viel Raum (10). Dr. Kranzbühler (11): »Der Wormser Stadtschreiber  Johann Ludwig Hallungius nennt sie in seinen handschriftlichen Nachrichten von der Freien Reichsstadt Worms die Johanneskirche ›die älteste, noch aus dem Heidentum herrührende, unter der Erde zum Götzendienst mit Altären versehene Kirche. … Ein heidnischer Tempel, der ganz von Quadersteinen erbaut und gedeckt, unter der Erde rings um mit einem Gewölb versehen, worein das Licht durch viele bogige hohe Fenster einfällt.« Hallungius beschreibt den geheimnisvollen Bau als recht mysteriös: »Vor etlichen solchen Fenstern gegen Morgen stehen schlechte längliche viereckige Altäre mit Kohlen- und Schür(?)-Löchern versehen.«


Grundriss der verschwundenen Kapelle. 
Foto: Archiv W-J.Langbein

Längliche Altäre mit »Kohlen- und Schür-Löchern« erinnern ganz und gar nicht an christliche Kirchenbaukunst. Mit einem klassischen Kirchenschiff hatte der mysteriöse »heidnische Tempel«, so Stadtschreiber Hallungius (1732-1812), wenig, ja gar nichts gemein. Das sakrale Gebäude war rund (ein »Circul«), »die schwere Kuppel«, so Hallungius, ruhte auf steinernen Säulen. Untypisch war auch, dass die »Johannes-Kirche«, so Hallungius, teils unter-, teils überirdisch angelegt war. Sie war aus massiven Quadersteinen ein Stockwerk unter und zwei Stockwerke über der Erde angelegt worden. Es heißt, dass die Gläubigen »an Altären im unterirdischen Teil dem Götzen Mercurio opferten«. Sollte die »Johannes-Kirche« ursprünglich ein römischer Tempel gewesen sein? Wurde ein runder »Heidentempel« christianisiert, womöglich umgebaut und erweitert? Nach dem Studium zahlreicher Zeichnungen von der »Johanneskirche« drängt sich mir der Eindruck auf, dass beim Bau auf einen Turm aus der Römerzeit in die Anlage integriert wurde.

Wir wissen nicht, wer wann die Urform des Heiligtums baute, woraus die »Johannes-Kirche« entwickelt wurde. Wir wissen nicht, wer aus gewaltigen Steinquadern einen unterirdischen Kultort baute und darauf zwei weitere Stockwerke setzte. Der Ort jedenfalls war gut gewählt. Der etwa hundert Meter hohe Hügel bot Sicherheit vor den Hochwasserfluten des Rheins. Schon im dritten vorchristlichen Jahrtausend siedelten hier Menschen. Schon damals mag es dort einen Tempel gegeben habe, auf dessen Areal sehr viel später ein rundes Heiligtum entstand.

Grundriss von Dom und »Sigfridskapelle« (B). 
Foto: W-J.Langbein


1808 soll der mysteriöse Rundbau zumindest teilweise noch gestanden haben. Der überirdische Teil wurde damals als »Taufkirche« genutzt, der unterirdische als »Beinhaus«. Im Jahr 1837 allerdings war das seltsame Gebäude abgetragen worden. Ein Privatmann soll noch einige Säulenstücke und Kapitäle besessen haben. Warum wurde die »Johanneskirche«, die an der südlichen Langseite des Doms stand, abgerissen? Wurde nur der überirdische Teil abgetragen? Sind noch Reste des unterirdischen Teils erhalten? Kam der Befehl vom französischen Militär? Anno 1796 wurde der Dom von französischen Truppen zum Magazin degradiert und entweiht.1797 wurde Worms auf Dauer von französischem Militär besetzt und wurde Frankreich zugeschlagen. 1801 wurde das Bistum Worms aufgelöst.

Wie sich die Bilder gleichen: Nur wenige Meter vom Nordportal des Doms zu Paderborn entfernt steht die geheimnisvolle »Bartholomäus-Kapelle«, die älter als der Dom ist. Das äußerlich kleine, unscheinbare Gebäude hatte einen heidnischen Vorgänger, der wohl auf Befehl Karls des Großen (etwa 747 – 814 n.Chr.) vollkommen zerstört wurde.  Wie das heidnische Heiligtum ursprünglich im Inneren ausgesehen hat, wir wissen es nicht. Vermutlich wurde es durch Brandstiftung zerstört. Archäologen untersuchten penibel genau die spärlichen Überbleibsel. Dank ihrer geradezu pedantischen Geduld gelang es den Wissenschaftlern, Reste einer Inschrift zu rekonstruieren und zu entziffern. Da war von einem Drachen die Rede. Just an dieser Stelle hatten die heidnischen Sachsen ihren alten Göttern Pferdeopfer dargebracht. Die Drachen-Inschrift wurde nur wenige Meter nördlich von der Bartholomäus-Kapelle gefunden. Sie war so bruchstückhaft, dass ihr Inhalt nur erahnt werden kann. Wurde Karl der Große als Sieger über das Heidentum der Sachsen gefeiert, als der Unterwerfer des Drachens?


Das Innere der 
mysteriösen Kapelle. 
Foto: Archiv W-J.Langbein

Nur wenige Meter vom Dom zu Worms entfernt stand eine runde Kirche, die an keltische Heiligtümer erinnerte. Bis ins erste vorchristliche Jahrhundert siedelten Kelten auf dem Hügel. Waren es Kelten die den ersten Rundbau auf dem »Domhügel« anlegten? In der unterirdischen Krypta sollen noch in christlichen Zeiten heidnische Rituale abgehalten worden sein. Wie lange? 

Auf die Kelten folgten die Germanen, auf die Germanen die Römer. Übernahmen Römer Reste eines keltischen Rundbaus, um daraus ein Stätte der Verehrung für Gott Mercurius zu machen? Wie auch immer: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der Sakralbau zerstört.

Wer freilich zu Beginn des dritten Jahrtausends Zeugnisse heidnischer Religiosität sucht, findet die Abbildung dreier heidnischer Göttinnen im christlichen Gewand: mitten im altehrwürdigen Dom zu Worms am Rhein! Kaum jemand weiß es: Drei heidnische Göttinnen werden noch heute im Dom verehrt.


Querschnitt der über- und unterirdischen Kapelle. 
Foto: Archiv W-J.Langbein


Alle historischen Darstellungen: Archiv Walter-Jörg Langbein

Fußnoten

1) »Das Nibelungenlied/ Übertragen von Karl Simrock, ausgewählt, überarbeitet und mit Anmerkungen ausgestattet von Dr. Karl Schütze«, Breslau, ohne Jahresangabe, S. 5
(Orthographie unverändert übernommen!)
2) ebenda, S. 28 (Orthographie unverändert übernommen!)
3) »Meranier Gymnasium«, Lichtenfels, etwa 1970
4) »Das Nibelungenlied/ Übertragen von Karl Simrock, ausgewählt, überarbeitet und mit Anmerkungen ausgestattet von Dr. Karl Schütze«, Breslau, ohne Jahresangabe. Mir liegt Dr. Karl Schützes Exemplar vor, das zahlreiche handschriftliche Korrekturen und Ergänzungen aufzuweisen hat.
5) Von der Hagen, Friedrich Heinrich: »Nibelungen«, Berlin 1855
6) Von der Hagen, Friedrich Heinrich: »Der Nibelungen Klage«, München 1919
7) Von der Hagen, Friedrich Heinrich: »Anmerkungen zu der Nibelungen Not«, Frankfurt am Main, 1824, S. 131
8) Schreibweise »Sigfrid« so übernommen!
9) Kranzbühler, Dr. Eugen: »Verschwundene Wormser Bauten/ Beiträge zur Baugeschichte und Topographie der Stadt«, Worms 1905
10) Kranzbühler, Dr. Eugen: »Verschwundene Wormser Bauten/ Beiträge zur Baugeschichte und Topographie der Stadt«, Worms 1905, S. 16-53
11) Kranzbühler, Dr. Eugen: »Verschwundene Wormser Bauten/ Beiträge zur Baugeschichte und Topographie der Stadt«, Worms 1905, S. 17

»Drei Göttinnen«,
Teil 237 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                        
erscheint am 03.08.2014

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