Sonntag, 29. Januar 2017

367 »Ottilie und die ›Drachen‹ von Freiburg«


Teil  367 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                        
von Walter-Jörg Langbein


Fotos 1 und 2:  Freiburger Münster, links 1898, rechts 1930

Ende Oktober 2016 war ich in Freiburg im Breisgau und nahm am One-Day-Meeting der dänikenschen »A.A.S.« teil. Gern hätte ich einen rätselhaften Wallfahrtsort besucht, doch das ließ meine Zeit nicht zu. Immerhin konnte ich das Münster besuchen, wo ich recht Geheimnisvolles entdeckte.

Von Bad Pyrmont nach Freiburg. Die Heilige Ottilie vom Pyrmonter »Augenbrunnen« wirkt dank Moosbewuchs auf dem Haupt mysteriös. Wie eine fromme Legende mutet die Vita der frommen Frau an. Äbtissin Ottilie (* um 660 im Elsass oder Burgund; † 720) wurde – so überliefert es eine Biographie aus dem 10. Jahrhundert – als Odilia auf der Hohenburg, Gemeinde Obernai (1) geboren. Die Tochter von Herzig Eticho und seiner Gemahlin Bersinda kam blind zur Welt. Ihr Vater wollte sie, um ihr ein Leben in Finsternis zu ersparen, töten lassen. Die Mutter rettete dem Mädchen das Leben, indem sie ihr Töchterchen in ein Kloster gab. Es dürfte sich um das Kloster von Baume-les-Dames östlich von Besançon gehandelt haben. Kurios: Erst im Alter von zwölf Jahren wurde Ottilie getauft und wurde plötzlich sehend. Das Mädchen kehrte ins Elternhaus zurück, wo ihr der eigene Vater nach dem Leben trachtete. Dem entsetzten Mädchen gelang die Flucht – in eine Höhle. Im Musbachtal bei Freiburg im Breisgau, aber auch in Arlesheim, südlich von Basel, streitet man sich in frommer Weise, wer denn nun die richtige Höhle zum Ziel von Pilgerreisen gemacht hat. Es ist unklar, in welcher Höhle sich das Mädchen wo versteckte. Bis zum heutigen Tag wird der Heiligen Ottilie in beiden Höhlen – im Raum Freiburg wie bei Basel – gehuldigt, und das schon seit mehr als einem halben Jahrtausend.

Fotos 3 und 4: Blick ins Freiburger Münster, links 1901, rechts 2016

Anders als bei vielen anderen Heiligen endete Ottilie nicht als Märtyrerin. Ihre Biographen vermelden ein Happy End. Nach der Versöhnung mit ihrem Vater, der seine Mordpläne schließlich aufgab und ihr Besitztum übertrug, konnte sie anno 690 auf  dem später nach ihr benannten Ottilienberg ein Kloster gründen. Auch das Kloster Niedermünster am Fuße des Odilienberges geht auf Ottilie zurück. Anno 720 starb sie und fand auf dem Odilienberg ihre letzte Ruhestätte.

Von der Heiligen Ottilie zum Münster von Freiburg. Von meinem Hotel aus war das riesige Gotteshaus in wenigen Minuten zu erreichen. Leider bot es nicht den schönsten Anblick, Teile waren hinter Gerüsten verborgen. Aber – keine Frage: Damit herrliche Gotteshäuser auch in ferner Zukunft noch besucht und bewundert werden können, müssen sie hin und wieder renoviert werden. Am 29. Oktober herrschte Hochbetrieb um das Münster. Marktbuden lockten wahre Volksmassen an. Gemüse wurde feilgeboten, ein Cafe lockte, Imbissbuden verbreiteten Düfte und Gerüche. Da und dort kam Streit auf. Ein müder Fahrradfahrer schloss sein Zweirad so ungeschickt an einen Laternenpfahl, dass der schmale »Weg« zu einem beeindruckenden Brunnen fast völlig versperrt war. »Vorsicht! Vorsicht!«, zischte ihn ein Mann zu, der seinen Kinderwagen am Fahrrad vorbei schieben wollte.

Fotos 5 und 6: Wer schaut da aus luftiger Höhe?

Manchmal kostete es einige Energie und viel Geduld, um bis zum Münster vorzudringen. Und auf das ganze Geschehen blickten aus luftiger Höhe steinerne Fabelwesen herab, manche gelangweilt, manche durchaus bedrohlich. Original christlich sind diese Kreaturen nicht. Reinhard Habeck schreibt in seinem vorzüglichen neuen Werk »Überirdische Rätsel« im Schlusswort (2): »Jede Leserin, jeder Leser ist herzlich dazu eingeladen, selbst den Pilgerstab in die Hand zu nehmen. Wer die überirdische Spurensuche fortsetzen möchte, dem bieten sich – oft direkt vor unserer Haustüre – unerschöpfliche Möglichkeiten. Ein dichtes Netz an Wanderwegen führt über Naturwunder zu berühmten und weniger bekannten Wallfahrtsstätten. Über die Routen gelangen wir zu vorchristlichen Sakralstätten, wo die Verbindung zum ›Heidentum‹ oft unübersehbar ist.« Diesen Worten kann ich mich nur anschließen. Sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, ein lohnendes Reiseziel suchen, sollte das Freiburger Münster ganz oben auf Ihrer Liste stehen!


Fotos 7 und 8: Geflügelte Fabelwesen aus Stein

Es lohnt sich – Empfehlung: möglichst nicht zum Wochenende – um das Freiburger Münster herum zu gehen. Heben Sie den Blick und Sie werden eine Vielzahl von Mischwesen sehen, Kombinationen aus Mensch und Tier, Teuflisches und Animalisches. Da gibt es »Teufel«, die das Maul weit aufreißen. Andere strecken ihre Zungen raus. Unklar ist, ob einige von ihnen Flügel am Rücken haben. Das würde dem Bild des Teufels entsprechen, der als Luzifer von Gott aus dem Himmel geworfen und zur Erde geschleudert wurde. Solche Teufel wären gefallene Engel und trügen mit Fug und Recht das Attribut der Himmlischen, nämlich Flügel. Oder handelt es sich um beim Flug flatternde Umhänge, was wir fälschlich als »Flügel« interpretieren?

Einigen der steinernen Wesen fehlen Gliedmaßen, andere sind komplett. Manche Einzelheiten kann man nicht mehr genau erkennen, weil der Zahn der Zeit intensiv an den mysteriösen sakralen Kunstwerken genagt hat. Da und dort erkennt man Füße und Hände, andere der Schreckensgestalten scheinen verstümmelte Hände zu haben. Oder sind es Krallen von Monsterwesen?

Immer wieder tauchen Mischwesen auf. Da sitzt zum Beispiel das Haupt eines Säugetieres, etwa eines Rindes, auf dem Leib eines gefiederten Wesens, eines riesenhaften Greifvogels. Bei anderen Kombinationen dominieren menschliche Attribute. Das sieht dann so aus, als ob beispielsweise ein geflügeltes Wesen mit einem Menschen gekreuzt worden wäre. Da liegen Flügel eng am Leib, da wirkt die Nase im menschlichen Antlitz mit überproportional großen Ohren wie ein scharfer Schnabel. Füße, Beine und Unterleib bis zur Brust freilich sind eindeutig menschlich.

Fotos 9 und 10: Drachen - oder was?

Ich hab diese Wesen am Freiburger Münster am Morgen, gegen Mittag und am Abend fotografiert. Je intensiver ich diese faszinierenden Skulpturen durch mein 400-Millimeter-Teleobjektiv studierte, desto mehr Fragen drängten sich mir auf und desto mehr Zweifel kamen mir. Waren das wirklich alles »Wasserspeier«, wie redegewandte Führer behaupten? Befanden sich die steinernen Skulpturen wirklich an Ort und Stelle oder hat man sie in jüngerer Vergangenheit mehr oder minder dekorativ angebracht?

Manche dieser Skulpturen in luftiger Höhe erinnern an stark entfremdete Löwen, wieder andere an Drachen. Mir kommt die arabische Übersetzung äthiopischen Nationalepos Kebra Nagast in den Sinn. Sir Ernest Alfred Thompson Wallis Budge (1857-1934) war ein englischer Ägyptologe, Philologe und Orientalist. Er arbeitete für das angesehene »British Museum«, London, und publizierte eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Werken. Wallis Budge übersetzte die arabische Version des Kebra Nagast ins Englische (3). Gleich zu Beginn (4) wird vermeldet, dass König Salomo beim Bau seines Tempels erhebliche Probleme hatte.

So gelang es seinen Spezialisten nicht, die riesigen Steinmonster zu gewaltigen Bausteinen zurecht zu sägen. Ihre Werkzeuge zerbrachen beim Versuchen. Erst mit Hilfe einer List wurde das möglich. Ein ausgewachsener Drache musste her. Also lockte man einen an und brachte ihn dazu, ein wundersames Werkzeug herbei zu schaffen. Erst dann konnten mächtige Steine präzise zu großen Bausteinen aufgespalten werden.

Foto 11: Original aus einem Kebra-Manuskript

Drachenartige Wesen wurden auch, in Stein gehauen, an den Außenwänden des Münsters zu Freiburg angebracht. Sie könnten aus der gleichen Zeit stammen wie die arabische Fassung des Kebra Negest. Das ist vermutlich ein Zufall. Manche Theologen machen sie schnell zu Schreckgespenstern, die den Teufel und böse Geister von einem Gotteshaus fernhalten sollen. Aber ist das wirklich die Funktion solcher Darstellungen? Ich habe da meine Zweifel. Ich glaube, sie stammen aus sehr viel älteren Zeiten als wir glauben. Sie sind viel älter als christliche Pseudosymbolik!


Reinhard Habeck schreibt (5): »In allen Weltreligionen gibt es Kultsteine mit oft ungeklärter Herkunft. Sie verbindet eine Gemeinsamkeit: Bereits in prähistorischen Zeiten hatten sie eine besondere Bedeutung und besaßen angeblich wundersame Heilkräfte. Im Christentum finden sich viele Zeugnisse dafür, dass erstarrte Steinwunder einst auf heidnischen Kultplätzen gestanden haben, lange bevor sie eine neue Deutung erhielten.«

Foto 12: Fisch-Reptilien-Monster am Freiburger Münster

Fußnoten

1) Département Bas-Rhin in der Region Elsass. Deutscher Name: Oberehnheim
2) Habeck, Reinhard:  »Überirdische Rätsel/ Entdeckungsreisen zu wundersamen Orten«, Wien, November 2016, Seite 195
3) Budge, Wallis: »The Queen of Sheba and her only Son Menyelek«, London, Liverpool und Boston 1922, S. XXXIX-LVI
4) ebenda, S. XXXIX-S. XLI
5) Habeck, Reinhard:  »Überirdische Rätsel/ Entdeckungsreisen zu wundersamen Orten«, Wien, November 2016, S. 44 oben, direkt unter der Zwischenüberschrift »Ein außergewöhnlicher Ort«

Foto 13: Mensch und Monster
Zu den Fotos
Fotos 1 und 2:  Freiburger Münster, links 1898, rechts 1930. Archiv Walter-Jörg Langbein
Fotos 3 und 4: Blick ins Freiburger Münster, links 1901, rechts 2016. Foto 3 Archiv Walter-Jörg Langbein. Foto 4: Walter-Jörg Langbein
Fotos 5 und 6: Wer schaut da aus luftiger Höhe? Fotos Walter-Jörg Langbein
Fotos 7 und 8: Geflügelte Favelwesen aus Stein. Fotos Walter-Jörg Langbein
Fotos 9 und 10: Drachen - oder was? Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Original aus einem Kebra-Manuskript. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Foto 12: Fisch-Reptilien-Monster am Freiburger Münster. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 13: Mensch und Monster. Foto Walter-Jörg Langbein

368 »Faust und Alexander der Große fahren in den Himmel«,
Teil  368 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                        
von Walter-Jörg Langbein,

erscheint am 05.02.2017

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Sonntag, 22. Januar 2017

366 »Ein Ganesha und die Herrin vom See«

Teil  366 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein   
                    

Foto 1: Der »Hyllige Born« von Bad Pyrmont

Vom großen Parkplatz zur Bombergallee ist es nicht weit. Es ist Herbst, die Blätter fallen. Emsige Ladeninhaber setzen massiv lautstarke Gebläse ein, um das bunte Laub möglichst weit weg zu pusten. Auf meinem Weg zum Brunnenplatz begegnet mir unerwartet ein »alter Bekannter«, ein steinerner Ganesha. Der indische Gott mit dem mächtigen Elefantenkopf auf dem Menschenleib soll Glück bringen, heißt es. Eine Holländerin fotografiert das steinerne Götterbildnis mit ihrem Smartphone aus allen Richtungen. »Ich vermisse die Maus …«, murmelt sie vor sich hin. Das Tierchen ist in Indien häufig beim göttlichen Ganesha zu sehen, als sein Reittier. 

Foto 2: Der Ganesha von Pyrmont
»Dafür hat er aber zwei vollständige Zähne!«, mit diesen Worten versuche ich der Dame meine Kenntnisse in Sachen Ganesha-Mythologie zu demonstrieren. Sie lacht. Sie kennt die uralte Überlieferung. Einst soll sich Ganesha einmal den Bauch vollgeschlagen haben. Er stolperte über eine Ratte, das Essen fiel dem Gottessohn aus dem Leib. Mit einer Schlange, die sich Ganesha um den Leib schlang, schloss er die klaffende Wunde. Der Mond fand das Missgeschick zum Lachen, zog sich so Ganeshas Zorn zu. Wütend riss sich Ganesha einen Zahn aus und schleuderte ihn auf den Mond, stieß dabei einen bösen Fluch aus. Der Mond wurde dunkel. Auf Bitten der Götter nahm Ganesha seinen Fluch teilweise zurück. Seither, so der Mythos, gibt es die verschiedenen Mondphasen, der schwindet und wieder wächst. In Indien habe ich viele Ganesha-Darstellungen gesehen, die das göttliche Mischwesen mit einem abgebrochenen Zahn zeigen. Manche zeigen Ganesha auch nur mit einem Zahn, zur Erinnerung an die uralte Überlieferung vom schwindenden und wieder wachsenden Mond.

Foto 3: Die Bombergallee
Ich gehe die Bombergallee weiter, biege schließlich in die Brunnenstraße ein. Am »Krabbeltisch« einer Buchhandlung mache ich halt. Ich entdecke ein altes Buch, 1920 in Bad Pyrmont erschienen: »Altes und Neues vom hylligen Born«, herausgegeben von Hugo H. Bickhardt (1). Auf Seiten 93 und 94 stoße ich auf »Die alten Brunnengesetze« aus dem Jahr 1556.

Anno 1556 muss es einen großen Andrang in Richtung Bad Pyrmont gegeben haben. Wunderberichte lockten damals die Menschen zu Tausenden in den heutigen Kurort. Hieß es doch damals, der Genuss des Pyrmonter Wassers lasse Taube wieder hören, mache Blinde wieder sehen und Lahme wieder mobil. In den Jahren 1556 und 1557 sollen gut 10.000 Heilsuchende aus ganz Europa nach Bad Pyrmont gekommen sein. So sah man sich gezwungen, spezielle Brunnengesetze zu erlassen.

Ausdrücklich heißt es da, dass wer auch immer »diesen Fontain« besuche, »diesem Brunnen« auf keinen Fall »göttliche Ehr beweisen« dürfe. Ausdrücklich wird untersagt, den Brunnen »zu einem Abgott« zu machen. Diese Verbote machen deutlich, dass noch im 16. Jahrhundert, also nur zehn Jahre nach Martin Luthers Tod, von christlicher Seite heidnische Verehrung des Pyrmonter Brunnens zumindest befürchtet wurde. Ich glaube sogar, dass damals kultische Handlungen vollzogen wurden, die der christlichen Obrigkeit ein Graus waren. Alte Quellen waren ja zu vorchristlich-heidnischen Zeiten Zentren der Verehrung meist weiblicher Gottheiten.

Foto 4: Der »Brodelbrunnen«

Ein Kurort, so wie wir uns das heute vielleicht vorstellen, war Bad Pyrmont damals noch nicht. Wo heute Kurgäste entlang der Brunnenstraße flanieren, gab es damals nur eine morastige Wiese. Die Kranken, angelockt durch Berichte über wundersame Heilungen, hausten in Zelten. Wohlhabende logierten im benachbarten Ort Lügde. Reger Kutschenverkehr verband die Unterkünfte der Kranken mit der zusehends schlammiger werdenden Wiese. Erst 1863 wurde die »Brodelquelle« neu gefasst. Bei Ausschachtungen machte man eine sensationelle Entdeckung, wie Professor Dr. Schuchhardt in seiner Abhandlung »Archäologisches um Pyrmont« vermeldet (2): »Berühmt ist der große Pyrmonter Quellfund, der zeigt, daß schon in römischer Zeit die Heilquelle verehrt und mit Opfergaben bedacht wurde. … Der Pyrmonter Quelle hat man hauptsächlich bronzene Fibeln gespendet. Deren sind im Laufe der Zeit 200 Stück zutage gekommen, nur wenige gehören der vorrömischen sogenannten Latène-Zeit an, die meisten sind römische Ware, einfache Dreharbeiten, zuweilen mit Tierbildern verziert und hier und da versilbert oder vergoldet.«

Foto 5: Interessantes über den »Born«.
Nicht ohne Stolz vermeldet Tourismus GmbH (3): » Die Geschichte der Stadt ist natürlich eng verbunden mit den Quellen, die aus der Erde im Pyrmonter Tal sprudeln. Schon vor über 2000 Jahren waren die Quellen bekannt. Davon zeugt der sogenannte Brunnenfund, welcher heute im Museum im Schloss zu besichtigen ist. Damals warfen die Germanen bronzene Fibeln (Gewandnadeln) in den Brodelbrunnen, als Opfergabe an ihre Quellgötter. Auch eine bronzene Schöpfkelle wurde gefunden.«

Sollte anno 1556  also altes heidnisches Brauchtum verboten worden, das schon sehr lange kultiviert worden war? Auf der Internetseite »Das Tal der sprudelnden Quellen« (4) lesen wir: »Der Brunnenplatz ist das Zentrum und der Ursprung Bad Pyrmonts. Hier sprudelten die Quellen schon lange bevor es den Namen Pyrmont gab und vor der Entstehung des Platzes. Dass Quellen auf dem Brunnenplatz schon vor 2000 Jahren sprudelten und verehrt wurden, konnte im Jahre 1863 bewiesen werden. Als der Hyllige Born und der Brodelbrunnen neu gefasst wurden, entdeckte man in der Tiefe von etwa 4 m unter Gelände im Moorboden mehrere gut konservierte, umgestürzte Bäume. An den Wurzeln einer Linde wurden etwa 320 Opferstücke gefunden: Germanische Fibeln, Schnallen, Broschen, eine bronzene Schöpfkelle, römische Münzen und weitere Gegenstände.«

Foto 6: Heilsames Quellwasser wird gereicht.

Offenbar gab es schon vor zwei Jahrtausenden dort, wo heute noch der inzwischen gezähmte Brodelbrunnen blubbert ein altes Heiligtum. Wie mag es ausgesehen haben? Plätscherte eine Quelle im Schatten einer Linde? Legten die Heilsuchenden vor zwei Jahrtausenden ihre Kleidung ab, um im Quellwasser zu baden? Oder übergossen sie sich mit Quellwasser? Neben Opfergaben wie Fibeln und Münzen fand man 1863auch eine kostbare bronzene, außen emaillierte Schöpfkelle aus römischer Zeit. Diese Erinnerungsstücke an vergessene Quellkulte von Bad Pyrmont wurden anno 1893 auf der Weltausstellung in Chicago gezeigt. Heute sind sie im Pyrmonter Museum im Schloss zu sehen (5).


Fotos 7 und 8: Die Heilige Ottilie

Die »Heilige Ottilie« ist wohl eine vorchristliche Quellgöttin in christlichem Gewand. Unweit vom »Hylligen Born« hat sie einen eigenen Brunnen. Eine alte Sage (6) erinnert an eine heidnische Quellgöttin. Einst, so heißt es, habe die Hauptquelle von Bad Pyrmont, der »Hyllige Born«, einen See gespeist. Auf dem Grund des Gewässers hatte die »Wasserfei« (Wasserfee?) ihr prächtiges Schloss. Die wunderschöne Frau – sie hatte herrlich schwarzes langes Haar wie Schneewittchen – bezauberte Graf Dietrich von Pyrmont mit ihrem Harfenspiel und lieblichen Gesang. Dreimal drei Tage durfte der Graf bei der »Herrin vom See« bleiben, dann musste er wieder in die Welt der Menschen zurückkehren.  Dietrich von Pyrmont  war der Schönen vom Kristallpalast verfallen. 


Foto 9: Im Museum im Schloss werden die Opfergaben aufbewahrt

Nur einen Tag hielt er es unter seinesgleichen aus, dann stieg er wieder für neun Tage hinab auf den Grund des Sees. Auf diese Weise, so erzählte mir eine altehrwürdige Pyrmonterin, wäre der Adelige auf alle Zeiten jung geblieben. Bei einem Turnier aber zerriss die Korallenkette, die ihm seine Geliebte vom Grund des Sees geschenkt hatte. Somit war der Bann gebrochen, Dietrich von Pyrmont verliebte sich in eine Königstochter. Bald wurde Hochzeit gefeiert. Als ungebetener Gast erschien, so weiß es die Sage, die »Herrin des Sees«, freilich konnte sie nur Dietrich von Pyrmont sehen. Sie umschlang ihn mit nassen, kalten Armen so heftig, dass dem Armen das Herz stillstand. Tot sank er nieder und sein Leichnam löste sich in Nichts auf. Er verschwand vor den Augen der Hochzeitsgesellschaft und soll seither im Kristallpalast der »Wasserfei« ruhen.


Foto 10: Pyrmont hat Geheimnisse
Dietrich von Pyrmont soll im 12. Jahrhundert gelebt haben. Die Sage von seiner heißen Liebschaft mit der »Wasserfei« freilich geht auf viel weiter zurückliegende Zeiten zurück, als man an Göttinnen glaubte, die in heiligen Brunnen lebten. So schreibt Joachim Gafres in seinem Buch »Bad Pyrmont«  (7): »Und gerade der Name ›Hylliger Born‹ läßt vermuten, daß er im Volksmund aus heidnischer Zeit herübergerettet worden ist, denn das abendländische Christentum jener Zeit kennt keine heiligen Quellen, es sei denn, daß heidnisches Brauchtum christianisiert worden war.«

Quellen waren – etwa für die Germanen – besonders heilig, galten sie doch als (8) »Verbindung zwischen Unter- und Oberwelt«. Und als solche waren sie den christlichen Missionaren ein Ärgernis. So kam bei der Ausgrabung des Brodelbrunnens der Verdacht auf, dass man einst versucht hat, die Quelle zu verstopfen. Für diese Vermutung sprechen sieben verschieden dicke Torf-, Lehm- und Tonschichten direkt über der Quelle. Dieser »gewölbte Aufbau … hat … keine natürliche Parallele und … kann auch nicht … als natürliche Bildung erklärt werden« (9). Hauptverdächtiger ist Karl der Große, der im Winter 784/785 vor Ort war. Wurde damals nicht nur das heidnische Heiligtum der Externsteine, sondern auch eine heidnische Kultstätte in Bad Pyrmont gezielt zerstört? Wenn wirklich bewusst versucht wurde, die heiligen Quellen zum Versiegen zu bringen, von großem Erfolg gekrönt waren diese Bemühungen nicht. Bereits anno 889 – so ist der Arnulf-Urkunde zu entnehmen – brodelte die Quelle wieder.


Foto 11: Plakette am Brodelbrunnen

Fußnoten
1) Bickhardt, Hugo H. (Hrsg.): »Altes und Neues vom hylligen Born«, Bad Pyrmont, im Frühjahr 1920
2) ebenda, S. 66-68, Zitat S. 66
3) https://www.badpyrmont.de/historisches-bad-pyrmont/stadtgeschichte/
4) https://www.badpyrmont.de/therapien-2/heilquellen/
5) Museum Bad Pyrmont, Schlossstraße 13, 31812 Bad Pyrmont. Öffnungszeiten: Täglich, außer montags von 10-17 Uhr. Telefon (0 52 81) 60 67 71. E-Mail: info@museum-pyrmont.de     
6) Frank Winkelmann, Frank: »Die schwarzen Führer, Hannover - Südliches Niedersachsen«, Freiburg im Breisgau, 2002, S. 18 – 20
7) Gafres, Joachim: »Bad Pyrmont/ Ursprung – Vergangenheit – Gegenwart«, Verlag der Buchhandlung Gebr. Jacke, Bad Pyrmont 1969, S. 15, 5.-1. Zeile von unten
8) ebenda, Seite 13, Zeilen 7 und 6 von oben
9) ebenda, S. 14

Zu den Fotos
Fotos 12 und 13: Wasser vom Brunnen der Ottilie (Augenbrunnen)
Foto 1: Der »Hylige Born« von Bad Pyrmont. Foto W-J.Langbein
Foto 2: Der Ganesha von Bad Pyrmont.  
Foto W-J.Langbein
Foto 3: Die Bombergallee, von der Brunnenstraße aus gesehen. Foto W-J.Langbein
Foto 4: Der »Brodelbrunnen«. Foto W-J.Langbein
Foto 5: Interessantes über den »Born«. Foto W-J.Langbein
Foto 6: Heilsames Quellwasser wird gereicht. Foto W-J.Langbein
Fotos 7 und 8: Die Heilige Ottilie. Fotos W-J.Langbein
Foto 9: Im Museum im Schloss werden die Opfergaben aufbewahrt. Foto W-J.Langbein
Foto 10: Pyrmont hat Geheimnisse. Foto W-J.Langbein
Foto 11: Plakette am Brodelbrunnen. Foto W-J.Langbein
Fotos 12 und 13: Wasser vom Brunnen der Ottilie (Augenbrunnen). Fotos W-J.Langbein

367 »Ottilie und die ›Drachen‹ von Freiburg«,
Teil  367 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 29.01.2017


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