»Lieber Thilo Sarrazin«, BILD, 02. 09. 2010
Lieber Franz Josef Wagner,
ich weiß nicht, ob Sie diese unsägliche Sendung gesehen haben, die in meine persönliche Erinnerung als das »Beckmann-Tribunal« eingehen wird: Der Angeklagte, Thilo Sarrazin, umringt von Gegnern, die ihn in Grund und Boden schwafelten. Auch der Richter (in diesem Fall: Moderator Beckmann) zeigte eine gewisse Befangenheit, denn er ließ den Angeklagten so gut wie nie einen Gedanken zuende führen.
Das Gespräch, wenn man es denn ein solches nennen will, kam auch auf die Frage nach Sarrazins Aussagen zu der Existenz eines jüdischen Gens. Sarrazin erklärte, die Aussage stamme nicht von ihm, sondern er habe vor nicht langer Zeit einen entsprechenden Artikel aus der Genforschung gelesen. Er kam gerade noch dazu, die Überschrift des betreffenden Beitrags zu nennen, da wurde ihm das Wort schon wieder abgeschnitten. Ich hatte den Titel dennoch mitbekommen und machte mich mit Hilfe von Google auf die Suche nach dem angesprochenen Text. Schnell wurde ich fündig: In der Online-Ausgabe des Tagesspiegels kann er nachgelesen werden. Mit »Alle Juden teilen ein gemeinsames Gen« wollte Sarrazin, in einer etwas ungeschickten Rhetorik, nur eines zum Ausdruck bringen: Dass er diesen Artikel auch gelesen hatte. Vielleicht kennt er auch das Äquivalent aus der Jüdischen Allgemeinen. Diese berichtete am 17.06.2010: »Die Studie stützt die Idee eines jüdischen Volkes mit gemeinsamer genetischer Historie«.
In seinem Buch bringt Sarrazin eine hohe Achtung vor den Leistungen zum Ausdruck, die das jüdische Volk im Laufe der Geschichte erbracht hat. Auf Seite 94 und 95 der mir vorliegenden dritten Ausgabe findet sich eine lange Liste.
»Für die deutschen Herrenmenschen war ein Intelligenztest, bei dem Juden mit 115 abschnitten, deutsche Herrenmenschen dagegen durchschnittlich nur mit 100, inakzeptabel.« Zitat aus »Deutschland schafft sich ab: Wie wir unser Land aufs Spiel setzen« von Thilo Sarrazin, 3. Auflage, Seite 97.
Die Ächtung Thilo Sarrazins, von der Sie, Herr Wagner, sprechen, geschah nicht aufgrund dieser einen ungeschickt formulierten Aussage, die noch dazu sehr leicht richtigzustellen ist. Die Ächtung fand schon ganz am Anfang statt, kurz nach Abdruck der ersten Buchauszüge in BILD. Noch ehe irgendjemand das ganze Buch gelesen hatte, begann die Hetzjagd auf Sarrazin. Dass sich seine Äußerung über das jüdische Gen auf den Artikel des Tagesspiegels bezog, musste unter den Tisch gekehrt werden, denn diese neue Munition gegen ihn war einfach zu gut, als dass man sie aufgrund solch relativierender Kleinigkeiten hätte verschenken dürfen.
Warum aber ist Sarrazin zum »Gegenstand des Abscheus« geworden, wie Sie so theatralisch in Ihrem Beitrag ausführen? – Nun, ganz einfach: Unsere politische Kaste hasst ihn. Nicht für seine Aussagen über Integrationsprobleme. Woher sollten unsere Politiker Integrationsprobleme auch kennen? Sie leben abgeschottet und gepampert in ihrer Welt und träumen vor sich hin. Sie hassen Sarrazin vielmehr für ihr eigenes Versagen, das ihnen von jeder Seite seines Buches entgegengrinst. Würde die Öffentlichkeit beginnen, sich wirklich mit den Aussagen des Buches auseinanderzusetzen, dann würde dies Arbeit für unsere Politiker bedeuten. Und unangenehme Fragen danach, wie es jemals soweit kommen konnte.
Thilo Sarrazin ist nicht mehr und nicht weniger als ein glänzender Analytiker, der für Deutschland das tut, was in jeder gut geführten Firma gang und gäbe ist: Er zieht Bilanz und legt uns einen 464 Seiten langen Saldo des Ist-Zustands vor. Dieser betrifft nicht nur Migranten, sondern auch und gerade die seit vielen Generationen einheimischen Deutschen. Der Versuch, Sarrazin dafür vom Hof zu jagen wie einen räudigen Hund ist etwa gleichbedeutend, als würde man einen Buchhalter für die Fehlentscheidungen seiner Chefs verantwortlich machen und ihm die Schuld für die Pleite der Firma zuschieben wollen.
Herzlichst,
Ursula Prem
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