Freitag, 25. März 2011

Atommoratorium ja oder nein: Rationalität bis ans Ende - Die Freitagskolumne von Ursula Prem

Ursula Prem
Will man die Aussagen eines Kontrahenten entkräften, dann dient das Etikett der Emotionalität oft als Totschlagargument. »Ihr Diskussionsbeitrag entbehrt jeder Rationalität«, schmeißt man dann hohnlächelnd in die Runde, und dank der Tatsache, dass der Verstand heute gewohnheitsmäßig ganz oben rangiert, hat man gute Aussichten darauf, den Gegner mundtot zu sehen. Doch was hat es mit der ach so hoch gelobten Rationalität auf sich, die der Emotionalität angeblich meilenweit überlegen ist?

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle wies kürzlich auf einer Sitzung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) laut Sitzungsprotokoll »erläuternd darauf hin, dass angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen Druck auf der Politik laste und die Entscheidungen daher nicht immer rational seien«. (Quelle: Focus Online)

Ein dicker Hund, nicht wahr? Rainer Brüderle bestätigt damit, was wir alle längst ahnten: Nach den Wahlen soll es weitergehen wie zuvor. Rational heißt in diesem Zusammenhang wohl, dass es als vernünftig gilt, möglichst lange an einer Technik festzuhalten, die unweigerlich große Teile der Erde unbewohnbar machen wird. Schon jetzt ist das Gebiet um Tschernobyl großflächig für etliche tausend Jahre verseucht. Ob nun Tokio folgen wird, das ist noch unklar. Was kommt als nächstes? München?

Brüderles Aussage beinhaltet noch mehr: Sie zeigt uns, dass die Bürger, die laut aktuellen Umfragen Atomenergie mit großer Mehrheit ablehnen, von ihren Politikern für beschränkt gehalten werden. Dummes Wahlvolk halt! Nehmen wir also einige alte Meiler, die wir sowieso hätten abschalten müssen, ein wenig früher vom Netz, der Rest bleibt wie er war. Denn Wachstum und Fortschritt sind allemal wichtiger als das Leben der Menschen.

Wachstum? Fortschritt? Ist es tatsächlich ein Fortschritt, Uropas alte Meiler als das Maß aller Dinge darzustellen, wenn neue Techniken zur Stromerzeugung längst erfunden sind? Ist es wirklich rational, eine Energieform erhalten zu wollen, deren unverzichtbarer Rohstoff: Uran innerhalb der nächsten Jahrzehnte glücklicherweise zur Neige gehen wird? Der zuvor noch weiterhin auf Kosten von Leben und Gesundheit afrikanischer Ureinwohner bis zum letzten Krümel abgebaut werden muss?

Für den schnellstmöglichen Atomausstieg gibt es viele gute Gründe. Ja, auch rationale. Eine höchst alarmierende Auflistung findet sich auf 100-gute-gruende.de.

Rationalität und Emotionalität sind zwei untrennbare Seiten einer Medaille. Überwiegt eine auf Kosten der anderen, dann kommt es zu einer Katastrophe. All die hohen Herrschaften, die sich so viel auf ihre Vernunft einbilden, haben die Erde an den Punkt geführt, an dem sie jetzt steht. Sie spielen mit Leben und Gesundheit der Menschen, ja, mit den Existenzgrundlagen der gesamten Menschheit und Natur. Ihre bis zum Irrsinn entwickelte Rationalität befähigt sie zu höchstem Abstraktionsvermögen, völlig ungetrübt durch Empathie oder über den eigenen Tellerrand hinausreichendes Verantwortungsgefühl. »Hauptsache, wir werden im Jahr 2011 wiedergewählt. Was kümmert uns dann noch die Frage, ob auch künftige Generationen auf dieser Erde werden leben können? Was ist schon eine 100.000 Jahre währende Verseuchung der Umwelt gegen die gefährlichen Umtriebe der Opposition?«

Wir sehen: Rationalität ohne Emotionalität ist ein ebenso sicherer Weg in den Wahnsinn wie umgekehrt. Ein durchweg rationaler Mensch wie Adolf Eichmann war ohne mit der Wimper zu zucken in der Lage, Millionen von Menschen in den Tod zu schicken und dabei nicht einen Millimeter vom vorgeschriebenen Dienstweg abzuweichen. Meiner Meinung nach zeigt das beklemmende Ähnlichkeiten mit den Nuklearpsychotikern heutiger Zeiten, die zwar andere Absichten verfolgen, aber ähnliche Ergebnisse erzielen …



Hier zum Thema weiterlesen:
http://nachrichten.t-online.de/atom-aeusserung-bruederle-erntet-bei-der-opposition-spott-und-hohn/id_45221840/index



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1 Kommentar:

  1. Liebe Ursula, wie so oft sind wir einer Meinung. In meiner Rezension zum Gespräch zwischen Arendt und Fest in Bezug auf Eichmann schreibe ich:"Sie (Hannah Arendt) erkennt während der Prozessbeobachtung, dass Eichmann kein Judenhasser oder ideologischer Fanatiker war, sondern ein "Hanswurst", der unreflektiert in der NS-Vernichtungsmaschinerie funktionierte. Für sie ist klar, dass sich Eichmann gegen die Wirklichkeit abgedichtet hatte, indem er für jede Erfahrung in Klischee oder eine Sprachschablone bereithielt. Für Eichmann war Amtssprache seine einzige Sprache. Arendt erkannte in dessen Unfähigkeit sich zu verbalisieren, seine Unfähigkeit zu denken und zu urteilen. Im Gespräch mit Fest gehen beide der Frage nach, ob sich hier ein neuer Tätertyp zeigt. Eine der Überlegungen ist die, ob eine Kombination aus Wirklichkeitsverweigerung, Erfahrungsverlust, Pflichttreue und Verantwortungslosigkeit ein Paradigma der Moderne abbildet.(vgl.: im Buch Seite 13 ff.)

    Ich denke, dass es sich tatsächlich, wie Arendt vermutet, um ein Paradigma der Moderne handelt, das auf das Hier und Jetzt immer noch anwendbar ist. Politikersprache setzt sich aus Worthülsen zusammen. Nur wenige Poliker erlauben sich zu denken und haben dabei die Zukunft des Volkes im Auge. Im Auge haben sie stattdessen ihr persönliches Fortkommen und die Wählerstimmen, die sie durch unlautere Wahlversprechungen zu erhaschen suchen. Die meisten Politiker sind heutzutage Hanswurste des Großkapitals, dem sie sich unterwerfen und deren Interessen sie zumeist bedingungslos vertreten. Noch im Amt schielen sie auf einen Posten in der Wirtschaft und liebdienern zu diesem Zwecke. Die meisten Bundespolitiker hängen in irgend einer Form an der Nadel der Großindustrie und agieren zielführend, was die eigene Person anbelangt. Nach großen Crashs, wie z.B. Kriegen, massiven wirtschaftlichen Krisen oder jahrzehntelanger Totalunterdrückung finden sich stets ethisch denkende Menschen zusammen und sorgen für positivere Verhältnisse. Leider dauert es meist nicht lange und das Wertedenken wird platt gemacht, weil sich ein bestimmtes Klientel erneut oben drauf hockt und zwar zum Schaden aller. Mir fällt kein Beispiel in der Geschichte ein, das anders verlief. Wir Menschen sind vergesslich, deshalb schwimmt letztlich immer oben, was dort eigentlich nicht hingehört.

    Liebe Grüße

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