Ursula Prem |
Es ist noch gar nicht lange her, als das ganze Land über die Doktorarbeit des damaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg diskutierte. Diese Art des schnöden Abschreibens, ließen universitäre Kreise verlauten, sei durchaus nicht üblich und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein absoluter Ausnahmefall.
Inzwischen ist viel passiert: Plagiatsprüfer bringen die
Suchprogramme zum Glühen und werden immer öfter fündig, aktuell ausgerechnet
bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan. Diese habe
bei ihrer Dissertation mit »vorsätzlicher Täuschung« gearbeitet, befand die
Universität Düsseldorf und entzog Annette Schavan den Doktortitel, wogegen
diese nun klagen will.
Ein Weltuntergang? – Sicher nicht. Meinethalben nicht einmal
ein Rücktrittsgrund. Und trotzdem ist es wichtig, dass solche Vorgänge ans
Licht kommen, und zwar aus folgendem Grund: Zeugnisse und Doktorarbeiten sind
heute (neben psychiatrischen Gutachten) die letzten gesellschaftlich anerkannten
Formen der Apartheid. Nur sehr einfache Gemüter glauben noch, dass universitäre
Bescheinigungen geistiges Titanentum abbilden. Das Gros der Doktorarbeiten
dient, wenn wir ehrlich sind, einem oder mehreren der folgenden Zwecke:
a) der massiven Erhöhung des Einstiegsgehalts
b) der Verdrängung nichtuniversitärer Gegner
(Habilitationsdarwinismus)
c) der Beweislastumkehr (wer den Doktortitel hat, muss der
Menschheit seine Fähigkeiten nie mehr beweisen, da der Titel bereits als
ultimativer Beleg gilt. Vielmehr muss die Gesellschaft ihm seine Fehler
beweisen, was sehr vorteilhaft sein kann, wenn man sich mal vergriffen hat und ohne
Doktortitel der Karriereabsturz drohen würde.)
c) der Balz
Klar: Auch heute noch gibt es Doktoranden mit
wissenschaftlichem Ehrgeiz, die in die Erstellung ihrer Doktorarbeit mehr als
nur ameisenhaften Sammlerfleiß oder den geldlichen Gegenwert für einen
Ghostwriter investieren und eine ehrlich erarbeitete, glänzende Dissertation
hinlegen, die keine Fragen offen lässt. Für solche von ihrer Mission Besessenen
ist die Dissertation kein Selbstzweck, sondern eine logische Folge überragender
Leistungen. Was aber sollen die tun, denen dieser wissenschaftliche Ehrgeiz
nicht eben in die Wiege gelegt ist? Sollen sie sich (bei eventuell
vergleichbarer Leistung) mit dem niedrigeren Einstiegsgehalt zufriedengeben? Werden
sie lebenslang akzeptieren müssen, als zweitklassig eingestuft zu werden, weil
sie nicht in der Lage waren, 458 Seiten zum Thema »Porzellanherstellung in der
Mingdynastie unter besonderer Berücksichtigung politischer Besonderheiten des
16. Jahrhunderts im Lichte des Konfuzianismus« mit eigenem Sinn zu füllen?
Es ist gesellschaftlicher Konsens: Wer sich im Besitz eines
Doktortitels weiß, spielt in einer anderen Liga und gehört künftig zu einer
Kaste, die Anweisungen eher erteilt als entgegennimmt. Was auch immer er in Zukunft zu seinem Fachgebiet verlauten lässt, wird unbesehen als Gesetz gelten
und auch dann keinen Widerspruch aufkommen lassen, wenn es nachts um drei auf
Droge formuliert wurde. Selbst ein zehnfach besseres Argument und sogar der
gesunde Menschenverstand werden sich nicht gegen die Einlassungen eines
habilitierten Doktors durchsetzen, wenn sie nicht ebenfalls von jemandem mit
universitären Weihen stammen.
So gesehen lebt der Inhaber eines Doktortitels sehr gut und
hat bereits am Anfang seiner Berufslaufbahn den Status eines Rentners inne, der
nichts mehr beweisen muss, weil alles schon bewiesen ist. Bei entsprechender
charakterlicher Veranlagung wird ihm die Dissertation künftig zum Dissen seiner
Mitmenschen = Untergebenen dienen, was für manchen frischgebackenen Doktor
möglicherweise der Zweck der Übung gewesen sein mag.
Interessant an der Schummelei mit den Doktorarbeiten ist weniger der eventuell begangene Betrug beim Verfassen der Werke: Bemerkenswert ist vielmehr, mit welcher Wucht wir uns dagegen wehren, den gesellschaftlichen Selbstbetrug zu erkennen, der mit unserer Titelgläubigkeit einhergeht. Wer sich von einem Doktortitel ohne Ansehen der Person seines Trägers beeindrucken lässt, der fährt wohl auch mit 120 km/h ins Hafenbecken, weil sein Navigationssystem es gerade von ihm verlangt. Das permanente Doktordesaster ist so gesehen keine geringere Lektion für uns alle, als für die eigentlichen Träger der Copy-and-Paste-Titel, die wir mit Schimpf und Schande vom Hof jagen.
Ursula Prem hat's exakt und treffsicher auf den Punkt gebracht. Was man vergeblich in den Kolumnen unserer Zeitungen sucht, was man aus dem Munde ach so kompetenter und kritischer Journalisten hören müsste, sollte ... Ursula Prem spricht es aus!Sie benennt und analysiert das eigentliche, das systembedingte Problem!
AntwortenLöschenApropos Copy and paste:
AntwortenLöschenHöheres Einkommen: Doktor-Titel fördert Karriere - n-tv.de
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Feb 23, 2009 – In einigen Bereichen gibt es ohne den Doktortitel allerdings kein berufliches Fortkommen. ... In der Wirtschaft schlägt sich das auch im Gehalt nieder. ... Euro und Diplomkaufleute mit 41.800 Euro rechnen - ohne Titel sind es ...
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Tina Groll
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Oct 16, 2012 – DüsseldorfOhne Doktorarbeit kein Spitzenposten in der deutschen Wirtschaft, ... 25 Prozent mehr Gehalt als Berufseinsteigern ohne Doktortitel – die ... Stärken heraus und halten Sie mit Ihren Schwächen galant hinterm Berg ...