Sonntag, 18. Mai 2014

226 »Das Paradiestor und seine Sphingen Teil 1«

Teil 226 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein

Das »Rote Tor« zum Dom von Paderborn.
Foto: Walter-Jörg Langbein

Von der Bartholomäuskapelle gehe ich durch das »Rote Tor« an der Nordseite des Doms ins Gotteshaus. Vor der blutroten Tür soll früher Gericht gehalten worden sein. So mancher Angeklagte wurde hier, nach grausamer Folter, vor den Richter geschleppt. So manches Todesurteil wurde hier gesprochen. Ich durchquere den Hohen Dom und komme auf der gegenüberliegenden Seite des Kirchenschiffs in eine kleine, eingewölbte Vorhalle. Hier haben sich früher die Pilger eingefunden, die den langen und vor allem gefährlichen Weg nach Santiago de Compostella antreten wollten. Viele von ihnen wurden unterwegs von auf Pilger spezialisierten Banden ausgeraubt, nicht wenige wurden ermordet oder verschleppt und bei weitem nicht alle kamen in Santiago de Compostella im Nordwesten Spaniens an. Auf dem Rückweg blieben wieder Pilger auf der Strecke.

Im Mittelalter war der Drang, zum Grab des Heiligen Jakobus zu pilgern, zeitweise enorm. Das ließ nach, und der »Warteraum für Pilger« wurde anno 1859 deutlich verkleinert, etwa halbiert.

Südseite des Doms, links im Bild: Das Paradiesportal.
Foto Walter-Jörg Langbein

Ich gehe durch den »Vorraum der Pilger« und verlasse den Dom durch das Paradiesportal. Vor mir sehe ich eine kleine Treppe. Sie führt zum höher gelegenen Markt. Oben angekommen, drehe mich um. Vor mir liegt der Dom. Ein Teil der Südseite ist hinter Gerüsten verborgen. Ich bin enttäuscht, denn so bekomme ich die Statuen von König Salomo und der Königin von Saba nicht zu sehen. Wie lang das Gerüst noch stehen wird, kann mir niemand sagen. Jetzt wende ich mich dem Paradiesportal zu.

Zwei weitere Ansichten vom Paradiesportal.
Fotos W-J.Langbein
Das steinerne Portal ist mit zahlreichen Plastiken und mit mysteriösem, gemeißelten Zierrat geschmückt. Vor vielen Jahrhunderten wurden wohl alle Darstellungen von den Menschen, die meist Analphabeten waren, verstanden. Könnte man doch noch heute die steinernen Bildnisse wie ein Buch lesen! Leider geriet aber die Bedeutung manches Reliefs inzwischen in Vergessenheit.

Zwei hohe hölzerne Türen tragen je eine hölzerne Heiligenfigur. Links steht Kilian, rechts Liborius (mit Buch). Die Statuen der beiden Dompatrone wurden im zwölften Jahrhundert geschnitzt. Vor dem Mittelpfosten begrüßt Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm die Besucher des Doms als Himmelskönigin. Ein unbekannter Künstler hat die Figur vermutlich im frühen dreizehnten Jahrhundert erschaffen.

Heilige, die Himmelskönigin, zwei Türen aus Holz...
Foto Walter-Jörg Langbein

Auf den beiden Portalgewänden links und rechts vom Tor haben sich Apostel versammelt. Die steinernen Statuen sind immerhin fast zwei Meter groß. Von den drei Heiligen links können wir nur zwei identifizieren: Jakobus der Ältere (in der Mitte) hat die Jakobs-Muschel an der Brust. Neben ihm, zur Tür hin, steht mit auffällig gelocktem Haar Petrus. Auf der rechten Seite stehen (von links nach rechts): Paulus mit hoher Stirn, der Jüngling neben ihm soll wohl Jesu Lieblingsjünger darstellen. Den dritten Apostel (von links) kennen wir nicht. 

Von links nach rechts:
Julian, unbekannter Apostel, Jakobus, Petrus.
Foto Walter-Jörg Langbein



Ganz rechts außen genießt die Heilige Katharina ihren Triumph. Sie steht stolz in die Ferne blickend auf dem zappelnden Kaiser Maxentius. Auf diese Weise soll Katharinas Überlegenheit deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Die fromme Legende weiß zu berichten, dass sich Katharina im dritten oder vierten Jahrhundert dem Christentum verschrieb. 


Von links nach rechts:
Paulus, Johannes, unbekannter Apostel, Katharina.
 Foto Walter-Jörg Langbein









Als Kaiser Maxentius (nach anderen Überlieferungen Kaiser Maximus, Vater von Maxentius) Christen zum Tod verurteilte, setzte sich Katharina furchtlos für ihre Glaubensgenossen ein. Anstatt von seinen Untertanen Opfer für Götzenbilder zu fordern, könne er doch selbst zum Christentum übertreten. Das scheint dem Kaiser – nach frommer Legende – imponiert zu haben. Er ließ die fünfzig klügsten Wissenschaftler gegen Katharina debattieren, sie zogen alle den Kürzeren und wurden ihrerseits zum Christentum bekehrt. Fasziniert machte der Herrscher Katharina einen verlockenden Vorschlag: Als seine Gattin würde sie zur mächtigsten Frau im Reich werden. Doch Katharina lehnte ab. Weil sie ihrem Glauben hätte ablegen müssen schlug sie das Angebot des Kaisers ab. Der war bitter enttäuscht. Hatte er doch gehofft, mit einer Christin an seiner Seite auch von widerspenstigen Christen anerkannt zu werden.

An den hölzernen Türen: Kilian und Liborius, Patrone.
Foto Walter-Jörg Langbein

Nachdem Worte versagt hatten, wurde Katharina in einen finsteren Turm gesperrt und immer wieder gefoltert. Hunger und Schmerzen sollten sie mürbe machen. Sie blieb aber bei ihrem Glauben. Zwölf Tage und Nächte sollte Katharina, das haben ihre Peiniger beschlossen, ohne Nahrung ausharren. Eine weiße Taube sorgte aber für Speis‘, so dass Katharina bei Kräften blieb. Engel kamen immer wieder ins schreckliche Verließ und behandelten auf wundersame Weise die schlimmen Wunden der standhaften Christin. Christus selbst soll im Kerker erschienen sein, um Katharina auf den Märtyrertod vorzubereiten.

Katharina sollte schließlich gerädert werden. Bei dieser höchst qualvollen Todesart sollten ihr alle Knochen im Leib mit einem schweren Rad gebrochen und schließlich sollte sie zerteilt werden.  Zahlreiche Schaulustige trafen ein, um sich am blutigen Schauspiel zu ergötzen. Aus heiterem Himmel fuhr aber ein Blitz hernieder und rettete Katharina – vorerst. Nach einer anderen Überlieferung kam ein Engel vom Himmel und zerstörte das grausame Folterinstrument. Das tat er – so die fromme Sage – mit solcher Heftigkeit, dass gleich viertausend neugierige Gaffer, die Katharina sterben sehen wollten, selbst getötet wurden. Schließlich wurde Katharina geköpft. Aus der Wunde sprudelte kein Blut, sondern Milch. Ihr geschundener Leib, so heißt es weiter, sei ins Heilige Land geschafft worden, wo er erst 500 Jahre später wieder entdeckt wurde.

Der Dom zu Paderborn auf Notgeld von 1921.
Foto: Walter-Jörg Langbein


Katharina ist eine der beliebtesten Heiligen überhaupt. Und das, obwohl es keinen Beweis dafür gibt, dass sie wirklich gelebt hat. Für den heutigen Zeitgenossen, dem Leidenstheologie nicht einleuchtet, mutet die Märtyrerideologie des Christentums befremdlich an. Wieso müssen gerade die besonders Gläubigen grausamen Todes sterben? Warum wird – zum Beispiel – Katharina zunächst auf wundersame Weise geholfen? Warum bringt ihr eine mysteriöse Taube – der Heilige Geist? – Nahrung, wenn böse Menschen sie hungern lassen wollen? Warum lindern, ja heilen Engel ihre Wunden, wenn ihr doch wieder neue zugefügt werden sollen? Letztlich scheint ihr Schicksal von Anfang an besiegelt zu sein. Warum wird keine der Heiligen durch ein Mirakel das Leben gerettet?

Vom Markt aus betrachtet fällt ein Detail nicht auf, das umso mehr stört, je näher man sich dem Paradiesportal nähert. Dann erkennt man nämlich, dass alle Heiligenfiguren von einem dichten, eng anliegenden Netz bedeckt sind. Sollte es als Schutz gegen Tauben gedacht sein, damit sie sich nicht auf den altehrwürdigen Statuen niederlassen? Wirklich abhalten könnte das Netz Tauben allerdings nicht, sie könnten sich ohne Probleme auf das dicht anliegende Netz setzen. Wirksamer Schutz gegen menschlichen Vandalismus ist das Netz auch nicht. Ist es vielleicht als Teil einer Alarmanlage gedacht, die die kostbaren Statuen vor Entführung durch Diebe schützen soll?

Katharina steht auf dem Kaiser. Foto W-J.Langbein

Fotografiert man mit automatischer Schärfeneinstellung, so ist in der Regel das störende Netz stechend scharf abgelichtet, während die Heiligen leicht verschwommen aussehen. Besonders beim Fotografieren mit Blitzlicht ergibt das wenig erfreuliche Aufnahmen. Dann dominiert das Netz, verdrängt förmlich die Heiligen. Manuelle Schärfeneinstellung ist wegen der oft ungünstigen Lichtverhältnisse kaum möglich. Am besten sieht man die viele Jahrhunderte alten Kunstwerke mit dem Auge, ohne den Umweg Fotografie!

Heilige unter einem dichten Netz.
Foto Walter-Jörg Langbein

Betrachtet man das Paradiestor aber näher, entdeckt man - unterhalb des Netzes - Mysteriöses, Sphingen und missgestaltete Kreaturen, wie sie dem Labor eines verrückten Gentechnikers entsprungen sein könnten ... oder Jahrtausende alten Darstellungen von Mischwesen. Was haben diese Wesen an einem frommen Kirchenportal zu suchen?

» Das Paradiestor und seine Sphingen Teil 2«,
Teil 227 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 25.05.2014


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