Freitag, 28. August 2015

Schulengel Teil 2 – Wo sind eigentlich die Mathematiklehrer?

Freitagskolumne von Ursula Prem

Am vergangenen Freitag  beschäftigte sich meine Kolumne mit dem Geschäftsmodell der Schulengel GmbH, die sich auf die Ausschüttung von als Spenden deklarierter Unterprovisionen an Bildungseinrichtungen beschäftigt. Hierzu werden die Partnerprogramme von insgesamt etwa 1.300 Internetshops zweckentfremdet. Ein eigenes Browser Add-On namens »Shop-Engel« sorgt für das möglichst flächendeckende Einsammeln der Provisionen, sodass teilweise sogar die bereits verdienten Vergütungen reell arbeitender kleiner Websitebetreiber in die Taschen von Schulengel fließen, ohne dass die Geprellten dies im Einzelfall überhaupt bemerken.


schulengel.de:
Aktueller Spendenstand
vom 25. August 2015
Dass leicht zu begeisternde Elternbeiräte und Vereinsvorstände das kuschelige Erlebnis gemeinschaftlichen Flyerverteilens nicht missen möchten, dürfte der wahre Grund für den Erfolg des rasant wachsenden Systems sein, denn die Erträge sehen für die einzelnen Beteiligten eher mau aus: Die durch das System geköderten inzwischen 7.804 Bildungseinrichtungen dürfen sich aktuell über einen durchschnittlichen Gesamtspendenstand von etwa 272 Euro freuen, für deren Vereinnahmung eine Menge Überzeugungsarbeit geleistet worden sein dürfte: Immerhin müssen die Schulen und Vereine dafür sorgen, dass möglichst viele ihrer Mitglieder und Freunde beim Online-Einkauf den Umweg über Schulengel tätigen. Da fragt man sich im Ernst, warum bisher weder Mathematik- noch Informatiklehrer die Diskrepanz zwischen Aufwand und Ertrag bemerkt und ihr Veto eingelegt haben. Ist die Idee angeblich »kostenloser Spenden« zu bestechend, als dass man sich ihrer Faszination entziehen könnte, und das selbst dann, wenn man es von Berufs wegen eigentlich besser wissen müsste? 

Umsatz top und Spenden Flop


Vergleicht man den auf der Startseite von schulengel.de ausgewiesenen Gesamtspendenstand über einen längeren Zeitraum mit der Zahl der jeweils beteiligten Spendenempfänger, so fällt auf, dass der durchschnittliche Ertrag nur sehr langsam steigt, während die Einkünfte von Schulengel selbst rasant anwachsen. So beliefen sich die ausgeschütteten Spendenbeträge am 30. Mai 2012 auf 619.509 Euro, welche sich auf damals 3.480 beteiligte Einrichtungen verteilten. Vor über drei Jahren also betrug der durchschnittlich erzielte Spendenerlös pro beteiligtem Verein 178 Euro. Ein Wert, der ein Jahr später gerade einmal auf 207 Euro (1.058.220 € : 5.098 Bildungseinrichtungen) angewachsen war. Wohlgemerkt: Vereinnahmt im Gesamtzeitraum, nicht etwa pro Jahr!

Für die Schulengel GmbH selbst lohnt sich das amorphe Geschäft aufgrund seiner schieren Masse, verbleiben doch für jede auf diese Weise vereinnahmte Provision 30 % beim Unternehmen (in den oben genannten Zahlen nicht enthalten). Zusatzeinkünfte in unbekannter Höhe verzeichnet Schulengel zudem beim Verkauf von Büchern: Diese Provisionen verbleiben zu 100 % bei den umtriebigen Spendeneintreibern, möglich macht es die Buchpreisbindung.

Würden Mathematiklehrer ihre Textaufgaben der sie umgebenden Wirklichkeit entnehmen, so könnte eine davon lauten:

  1. Zeichnen Sie aufgrund der angegebenen Werte einen Graphen, der den zu erwartenden durchschnittlichen Spendenstand pro Schule/Verein innerhalb der nächsten zehn Jahre abbildet. 
  2. Stellen Sie ihm einen ebenfalls zu fertigenden Graphen gegenüber, der den absehbaren Umsatz der Schulengel GmbH im selben Zeitraum darstellt (jeweils gleichbleibende Entwicklung vorausgesetzt).
  3. Beantworten Sie abschließend die Frage, welche Konsequenzen sinnvollerweise aus dem entstandenen Bild gezogen werden sollten.



Auch ohne die Aufgabe zeichnerisch durchzuführen, ist näherungsweise leicht absehbar, dass Teilaufgabe 1 als praktischer Anwendungsfall einer linearen Funktion ihre Lösung in einer relativ flachen Gerade findet, während Teilaufgabe 2 aufgrund der rasant wachsenden Anzahl teilnehmender Schulen und Vereine einen kühnen exponentiellen Schwung aufweisen wird: An welchem Beispiel könnte man das Wesen der quadratischen Funktion eingängiger darstellen?

Kostenlose Werbeträger


Auf so viel praktisch-mathematische Kreativität wird man an den meisten Schulen wohl vergeblich warten: Teilaufgabe 3 wird unbeantwortet bleiben. Stattdessen hoffen immer mehr Beteiligte darauf, der Effekt fleißigen Flyerverteilens möge der kläglich flachen Gerade den gewissen Drall verleihen. Dass all die wohlmeinenden Flyerverteiler damit hauptsächlich unentlohnt die Umsätze der Schulengel GmbH erhöhen, während sie auf normalem Wege (»Wir bitten Sie um eine kleine Spende für unseren Förderverein!«) bei gleichem Aufwand ungleich höhere Spendenerträge für ihre Einrichtung erzielen könnten, ist ebenso tragisch wie unvermeidlich.

Mit diesem kleinen Beispiel sind die Einsatzmöglichkeiten ambitionierter Mathematiklehrer auf dem Gebiet Schulengel noch längst nicht erschöpft: Am nächsten Freitag beschäftigt sich meine Kolumne mit den Gefahren des spendenwütigen Einkaufens aufgrund der Shop- und Produktempfehlungen bei schulengel.de.

>> Teil 1 Schulengel



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3 Kommentare:

  1. Die Funktion des Add-Ons wäre wohl als "Provisions-Grabbing", bzw. "-Hijacking" zu bezeichnen.

    M.E. fällt das Ganze in die Rubrik unlauterer Wettbewerb. Zivil- und Wettbewerbsrecht ist eine Gebiet, das nur Profi-Juristen einschätzen können. Ansonsten meine ich mich zu erinnern, dass direkte Verkaufsmodelle von Anbietern kombiniert mit Spende für irgendeinen guten Zweck wohl schon öfters mit strafbewehrter Unterlassungsverfügung beendet wurden. (Allerdings darf man da nicht analog schließen, wie es Normalmensch denken würde. Es wird immer der Einzelfall zu beurteilen sein. Und hier ist die Neuerung ja das Schutzgeldikasso.)
    Wenn die Sache juristisch auf den Prüfstand kommt, wird aber die Erpressungsmasche der "Engel" gegen die Shops zur stumpfen Waffe, und damit bröckelt das Ganze.

    Eine Anmerkung zum Thema geistiges Eigentum kann ich mir zum Schluss nicht verkneifen: Man muss das mal selbst gesehen haben, wie in den Lehrerzimmern pausenlos das Papier palettenweise durch den Kopierer rauscht...

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    1. Hallo A.B., schön, Sie wieder zu lesen! :-)

      Ja, eine juristische Überprüfung solcher "Spendenmodelle" ist tatsächlich überfällig. Besonders die verlogene Umdeklarierung glasklarer Provisionen zu "Dankeschön-Prämien" oder "Spenden" verzerrt das Bild enorm. Neben der juristischen Seite finde ich vor allem die kulturelle Frage interessant: Während selbst verdientes Geld heute zunehmend misstrauisch beäugt wird, und sei die Menge noch so bescheiden, weist eine in der großen Spendentrommel weichgespülte Summe ihre Besitzer als zu den "Guten" gehörend aus. In Wirklichkeit aber wird so das Prinzip der Armut befördert, die es dann, wiederum mit Spendenmitteln, zu beseitigen gilt. Es gibt auf diesem Gebiet nur wenige Dinge, die ich würdeloser finde.

      Was die Fotokopierer in den Schulen angeht: Die Papierflut ist ein ständiges Ärgernis. Besonders zum Schuljahresende, wenn Schüler und Eltern die Schlacken des gesamten Jahrs aussortieren und eine halbe Papiermülltonne damit befüllen, tritt diese Unsitte ins Bewusstsein. Gleichzeitig steht es mit den grundlegenden Fähigkeiten der Rechtschreibung immer schlechter: Klar, es wird alles vorgedruckt und vorgekaut, selbst abgeschrieben wird nur noch wenig. Der Komplettausfall sämtlicher Fotokopierer an allen Schulen würde der allgemeinen Bildung unmittelbar aufhelfen, die Kosten senken und auch der zweifelhaften Behandlung mancher Urheberrechte ein Ende setzen.

      Liebe Grüße

      UP

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  2. Siehe da, jetzt klappt's ja wieder mit den Kommentaren. (Mit dem anderen Browser bekam ich immer nach dem Captcha nur einen Code, aber dann nicht das Feld, wo der reinkopiert werden sollte.)

    Dann schicke ich Ihnen, liebe Frau Prem, doch gleich mal nach dieser langen Pause meine herzlichen Grüße.
    A.B.

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