Freitag, 13. Juli 2012

Sündenböcke - die Freitagskolumne von Ursula Prem

Ursula Prem
Mit ein wenig Verdrängung lebt es sich wesentlich leichter, das wissen wir alle. Nicht immer ganz so genau hinzusehen, wenn eine Sache voller Ungereimtheiten steckt, hält den Blutdruck in Schach und sorgt für einen guten Schlaf. Anders würde das Leben wohl auch kaum funktionieren: Würden wir auf Schritt und Tritt jede unserer Handlungen hinterfragen, wären wir schnell am Ende unserer Weisheit. Also pflegen wir bewusst ein paar weiße Flecken auf der atemberaubenden Landkarte der Aufklärung und tun einfach so, als hätten wir nichts bemerkt. Werden solche bewusst-unbewussten Lebenslügen von irgendwelchen Spaßbremsen aufgedeckt, dann tun wir das, was schon das Alte Testament in solchen Fällen empfahl: Wir übertragen unser gesamtes Unwohlsein auf einen Sündenbock.

Natürlich ist es im Jahre 2012 undenkbar, einfach einen Ziegenbock in die Wüste zu jagen, zumal es uns in Mitteleuropa an geeigneten Wüstenflächen gebricht. Also haben wir uns eine neue Strategie gebastelt: Wir verklagen einfach eine geeignete Person oder ein Unternehmen, das vermeintlich an unserer Misere Schuld trägt. In Zeiten der medialen Überflutung wechseln wir die Sündenböcke bereits wie unsere Unterhosen, in Einzelfällen sogar wesentlich öfter: Kaum vergeht ein Tag, an dem nicht eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, sehr zur Erleichterung des Sündenbocks von gestern.


Diesmal trifft es Ehrmann


Sündenbock der Woche dürfte diesmal wohl die Firma Ehrmann sein, die sich einer Klage wegen irreführender Werbung zugunsten ihres Produkts »Monsterbacke« ausgesetzt sieht. »So wichtig wie das tägliche Glas Milch«, warb Ehrmann bisher für »Monsterbacke«, einen Fruchtquark, der neuerdings auch mit bunten Knisterkügelchen oder mit lustiger Zungenfarbe erhältlich ist.

Mal ganz ehrlich: Wir wissen es längst, dass in Fruchtzubereitungen jede Menge Zucker steckt. Und dass die bunten Kügelchen, die so lustig zwischen den Zähnen knirschen, einfach kein natürliches Lebensmittel sein können. Hier kann es keine irreführende Werbung mehr geben, denn wir wissen längst, wo der Hase im Pfeffer liegt. Und wir wissen auch, dass Milch in rauen Mengen für uns als Nahrungsmittel gar nicht »wichtig« sein kann, weil sie auf die Bedürfnisse von Kuhbabys abgestimmt ist. Wir wissen das alles! Doch es passt uns nicht. Deshalb sind wir eigentlich sogar ganz dankbar dafür, wenn euphemistische Werbung uns dabei hilft, diese unguten Fakten zu verdrängen, damit wir unbeschwert genießen können. Eine schöne, grüne Wiese vor romantischem Bergpanorama, im Vordergrund eine verträumte Kuh, ja, es braucht wenig, uns zu überzeugen. Weil wir überzeugt werden wollen! Dabei haben wir immer im Hinterkopf, dass wir die Firma ja verklagen können, falls jemand den Tabubruch begehen sollte, die Ungereimtheiten offen anzusprechen. So bleibt uns eine geniale Legitimation: »Ich wusste von nichts, die Werbung ist schuld.« Hauptsache, das Zeug schmeckt!

Wenn wir die Sache von der anderen Seite her betrachten, dann erkennen wir: Längst arbeitet jede Firma, die am Markt bestehen will, mit solch idealisierender Werbung. Auch vom Marlboro-Mann war uns schließlich klar, dass der nicht wirklich in den Sonnenuntergang reitet, weil die Herz-Lungenmaschine einfach zu schwer ist für sein Pferd. Und dass Johnny Walker wieder geht, wenn der Tag kommt, und nichts als einen beschissenen Kater hinterlässt, musste man uns auch nicht extra sagen.


Werbemärchen ermöglichen uns unbeschwerten Genuss


Ich finde: Wir sollten ehrliche Dankbarkeit entwickeln für Werbung aus dem Märchenland. Sie ermöglicht uns erst den unbeschwerten Genuss und bringt uns nicht in die Verlegenheit, selbstgemixten, ungezuckerten Fruchtpüree löffeln zu müssen, so lange es die bunten Kinsterkügelchen gibt, die so schön »Plopp« im Mund machen. Dafür zahlen wir auch gerne den Preis, als total verblödetes Konsumentenvolk hingestellt zu werden, das einen schützenden Richter braucht, weil es Werbung nicht von Realität unterscheiden kann.



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