Ursula Prem |
Folklore und Brauchtum sind etwas Schönes, wie man nicht nur in Bayern weiß. Traditionen wirken identitätsstiftend, weshalb ein gebürtiger Bayer wohlig durchatmet, wenn er in einer Kneipe irgendwo auf der Welt Zeuge einer »zünftigen« Schlägerei wird. »Jo mei! Dös is ja fast ois wia dahoam!«, wird er konstatieren und sich entspannt zurücklehnen.
Ähnlich mag es hartgesottenen Bayern im Falle Gustl Mollaths
ergehen, der seit fast sieben Jahren gegen seinen Willen in der Forensik
festgehalten wird. Ja, psychiatrische Gutachten nach Aktenlage mit
anschließendem Wegsperren missliebiger Personen, das gibt es im südlichen
Weißwurststaat schließlich schon seit weit mehr als hundert Jahren. So wurde »Märchenkönig«
Ludwig II. von Bayern von vier damals noch »Irrenärzte« genannten Medizinern in
Abwesenheit für »unheilbar seelengestört« erklärt, entmündigt und in Schloss
Berg am Starnberger See unter »Betreuung« gestellt. Sein Aufruf an königstreue
Untertanen lautete:
Ludwig II. von Bayern |
»Der
Prinz Luitpold beabsichtigt, sich ohne meinen Willen zum Regenten meines Landes
zu erheben, und mein bisheriges Ministerium hat durch unwahre Angaben über
meinen Gesundheitszustand mein geliebtes Volk getäuscht und bereitet
hochverräterische Handlungen vor. [...] Ich fordere jeden treuen Bayern auf,
sich um meine treuen Anhänger zu scharen und an der Vereitelung des geplanten
Verrates an König und Vaterland mitzuhelfen.«
(11. Juni 1886, Bamberger Zeitung)
Umstrittene
Diagnose auf Betreiben der Regierung von Bayern
Die Diagnose der Ärzte, die von der bayerischen
Regierung beauftragt worden waren, gilt bis heute als äußerst umstritten.
Anzunehmen ist, dass ihre Entscheidung »nach Aktenlage« von vorneherein
feststand. Klar ist: Ludwig hatte sich als künstlerisch veranlagter
Schöngeist mit nicht vorhandener Kriegsbegeisterung äußerst verdächtig gemacht.
Einer, der viel Geld in die Förderung von Künstlern wie Richard Wagner oder in
den Bau von Schlössern wie Neuschwanstein investierte, statt seine Armee
auszurüsten, schien doch wirklich nicht ganz zurechnungsfähig zu sein.
Das Ende ist bekannt: Die Leichen von Ludwig und seinem
betreuenden »Irrenarzt« Dr. Gudden wurden bereits am 13. Juni 1886 im
Starnberger See gefunden, die näheren Umstände sind bis heute ungeklärt. Der
König wurde nur 41 Jahre alt.
Verrückt oder
genial?
Die Geschichte löst, so lange sie auch her ist, bis
heute wohlig-gruselige Schauer in jedem Bayern aus, der etwas auf sich hält. Wohlig
auch der Geldregen, den Ludwigs Schlösser bis heute in die Kassen unter dem
weiß-blauen Himmel spülen. Ludwigs kühne Bauten haben sich nachträglich als wahrer
Segen für die bayerische Tourismusindustrie erwiesen. Ebenso die Bayreuther
Festspiele, die ohne seine großzügige Förderung nie zustande gekommen wären. Diese
weitsichtigen Investitionen haben weitaus mehr zum Wohlstand des Landes
beigetragen, als ein Kriegszug dies je gekonnt hätte. War Ludwig also verrückt?
Oder doch eher genial?
Gustl Mollath |
Auch Gustl Mollath hätte mit seiner Anzeige bezüglich
umfassender Schwarzgeldverschiebungen zum Wohle Bayerns beigetragen, wenn sie
denn je verfolgt worden wäre. Stattdessen entschloss man sich, der bayerischen Tradition
zu folgen und Gustl Mollath verschwinden zu lassen. Was wollte der sich
schließlich beschweren? Immerhin hatte man ihm das Schicksal eines Königs
zugedacht! Was konnte ein einfacher Bürger mehr verlangen? Und so hat die weiß-blaue Welt wieder ihre Ordnung. Ein paar unwahre
Angaben aus dem Ministerium und schon fühlt man sich so richtig daheim! Ach, Ludwig
selig, was sagst dazua? Hund samma scho, gell?
Der Kommentar kommt zwar etwas spät, ist aber trotzdem aktuell :
AntwortenLöschenDa gibt es Paralellen zu einem anderen König von Bayern :
http://spoekenkiekerei.wordpress.com/2013/04/16/anette-frohlich-und-lola-montez/