»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 03.08.2014
Sandro Boticelli ließ sie anno 1482 in seinem
Gemälde »Der Frühling« tanzen. Für manchen frommen Kirchgänger
verbirgt der offenbar hauchdünne Stoff viel zu wenig von ihren
Reizen. Sehr viel züchtiger sind die Drei in der Pfarrkirche von St.
Tertulin im Kloster von Schlehdorf am Kochelsee dargestellt. In Worms
kann man sie auch besuchen, die drei Heiligen Frauen. Das Steinrelief
von Worms wurde um 1430 nach Christus geschaffen,
majestätisch-würdevoll, von beeindruckender Schönheit, mit Kronen
auf den hübschen Köpfen, mit wallendem Haar, ausgestattet mit Buch
und Palmwedel. Kronen, Bücher und Palmwedel tragen auch die
»Heiligen drei Jungfrauen« von Leutstetten in Oberbayern. Ein
unbekannter Künstler hat sie um 1643 verewigt. Es kommt mir so vor,
als geniere man sich. Jedenfalls hat man das Gemälde in einer
dunklen Ecke des Kirchleins versteckt, anstatt das Kunstwerk aus der
Zeit des »Dreißigjährigen Krieges« ins Zentrum des kleinen
Gotteshauses zu stellen. Gut 1400 Jahre älter sind die drei Grazien,
majestätisch thronend, gemeißelt worden. Der »Matronenstein« aus
Nettersheim in der Eifel lässt erahnen, was von christlicher
Geistlichkeit als problematisch empfunden wird.
Solche »Matronensteine« soll es einst zu
Hunderten, womöglich zu Tausenden gegeben haben. Sie standen in
uralten Gotteshäusern ebenso wie in Villen und armseligen
Behausungen. Die »theologische« Fragen aller Fragen aber lautet:
Welche der drei »Heiligen Frauen« sind heidnische Göttinnen, denen
der rechtgläubige Christ keinerlei Ehrerbietung entgegenbringen
darf? Und welche der drei »Heiligen Frauen« sind altehrwürdige
christliche Heilige, zu denen der rechtgläubige Christ sehr wohl
beten darf.
Heiden wie Christen haben den drei »Heiligen
Frauen« seit vielen Jahrhunderten gehuldigt. Und in christlichen
Kapellen, Kirchen und Domen werden vor ihnen in stiller Andacht
Kerzen entzündet. Heute duldet, ja fördert die Kirche diese Form
der Frömmigkeit. Das war freilich nicht immer so! In Worms
jedenfalls galt es Anfang des elften Jahrhunderts als Sünde, die
drei »Heiligen Frauen« zu verehren oder ihnen gar zu opfern. Damals
war es offensichtlich Brauch, zuhause »zu bestimmten Zeiten des
Jahres« Speis‘ und Trank aufzutischen, damit sich die »drei
Schwestern« daran laben konnten.
Bischof Burchard jedenfalls instruierte damals –
zu Beginn des elften Jahrhunderts nach Christus – die katholische
Geistlichkeit, die Gläubigen bei der Beichte explizit zu fragen, ob
sie denn jenen drei Frauen nach alter Überlieferung Speisen und
Getränke geopfert hätten. Falls ja, wurden drastische Strafen
auferlegt. In meiner fränkischen Heimat soll der »Heilige Eligius«
bereits im siebten Jahrhundert derlei »Göttinnendienst« zu leisten
streng verboten haben. »Der Heilige Eligius war es,«, konstatierte
stolz Prof. Dr. Maurer zu Erlangen im Gespräch mit mir, »der gegen
dieses Heidentum vorgegangen ist. In scharf formulierten Predigten
legte der fromme Theologe dar, dass es sich bei diesen ›drei
Heiligen Frauen‹ natürlich nicht um christliche, sondern
heidnische Gottheiten gehandelt hat! Hinter diesen Gestalten
verbargen sich damals Diana, Minerva und Juno!« Ein schlimmer
Rückfall in böses Heidentum sei es, so der Professor, wenn
heidnische Göttinnen in christlichen Gewändern weiter verehrt und
angebetet würden.
Die drei heiligen Frauen waren dem Bischof ein Dorn im Auge... Fotos: W-J.Langbein u. Archiv Langbein |
Eigentlich wollte der Professor gar nicht über »dieses weiblichen Götzen« sprechen, ließ sich dann aber doch einige Informationen entlocken. Demnach hielt das Volk lange am »Aberglauben« fest und ehrte die drei »Heiligen Frauen« in der Zeit vom 21. Dezember bis zum 6. Januar. Kleine Tische oder Altäre wurden für sie aufgebaut, auf die Speisen und Getränke gestellt wurden. So wollte man die Gunst der Drei gewinnen und hoffte auf ihren Segen. In den Alpen – in Bayern, wie in Österreich – soll der heidnische Brauch besonders intensiv und noch lange gepflegt worden sein.
»Und sehen wir den Tatsachen ins Auge! Dieser
heidnische Zauber hat für viele Katholiken auch heute nicht seinen
Reiz verloren, wenngleich man den Aberglauben im christlichen Gewand
zelebriert! Aber Heidentum bleibt Heidentum!« Rund vier Jahrzehnte
sind seit dem Zornausbruch des werten Professors vergangen. An der
Verehrung der der drei »Heiligen Frauen« hat sich indes nichts
geändert, im Gegenteil. Der Kult der drei Jungfrauen wird, wie mir
scheint, heute im Katholizismus intensiver denn je betrieben. Die
drei »Heiligen Jungfrauen« haben Ehrenplätze, zum Beispiel im Dom
zu Worms und in der Pfarrkirche von St. Tertulin im Kloster von
Schlehdorf am Kochelsee, um zwei markante Beispiele zu nennen!
Idyllisch gelegen... das Kloster von Schlehdorf. Foto: W-J.Langbein |
Weit in die Vergangenheit zurück reicht die
Geschichte der Pfarrkirche von St. Tertulin. Das Gotteshaus von
Schlehdorf, knapp siebzig Kilometer südwestlich von München
gelegen, hat eine sehr bewegte Geschichte. Wir wissen, dass es
bereits im achten Jahrhundert eine Steinkirche im sogenannten
»Scharnitzwald« gab, errichtet von Reginpert. Reginpert schenkte am
29. Juni anno 763 sein beträchtliches Vermögen der katholischen
Kirche, die mit diesen Mitteln ein Kloster errichten konnte. Schon
anno 772 wurde das »Kloster Scharnitz« nach Schlehdorf verlegt. Die
ursprünglichen, also ältesten Klostergebäude lagen damals
allerdings direkt am Ufer des Kochelsees. Anno 772 nahmen
Reginpert und Abt Atto eine lebensgefährliche Reise nach Rom auf
sich. Papst Hadrian I. persönlich überreichte den beiden Pilgern
die Gebeine des Heiligen Tertulin, die die Reise nach Schlehdorf heil
überstanden. Ob die Knochen wirklich echte sterbliche Überreste des
St. Tertulin (auch Tertillinus genannt) sei dahingestellt. Sie wurden
angeblich am zweiten Meilenstein der »Via Latina«, Rom, ausfindig
gemacht. In einem kirchlichen Dokument aus dem Jahr 837 ist vermerkt,
dass die Reliquie in einem Sarg aus Silber aufbewahrt wurde.
Im Jahr 1580 gab es auf dem »Kirchbichl« eine
Kapelle, die den »Heiligen drei Jungfrauen« geweiht war. Sie musste
wegen Baufälligkeit abgerissen werden. Ein neues Gotteshaus wurde
errichtet, zur besonderen Verehrung der Heiligen Einbetha
(alternativ: Einbeth), der Heiligen Wolbetha (alternativ: Wolbeth)
und der Heiligen Vielbetha (alternativ Vilbeth). Auch dieses Haus
Gottes musste einem neueren sakralen Bauwerk, der Pfarrkirche,
weichen. Dort werden heute noch Einbetha, Wolbetha und Vielbetha
verehrt. Es lässt sich nicht mehr feststellen, wann sich zum ersten
Mal Pilger aus nah und fern zu dieser heiligen weiblichen Trinität
aufmachten. Vererht wurde sie vom 12. Jahrhundert an. Einer
handschriftlichen Quelle kann entnommen werden, dass es anno 1348
eine Wallfahrt zu den drei »Heiligen Frauen« gab.
Wer würde in diesem Kloster Hinweise auf drei Göttinnen vermuten? |
Auf dem »Kirchbichl« zu Schlehdorf genießen auch
heute die »Heiligen drei Jungfrauen« höchstes Ansehen. Sie heißen
Einbetha, Wolbetha und Vielbetha. Im Dom zu Worms findet man die
»drei Jungfrauen« auf einem Steinrelief, das auch ihre Namen trägt:
»Embede«, »Willebede« und »Warbede«. Es ist das gleiche heilige
Dreigespann, das nur regional bedingt unterschiedliche Namen trägt.
In der Marienkirche von Auw an der Kyll bei Trier wird die heilige
weibliche Trinität als Irmina, Adela und Klottildia verehrt. In
Frauweiler, westlich von Köln, begegnen uns in der Pfarre Auenheim
die drei Jungfrauen Einbett, Warbett und Willbett. Sie zieren in
trauter Dreifaltigkeit einen schönen Nebenaltar, wo ihnen heute noch
Kerzen »geopfert« werden.
In der Region um Wormbach wurde inbrünstig zu
Ambede, Worbede und Wilbede gebetet. In der Kapelle von Wetschewell
war einst eine heidnische weibliche Trinität hoch verehrt. Als
Fides, Spes und Caritas waren sie für die christliche Obrigkeit
akzeptabel. Aus heidnischen Göttinnen wurden christliche Matronen
und Heilige. Was im Katholizismus auch heute noch einen sicheren,
festen Platz hat, ist nichts anderes als eine Verehrung uralten
heidnischen Glaubens an eine weibliche Trinität, bestehend aus drei
Göttinnen!
Die 3 Frauen vom Worms. Foto Langbein |
Der alte Volksglaube ist stark und lässt sich von
der Theologie nur schwer beeinflussen, auch dann, wenn drakonische
Strafen zum Einsatz kamen. Schließlich wurde die Verehrung der drei
einstigen Göttinnen im christlichen Gewand offiziell geduldet. Aus
heidnischen Göttinnen wurden christliche Heilige, deren formschöne
Statuen auch heute noch in christlichen Kirchen zu bewundern sind. Es
ist geradezu erschütternd, wie wenig in unserer Zeit im vom
Christentum geprägten Europa über die Glaubensinhalte des
Christentums bekannt ist. Die Bedeutung von Weihnachten ist – noch
– einer Mehrheit bekannt, die Bedeutung von Ostern und Pfingsten
gerät mehr und mehr in Vergessenheit. Und doch hat bis heute die
Erinnerung an die Jahrtausende alte vorchristliche dreigestaltige
Göttin überdauert. (3)
Es lohnt sich, die große Zeit-Reise anzutreten, beginnend mit der Himmelskönigin des heutigen Katholizismus. Verfolgen wir ihre Spur in die Vergangenheit. So werden wir zum Beispiel von Jungfrau Maria zur Himmelskönigin Nut im Reich der Pharaonen gelangen. Wie die Himmelskönigin Maria war auch Himmelskönigin Nut eine Jungfrau. Nut war die Göttin des Anfangs und des ewigen Kreislaufs des Lebens. Ihr ursprünglicher Name war Beth. Viele der christlichen weiblichen Trinität führen das Beth im Namen. Die heutigen christlichen »drei Bethen« finden sich nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Heutige Theologen wollen allerdings nichts von dieser weiblichen Dreifaltigkeit wissen, lassen nur die schwer verständliche männliche Trinität (bestehend aus Gottvater, Sohn und Heiligem Geist) gelten.
Die drei Göttinnen von Worms. Foto W-J.Langbein |
Wer aber die drei Göttinnen sucht, findet sie nicht nur im Dom zu Worms, sondern auch im Antiken Griechenland. Barbara Walker weist in Ihrem Lexikon »Das geheime Wissen der Frauen« darauf hin, dass die Mutter der griechischen Götter eine Trinität war, bestehend aus »der Jungfrau Hebe, der Mutter Hera und der Greisin Hekate«. Selbst im fernen, alten Mexiko entdeckte ich – auch Barbara Walker erwähnt diesen Sachverhalt (5) – eine weibliche Göttinnen-Triade. Die Mutter des Erlösergottes Quetzalcoatl war jungfräulich, wie die Mutter des christlichen Erlösers. Und sie war, so Walker, »eine von drei göttlichen Schwestern«.
1) Kaminski, Heinz: Sternenstraßen der Vorzeit/ Von Stonehenge nach Atlantis,
München 1995, S. 159
2) ebenda
3) Kutter, Erni: Der Kult der drei Jungfrauen, München 1997
4) Walker, Barbara: Das geheime Wissen der Frauen, Frankfurt 1993, S. 1105
5) ebenda
Literaturempfehlungen
Zur vertiefenden Lektüre zur interessanten wie brisanten Thematik der weiblichen Dreifaltigkeit empfehle ich folgende Werke:
Derungs, Kurt und Früh, Sigrid: Der Kult der drei heiligen Frauen/ Mythen,
Märchen und Orte der Heilkraft, 2., wesentlich erweiterte Auflage, Grenchen
bei Solothurn, 2008
Frankenberg, Gisela von: Deutsch – Herkunft und Sinn eines Begriffs, Bonn
1986
(Berchta als Jul- oder Jahrkuchen, S,180, ein Körper mit drei weiblichen
Köpfen! Wie Urschalling!)
Göttner-Abendroth, Heide: Mythologische Landschaft Deutschland, Bern
1999
(Identität und Symbolik der Drei Jungfrauen, S. 217/218
Die Verehrungsgeschichte der Drei Heiligen Jungfrauen, S.218-223
Die Drei Jungfrauen in den Sagen und Brauchtum, S.223-229
Jungfräulichkeit als Wesensmerkmal der drei Bethen S. 229-S. 235)
Hauf, Monika: Die Templer und die große Göttin, Düsseldorf 2000
(Das Dreigestirn: Jungfrau Maria, die Heilige Maria Magdalena und
Katharina von Alexandria, S. 54f.)
Kaminski, Heinz: Sternenstraßen der Vorzeit/ Von Stonehenge nach Atlantis,
München 1995
(Siehe in Mutter-, Jungfrauen- und Matronen-Gottheiten sowie ihre
Verehrung in vor- und frühchristlicher Zeit im niederrheinischen
Siedlungsraum S. 153-169... S. 160-162 drei Matronen, drei Jungfrauen usw.)
Kutter, Erni: Der Kult der drei Jungfrauen, München 1997
Rohrecker, Georg: Die Kelten Österreichs, Wien 2003
(Bethen, drei, S. 53)
Schipflinger, Thomas: Sophia-Maria/ Eine ganzheitliche Vision der
Schöpfung, Schalksmühle, Neuauflage 2007 (Titelbild Dreifaltigkeit von
Urschalling, weiblicher Heiliger Geist)
Wodtke-Werner, Verena: Der Heilige Geist als weibliche Gestalt im
christlichen Altertum und Mittelalter, Pfaffenweiler 1994
»Das Pferd mit vier Köpfen und drei Göttinnen«,
Teil 238 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 10.08.2014
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