Teil 239 der Serie
»Monstermauern, Mumien und
Mysterien«
von Walter-Jörg
Langbein,
erscheint am 17.08.2014
Die drei heiligen Jungfrauen vom Dom zu
Worms stammen aus einem Kloster »Maria Magdalena«. Warum hat man
sie in die Nikolauskapelle des Doms geschafft? »Wer aber waren die
Drei Bethen, die in der Taufkapelle des Doms noch heute in Stein
gehauen zu sehen sind?«, fragt Franjo Terhart (1). Dass die drei
Bethen sehr gut in das große »Gotteshaus« passen, liegt auf der
Hand. Wurde doch die Stadt Worms nach einer der drei holden Wesen
benannt. Franjo Terhart bestätigt (2): »Schließlich verdankt die
Stadt einer von ihnen, nämlich der Borbeth ihren Namen. (Aus
Borbetomagus wurde über Wormazfelt schließlich der heutige
Stadtname.)« Zur Erinnerung: »Borbetomagus« bedeutet »Stadt oder
Ort der Borbet«.
Mindestens genauso interessant wie die
Heilige Borbeth ist ihre Gefährtin »Wilbeth«. Dieser in unseren
Ohren ungewohnt klingende Name geht auf das englische Wort »wheel«,
auf das Rad zurück. Alljährlich wird noch heute in Lügde ein alter
heidnischer Brauch zelebriert, der allerdings leider immer mehr als
Attraktion eines lärmenden Rummels Touristen anlocken soll. Die in
Lügde zu Tal rollenden brennenden Feuerräder symbolisieren den
Mond. Das »wheel« im Namen Wilbeth« weist darauf hin, dass die
»christliche« Wilbeth ursprünglich eine heidnische Mondgöttin
war!
Die Heilige Borbeth. Foto Langbein |
Die drei Bethen, so legt Richard Fester
überzeugend dar (3), waren einst Göttinnen, Sinnbilder des ewigen
Lebens und der Wiedergeburt. Für den Heidelberger Forscher Hans C.
Schöll, Verfasser des wichtigen Werkes »Die Drei Ewigen« (4),
waren Ambeth, Wilbeth und Borbeth Muttergöttinnen, die Erde, Mond
und Sonne verkörperten. Die weibliche Dreifaltigkeit aus
»heidnischen« Zeiten finden im Christentum ihre Entsprechung in den
»drei Bethen«.
Besonders interessant: »Wilbeth«, die einstige Mondgöttin! Richard Fester (5): »Wilbeth ist also eine göttliche Mondmutter, die in die Zeiten steinzeitlichen Mütterglaubens und Mütterrechts zurückreicht und zurückweist. Ihre Stelle im christlichen Kult übernahm oftmals die ›Muttergottes auf der Mondsichel‹, ein Motiv, das sich schon im alten Kreta, 3 000 Jahre zuvor, findet.« Deshalb steht die Muttergottes im Dom zu Paderborn fast verschämt auf der Mondsichel, deshalb findet sich zu Füßen der Maria von Guadalupe die Mondsichel: weil Maria in die Rolle der »heidnischen« Muttergöttin geschlüpft ist!
Im Sommer 2014 erlebte ich, wie fromme Pilgerinnen gedankenverloren im Gebet versunken den »drei Bethen« huldigten. Ob vielen der Gottesdienstbesucher bei den Andachten in der Nikolauskapelle vor den »drei Bethen« bewusst ist, wie lange schon die Drei verehrt und angebetet wurden? Wenn Theologie eine wirklich wichtige Aufgabe hat, dann diese: Sie muss die Wurzeln der eigenen religiösen Überzeugungen erkunden. Leider gibt es für fanatische Anhänger unterschiedlichster Religionen nur den eigenen, den angeblich wahren Glauben. Bevor dieser jeweils einzig anerkannte Glaube – von Religionsgründern und Propheten – verkündet wurde, darf es keine wahre Religion gegeben haben. Wir haben nur eine echte Chance, zum Frieden aller über die Grenzen der Religionen hinaus zu kommen: Die Erkenntnis, dass alle Religionen sehr viel ältere gemeinsame Wurzeln haben!
Die Heilige Wilbeth. Foto Langbein |
Es beeindruckt mich zutiefst, wie vielen Muttergöttinnen ich auf meinen Reisen begegnet bin – von Malta bis Mexiko, von Perus Pachamama bis zu Paderborns Maria. Offensichtlich gibt es uralte religiöse Bilder, die seit Jahrtausenden leben. Es ist tragisch, dass es zu Religionskriegen kam, bei denen gemetzelt und gemordet wurde. Es ist kein Zeichen menschlichen Mitgefühls, wie viel Leid verursacht wurde und wird, weil für Fanatiker nur der eigene Glaube gilt, der »fremde« Glaube bekämpft wird!
Wilbeth,
die göttliche Mondmutter, führt uns weit zurück in die
Vergangenheit… und sie ist im Katholizismus heute noch präsent:
Aus der Wilbeth wurde die Fir’pet, die der gläubige Katholik heute
noch als »Fürbitterin« kennt. Die »Fürbitterin« hat heute einen
festeren Glauben im religiösen Brauchtum als in der vermeintlich
wissenschaftlichen Theologie, nämlich als Maria. Es sind aber nicht
in erster Linie theologische Dispute, die an theologischen
Hochschulen ausgefochten werden, die den hilfesuchenden Menschen im
Glauben Rückhalt geben. Das mehr oder minder intellektuelle
Gedankengut wissenschaftlicher Theologie wird vom gläubigen Volk so
gut wie überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und sicher kaum
verstanden.
Man mag zum
Volksglauben stehen wie man will, viele Menschen in Not finden in den
Gotteshäusern Trost, und das allen Skandalen zum Trotz. Schon vor
Jahrtausenden spendete die Muttergöttin Isis im Reich der Pharaonen
Trost. Darstellungen von Göttin Isis, die sie mit ihrem Sohn Horus
zeigen, erinnern in verblüffender Weise an Himmelsgöttin Maria mit
ihrem Sohn Jesus. Isis und Horus wurden von griechischen und
römischen Künstlern noch zu christlichen Zeiten verewigt.
Christliche Künstler wurden zu Darstellungen von Himmelsgöttin
Maria mit dem Jesusknaben inspiriert. Würde ein Isis-Gläubiger
heute eine christliche Kirche betreten, er würde in den zahlreichen
Gemälden und figürlichen Darstellungen von Maria »seine« Isis und
in Jesus »seinen« Horus erkennen und – nach seiner Art – beten.
Wenn aber
Gläubige aus dem »Alten Ägypten« und Christen unserer Tage in
Ehrfurcht vor Isis/ Maria verstummen könnten, sollte es dann nicht
auch möglich sein, dass heute Menschen muslimischen und Menschen
christlichen oder jüdischen Glaubens in wirklichem Frieden
miteinander leben? Die Frage ist nur, ob das wirklich erwünscht ist!
So wie
heute Millionen von Christen nach Lourdes pilgern, um zu Maria zu
beten, in der Hoffnung, von Krankheit geheilt zu werden, so mag einst
die mysteriöse Steinzeitinsel Malta so etwas wie ein Pilgerort
gewesen sein. Unzählige Tempel aus gigantischen Steinmonstern
finden sich da auf engstem Raum. Wahrhaftige Monstermauern trotzen
seit Jahrtausenden der Zeit, sie würden auch King Kong mühelos
Paroli bieten können. Auf Malta wurden vor vier bis sechs
Jahrtausenden 22 riesige Tempel gebaut. Bis zu zwanzig Tonnen wiegen
die gewaltigen Kalksteinquader, die damals scheinbar mühelos bewegt
und aufeinander getürmt werden konnten. Tief unter der Erde wurde
die »schlafende Dame« verehrt und angebetet. Lockte die
Steinzeit-Maria vor Jahrtausenden Pilger aus ganz Europa an, so wie
das heute noch die Himmelskönigin Maria tut?
Auf meinen
Reisen durch die Welt zu den großen Rätseln unseres Planeten
begegneten mir immer wieder bewegende Zeugnisse des Glaubens an
Heilige Mütter. So stieg ich voller Erwartung von Bad Tölz
auf den »Kalvarienberg«. Fromme Pilger reisen aus aller Welt an, um
den Kalvarienberg von Bad Tölz zu besteigen, wobei sie die
verschiedenen Stationen von Jesu Leidensweg abschreiten, die
kunstvoll dargestellt wurden. Diese Form der Frömmigkeit ist mir,
ich gebe es zu, fremd. Mich lockte auch nicht in erster Linie der
herrliche Blick ins Isartal, sondern die »Krone von Tölz«. 1718
ließ der Zollbeamte Friedrich Nockher sieben Wegkapellen errichten,
dann die »Heilige Stiege«. 1735 entstand der »Golgathahügel«,
gefolgt von der »Kreuzigungsgruppe« und der »Heiligen Stiege«.
Die »Heilige Treppe« stand erst im Freien, wurde dann aber mit
einem Gotteshaus überbaut.
Im zweiten Raum des heutigen
Gotteshauses steht der Besucher vor einer breiten Holztreppe. Rechts
und links davon führen steinerne Treppen nach oben. Die mittlere
Treppe, so informiert uns eine Schrifttafel, wurde »nach dem Muster
der wahren heiligen Stiege zu Rom hier errichtet und durch Einlegung
mehrerer heiliger Reliquien eingeweiht«. Deshalb soll die »Heilige
Stiege« nur »von den Schriftgläubigen ... nur kniend hinaufgebetet
werden.« Die seitlichen Treppen sind für profanere Besuche
bestimmt.
Auch in Bad
Tölz soll unser Augenmerk auf die himmlischen Gefilde gelenkt
werden. Und seit Jahrzehnten folgt die christliche Theologie, so wie
sie in den Kirchen gepredigt wird, mehr und mehr dem Volksglauben. So
wird nach und nach aus Maria, der Mutter Jesu eine mächtige
Himmelskönigin. Der Weg von der im »Neuen Testament« eher
unscheinbaren Randfigur Maria zur »Himmelskönigin« ist weit,
länger und steiler als die »Heilige Stiege« auf dem Kalvarienberg.
In der Kalvarienbergkirche findet sich so manche Maria als
Himmelskönigin, wie in jedem katholischen Gotteshaus. Doch steht im
krassen Gegensatz zur hohen, ja heiligen Frau Maria die Frau als böse
gegenüber.
Besonders
deutlich zeigt dies das Portalbild der Nikolauskapelle. In der Mitte
steht riesenhaft der »Heilige Nikolaus«. Was genau dargestellt
wird, ist umstritten. Zur Linken des Nikolaus sind drei Menschen vom
Tod bedroht. Der Henker hat schon sein Schwert aus der Scheide
gezogen und setzt zum tödlichen Hieb an. Der »Heilige Nikolaus« –
mit Bischofsstab – rettet die Bedrohten. Steht er drei zu Unrecht
zum Tode Verurteilten bei? Auf der anderen Seite erkennen wir ein
Boot auf dem Meere. Mehrere Pilger sitzen im kleinen Schiffchen. Über
ihnen schwebt der Teufel, der einen mächtigen Pfahl in das Boot
rammt. Eine »Nikolaus-Legende« weiß zu berichten, dass einst
fromme Pilger vom Teufel bedroht wurden. Er wollte ihr Schiffchen
versenken.
Eine andere
Version der Legende besagt, dass der Teufel die frommen Pilger vom
rechten Weg abbringen wollte, indem er sie bat, ein kostbares
Geschenk am Ziel ihrer Reise abzulegen. Wieder wissen wir heute nicht
mehr genau, was die kunstvolle Steinschnitzerei genau darstellen
soll. Unübersehbar aber sind die weiblichen Attribute des Teufels.
Der Teufel am Dom zu Worms wird ganz eindeutig als Frau dargestellt.
Das ist die unüberbrückbare Diskrepanz: Die Frau als Heilige
(Maria) einerseits…. und die Frau als Teufelin andererseits.
Fußnoten
1) Terhart, Franjo: »Magische
Bretagne«, Dortmund 2006, S. 220, rechte Spalte, Zeilen 5 bis 8 von
unten
2) ebenda, rechte Spalte, Zeilen 1 bis
5 von unten
3) Fester, Richard: »Die Steinzeit
liegt vor deiner Tür/ Ausflüge in die Vergangenheit«, München
1981, siehe Kapitel »Die Muttergöttin unserer Ahnen«, Seiten
173-189
4) Jena 1936
5) Fester, Richard: »Die Steinzeit
liegt vor deiner Tür/ Ausflüge in die Vergangenheit«, München
1981, S. 186
»Der Drache, die Schöpfung und die Göttin«,
Teil 240 der Serie
»Monstermauern, Mumien und
Mysterien«
von Walter-Jörg
Langbein,
erscheint am 24.08.2014
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