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Sonntag, 15. Januar 2017

365 »Feuerberg und Heiliger Quell‘«

Teil  365 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Der »Bullerborn« heute

Von der Stadt der einst heiligen Quellen Paderborn zum »Feuerberg« Bad Pyrmont: Mitte des 14. Jahrhunderts erwähnte Mönch Heinrich von Herford in einer Handschrift eher beiläufig: »Im Herzogtum Westfalen in der Grafschaft Pyrmont bei opidu Lude (Stadt Lügde) in der Diözese Paderborn ist ein Ort des Überflusses mit einer Quelle, der Bullerborn genannt.« Besonders beeindruckt zeigt sich der Kirchenmann ob der Lebhaftigkeit der Quelle. Er schreibt dass sich Bullerborn ständig mit »heftigem Sprudeln und Aufbrausen« bemerkbar mache.

Anno 1597 erschien in Lemgo ein Werk von Johannes Feuerberg alias Johannes Pyrmontano über die »Heilige Quelle« von Bad Pyrmont, betitelt »Fons Sacra, Beschreibung des wunderbaren und Weltberühmten Heil-Brunnens / Gelegen in der Herrschaft Pyrmont«. Pyrmontano konstatiert, dass damals der Pyrmonter Brunnen schon mehr als 200 Jahre in »Beruff«, also in Verwendung, gewesen sei. Namentlich nennt er »Margaretha, Geborene zur Lippe«, Ehefrau von Graf Johann des Älteren zu Riedberg, die anno 1502 das Wasser aus der Heiligen Quelle ob seiner heilsamen Wirkung geschätzt und genutzt habe. Im 16. Jahrhundert galten die Quellen von Pyrmont schon lange nicht mehr nur als Geheimtipp. Aus ganz Europa kamen Zehntausende in der Hoffnung auf heilsame Wirkung des Quellwassers von Bad Pyrmont.

Foto 2: Einst hat man die Stimme des »Bullerborns« weit gehört

Eine ganz besonders wirksame Quelle soll einst im Raum Lügde/Bad Pyrmont aus schattigem Waldboden an die Oberfläche gekommen sein. Ein Mann, so wird in einer alten Sage berichtet, verirrte sich zu nächtlicher Stunde und fand zufällig (2) »auf einer Waldlichtung ein kleines Quellchen, das silbern im Mondschein glänzte«. Erschöpft, wohl auch verzweifelt, so heißt es weiter (3) »beugte er sich darüber und schlürfte das köstliche Wasser. Daraufhin durchzog ihn ein merkwürdiges Gefühl und eine seltsame Frische beschwingte sein Herz.«

Foto 3: Bad Pyrmont gegern Ende des 17. Jahrhunderts

Das »Quellchen« war, wie der Mann erstaunt feststellte, ein Jungbrunnen. Seine eigene Frau erschrak ob des nunmehr wieder jugendlichen Aussehens ihres Gatten und ließ sich genau berichten, was geschehen war. Bald darauf machte sie sich nach der Wegbeschreibung ihres Mannes auf den Weg, fand die Quelle und tat zu viel des Guten. Sie nahm zu viel von dem Wunderwasser zu sich und (4) »wurde wieder zu einem kleinen Mädchen«. Moral von der Geschicht‘: Trink zu viel vom Jungbrunnen nicht!

Foto 4: Die Bombergallee führt zum »Heiligen Quell'«

Die Vorstellung vom Jungbunnen ist uralt. In alter deutscher Sagenwelt gibt es die Vorstellung vom »Berg, auf dem der Himmelsvater seit Jahrtausenden thront«, aus dem ein Jungbrunnen sprudelt (5). Mit Angst vor dem Alter allein ist die Vorstellung vom Jungbrunnen meiner Meinung nach nicht zu erklären, auch nicht mit der Sehnsucht nach langer, womöglich ewiger Jugend. Nach der vielleicht ältesten Glaubensvorstellung überhaupt gibt es einen ewigen Kreislauf von Geburt, Leben und Tod. Auf den Tod folgt die Wiedergeburt und ein neuer Zyklus beginnt. Was stirbt, fährt in die Unterwelt hinab und kommt neugeboren wieder zurück. Das aus Mutter Erde sprudelnde Wasser ist somit ein Symbol für Wiedergeburt des Lebens überhaupt, nicht nur der Natur, die dank des Wasser im Frühjahr nach dem Winter zu neuem Leben erwacht. Weist die Sage vom Jungbrunnen im Raum Lügde/ Pyrmont auf einen matriarchalen Kult um eine heute vergessene Göttin hin? Gibt es auch in Bad Pyrmont christliche »Mythologie«, die auf heidnisches Brauchtum zurückzuführen ist?

Ein Tipp: Sie suchen die heidnischen Ursprünge christlicher Mythologie? Sie wollen herausfinden, wer und was sich hinter Heiligen verbirgt? Dann stellen Sie doch einmal fest, an welchen Tagen die Heiligen gefeiert werden. Sieben Heilquellen bietet Bad Pyrmont. Im Zentrum der Kurstadt befindet sich der Brunnenplatz mit dem »Hylligen Born«, dem »Brodelbrunnen« und dem »Augenbrunnen«.

Foto 5: Die Heilige Ottilie
Beginnen wir unseren kleinen Spaziergang beim »Augenbrunnen«. Auf einer Säule steht da ein Bildnis der Heiligen Odilie (Ottilie). Ottilie (Odilie), die Schutzheilige für das Augenlicht, hat ihren Gedenktag am 13. Dezember. Am 13. Dezember wird auch der Heiligen Lucia gedacht. Lucia bedeutet im Lateinischen die Leuchtende. Am 13. Dezember wird vor allem in Dänemark, Norwegen und in Finnland spezielles Brauchtum zelebriert.

Das Luciafest ist ein auf ein Heiligenfest zurückzuführender Brauch, der vor allem in Schweden sowie und dänischen Südschleswigern verbreitet ist. Das Fest fällt auf den 13. Dezember, den Gedenktag der heiligen Lucia. Warum? Bevor der Gregorianischen Kalenders in Schweden anno 1752 eingeführt wurde, war der 13. Dezember für ein Jahrhundert der kürzeste Tag des Jahres. 

Am 13. Dezember wurde also »Sonnwend‘« gefeiert. Die Wintersonnenwende – Alban Arthuan bei den Kelten – war ein wahrlich markanter Einschnitt im religiösen Leben. Auf den Tod der Natur im Winter folgte ihre Wiedergeburt zur Wintersonnenwende. In der Nacht der Wintersonnenwende bringt die Göttin im finst’ren Leib der Erde das Sonnenkind – wieder – zur Welt.

Das Leben wird neu geboren, die Dunkelheit wird gebannt. Dieses Wiederaufleben der Sonne und des Lichtes wurde schon im Heidentum zelebriert, zum Beispiel im Mithraskult. Es ist kein Zufall, dass wir zeitnah zur Wintersonnenwende (21.12.) am 24. 12. die Geburt des Jesuskinds feiern. Einen Vorläufer unseres christlichen Weihnachtsfestes gab es schon in Ägypten. Im 5. Jahrhundert schildert Herodot das »große Fest« eines mysteriösen Geheimkults um Isis und Osiris. Es geht um den Opfertod des Osiris (Foto 6, Mitte), der zunächst vehement betrauert wird. Dann aber, so viel ist bekannt, kam große Freude auf, weil der geopferte Gott wieder auferstehen würde. Es geht, so verrät der griechische Philosoph Plutarch (* um 45 in Chaironeia; † um 125), um das Weltall, das immer wieder und aufs Neue geboren wird, also um den ewigen Kreislauf des Lebens, im Kleinen wie im Großen. Isis ist in dieser Mythologie die Gebärmutter des Universums.

Foto 6: Horus, Osiris und Isis

Das Leben, diese Theorie vertrat der schwedische Physiker und Nobelpreisträger Svante Arrhenius (1859-1927) bereits vor mehr als 80 Jahren, sei »ewig«. Damit erübrige sich die Frage nach seinem Ursprung. Selbstverständlich, so der Wissenschaftler, (6)»habe auch eine Kreislinie irgendwo einen Anfang, doch sobald sie geschlossen sei, stelle sich die Frage nach ihrem Anfang nicht mehr. Sie ließe sich nicht mehr beantworten. Hinter den Anfang müsse man eine Art von ›Schöpfung‹ stellen oder das, was die Religionen als ›Gott‹ bezeichnen.« Nobelpreisträger Arrhenius war ein wirklich sehr vielseitiger Wissenschaftler, dessen Bandbreite staunen lässt. So setzte er sich forschend mit so unterschiedlichen Gebieten wie der physikalischer Chemie, der Geophysik, aber auch der Meteorologie, der Physiologie und der Kosmologie auseinander.

Foto 7: Blick in die Kuppel vom »Heiligen Quell'«, Bad Pyrmont

Das Bild vom Leben als ein Kreis ohne erkennbaren Anfang und somit auch ohne Ende erinnert mich an den wohl ältesten Glaubenssatz überhaupt, nämlich dass es einen ewigen Kreislauf von Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt gibt. Seit Jahren bin ich damit beschäftigt, diese Weltsicht zu erforschen. Wenn ich hinter Heiligen unseres christlichen Kulturkreises Göttinnen und Götter aus sehr viel älteren Kulturkreisen vermute, so geschieht dies nicht aus Respektlosigkeit gegenüber dem christlichen Glauben. Ich suche vielmehr nach den tieferen Wurzeln unserer Glaubensbilder in grauer Vorzeit.


Foto 8: Der Hyllige Born (Heiliger Quell') Bad Pyrmonts

Lucia und Odilie werden beide am 13. Dezember gefeiert. Hinter dem vordergründig Christlichen verbirgt sich ein uralter Glaubenskult um Tod und Wiedergeburt des Lebens, um das neuerliche Erstarken der Sonne, die dem Leben wieder neue Kraft schenkt. Heide Göttner-Abendroth schreibt (7): »Diese matriarchalen Muster haben sich außerordentlich lang erhalten, so dass die Missionare sich gezwungen sahen, sie in direkter Umkehrung noch in die christliche Mythologie aufzunehmen.« Alte heidnische Feier-Termine wurden christlich besetzt. So wurde aus dem Tag der Wintersonnenwende der Gedenktag der Lucia, der »Leuchtenden«. Und um den alten Jubeltag noch mehr zu überdecken, ernannte man den 13.12. auch noch zum Tag der Odilie (Ottilie).

Foto 9: Die Heilige Ottilie vom Augenbrunnen

Fußnoten

1) »Lippische Landeszeitung«, Artikel vom 27.05.1971. Siehe auch Willeke, Manfred: »Lügde Sagen-Sammlung«, Lügde 1988, S. 110 und 11, »Der wunderbare Jungbrunnen«.
2) Willeke, Manfred: »Lügde Sagen-Sammlung«, Lügde 1988, S. 110 und 111, »Der wunderbare Jungbrunnen«, Zitat S. 110, Zeilen 3-5 von oben
3) ebenda, Zeilen 5-8 von oben
4) ebenda, Zeilen 5 und 4 von unten
5) Siehe hierzu Bächtold-Stäubli, Hanns: »Handwörterbuch des deutschen
     Aberglaubens«, Band 1, Neuauflage Berlin und New York 1987, S. 1054,
     rechte Spalte, Stichwort »Weltberg und Himmelsstütze«
6) Zitiert nach Däniken, Erich von: »Botschaften aus dem Jahr 2118/ Neue
     Erinnerungen an die Zukunft«, Rottenburg, Oktober 2016, Seite 97, Zeilen 6-
    11 von oben. eBookausgabe: Pos. 1093
7) Göttner-Abendroth, Heide: »Berggöttinnen der Alpen/ Matriarchale
     Landschaftsmythologie in vier Alpenländern«, Edition Raetia, 1 Auflage: 21.
     April 2016,eBook-Ausgabe, Pos. 2701

Foto 10: Moosbewachsen - das Haupt der Pyrmonter Ottilie

Zu den Fotos


Foto 11: Der Hyllige Born
Foto 1: Der »Bullerborn« heute. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Einst hat man die Stimme des »Bullerborns« weit gehört. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Bad Pyrmont gegern Ende des 17. Jahrhunderts. Archiv Langbein.
Foto 4: Die Bombergallee führt zum »Heiligen Quell'«. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Die Heilige Ottilie. Darstellung um 1500. Foto: wikimedia commons public domain
Foto 6: Horus, Osiris und Isis. Foto wikimedia commons/ Guillaume Blanchard
Foto 7: Blick in die Kuppel vom »Heiligen Quell'«, Bad Pyrmont. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Der Hyllige Born (Heiliger Quell') Bad Pyrmonts. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Die Heilige Otilie vom Augenbrunnen. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Moosbewachsen - das Haupt der Pyrmonter Ottilie. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Der Hyllige Born. Foto Walter-Jörg Langbein

366 »Ein Ganesha und die Herrin vom See«,
Teil  366 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein, 

erscheint am 22.01.2016

 

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Sonntag, 16. November 2014

252 »Ein Panoptikum des Schreckens – in der Kirche«

Teil 252 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Das Münster zu Hameln birgt manches Geheimnis.
Foto W-J.Langbein

Einst gab es ein Kloster in der »Rattenfängerstadt« Hameln. Die Klosterkirche fand Eingang in das Wappen der Stadt. Einst war die Klosterkirche eine romanische Basilika. Anno 1209 brach ein Feuer aus, das Gotteshaus wandelte sich zur gotischen Hallenkirche. 1450 wurde die Westvorhalle zum Turm aufgestockt. Anno 1564 wurde das Innere der Kirche umgestaltet, alles Bunte wurde weiß übertüncht, die alten Wandmalereien verschwanden.

Ende des 18. Jahrhunderts drohte der Einsturz. Der Besuch der Kirche wurde für Gemeinde und Geistlichkeit zu gefährlich. Die einstige Klosterkirche, das Münster zu Hameln, verfiel langsam. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts nutzten Napoleons Truppen den bedrohlichen Bau als Stall und Materiallager.

Die Münsterkirche drohte einzustürzen. Foto W-J.Langbein

1870 bis 1875 wurden massive Renovierungsarbeiten durchgeführt, Mitte der 1950er Jahre kam es zu massiven Sanierungsarbeiten. Die Münsterkirche war gerettet. In der Krypta gruben Archäologen und entdeckten Skelette. Die Gebeine der Stiftsherrn wurden umgebettet und fanden auf dem städtischen Friedhof ihre – vorerst? – letzte Ruhestätte. Ein Hamelner »Medium« teilte mir Ende August 2014 zu nächtlicher Stunde mit, es geben einen »Fluch« der Stiftsherrn. 

Die vornehmen Toten seien mehr als nur erbost über die Störung ihres Totenschlafs. »Sie wurden unter der Klosterkirche in der Krypta bestattet. Dort wollten sie am ›Jüngsten Tag‹ wieder auferstehen und am ersten Gottesdienst nach der Apokalypse im mächtigen Hamelner Gotteshaus teilnehmen.«, teilte mir das »Medium« mit. »Einige der Totengeister versuchen seither…«, so das Medium weiter, »in die Krypta zurückzukehren.« Mit der Umwandlung der Krypta in einen weiteren Raum für Gottesdienste seien die Geister der Stiftsherrn gar nicht einverstanden.«

Mir ist indes kein Hinweis auf Spukerscheinungen in der Krypta bekannt. Ganz im Gegenteil! Die Krypta ist ein besinnlicher Ort und lädt zum Verweilen ein. Pilger wie »normale« Gottesdienstbesucher schätzen die Stille in der Hektik der Stadt. So mancher Gläubige verweilt hier unter der Münsterkirche in stillem Gebet.

Mysteriöse Gestalt am Münster. Fotos W-J.Langbein

Bei meinem Besuch Anfang August 2014 umrundete ich die Münsterkirche, wie immer mit zwei Fotoapparaten  ausgerüstet. Ein kleines Stück Straße an der Kirche ist kürzlich geteert worden, die Pflastersteine sind verschwunden. Die Aufregung ob dieses Eingriffs in das historische Bild war zunächst recht groß, legte sich aber rasch. Beim modernen »Kriegerdenkmal« an der Kirche entdeckte ich eine steinerne Figur an der Außenwand des Gotteshauses. Die Statuette hat schon sehr arg unter dem nagenden Zahn der Zeit gelitten. Sie wirkt uralt, so verwachsen sind die Konturen der steinernen Figur. Trotz intensivster Recherche konnte ich nicht in Erfahrung bringen, wen dieses sakrale Kunstwerk darstellen soll. Auch die Geistlichkeit konnte meine Fragen nicht beantworten.

Die mysteriöse Gestalt mit seltsam unnatürlich großem Kopf ist Teil eines steinernen Pfeilers, der sehr viel älter das das Mauerwerk dahinter zu sein scheint. Sollte es sich um eine Mariengestalt handeln, deren Kopf eine mächtige Krone zierte, die im Lauf der Jahrhunderte von den Witterungseinflüssen weitestgehend wieder zum Verschwinden gebracht wurde? Oder handelt es sich um eine weibliche Heilige aus dem Kloster? Überdauerte nur sie die Zeit, während die Klostergebäude längst verschwunden sind (von der Klosterkirche selbst abgesehen)? Besonders in den frühen Zeiten der Reformation ging’s manchmal recht heftig zu. Heiligenbilder wurden aus den katholischen Gotteshäusern verbannt, manchmal zerstört, herrliche Wandmalereien wurden bewusst beschädigt, zerstört oder nur mit einer dicken Schicht Tünche überzogen. Die Figur wirkt fremdartig, fast unheimlich. Im Kirchenführer wird sie nicht erwähnt. Von Besuchern, die meist sowieso gleich den Eingang auf der anderen Seite benützen, wird sie faktisch nie beachtet.

Die Mondmadonna. Foto W-J.Langbein

Sie könnte – ich spekuliere – einst auch eine Isis gewesen sein, eine ägyptische Göttin der Geburt, des Todes und der Wiedergeburt. An eine Isis erinnert auch in verblüffender Weise das »Madonnenrelief« an der Ostwand des nordöstlichen Seitenschiffs. Was wir als Maria mit Jesusknaben sehen, hätte ein Ägypter vor Jahrtausenden als Göttin Isis mit dem Horusknaben identifiziert. 

Die Göttin Isis wurde spätestens von den Griechen mit dem Mond gleichgesetzt. Auch Maria wird häufig mit dem Mond in Verbindung gebracht. Auf zahllosen Darstellungen steht sie auf der Mondsichel. Die Mond-Madonna von Hameln, im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts entstanden, hat einen Vollmond unter den Füßen. In der Johannes-Apokalypse taucht eine ähnliche Gestalt auf (1):

»Und es erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.« Sollte die ägyptische Isis, Göttin von Tod und Leben, Vorbild für das apokalyptische Weib (Theologensprache) gewesen sein? Spiegelt sich in der Mond-Madonna von Hameln die ägyptische Isis wieder?

Heute beeindruckt uns die farbliche Schlichtheit der Mond-Madonna. Einst aber, das beweisen eindeutig winzige Farbreste, war das Relief sehr bunt, ja grell. Die Madonna, ihre Krone, die Engel mit ihren Musikinstrumenten und der Mond unter den Füßen der himmlischen Gestalt strahlten vor allem in Gold. Ein kleiner Teil des Madonnenreliefs wurde farblich rekonstruiert. Im Original ähnelte es also ägyptischer Sakralkunst in einstiger Farbenpracht noch mehr als heute.

Einst war die Mondmadonna sehr bunt. Foto W-J.Langbein

Was wohl die meisten Besucher der Münsterkirche heute übersehen, das sind kunstvoll gearbeitete Miniaturen aus Stein. Entstanden sind die mysteriösen Kunstwerke vermutlich in der Amtszeit des Propstes Friedrich Graf von Everstein (verstorben 1261). Sie werden für gewöhnlich in die Zeit um 1220 oder 1230 n.Chr. datiert. Die bemerkenswerten teils reliefartigen, teils plastisch vorragenden Darstellungen befinden sich in gut zehn Metern Höhe, meist im Halbdunkel. Da und dort sind zwar kleine Scheinwerfer angebracht, die freilich bei allen meinen Besuchen ausgeschaltet waren. 

Der Mond unter den Füßen der Madonna. Foto W-J.Langbein

Ich habe Besucher des Münsters zu Hameln erlebt, denen wenige Minuten Besuchszeit genügten. Sie hasteten durch die Hochzeitstür ins Innere des Gotteshauses, zückten die Digicams und knipsten. Schon strebten sie wieder dem Ausgang zu. Andere wiederum nahmen sich mehr Zeit, nahmen sogar die Mond-Madonna ins Visier und hasteten in die Krypta. Ihnen allen entging die mysteriöse Welt hoch oben über ihren Köpfen. Mit wechselndem Licht verändern sich die Einzelbilder im Panoptikum aus Stein, Licht und Schatten. Es empfiehlt sich, ausreichend Zeit – Stunden, nicht Minuten – aufzubringen, um in diese fremdartige Welt einzutauchen, die man so gar nicht in einem christlichen Gotteshaus erwarten würde.

Da tauchen menschliche Gesichter auf, aber auch Fratzen. Da erscheinen pflanzliche, wuchernde Gebilde, die sich  bei aufmerksamer Beobachtung in Gesichter zu verwandeln schein.. von Fabelwesen, Monstern, Tieren oder Menschen. Die Darstellungen zu erfassen wird dadurch erschwert, dass sie sehr häufig über Eck hoch oben an den Pfeilern angebracht sind. Man muss sich – nicht zu Zeiten von Gottesdiensten natürlich – in der Halle des Münsters hin und her bewegen, bis man einen Punkt  erreicht hat, von dem man aus eine der erschrecken Bildnisse im Ganzen sehen kann.

Zwei Langhalswesen im Münster. Foto W-J.Langbein

Da gibt es zum Beispiel zwei Vierfüßler, ausgestattet mit mächtigen Pranken. Die beiden Kolosse sind einander zugewandt, sie kämpfen offenbar miteinander. Ihre unnatürlich langen Hälse sind ineinander verschlungen. Die Tiere befinden sich offenbar in einem Kampf auf Leben und Tod. Spontan muss ich beim Anblick dieser drachenartigen Wesen an Saurier der Art Brachiosaurus denken. Vierundzwanzig Meter lang und 80 Tonnen schwer wurden diese Urtiere. Oder an zwei Exemplare des pflanzenfressenden Diplodocus, 27 Meter lang und elf Tonnen schwer. Brachiosaurus und Diplodocus hatten ausgeprägte, lange Hälse und ebenso lange Schwänze. Sollte es sich bei den Langhalswesen vom Hamelner Münster also um Saurier handeln? Diplodocus wie Brachiosaurus lebten aber in der späten Kreidezeit, also vor rund 70 Millionen Jahren. Wie sollten dann die Künstler, die die Langhalswesen im Münster zu Hameln in den Stein meißelten, gewusst haben, wie solche Urwesen ausgesehen haben? Über das Aussehen von Sauriern war im frühen dreizehnten Jahrhundert in Deutschland nichts bekannt.

Langhalswesen auf der »Narmer-Platte«. Foto Archiv Langbein

Es wird noch mysteriöser! In Ägypten entstand um 3000 v.Chr. die sogenannte »Narmer-Platte«. Sie zeigt zwei Langhalswesen mit verschlungenen Hälsen. Die beiden Kreaturen müssen sehr groß gewesen sein. Zwei Männer halten sie gefangen. Zwei Saurier, in der Hand von Menschen… das wäre ein Paradoxon erster Güte. Die »Narmer-Platte« besteht aus glatt poliertem Schiefer. Sie misst etwa 64 Zentimeter. Sie befindet sich im »Ägyptischen Museum« zu Kairo.

Aus der gleichen Zeit – 3000 v.Chr. – stammt ein Rollsiegel aus Uruk in Form eines kleinen Zylinders. Rollte man diesen Zylinder über feuchten Ton, entstand das Bild einer Reihe von »Schlangendrachen«  oder »Schlangehalsdrachen«. Diese monströsen Wesen gleichen denen aus Ägypten wie jenen aus dem Münster zu Hameln!

Schlangendrachen.
Foto: Wikimedia Commons/  Marie Lan Nguyen 

Es ist verrückt! Sollten die Steinmetze von Hameln entsprechende Darstellungen von Langhalssauriern in Ägypten oder im einstigen Sumer (heute Südirak) gesehen haben? Stammten die Steinmetze gar aus jenen so fernen Regionen? Und wie konnten Künstler vor rund fünf Jahrtausenden gewusst haben, wie Saurier ausgesehen haben, die vor Zigmillionen Jahren ausgestorben sind?

Fußnoten


1) Apokalypse des Johannes, auch Offenbarung des Johannes genannt, Kapitel 12, Vers 1
2) Siehe auch… Langbein, Walter-Jörg: »Bevor die Sintflut kam«, München 1996

»Noch mehr Saurier«
Teil 253 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 23.11.2014
 



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Sonntag, 17. August 2014

239 »Drei Heilige Frauen und eine Teufelin!«

Teil 239 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                        
erscheint am 17.08.2014

Die drei Heiligen Bethen. Foto Langbein
Die drei heiligen Jungfrauen vom Dom zu Worms stammen aus einem Kloster »Maria Magdalena«. Warum hat man sie in die Nikolauskapelle des Doms geschafft? »Wer aber waren die Drei Bethen, die in der Taufkapelle des Doms noch heute in Stein gehauen zu sehen sind?«, fragt Franjo Terhart (1). Dass die drei Bethen sehr gut in das große »Gotteshaus« passen, liegt auf der Hand. Wurde doch die Stadt Worms nach einer der drei holden Wesen benannt. Franjo Terhart bestätigt (2): »Schließlich verdankt die Stadt einer von ihnen, nämlich der Borbeth ihren Namen. (Aus Borbetomagus wurde über Wormazfelt schließlich der heutige Stadtname.)« Zur Erinnerung: »Borbetomagus« bedeutet »Stadt oder Ort der Borbet«.

Mindestens genauso interessant wie die Heilige Borbeth ist ihre Gefährtin »Wilbeth«. Dieser in unseren Ohren ungewohnt klingende Name geht auf das englische Wort »wheel«, auf das Rad zurück. Alljährlich wird noch heute in Lügde ein alter heidnischer Brauch zelebriert, der allerdings leider immer mehr als Attraktion eines lärmenden Rummels Touristen anlocken soll. Die in Lügde zu Tal rollenden brennenden Feuerräder symbolisieren den Mond. Das »wheel« im Namen Wilbeth« weist darauf hin, dass die »christliche« Wilbeth ursprünglich eine heidnische Mondgöttin war!

Die Heilige Borbeth. Foto Langbein

Die drei Bethen, so legt Richard Fester überzeugend dar (3), waren einst Göttinnen, Sinnbilder des ewigen Lebens und der Wiedergeburt. Für den Heidelberger Forscher Hans C. Schöll, Verfasser des wichtigen Werkes »Die Drei Ewigen« (4), waren Ambeth, Wilbeth und Borbeth Muttergöttinnen, die Erde, Mond und Sonne verkörperten. Die weibliche Dreifaltigkeit aus »heidnischen« Zeiten finden im Christentum ihre Entsprechung in den »drei Bethen«.

Besonders interessant: »Wilbeth«, die einstige Mondgöttin! Richard Fester (5): »Wilbeth ist also eine göttliche Mondmutter, die in die Zeiten steinzeitlichen Mütterglaubens und Mütterrechts zurückreicht und zurückweist. Ihre Stelle im christlichen Kult übernahm oftmals die ›Muttergottes auf der Mondsichel‹, ein Motiv, das sich schon im alten Kreta, 3 000 Jahre zuvor, findet.« Deshalb steht die Muttergottes im Dom zu Paderborn fast verschämt auf der Mondsichel, deshalb findet sich zu Füßen der Maria von Guadalupe die Mondsichel: weil Maria in die Rolle der »heidnischen« Muttergöttin geschlüpft ist!

Im Sommer 2014 erlebte ich, wie fromme Pilgerinnen gedankenverloren im Gebet versunken den »drei Bethen« huldigten. Ob vielen der Gottesdienstbesucher bei den Andachten in der Nikolauskapelle vor den »drei Bethen« bewusst ist, wie lange schon die Drei verehrt und angebetet wurden? Wenn Theologie eine wirklich wichtige Aufgabe hat, dann diese: Sie muss die Wurzeln der eigenen religiösen Überzeugungen erkunden. Leider gibt es für fanatische Anhänger unterschiedlichster Religionen nur den eigenen, den angeblich wahren Glauben. Bevor dieser jeweils einzig anerkannte Glaube – von Religionsgründern und Propheten – verkündet wurde, darf es keine wahre Religion gegeben haben. Wir haben nur eine echte Chance, zum Frieden aller über die Grenzen der Religionen hinaus zu kommen: Die Erkenntnis, dass alle Religionen sehr viel ältere gemeinsame Wurzeln haben!

Die Heilige Wilbeth. Foto Langbein

Es beeindruckt mich zutiefst, wie vielen Muttergöttinnen ich auf meinen Reisen begegnet bin – von Malta bis Mexiko, von Perus Pachamama bis zu Paderborns Maria. Offensichtlich gibt es uralte religiöse Bilder, die seit Jahrtausenden leben. Es ist tragisch, dass es zu Religionskriegen kam, bei denen gemetzelt und gemordet wurde. Es ist kein Zeichen menschlichen Mitgefühls, wie viel Leid verursacht wurde und wird, weil für Fanatiker nur der eigene Glaube gilt, der »fremde« Glaube bekämpft wird!

Wilbeth, die göttliche Mondmutter, führt uns weit zurück in die Vergangenheit… und sie ist im Katholizismus heute noch präsent: Aus der Wilbeth wurde die Fir’pet, die der gläubige Katholik heute noch als »Fürbitterin« kennt. Die »Fürbitterin« hat heute einen festeren Glauben im religiösen Brauchtum als in der vermeintlich wissenschaftlichen Theologie, nämlich als Maria. Es sind aber nicht in erster Linie theologische Dispute, die an theologischen Hochschulen ausgefochten werden, die den hilfesuchenden Menschen im Glauben Rückhalt geben. Das mehr oder minder intellektuelle Gedankengut wissenschaftlicher Theologie wird vom gläubigen Volk so gut wie überhaupt nicht zur Kenntnis genommen und sicher kaum verstanden.

Im Zentrum: Isis oder Maria?
Mit Horus oder Jesus. Foto Langbein

Man mag zum Volksglauben stehen wie man will, viele Menschen in Not finden in den Gotteshäusern Trost, und das allen Skandalen zum Trotz. Schon vor Jahrtausenden spendete die Muttergöttin Isis im Reich der Pharaonen Trost. Darstellungen von Göttin Isis, die sie mit ihrem Sohn Horus zeigen, erinnern in verblüffender Weise an Himmelsgöttin Maria mit ihrem Sohn Jesus. Isis und Horus wurden von griechischen und römischen Künstlern noch zu christlichen Zeiten verewigt. Christliche Künstler wurden zu Darstellungen von Himmelsgöttin Maria mit dem Jesusknaben inspiriert. Würde ein Isis-Gläubiger heute eine christliche Kirche betreten, er würde in den zahlreichen Gemälden und figürlichen Darstellungen von Maria »seine« Isis und in Jesus »seinen« Horus erkennen und – nach seiner Art – beten.

Wenn aber Gläubige aus dem »Alten Ägypten« und Christen unserer Tage in Ehrfurcht vor Isis/ Maria verstummen könnten, sollte es dann nicht auch möglich sein, dass heute Menschen muslimischen und Menschen christlichen oder jüdischen Glaubens in wirklichem Frieden miteinander leben? Die Frage ist nur, ob das wirklich erwünscht ist!

So wie heute Millionen von Christen nach Lourdes pilgern, um zu Maria zu beten, in der Hoffnung, von Krankheit geheilt zu werden, so mag einst die mysteriöse Steinzeitinsel Malta so etwas wie ein Pilgerort gewesen sein. Unzählige Tempel aus gigantischen Steinmonstern  finden sich da auf engstem Raum. Wahrhaftige Monstermauern trotzen seit Jahrtausenden der Zeit, sie würden auch King Kong mühelos Paroli bieten können. Auf Malta wurden vor vier bis sechs Jahrtausenden 22 riesige Tempel gebaut. Bis zu zwanzig Tonnen wiegen die gewaltigen Kalksteinquader, die damals scheinbar mühelos bewegt und aufeinander getürmt werden konnten. Tief unter der Erde wurde die »schlafende Dame« verehrt und angebetet. Lockte die Steinzeit-Maria vor Jahrtausenden Pilger aus ganz Europa an, so wie das heute noch die Himmelskönigin Maria tut?

Die Kreuzkirche auf dem Kalvarienberg. Foto Langbein

Auf meinen Reisen durch die Welt zu den großen Rätseln unseres Planeten begegneten mir immer wieder bewegende Zeugnisse des Glaubens an Heilige Mütter. So stieg ich voller Erwartung von Bad Tölz auf den »Kalvarienberg«. Fromme Pilger reisen aus aller Welt an, um den Kalvarienberg von Bad Tölz zu besteigen, wobei sie die verschiedenen Stationen von Jesu Leidensweg abschreiten, die kunstvoll dargestellt wurden. Diese Form der Frömmigkeit ist mir, ich gebe es zu, fremd. Mich lockte auch nicht in erster Linie der herrliche Blick ins Isartal, sondern die »Krone von Tölz«. 1718 ließ der Zollbeamte Friedrich Nockher sieben Wegkapellen errichten, dann die »Heilige Stiege«. 1735 entstand der »Golgathahügel«, gefolgt von der »Kreuzigungsgruppe« und der »Heiligen Stiege«. Die »Heilige Treppe« stand erst im Freien, wurde dann aber mit einem Gotteshaus überbaut.
 
Im zweiten Raum des heutigen Gotteshauses steht der Besucher vor einer breiten Holztreppe. Rechts und links davon führen steinerne Treppen nach oben. Die mittlere Treppe, so informiert uns eine Schrifttafel, wurde »nach dem Muster der wahren heiligen Stiege zu Rom hier errichtet und durch Einlegung mehrerer heiliger Reliquien eingeweiht«. Deshalb soll die »Heilige Stiege« nur »von den Schriftgläubigen ... nur kniend hinaufgebetet werden.« Die seitlichen Treppen sind für profanere Besuche bestimmt.

Die Heilige Stiege. Foto Walter-Jörg Langbein

Auch in Bad Tölz soll unser Augenmerk auf die himmlischen Gefilde gelenkt werden. Und seit Jahrzehnten folgt die christliche Theologie, so wie sie in den Kirchen gepredigt wird, mehr und mehr dem Volksglauben. So wird nach und nach aus Maria, der Mutter Jesu eine mächtige Himmelskönigin. Der Weg von der im »Neuen Testament« eher unscheinbaren Randfigur Maria zur »Himmelskönigin« ist weit, länger und steiler als die »Heilige Stiege« auf dem Kalvarienberg. In der Kalvarienbergkirche findet sich so manche Maria als Himmelskönigin, wie in jedem katholischen Gotteshaus. Doch steht im krassen Gegensatz zur hohen, ja heiligen Frau Maria die Frau als böse gegenüber.

Nikolaus im Portal. Foto Walter-Jörg Langbein

Besonders  deutlich zeigt dies das Portalbild der Nikolauskapelle. In der Mitte steht riesenhaft der »Heilige Nikolaus«. Was genau dargestellt wird, ist umstritten. Zur Linken des Nikolaus sind drei Menschen vom Tod bedroht. Der Henker hat schon sein Schwert aus der Scheide gezogen und setzt zum tödlichen Hieb an. Der »Heilige Nikolaus« –  mit Bischofsstab – rettet die Bedrohten. Steht er drei zu Unrecht zum Tode Verurteilten bei? Auf der anderen Seite erkennen wir ein Boot auf dem Meere. Mehrere Pilger sitzen im kleinen Schiffchen. Über ihnen schwebt der Teufel, der einen mächtigen Pfahl in das Boot rammt. Eine »Nikolaus-Legende« weiß zu  berichten, dass einst fromme Pilger vom Teufel bedroht wurden. Er wollte ihr Schiffchen versenken.

Eine andere Version der Legende besagt, dass der Teufel die frommen Pilger vom rechten Weg abbringen wollte, indem er sie bat, ein kostbares Geschenk am Ziel ihrer Reise abzulegen. Wieder wissen wir heute nicht mehr genau, was die kunstvolle Steinschnitzerei genau darstellen soll. Unübersehbar aber sind die weiblichen Attribute des Teufels. Der Teufel am Dom zu Worms wird ganz eindeutig als Frau dargestellt. Das ist die unüberbrückbare Diskrepanz: Die Frau als Heilige (Maria) einerseits…. und die Frau als Teufelin andererseits.

Die Teufelin vom Nikolaus. Foto Walter-Jörg Langbein



Fußnoten

1) Terhart, Franjo: »Magische Bretagne«, Dortmund 2006, S. 220, rechte Spalte, Zeilen 5 bis 8 von unten
2) ebenda, rechte Spalte, Zeilen 1 bis 5 von unten
3) Fester, Richard: »Die Steinzeit liegt vor deiner Tür/ Ausflüge in die Vergangenheit«, München 1981, siehe Kapitel »Die Muttergöttin unserer Ahnen«, Seiten 173-189
4) Jena 1936
5) Fester, Richard: »Die Steinzeit liegt vor deiner Tür/ Ausflüge in die Vergangenheit«, München 1981, S. 186

»Der Drache, die Schöpfung und die Göttin«,
Teil 240 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                        
erscheint am 24.08.2014


Sonntag, 27. November 2011

97 »Muttergöttin und Sonnengott«

Teil 97 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Hoch über den geheimen Kellern von Dendera gibt es ein sakrales Gebäude. Es diente einer Göttin als Liebesnest. Hier paarten sich die Muttergöttin und der Sonnengott. Pikantes »Sakrileg«: in der Mysterienwelt des Tarot wurde aus dem Stellvertreter des Sonnengottes ... der Papst. Was für Christen unzüchtiger Sakral-Sex war ... sollte das Rad des Lebens immer wieder weiter und weiter bewegen.

Im Westen des »Opfersaals« steige ich eine steinerne Treppe empor. An den Wänden sehe ich eine Vielzahl jahrtausendealter Gravuren. Dargestellt sind der König und Priester. Sie vollführen einen Ritus aus uralten Zeiten. Sie haben sich zu einer Prozession formiert und begleiten nun die Göttin nach oben, auf das Tempeldach. Mit feierlichem Ernst wurden Statuen der Göttin Hathor in einen »Kiosk« auf dem Dach getragen.

Diese in der Archäologie gebräuchliche Bezeichnung ist leicht missverständlich. Gemeint ist kein »Kiosk« im heutigen säkularisierten Sinn, sondern ein sakrales Gebäude. Gelegentlich wird von »Kapelle« gesprochen, was wiederum falsch verstanden werden kann. Auf dem Tempel der Göttin Hathor stand ein weiterer, kleiner Tempel.

Turm zu Babel
Der Tempel auf dem Tempel taucht entstellt im »Alten Testament« auf: Im biblischen Babylon lesen wir nur von einem riesigen Turm. Pieter Bruegel der Ältere malte 1563 das vielleicht berühmteste Bild dieses ersten Wolkenkratzers. Bruegels Gemälde zierte das Cover der tschechischen Ausgabe meines Buches »Die großen Rätsel der letzten 2500 Jahre«. Bruegel machte das gigantische Bauwerk noch imposanter als es in Wirklichkeit war. Und den Tempel oben auf der Spitze des Turms ließ er weg. Bei ihm befindet sich das monumentale Denkmal noch im Bau, das oberste Stockwerk ist noch nicht abgeschlossen.

Die Bibelstory im Telegrammstil: Dem biblischen Gott Jahwe war dieses Bauwerk ein Gräuel. Er zerstörte es. Wir wissen heute, dass es nicht nur einen »Turm zu Babel« gegeben hat, sondern viele. Die Menschen, so das »Alte Testament«, bauen einen Turm bis an den Himmel.

Gott ärgert sich, die Menschen werden ihm zu mächtig (2): »Siehe, es ist einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns. Nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können.« Das aber duldet Gott nicht. Er fährt vom Himmel herab und zerstört den Turm. Gott bringt Uneinigkeit in die Menschheit. Haben sich zuvor alle Menschen in einer Sprache verständigt, so verstehen sie sich nun nicht mehr. Die Bibel legt eine falsche Fährte (3): »Daher heißt ihr Name Babel, weil der Herr daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder.«

Babel-Komplex in der Rekonstruktion
Der biblische Text behauptet, dass der Name der Stadt »Babel« auf das hebräische Wort »balal« - zu Deutsch »verwirren« zurückgeht. Diese Erklärung ist falsch. Warum sollte man in Babylon eine Stadt nach einem hebräischen Wort benennen? Tatsächlich muss man »Babel« auf das Babylonisch-Sumerische »bab-ili« zurückführen, auf das »Tor der Götter«. (Möglich ist, dass die hebräischen Elohim-Götter von den babylonischen »ili« abgeleitet werden können!)

Rund zwei Jahrtausende vor Christus gab es in Babylon mehrstufige Zikkurat-Türme. Mag sein, dass diese imposanten Bauwerke heilige Berge darstellen sollten. Wie dem auch sei: Nach babylonischer Überlieferung stieg Marduk vom Himmel herab und ließ sich auf dem sakralen Turm nieder. In einem Tempel auf dem Turm wurde die Heilige Hochzeit vollzogen: zwischen Gott und Göttin.

Kurios aus heutiger Sicht ist, dass Ištar – die Himmelsgöttin – als Vertreterin Marduks angesehen wurde. Eine weibliche Gottheit sprang also für einen männlichen Gott ein. Ištar zelebrierte im Tempel auf dem Turm das Ritual der »Heiligen Hochzeit« mit dem König. Die Himmelsgöttin Ištar fand in Ägypten ein Pendant: die Hathor. Und Hathor verschmilzt nach und nach mit Isis.

Göttin Hathor von Dendera
Foto: W-J.Langbein
Kurz und bündig fasst das Lexikon »Das geheime Wissen der Frauen« (4) zusammen: »›Heilige Hochzeit‹, griechisch Hieros Gamos, Vereinigung eines Königs oder Heiligen Königs (ein Stellvertreter für den wirklichen König) mit einer Göttin, die meistens von einer Priesterin-Königin verkörpert wurde. Allein durch den Hieros Gamos wurde dem König das Herrschaftsrecht verliehen.«

Die griechische Mythologie verdeutlicht, worum es in der »Heiligen Hochzeit« ging: Kore, die Tochter der Demeter – Göttin des Lebens und der Fruchtbarkeit – wurde von Unterweltgott Hades ins Totenreich entführt. Verzweifelt suchte Demeter ihr Kind ... kümmerte sich nicht mehr um ihre Aufgaben, und die Natur erstarb. Es wurde Winter und die Menschen hungerten. Hades »vergiftete« Kore mit einem Granatapfel. Sie starb zwar nicht, konnte aber nicht mehr nur im Land der Lebenden verweilen. Ein Drittel des Jahres musste sie ins Totenreich kommen, dann erstarb die Natur auf Erden. Sobald Kore wieder auf die Erde zurückkehrte, erblühte das Leben wieder.

Die »elysischen Mysterien« waren ein Geheimkult, über dessen Ablauf wie auch heute nur wenig wissen. Im Zentrum der geheimen Feiern stand die »Heilige Hochzeit«. Dabei kam es offenbar zur rituell-sexuellen Vereinigung zwischen der Priesterin (der Stellvertreterin für die Göttin) und dem elysischen Hohepriester, der den Part des Gottes übernahm. Der Hohepriester trug den Titel »Hierophant«, »Ebenbild des Heiligen«. Pikantes Detail: im Tarot wurde aus dem Sexpartner der Göttin ... der Papst!

Ruinen vom Dendera-Komplex
Foto W-J.Langbein
Zurück zu Dendera, zurück zum Hathor-Tempel ... in dessen geheimen Kellern die mysteriösen »Leuchtbirnen«-Darstellungen noch heute Rätsel aufgeben! Bei brütender Hitze kletterte ich in die unterirdischen Korridore zu den mysteriösen Wandbildern. Bei brütender Hitze bestieg ich die Treppe auf das Dach des Tempels, zum Tempel auf dem Tempel. Hier paarten sich Göttin Hathor und der Sonnengott. Das Ritual – bei dem eine Hathor-Statue von Sonnenstrahlen symbolisch befruchtet wurde – diente dem Erhalt des Lebens: auf die »tote« Trockenzeit folgten Nilüberschwemmung und Wiedergeburt des Lebens ... in Gestalt von Pflanze, Tier und Mensch!

Ich erinnere mich genau ... Ich steige die Treppe empor zum Tempel der »Heiligen Hochzeit«. Ich stelle mir vor, wie einst eine Statue der Hathor auf eben dieser Treppe in feierlicher Prozession auf das Dach des Tempels gebracht wurde. In der Hitze des Tages fällt mir die Treppensteigerei schon schwer. Wie mag der Transport einer womöglich aus purem Gold gefertigten Hathor in würdevoller Weise absolviert worden sein?

In einer so lebensfeindlichen Umgebung wie der Wüste galt es, das Leben auf rituell-magische Weise fortbestehen zu lassen ... in der Hölle der Wüste, in der alles Leben so leicht hätte erlöschen können. Die Angst vor dem Tod alles Lebendigen muss sehr groß gewesen sein ... Es ist die Göttin, die in der Überwindung dieser Angst die zentrale Rolle spielt.

Osiris von Dendera
Foto Archiv W-J.Langbein
Für Anhänger der Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam mag dies befremdlich sein. Wird der Kosmos dieser Religionen doch von einem männlich-martialischen Gott bestimmt. In den älteren, ja ältesten Religionen indes ... scheint die Göttin des Himmel regiert zu haben! Ich bin davon überzeugt, dass einst das Matriarchat bestimmend war, lange vor dem Patriarchat von Judentum, Christentum und Islam!
Das Thema »Sterben und Wiedergeburt« taucht immer wieder in der Mythologie Ägyptens auf. So wird Gott Osiris von seinem Bruder Seth ermordet und zerstückelt. Göttin Isis, eine jüngere Variante der Hathor, erweckt Osiris wieder zum Leben. Osiris ist – auch – ein Gott der Fruchtbarkeit. Wenn Isis alias Hathor den toten Osiris wieder lebendig macht, dann lässt sich das so übersetzen: die Göttin erweckt die tote Natur zu neuem Leben.

Zum Abschluss ein subjektiver Eindruck: In Zentralamerika, im mexikanischen Palenque, erkundigte ich den mysteriösen »Tempel der Inschriften«: ich stieg in die unterirdische Krypta ... in die »Unterwelt« hinab. Und ich erklommt die steile Treppe, die mich an die Spitze des Pyramide führte. Und hoch oben auf der Pyramide ... thront ein Tempel!

Seltsam: Palenque entspricht von seinem Aufbau genau der Tempelwelt von Dendera: In Dendera wie in Palenque gibt es eine »Unterwelt« und auch einen Tempel hoch oben!
Ohne Zweifel haben die Vertreter der Wissenschaft in den vergangenen Jahrhunderten eine erfreuliche Fülle an Informationen über unsere Vergangenheit ans Tageslicht gefördert. Was aber bis heute leider sträflich vernachlässigt wird, das sind die Gemeinsamkeiten der unterschiedlichsten Kulturen unseres Globus.

Fußnoten
1 Das Erste Buch Mose Kapitel 11, Verse 1-9
2 Das Erste Buch Mose Kapitel 11, Vers 6
3 Das Erste Buch Mose Kapitel 11, Vers 9
4 Walker, Barbara G.: »Das geheime Wissen der Frauen«, Frankfurt am Main 1993, Seite 400 (Stichwort »Hieros Gamos«)
5 siehe hierzu auch Cavendish, Richard: »The Tarot«, New York 1975

»Engel bei den Mayas«,
Teil 98 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 04.12.2011


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