Sonntag, 10. August 2014

238 »Das Pferd mit vier Köpfen und drei Göttinnen«,

Teil 238 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Der Dom zu Worms. Foto W-J.Langbein

Von der - wirklich empfehlenswerten - »Nibelungen-Jugendherberge« (1) erreicht man in wenigen Schritten das Restaurant »Domterrassen Worms«. Und dann sind es nur noch wenige Schritte bis zum Hauptportal des Doms. Das gewaltige Bauwerk birgt so manches Rätsel. Staunend steht man vor dem monumentalen Bauwerk. Es sieht so aus, als habe das sakrale Gebäude unzählige Jahrhunderte unbeschadet überstanden. 

 Der Eindruck aber täuscht. So waren es französische Truppen, die im sogenannten »Pfälzischen Erbfolgekrieg« (1688-1697) unter Führung des christlichen Grafen Mélac den Rhein-Neckar-Raum verwüsteten. Melác setzte rücksichtslos auf die Taktik der »verbrannten Erde«, ließ seine Truppen Worms, aber auch Heidelberg, Mannheim und Speyer so gründlich wie nur möglich zerstören. Kirchen wurden geplündert, in Brand gesteckt. Der Dom zu Worms sollte gesprengt werden, was aber nicht gelang. Dafür brannte er im Inneren fast völlig aus. Der Dom wurde wieder aufgebaut, im Rahmen der französischen Revolution aber wieder fanatischem Zerstörungswahn ausgesetzt. Um ihre antichristliche Haltung zu unterstreichen, nutzten die französischen Revolutionäre das Gotteshaus als Speicher und Pferdestall. Auch in vermeintlich zivilisierteren Zeiten ging es barbarisch zu. So wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts – vermutlich 1807 – der mysteriöse Bau der »Johannes-Kirche« direkt am Dom abgerissen. Kapellen, Kirchen und Klöster wurden zerstört, die Steine für den Häuserbau verwendet.

Und immer wieder wurde renoviert und restauriert. 1935 befand sich der Dom zu Worms in einem prächtigen Zustand, nach einem halben Jahrhundert aufwändiger Renovierung. 1945 allerdings wurden, der Krieg war längst entschieden, sinnlose Fliegerangriffe auf deutsche Städte durchgeführt. Ein Ziel war am 21. Februar 1945 auch der Dom zu Worms. Ein gewaltiger Stadtbrand wurde entfacht, das Domdach stand in Flammen, das Domarchiv wurde weitestgehend vernichtet. Für die angreifenden Flugzeuge bot sich der Dom als einfaches Ziel für Schießübungen, steht er doch auf der höchsten Erhebung des Stadtgebiets. Militärischen Sinn hatten diese Attacken wohl keine.

Noch ist der Blick unverstellt...

Besiedelt war der dank seiner hohen Lage vor Hochwassern des Rheins sichere Platz schon vor Jahrtausenden. Schließlich ließen sich die Kelten dort nieder, wo später der Dom errichtet werden sollte. Die Römer kannten noch die Bezeichnung der Kelten für jenen Ort, überlieferten ihn als »Borbetomagus«, woraus sich der Name »Worms« entwickelte. Rudolf Pörtner erklärt in seinem Weltbestseller » Mit dem Fahrstuhl in die Römerzeit« (2):

»Wo heute Worms liegt, entwickelte sich .. eine stadtähnliche Siedlung, bedeutsam wahrscheinlich als Marktort und befestigter Stammesmittelpunkt mit dem Sitz eines Fürsten. Sie hieß Borbetomagus, Stadt oder Ort der Borbet, der keltischen Sonnenfrau, die mit Embede und Wilbede, der Erd- und Mondfrau, eine vielgenannte mythologische Dreiheit bildete.«

Diese »mythologische Dreiheit« habe ich im Sommer 2014 besucht – ein »heidnisches« Denkmal im christlichen Dom zu Worms. Wann genau es entstanden ist, ist nicht bekannt. Ursprünglich, vielleicht noch im frühen 15. Jahrhundert – um 1430 – befand sich der »Dreijungfernstein« im Frauenkloster »St. Maria Magdalena«, im »Bergkloster« ganz in der Nähe des Doms.

Blick auf den Dom von den Dom-Terrassen aus.

Ich nähere mich dem Dom von Süden her, stehe vor dem Südportal. Unzählige steinerne Figuren in unterschiedlichen Größen umrahmen es. Die Jahrhunderte alten Kunstwerke werden durch dichte Netze vor zudringlichen Tauben geschützt, deren Hinterlassenschaft nicht nur beschmutzt, sondern auch ganz erhebliche Schäden verursacht. Ich muss an den »Heiligen Geist« denken, der nach christlicher Überlieferung in Gestalt einer Taube auftritt. In zahllosen christlichen Kunstwerken wird der »Heilige Geist« in christlichen Gotteshäusern auch als Taube dargestellt. Wer denkt da nicht an den einen oder anderen Skandal, der die katholische Kirche in unserer Zeit erschüttert? Ein wenig mehr »Heiliger Geist« hätte dem Exkirchenfürsten Tebartz van Elst in Limburg gewiss geholfen. Die Schutznetze sichern die uralte sakrale Kunst, machen aber wirklich gute Fotos unmöglich. Fotografiert man mit Blitz, kommen die Netze deutlicher zur Geltung als die sakrale Kunst. Ich habe unzählige Fotos gemacht, zu allen Tages- und Nachtzeiten. Ich hoffe, dass mir einige gelungen sind, die erkennen lassen, wie kunstreich geschmückt das Südportal ist!

Deutlich zu erkennen sind – vom Betrachter aus gesehen links (Foto kinks) – die vier Evangelisten, die dank der ihnen beigestellten Symbole auch deutlich zu identifizieren sind:

Markus mit seinem Löwen, Matthäus mit seinem Engel, Lukas mit seinem Stier und Johannes mit seinem Adler.

Auf der anderen Seite des Torbogens – vom Betrachter aus rechts – stehen vier Propheten des Alten Testaments, es könnte sich um Daniel, Jeremias, Jesaia und Hesekiel handeln. Die Inschriften auf ihren Namenstäfelchen sind leider verschwunden.

Hoch oben über dem Portal findet sich eine Darstellung, die meines Wissens nach in der christlichen Kunst weltweit einzigartig ist. Da reitet eine stolze Frau mit einer Krone auf dem Haupt auf einem eigenartigen Tier. Bei näherem Betrachten fällt auf, dass das mysteriöse Wesen vier Köpfe hat. Merkwürdig muten auch die Beine und Füße des Reittiers an. Eine solche Kreatur hat es niemals gegeben, ein solches Wesen existierte niemals aus Fleisch und Blut.

Gängige Interpretation: Die vier Köpfe – Engel/Mensch, Stier, Löwe, Adler – stehen für die vier biblischen Evangelisten  Matthäus, Lukas, Markus und Johannes.

Die vier Köpfe des Pferdes. Netz teilweise wegretuschiert.

Ich visiere das seltsame Reittier mit meiner Kamera – unter Verwendung eines 300-Millimeter-Teleobjektivs an. Es kommt mir so vor, als habe das mysteriöse Fabelwesen nicht vier, sondern fünf Beine. Der Kirchenführer »Der Dom zu Worms« (3) vermeldet: »Die Krönung des Portals ist eine in der Tat einzigartige Figur, denn es existieren offenbar keine ähnlichen Darstellungen. Eine Frau reitet auf einem Tier mit verschiedenen Köpfen und Füßen; die Köpfe und Füße beziehen sich auf die Symbole der Evangelisten, die Frauengestalt repräsentiert die Kirche.«

Während ich vor der Südseite des Doms auf und abgehe, immer wieder fotografiere, wächst auf dem Domvorplatz eine Menschengruppe an. Die Wormser, so hatte ich bislang den Eindruck, sind ein ruhiges, friedfertiges, fast ein wenig behäbiges Völkchen. Aber wehe, wenn man ihren Zorn erregt. Und die Wut der aufgebrachten Menschen scheint mir wirklich berechtigt zu sein! Soll doch direkt vor der Südseite des Wormser Doms ein »hohes Haus« errichtet werden, das den heute noch letzten freien Blick auf den Dom erheblich verstellen würde. Geradezu abstrus ist die Behauptung, durch den Neubau werde der letzte freie Blick auf den Dom nicht verstellt, vielmehr komme dadurch der Dom erst richtig zur Geltung. Einem solchen »Argument« kann ich nur mit Zynismus begegnen:

Warum reißt man nicht die Hälfte des Doms zu Worms ab? Auf diese Weise würde ein Bauplatz für ein Kaufhaus frei. Und der dann noch verbleibende Rest des Doms käme noch sehr viel besser zur Geltung! Der Verkauf der Bruchsteine könnte weltweit erfolgen und brächte ohne Zweifel schöne Einnahmen!

Offen gesagt: Mir ist unbegreiflich, wieso ausgerechnet die »Domgemeinde« selbst ihr »Gemeindehaus« direkt vor dem Dom hochziehen möchte. Es kommt mir wie der Kampf Davids gegen Goliath vor: Wormser Bürger kämpfen gegen… wen? Gegen die Kirche, die gegen den ausdrücklichen Wunsch vieler Wormser Kirchgänger direkt am Dom ein »Gemeindehaus« errichten möchte? Die Planung, so scheint es, ist schon weit fortgeschritten. Ist der Bau noch zu verhindern? Zu hoffen ist es! Mir drängt sich der Eindruck auf, dass man von oben ein Bauvorhaben so schnell wie möglich verwirklichen möchte, um die Gegner des Projekts vor vollendete Tatsachen zu stellen! Ich wünsche dem Verein »Freier Blick auf den Dom zu Worms Bürgerverein Dom-Umfeld e.V.« viel Erfolg (4).

Das Südportal. Foto: W-J.Langbein

Ich durchschreite das Südportal, halte mich links und betrete die »Nikolaus-Kapelle«. Sie wird von einem wuchtigen, von Löwen getragenen Taufstein dominiert. Er dürfte Ende des 15. Jahrhunderts entstanden sein und befand sich in der »Johannes-Kirche«, auch »Johannes-Kapelle«. Johannes der Täufer ist als Halbrelief in den Stein gemeißelt worden, sowie sieben Propheten des Alten Testaments. Im Halbdunkel erkenne ich den geheimnisvollen »Drei-Jungfrauen-Stein«, auch »Dreijungfernstein« genannt. Rudolf Pörtner hat sachlich auf den heidnisch-keltischen Hintergrund dieser Darstellung hingewiesen.

Der Tauftsein. Foto W-J.Langbein
Erstaunlich offen ist der Text im Führer »Der Dom zu Worms« (5): »Ihm (dem Taufstein) gegenüber an der Ostwand steht der sogenannte Drei-Jungfrauen-Stein… Der Inschrift nach handelt es sich um drei heilige Jungfrauen: Embede, Warbede und Willebede. Sie werden im ganzen Rheintal, aber auch im Hohenlohischen oder in Tirol verehrt. In Köln gelten sie als Gefährtinnen der Heiligen Ursula. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich bei ihnen ursprünglich um vorchristliche Gottheiten keltischen Ursprungs. Die Missionare versuchten häufig bei der Darstellung christlicher Normen und Werte auf bereits bertraute nichtchristliche Vorbilder zurückzugreifen, um sie der eingeborenen Bevölkerung umso plastischer begreiflich machen zu können. Möglicherweise wurden die drei Frauen auf diese Art zum Bestandteil der Verehrung durch die Bevölkerung.«

Der »Dreijungfernstein«. Foto Walter-Jörg Langbein

Vorsichtiger formuliert »Der Dom zu Worms/ Wegweiser und Deutung« (6): »Einzigartig ist der sogenannte Dreijungfrauenstein. .. Unter gotischer Architektur zeigt das Werk drei Jungfrauen mit Kronen, Palmen und Büchern, sowie oben und unten die Namen: Embede, Warbede, Willebede. Mancherlei Legenden umranken die Gestalten dieser drei Jungfrauen, über deren Herkunft und Bedeutung sich die Forschung nicht einig ist; vielleicht lassen sich die Ursprünge ihrer Verehrung in sehr frühe Zeiten zurückverfolgen.«

Erni Kutter lässt keinen Zweifel aufkommen (7): Die »drei Jungfrauen« gehen auf heidnische, sprich keltische Ursprünge zurück. Offensichtlich wurden sie in der Bevölkerung so verehrt, dass man ihren Kult trotz größter Anstrengung nicht verbieten konnte. Selbst Bischof Burchard, Erbauer des Doms zu Worms, gelang es nicht, die Anbetung und Verehrung der drei einstigen Göttinnen zu verhindern. Maßlos entsetzt wäre der Dombauer, würde er feststellen, dass in seinem Dom an zentraler Stelle die von ihm verteufelten »drei Jungfrauen« geehrt und geachtet, ja angebetet werden. Regelmäßig finden in ihrer Kapelle Gottesdienste statt.

Was für Bischof Burchard heidnisch war, umschreibt Erni Kutter anders (8). Demnach hat sich »in dieser Frauendreiheit … ein charakteristisches Merkmal aller frühen Göttinnen erhalten, nämlich ihre Jungfräulichkeit«.

Eine der drei Heiligen Jungfrauen... Willebede.


Alle Fotos: Walter-Jörg Langbein

Fußnoten

1) Nibelungen-Jugendherberge, Dechaneigasse 1, 
67547 Worms

2) Pörtner, Rudolf: »Mit dem Fahrstuhl in die 
Römerzeit/ Städte und Stätten deutscher Frühgeschichte«, Düsseldorf/ 
Wien o.J., S. 326 (13. Kapitel: »Stadt der Sonnenfrau« S. 324-343)

3) Englert, Siegfried: »Der Dom zu Worms«, Worms 1986, S. 35

4) http://www.kein-haus-am-dom.de/index.html

5) Englert, Siegfried: »Der Dom zu Worms«, Worms 1986, S. 32

6) Villinger, Carl J. H.: »Der Dom zu Worms/ Wegweiser und Deutung«, 
Worms 1981, S. 25

7) Kutter, Erni: »Der Kult der drei Jungfrauen«, München 1997

8) ebenda, S. 88 und 89


Die Jugendherberge direkt am Dom. Foto W-J.Langbein


 »Drei Heilige Frauen und eine Teufelin«,
Teil 239 der Serie

»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                        
erscheint am 17.08.2014




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