Sonntag, 5. Oktober 2014

246 »Maria und die Schlange« Teil 2

Teil 246 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein

Maria an der Portalstür. Foto Langbein
Das vielleicht rätselhafteste Kunstwerk im Dom zu Paderborn ist eine barocke Mariendarstellung, die von den meisten Besuchern des Gotteshauses kaum beachtet wird. Betritt man den Dom durch das Paradiesportal, wird man von den beiden Heiligen Kilian und Liborius begrüßt. Ihre spätromanischen Holzplastiken stehen an den mächtigen Portaltüren. Vor dem mittleren Pfosten steht stolz die Himmelskönigin Maria, das Jesuskind auf dem Arm tragend. Die frühgotische Sandsteinplastik dürfte zu den ältesten stehenden Marien in Deutschland gehören.

Immer wenn ich den Dom zu Paderborn besuche, mache ich Station zunächst in der Bartholomäus-Kapelle und genieße die rätselhafte Akustik in dem wohl ältesten sakralen Bauwerk in Paderborn. Dann gehe ich außen um den Dom herum zum Markt, bleibe vor dem Paradies-Portal stehen und studiere das verwirrende Vielfalt von steinernen Rätseln. Da blicken seltsame Wesen, die an Zentauren erinnern, in stoischer Gelassenheit auf uns Besucher herab. Da harren Heilige aus Stein, vor Tauben durch sorgsam gespannte Netze geschützt, seit Ewigkeiten aus, wie Pantomimen erstarrt zur Regungslosigkeit, als wollten sie der Zeit ein Schnippchen schlagen.

Die »Paradiesvorhallte« in ihrer ursprünglichen Form wurde wohl bereits im 12. Jahrhundert gebaut, so wie auch die Marienkapelle. Wann genau die Marienkapelle geschaffen wurde, wir wissen es nicht genau. Fest steht, dass sie bereits im Jahre 1215 bestand (1). Auf dem Weg zur Marienkapelle halte ich bei der Doppelmadonna inne, genauer gesagt unter ihr. Sie hängt unter dem Schlussstein des zweiten Langhausjoches hoch über den Besuchern des Gotteshauses. Wir erleben, wie die »Gottesmutter« von zwei fliegenden Engeln zur Himmelskönigin gemacht wird. Die himmlischen Boten mit formschönen Flügeln senken gerade die imposante, große und mächtige Krone auf das Haupt Mariens herab. Um 1480 entstand dieses sakrale Kunstwerk.

Die Doppelmaria. Foto Langbein
»Sie schwebt über unseren Häuptern…«, erklärte mir ein Mönch, der andächtig zur Königin des Himmels aufblickte. »So werden wir daran erinnert, dass sie – nach Jesus selbst – der erste und bislang letzte Mensch war, der leibhaftig gen Himmel fuhr, wo sie bei unserem Herrgott auf uns wartet!« Verschmitzt fügte der Kleriker hinzu: »Man darf es ja noch nicht laut aussprechen, aber Maria rückt langsam aber sicher in die Trinität auf!« Die Worte des Geistlichen verblüfften mich. Ich wandte ein: »Aber dann wird doch aus der Dreifaltigkeit eine Vierfaltigkeit?«

Der Mönch legte eine Hand auf meine Schulter. »Noch ist das reine ›Ketzerei‹ in den Augen der Amtskirche. Aber glauben Sie mir, die Himmelskönigin wird nach und nach, zunächst im Volksglauben, den ›Heiligen Geist‹ verdrängen und seine Stellung einnehmen. Vater, Sohn und Gottesmutter sind doch sehr viel begreifbarer als die Trinität aus Vater, Sohn und Heiligem Geist. Wer kann sich denn wirklich etwas unter dem Heiligen Geist vorstellen? Niemand kann die Rolle des Heiligen Geists wirklich verständlich machen!«

Was den wenigsten Besuchern auffällt: mit einem Fuß steht die Madonna auf einer Mondsichel. Präziser: Beide Marien der Doppelmadonna stehen mit einem beschuhten Fuß auf der Mondsichel. Die Himmelskönigin, stehend auf der Mondsichel, macht Maria zur christlichen Version der Himmelsgöttin aus uralten Zeiten.

Im Kirchenführer »Der Hohe Dom zu Paderborn« lesen wir, dass Maria (2) »auf der Mondsichel und einer Schlange steht, deren Kopf sie als die ›neue Eva‹ zertritt.« Trotz intensivster Suche, trotz sorgsamsten Betrachtens der Doppelmadonna durch ein 400-Millimeter-Teleobjektiv, kann ich aber nur einen goldenen Schuh der »Mutter Gottes« ausmachen, nämlich jenen, der auf der Mondsichel ruht. Deutlich zu erkennen ist das teuflische, gehörnte Haupt der Schlange, deren größter Teil des Leibes  vom langen Rock Mariens verdeckt wird. Nur das Schwanzende kriecht unter dem bis zum Boden reichenden Rock hervor, nach oben hin ausgerichtet.

Mond und Schlange zu Füßen der Doppelmadonna.
Foto Langbein

»Die Madonna zertritt den Kopf der Teufelsschlange!«, wetterte »mein« Mönch. »Durch die Frau – Eva – kam die Sünde auf die Welt, in Gestalt der teuflischen Schlange! Maria zerstampft das Haupt dieser Schlange, so wie es schon im 1. Buch Mose geschrieben steht…« Ich wusste, auf welchen Vers sich der Geistliche bezog (3) und widersprach. »Von Maria ist da aber nicht die Rede…da heißt es doch: ›Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir (Schlange) und der Frau und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.‹ Da wird doch ein Mann prophezeit, der der Schlange den Garaus machen wird, nicht von Maria!«

Der Geistliche wischte meinen Einwand mit einer Handbewegung beiseite. »Lesen Sie gefälligst in der Offenbarung des Johannes nach (4): ›Und es erschien ein großes Zeichen am Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen.‹« Wieder wagte ich Widerspruch: »Von einer Schlange, der der Kopf zertreten wird.. von wem auch immer… ist da aber nichts zu finden!« Wütend zischte mir der Geistliche entgegen, während er schon davon stapfte. »Lesen Sie weiter bei Johannes! Dann werden sie auf den Drachen stoßen, den die himmlische Frau, also Maria, besiegen wird…«

Tür zur Marienkapelle. Foto Langbein
Einige Schritte ging ich dem Mann Gottes nach. »Ist der Drache der Apokalypse die Schlange aus dem Paradies?«, wagte ich zu fragen. Mir kam es so vor, als habe der Mönch »Apage, Satanas!«, also »Weiche, Satan!«, geflüstert. Wen er damit wohl gemeint haben mag? Deutlich zu vernehmen waren dann seine abschließenden Worte: »Sündhafte, lasterhafte Weiber, Drachen, teuflische Schlangen… alles das gleiche Gewürm!«  Dann schloss sich knarzend die Tür zum Paradiesportal hinter ihm.

Von der »schwebenden« Doppelmadonna führt mich mein Weg stets zu einer weiteren Darstellung der »Mutter Gottes«, zur Marienkapelle an der Südseite des Doms. Die größte und älteste Kapelle im Dom (5) ist fast immer verschlossen. Die Tür, in der Regel im Dämmerlicht liegend, wurde erst 1657 von Anton Willemssens geschaffen. Sie wirkt auf den Betrachter wie eine überdimensionale Laubsägearbeit. Im Zentrum steht Maria. Sie trägt, liebevoll besorgt, das Jesuskund auf dem Arm. Rechts und links stehen zwei Engel mit Fackeln, die aber realiter kein Licht spenden. Gerade das Dämmerlich mag mit dazu beitragen, dass die Maria mit Kind erstaunlich plastisch wirkt, obwohl das Paar doch »nur« auf ein Eichenbrett aufgemalt wurde.

»Der Dom zu Paderborn« (6) weiß zu berichten: »Die Tür der Marienkapelle … ist aus Eichenbrettern angefertigt, die in zwei Schichten aufeinander geleimt sind. Die Außenseite ist mit einer reichen perspektivischen Architektur bemalt, in der die Madonna mit dem Kinde und fackeltragenden Putten stehen. Der Hintergrund ist schräg nach hinten laufend herausgeschnitten.«

Auch dem flüchtigen Betrachter fällt auf, dass sich da eine Schlange von beachtlicher Größe durch das Bild windet und schlängelt. Man denkt an eine kräftige Boa Constrictor, die Maria und Kind in höchste Gefahr bringt. Das Schwanzende des gefährlichen Reptils ragt neben Maria in die Höhe, knapp über ihre Hüfte. Wo aber ist der Kopf des Tieres? Mann erahnt ihn mehr als dass man ihn erkennt. Nur ein Fuß Mariens ist deutlich auszumachen. Aber wo ist der zweite? Beißt die Schlange mit weit aufgerissenem Maul Maria in den Fuß? Oder tritt Maria mit dem Fuß auf den Kopf der Schlange? Hat die Schlange einen Apfel im Maul? Tatsächlich erkennt man einen Apfel mit kleinen Zweigen und Blättern.

Fuß und Schlange... an der Tür zur Marienkapelle.
Foto Langbein

Wo beginnt, wo endet der zweite Fuß? Jeder sieht es anders. Manche meinen, die Zehen des zweiten Fuß Mariens deutlich ausmachen zu können. Andere wiederum sind ganz anderer Meinung und halten die vermeintlichen »Zehen« für Zähne der Schlange. 

Ulrike Hause, Magister Artium, wissenschaftliche Mitarbeiterin der »Fachstelle Kunst« vom Diozesenmuseum in Paderborn teilte mir freundlicher Weise die offizielle, wissenschaftliche Interpretation mit (7): 

Apfel im Maul? Foto Walter-Jörg Langbein

»Sehr geehrter Herr Langbein, Ihre Anfrage erreichte mich über unsere Pressestelle. Ich habe mich informiert und kann Ihnen zu der barocken Mariendarstellung an der Tür zur Marienkapelle Folgendes sagen: Maria tritt der Schlage auf den Kopf, die einen Apfel mit Blättern im Maul hält. Das versinnbildlicht den Sündenfall (Frucht vom Baum der Erkenntnis), den Maria als ›neue Eva‹ wieder gut macht. Dies in knappen Worten. Hoffentlich haben wir Ihre Frage damit beantwortet, mit freundlichen Grüßen aus Paderborn - Ulrike Hauser M.A.«

Je näher man sich dem Bildnis nähert, desto undeutlicher wird, was man sieht. Sehen wir, was wirklich gemalt wurde oder was wir sehen wollen? Der überzeugte Christ versteht Maria als die neue Eva. Die alte Eva, so glaubt er, hat die Sünde in die Welt gebracht. Maria, die neue, zweite Eva, macht den Sündenfall wieder ungeschehen. Freilich ist das Bild von Maria, dem Mond, der Schlange und dem Knaben sehr viel älter als das Christentum…. Bei Licht betrachtet entpuppt sich das in christlicher Ikonografie so gern benutzte Ensemble als Wiedergeburt heidnischer Symbole aus uralten Zeiten…

Wo beginnt der Schlangenkopf? Foto Walter-Jörg Langbein

Fußnoten

1) Bauer, Heinz und Hohmann, Friedrich  Gerhard: »Der Dom zu Paderborn«, 4. Neubearbeitete Auflage, Paderborn 1987, S. 38 und 39
2) Niggemeyer, Margarete: »Der Hohe Dom zu Paderborn/ Ein Domführer«. 3. Auflage, Paderborn 2012, S. 23
3) 1. Buch Mose Kapitel 3, Vers 15
4) gemeint ist Offenbarung des Johannes Kapitel 12, Vers 1
5) Dehio, Georg: »Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Nordrhein-Westfalen II Westfalen«, Berlin und München 2011, S. 848.
6) Bauer, Heinz und Hohmann, Friedrich  Gerhard: »Der Dom zu Paderborn«, 4. Neubearbeitete Auflage, Paderborn 1987, S.69 links unten
7) Mail von Ulrike Hauser an Walter-Jörg Langbein vom 10.06.2014 

Blick in die Marienkapelle.
Foto Walter-Jörg Langbein

Dank

Mein besonderer Dank gilt Frau MA Ulrike Hauser für ihre hilfreiche Auskunft!

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1 Kommentar:

  1. Ja, schon interessant, was die Kirche - insbesondere die Katholische Kirche - nebst ihren Pfaffen so alles in die "Schriften" interpretieren und welche bunte Phantasie die Künstler des Mittelalters hatten. Auf der einen Seite wird ein Monotheismus gepredigt, dann die Dreifaltigkeit und dann eben noch als Bonus Maria obendrauf. Dann wird von den Theologen noch der "Baum der Erkenntnis" total falsch interpretiert und aus der "verbotenen Frucht" wurde ein Apfel, bei anderen (den Juden) die Feige. Wer dann noch in diesem Zusammenhang "Johannes" zitiert, der liegt total falsch, da weder Apfel, noch Feige 12 x im Jahr geerntet werden...sondern lediglich Cannabis (https://archive.org/.../DrogenkonsumImAltenUndNeuenTestament). Und hier liegt die Wahrheit der Schriften...

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