Sonntag, 12. Oktober 2014

247 »Maria, die Schlange und die Evangelisten«

Teil 247 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                        
von Walter-Jörg Langbein

Zwei Jungfrauen mit ihren Schlangen.

Die riesige Schlange glotzte mich aus starren, bösen Augen an, sauste ruckartig auf mich zu, um sich dann wieder ebenso ruckartig zurückzuziehen. Dabei stieß sie furchteinflößende Zischlaute aus. Immer wieder griff das monströse Wesen an. Die spitze Zunge der Schlange berührte schmerzhaft meine Stirn. Gleichzeitig ertönte wie aus weiter Ferne ein dröhnendes Gelächter.

Die Schlange freilich war nicht wirklich besonders groß, aber das kam mir nur so vor. Ich war nämlich erst vier Jahre alt und saß mit meiner Mutter nur einige Meter vom berühmten Parthenon entfernt. Die Schlange war aus Holz. Ein dickleibiger, bärtiger Grieche, im Vergleich zu dem Hägar der Schreckliche ein schmales Bürschlein war, hielt das geschnitzte Reptil in einer Pranke und stieß es immer wieder in meine Richtung. Dazu ließ der Koloss sein dröhnendes Lachen erschallen. Zum Glück gelang es meinen Eltern, den aufdringlichen Händler zu vertreiben, der hölzerne Schlangen zum Kauf anbot.

Abgespielt hat sich die für mich fürchterliche Szene – ich war damals gerade vier Jahre alt – unweit des Parthenon. Der vielleicht berühmteste Tempel der Welt wurde einst der Göttin Pallas Athena Parthenos geweiht. Der Beiname der Göttin Parthenos lässt sich mit »die Jungfräuliche« übersetzen. Das wohl wichtigste Attribut der jungfräulichen Himmlischen war die Schlange. Aus der Feder des Pausanias stammt die Beschreibung einer Kolossalstatue der Athena. Zu ihren Füßen schlängelte sich eine nicht minder kolossale Schlange. Andere Darstellungen der Göttin zeigten sie mit einem Schild, auf den sie sich stützt… und an dem sich eine Schlange emporwindet.

Jungfrau und Himmelskönigin mit Attributen...

Uns muss Athena Parthenos vertraut erscheinen: eine Göttin, Jungfrau, in »Begleitung« einer Schlange. Uns kommt die jungfräuliche Himmelskönigin  und Gottesmutter Maria in den Sinn. »Wikipedia« vermeldet im Artikel zum Thema »Unbefleckte Empfängnis« über »Ikonographie und Darstellung (Marias) in der Kunst«: »Ihre Heiligenattribute sind: eine Schlange, die sie zertritt, das biblische Symbol für die Sünde, eine Weltkugel, wodurch Maria als Siegerin über die gesamte weltliche Sünde erscheint – die Schlange windet sich oftmals um die Weltkugel…«

Offensichtlich wurde aus der bescheidenen Mutter Jesu, über die wir im »Neuen Testament« so gut wie nichts erfahren, nach und nach eine Himmelskönigin, die mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde. Noch gilt sie nicht offiziell als Göttin, aber ihre Ehrenbezeichnung »Mutter Gottes« erinnert doch sehr an die mächtigen Mütter der Götter, die selbst Göttinnen waren… aus vorchristlichen Zeiten!

Apfel, Schlange und Mondsichel zu Füßen der christlichen Jungfrau.

Aus der jungfräulichen Göttin Athena wurde die jungfräuliche Maria. Beide hatten das Attribut der Schlange. Und da verwundert es nicht, dass der Parthenon-Tempel im sechsten Jahrhundert in eine christliche Kirche verwandelt wurde, die der jungfräulichen Maria geweiht war. Jungfrau Maria behielt das einst heidnische Attribut Schlange. Doch das einst höchst positive Sinnbild Schlange wurde im Christentum im wahrsten Sinne des Wortes verteufelt. Aus dem einst im höchsten Maße positiven Symbol war das Negative schlechthin. Im vordynastischen Ägypten, zum Beispiel,  genoss die »Schlangenmutter« Wadjet  höchste Verehrung. Und Schlangengöttin Mehem lege sich des Nachts schützend um den Sonnengott Re, der dann unbesorgt schlafen konnte. Verdrängt wird von christlicher Seite heute gern, dass die Schlange zur Zeit der frühchristlichen Gnosis als kluge Überbringerin von Wissen verehrt wurde.

Die Gnostiker spielten gern mit Worten. Das führte allerdings oft zu einer völlig anderen Interpretation biblischer Texte. Gern erinnere ich mich an manches hochinteressante Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Ernst Bammel, bei dem ich während meines Studiums der evangelischen Theologie mehrere Seminare im Fachbereich Judaistik besuchte. So manches Mal unterhielten wir uns über den Schlangen-Mythos des »Alten Testaments«. Professor Dr. Dr. Bammel machte mich darauf aufmerksam, dass Schlange und Eva gleichgesetzt wurden. Der Name Eva wurde als »Mutter alles Lebenden« verstanden, »hawya« ist zugleich auch die »Schlange« und bedeutet als Tätigkeitswort »unterrichten«.  Kirchenlehrer Hippolyt von Rom (etwa 170 bis 235 n. Chr.) übersetzte die »Schlange« mit »das weise Wort Evas«.

Die Himmelskönigin und der Mond...

Im christlichen Glauben, dessen Vertreter in der frühen Geschichte des Christentums vehement Gnostiker als böse Ketzer verfolgten,  ist die Schlange der böse Teufel, der den Menschen um das ewige Leben im Paradies gebracht hat. Weil Eva auf die Schlange hörte, von den verbotenen Früchten aß und ihren Mann Adam zur gleichen Sünde verleitete, wurden Adam, Eva und die Schlange aus dem Paradies gejagt. Die paradiesischen Zustände waren damit Vergangenheit. Mit brutaler Engelsgewalt wurden die ersten Menschen daran gehindert, ins Paradies zurückzukehren. Adam musste von nun an im Schweiße seines Angesichts schuften, Eva unter Schmerzen gebären und die Schlange auf dem Bauch durch die Gegend kriechen.

Johannes oder Ninurta?

Im christlichen Glauben steht auch heute noch die Schlange für Sünde, Vertreibung aus dem Paradies und für Verlust des ewigen Lebens. Diese negative Bedeutung freilich ist sehr jung, gemessen an der Religionsgeschichte unserer Welt. Wenn wir die Mythen und Glaubenswelten seit Jahrtausenden untersuchen, begegnet uns immer wieder die Schlange, ganz im Gegensatz zur christlichen Theologie aber als das Symbol für das ewige Leben!

Die Schlange im Paradies verspricht (4) Erkenntnis und Erlösung durch Erkenntnis, so wie das auch die Gnostiker glaubten. Die Gnostiker, stärkste Konkurrenten des frühen Christentums, schwelgten in der Wiederbelebung uralter Glaubenslehren, in denen mächtige Muttergottheiten eine große Rolle spielten. Sie anerkannten nicht den alleinigen männlichen Gott. Zu einem Gott gehörte für sie stets eine Göttin. Einer recht informativen und erfreulich sachlichen Internetseite (5) entnehme ich prägnante Informationen über den Themenkomplex Gnostiker und Schlange: »Einige gnostische Sekten verehrten die Schlange. Sie betrachteten die Schlange nicht als Verführer, die Adam und Eva zu sündhaftem Verhalten verleitet hat. Vielmehr betrachteten sie die Schlange als einen Befreier, der Adam und Eva Erkenntnis gebracht hatte indem er sie überzeugte, vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen und dadurch vollkommen Mensch zu werden.«

Marduk oder Lukas?

Von großer Wichtigkeit war für die Gnostiker Maria Magdalena. Anders als im Christentum, das die vermeintliche Prostituierte verleumdete, war unter den Gnostikern eine ganz andere Lehre weit verbreitet. Maria Magdalena verkündete die wirkliche Lehre Jesu. Nach Erscheinen meines Buches »Das Sakrileg und die Heiligen Frauen« (6) nahmen gleich mehrere evangelische und katholische Geistliche Kontakt mit mir auf, die mir versicherten, dass sie in ihren Gottesdiensten die »amtlichen Glaubenslehren« verkündeten, obwohl sie selbst überzeugte Gnostiker seien. Eine noch recht junge evangelische Geistliche trug – so versicherte sie mir wiederholt –  stets ein Amulett am Hals, das statt den gekreuzigten Jesus die Schlange zeigte.

Die Geistliche vertraute mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, dass für sie das »wahre Christentum« die Verehrung der Göttin in Gestalt einer Schlange sei. Jahwe, der Gott des patriarchalischen Judentums, sei von der Göttin belehrt worden, habe ihre Botschaft aber verfälscht. Zu diesem Glauben könne sie sich aber nicht bekennen, müsse sie doch um ihre Entlassung aus kirchlichem Dienst fürchten. Man kann tatsächlich davon ausgehen, dass so eine Geistliche von der Kirche aus ihren Reihen verstoßen und selbst als Religionslehrerin kaum eine Anstellung finden würde.

Markus oder Nergal?

Ein katholischer Geistlicher hofft, so versicherte er mir, dass er die Rückkehr der Gnosis als »das eigentliche Christentum« noch erleben dürfe. »Der Amtskirche ist die Gnosis ein Dorn im Auge, weil sie eben nicht von oben herab für alle gültige Dogmen predigt, sondern auf die selbständige Erkenntnissuche des einzelnen Menschen setzt!« Der Geistliche zeigte mir Darstellungen von Göttinnen aus dem alten Babylon. So wurde die Göttin Astarte sehr häufig mit einer Mondsichel und einer Schlange dargestellt… so wie Maria, die Gottesmutter in zahllosen sakralen Kunstwerken vieler Jahrhunderte im Christentum katholischer Prägung!

Mindestens genauso häufig wie wir Maria, die Himmelskönigin im ihren uralten Attributen (Mondsichel oder Vollmond und Schlange) in unseren Kirchen begegnen, finden wir dort auch die Attribute der vier christlichen Evangelisten. Stellen wir uns vor, ein Mensch aus dem »Alten Babylon« würde eine christliche Kirche besuchen. Dort entdeckt er die vier Evangelisten mit ihren Symbolen. Ohne zu zögern würde der Mensch aus Babylon Lukas als babylonischen Stadtgott Marduk,  Markus als Unterweltgott Nergal,  Johannes als Windgott Ninurta und Matthäus als Nabu, den Gott der Weisheit identifizieren.

Marduk und Lukas hatten beide das Symboltier Stier. Markus und Nergal wurden beide mit einem Löwen dargestellt. Johannes und Ninurta teilten sich den Adler als »Erkennungszeichen« und Matthäus und Nabu symbolisches Attribut war ein geflügelter Mensch oder Engel.

Matthäus oder Nabu?

Mit anderen Worten: Jahrtausende alte Symbole aus babylonischen Zeiten wurden vom Christentum übernommen, als Zeichen der Evangelisten. Die vier Evangelisten gelten als Träger des Christentums, die vier babylonischen Götter stützten die »vier Weltenden«.  Sollte auch uraltes gnostisches Wissen zu Beginn des 21. Jahrhunderts in unseren christlichen Gefilden im Verborgenen weiterleben? Ich bedauere es sehr, dass es in der »Wissenschaft« Theologie keine Erforschung von Entwicklung und Veränderung uralten Glaubens zum Christentum hin gibt. Nach wie vor, so scheint es mir, mag man nicht zugeben, dass uraltes »heidnisches« Glaubensgut im heutigen Christentum fortbesteht. Wirklich verblüfft hat mich, dass in Kreisen heutiger christlicher Geistlichkeit die offiziell nach wie vor als Ketzerei verdammte Gnosis immer noch Anhänger hat, in welchem Umfang auch immer. Offiziell wagt es kein Priester christlicher Prägung, sich zur Gnosis zu bekennen. Ob sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern wird? Ich glaube es nicht!

Zu den Fotos...

»Zwei Jungfrauen mit ihren Schlangen«: Links »Athena Parthenos« wikicommons Marsyas, rechts Maria mit Jesuskind an der Tür der Marien-Kapelle im Dom zu Paderborn, Foto Walter-Jörg Langbein 

»Jungfrau und Himmelskönigin mit Attributen...«: Maria aus der Stadtkirche von Lügde, Foto Walter-Jörg Langbein. Die Stadtkirche wird auch als Marienkirche bezeichnet.

»Apfel, Schlange und Mondsichel zu Füßen der christlichen Jungfrau.«: Maria aus der Stadtkirche von Lügde, Foto Walter-Jörg Langbein.

»Die Himmelskönigin und der Mond...«: Münsterkirche zu Hameln, Foto Walter-Jörg Langbein

»Johannes oder Ninurta?«, »Marduk oder Lukas?«, »Markus oder Nergal?« und »Matthäus oder Nabu?«: Münsterkirche Hameln, Fotos Walter-Jörg Langbein


Die Münsterkirche von Hameln. Foto Walter-Jörg Langbein

Fußnoten

1) Siehe hierzu auch Gruben, Gottfried: »Die Tempel der Griechen«, München, 5. Auflage 2001, S. 171-190!
2) 1. Buch Mose Kapitel 3, Verse 1-24, »Sündenfall«
3) Siehe hierzu auch…
Baudry, Gérard-Henry: »Handbuch der frühchristlichen Ikonographie«, Freiburg
     2010
Biedermann, Hans: »Knaurs Lexikon der Symbole«, München 1989
Biedermann, Hans: »Wellenkreise/ Mysterien umd Tod und Wiedergeburt in den
     Ritzbildern des Megalthikums«, Hallein 1977
Black, Jeremy und Green Anthony: »Gods, Demons and Symbols of Ancient
     Mesopotamia«, Austin 1992
4) 1. Buch Mose Kapitel 3, Vers 4
5) http://www.eaec-de.org/Gnostizismus.html

»Was geschah vor der Schöpfung? Ein »Reisebericht«
Teil 248 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                        
von Walter-Jörg Langbein,                      
erscheint am 19.10.2014

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