Sonntag, 16. Oktober 2016

352 »Kröte, Löwe, Dämonen«

Teil  352 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Der Dom im August 2016
Als Kind starrte ich ehrfurchtsvoll zur steinernen Statue empor, die da hoch über mir zu schweben schien. Mit 16 unternahm ich meine erste Fahrt auf meinem Mofa vom oberfränkischen Michelau nach Bamberg. Für die knapp dreißig Kilometer benötigte ich zwei Stunden. Natürlich besuchte ich auch den geheimnisvollen »Bamberger Reiter«. Und als ich im Sommer 2016 wieder ins Frankenland fuhr, machte ich in Bamberg Station. Im ICE von Hannover nach Würzburg blättere ich in den fleckigen, eingerissenen Seiten eines Buchs über die Sagenwelt von Bamberg (1) entziffere ich: »Bambergs größter Stolz ist schon seit jeher der schon aus weiter Ferne sichtbare, hoch über der Stadt thronende Dom.«

Vom Bamberger Bahnhof aus benötigte das Taxi nur wenige Minuten bis zum hoch über dem idyllischen Städtchen gelegenen Dom. Wie eine mächtige Burg steht der Jahrtausendbau auf dem Domberg, eine massive steinerne Festung – von der unterirdischen Krypta bis hin zu den vier imposanten Türmen. So mächtig, wie uns zu Beginn des dritten Jahrtausends erscheint, so unbegreifbar war das sakrale Bauwerk den Menschen vor Jahrhunderten. Sie konnten es nicht glauben, dass der Dom mit seinen – ich zitiere noch einmal das Sagenbuch – »über fünfhundert Fuß hohen Türmen« ein Werk biederer Baumeister gewesen sein soll. Und so wurde der Teufel ins Spiel gebracht.

Foto 2: Der Dom etwa 1920
Vor einem Jahrtausend hatte man gerade mit dem Bau des Doms begonnen. Der Dombaumeister war ein bedächtiger Mann, auf Sicherheit bedacht. Da soll ein junger Bursche seine Hilfe angeboten haben. Er hatte das Bauhandwerk angeblich in Frankreich erlernt. Man ließ ihn gewähren, auch der eigentliche Dombaumeister war einverstanden. Doch nach Wochen zeigte sich, dass man einem unfähigen Prahlhans aufgesessen war. Der alte Meister konnte stolz auf die Fortschritte seiner Arbeiter sein, der junge »Fachmann« kam kaum voran. Es war abzusehen: Der Angeber würde wohl scheitern. Das ging dem jungen Mann, sein Name ist nicht überliefert, sehr nahe. Schlaflos wälzte er sich in seinem Bett. Ein Scheitern ließ sich mit natürlichen Mitteln nicht mehr abwenden. Da aber bot sich ihm der Teufel selbst als letzte Rettung an. Die Bezahlung würde erst nach dem Tod des unfähigen Baumeisters fällig werden: seine unsterbliche Seele. Von Stund‘ an wendete sich das Blatt. Wo sich lange nichts geregt hatte, wuchsen mächtige Mauern in den Himmel. Kein Wunder, es waren ja auch teuflische Dinge im Spiel. Zwei furchteinflößende Dämonen arbeiteten nachts auf der Baustelle, wenn die Arbeiter schliefen.

Foto 3: Domkröte an der Marienpforte

Diese beiden Diener des Teufels bewirkten wahre Wunder. Der junge Baumeister konnte es gar nicht abwarten, von den Bambergern als Genie gefeiert zu werden. Sein Dom war ja nun vollendet und der Teufel hatte noch lange kein Anrecht auf seine Bezahlung. Die wurde ja erst nach dem Tod des jungen Mannes fällig. Doch der Teufel gedachte, den Prozess rapide zu beschleunigen. Er forderte die ihm zustehende Seele: »Es ist Zahltag junger Meister!« Der widersprach, er sei ja doch noch am Leben. Der Teufel stieß ein grässliches Lachen aus. »Ihr lebt noch!«  und beendete abrupt das Leben des Baumeisters, indem er ihn aus einem Dachfenster des Doms schleuderte. Sein Körper zerschmetterte auf den Stufen des Doms.

Foto 4: Domkröte an der Marienpforte
Dann gab Satan der Legende nach eine eindrucksvolle Abschiedsvorstellung. In Marco Kirchners »Sagen und Legenden aus Bamberg« (2) lesen wir: »Das Volk, das auf dem Domplatz versammelt stand, erschrak fürchterlich als es dies sah und seine Angst wurde noch größer, als kurz darauf der Teufel, einen langen, feurigen Schweif hinter sich herziehend aus dem Fenster flog und über dem Domplatz schwebte. Die Menschen wussten sogleich, dass er es gewesen war, der dem jungen Baumeister beim Bau geholfen hatte.« Nach einer anderen Sage (3) waren die beiden Dämonen alles andere als hilfreich beim Bau des Doms, ganz im Gegenteil! Sie sollen immer nachts, wenn die Arbeit am Dom ruhte, versucht haben, das mächtige Gotteshaus zu untergraben. Beide Kreaturen sollen furchteinflößende Monster gewesen sein, rätselhafte Mischwesen aus Kröte und Löwe.

Die beiden Gehilfen des Teufels wurden in Stein verewigt und vor dem Eingang zum Dom platziert. Und da stehen sie heute noch. Sie werden, wie ich beobachtet habe, kaum beachtet. Ich habe diese geheimnisvollen Kreaturen emsig fotografiert. Es kommt mir so vor, als seien sie besonders alt. Im und vor allem außen am Dom gibt es eine Vielzahl von Statuen und Statuetten aus Stein. Keine einzige von ihnen ist auch nur annähernd so stark verwittert wie die beiden dämonischen. Sollten sie also vielleicht älter als der heutige Dom selbst sein, auf seinen Vorgängerbau zurückgehen, oder gar auf einen heidnischen Tempel aus vorchristlichen Zeiten?

Wie dem auch sei: Die beiden Wesen aus Stein sind vom Zahn der Zeit extrem stark angenagt und mit Fantasie kann man so mancherlei darin erkennen. Mich jedenfalls faszinieren beide Kreaturen. Mischwesen, in Stein verewigt, sind mir auf meinen Reisen immer wieder begegnet. Mein Vorschlag: Beginnen Sie Ihre Dombesichtigung nicht direkt am Dom, fahren Sie nicht wie ich mit dem Taxi direkt auf den Domplatz. Nehmen Sie sich mehr Zeit, und wandern sie durch die verwinkelten Gässchen Bambergs den Domberg hinauf. Schließlich kommen Sie auf dem Domberg an, stehen auf dem Domplatz. Vor Ihnen erhebt sich majestätisch der herrliche Dom. Sie stehen vor dem Ostchor des Doms. Zur Rechten befindet sich die Marienpforte, zur Linken die Adamspforte. Bevor Sie in den Dom hineingehen – mein Vorschlag: Besuchen Sie zunächst an der Marienpforte am Nordostturm des Doms den Löwen-Kröten-Dämon Nummer 1.

Foto 5: Domkröte an der Adamspforte

Christine Conrad schreibt in »Bamberger Dom/ Ein Rundgang« (4) im Kapitelchen über die Marienpforte: »Ein mächtiger Steinkoloss bewacht das Portal. Es ist ein Löwe, dem der Zahn der Zeit ordentlich zugesetzt hat. Wegen seines robusten Aussehens wird er gern als Domkröte bezeichnet. Dieser Löwe gehörte schon zum ersten Heinrichs-Dom und ist damit gut 1000 Jahre alt. Sein Pendant befindet sich an der Adamspforte.« Für den Namen »Domkröte« gibt es eine mögliche Erklärung. Die Statuen stehen in der Nähe von Stufen. Die hießen »Greden«. Daraus soll der Volksmund »Kröten« gemacht haben.

Foto 6: Wesen an der Adamspforte
Beide Statuen wirken auf mich sehr viel monströser als majestätische Löwen, eher wie Mischwesen aus uralten Zeiten. Wie klassische Wappentiere sehe sie auf gar keinen Fall aus. Beide sind seltsam deplatziert, niemand vermag zu sagen, welche Plötze sie am oder im Heinrichs-Dom innehatten. Und wir wissen schon gar nicht, ob die Baumeister des ersten die beiden steinernen Kolosse nicht doch von einem noch älteren, womöglich heidnischen Tempel, übernommen haben. Entscheiden Sie selbst: Sind die beiden Steinstatuen Darstellungen stark verwitterter Löwen oder doch von Mischwesen, von albtraumhaften Kreaturen aus den Urzeiten von Fabeln und Mythologie? Übrigens: Wenn Sie sich etwas mehr Zeit bei der Besichtigung des Doms nehmen, werden sie allerlei Mischwesen entdecken.

Fakt ist: Im Jahr 1004 wurde mit dem Bau des ersten Doms begonnen . Der Sakralbau wurde dem Heiligen Petrus geweiht.

Fakt ist: Heinrich II. und Gemahlin Kunigunde gründeten am 1. 11.1007 das Bistum Bamberg.

Fakt ist: Ostern 1081 brach im Dom ein Feuer aus, der massive Bau musste in erheblichem Umfang renoviert, konnte aber gerettet werden. Ein Neubau war nicht erforderlich. Noch nicht …

Fakt ist: 1185 brach wieder ein Feuer im Dom aus. Die Katastrophe machte einen Neubau 

Foto 7: Löwe oder Mischwesen?

erforderlich. Im gleichen Jahr wurde nach Abriss der Domruine sofort mit der Errichtung des heutigen Doms begonnen. Am 6. Mai 1237 konnte die feierliche Schlussweihe vollzogen werden. Zwei monströse Steinplastiken überstanden die Katastrophen und stehen noch heute an der Marien- und an der Adamspforte: von der Zeit verstümmelte Löwen oder doch Mischwesen? Michwesen gibt es viele im Dom zu Bremen.

Foto 8: Die Kreatur von der Marienpforte
Fußnoten

1) Nähere Angaben zum zitierten Werk kann ich keine machen. Es lag mir als Buchfragment vor.
2) Kirchner, Marco: »Sagen und Legenden aus Bamberg«, 1. Auflage, 26. März 2015, Pos. 310, als eBook erschienen im  John Verlag
3) Schöppner, Alexander: »Bayrische Sagen/ Sagenbuch der Bayerischen Lande«, Band 1, München 1852
4) Conrad, Christine: »Bamberger Dom/ Ein Rundgang«, Bamberg, Heinrichs-Verlag, 2011, S. 5

Zu den Fotos

Foto 9: Kreatur an der Marienpforte - mit Krötenmaul?

Foto 1: Der Dom im August 2016. Foto Walter-Jörg Langbein 
Foto 2: Der Dom etwa 1920. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein 
Foto 3: Domkröte an der Marienpforte. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Domkröte an der Marienpforte. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Domkröte an der Adamspforte. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Wesen an der Adamspforte. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Löwe oder Mischwesen? Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Die Kreatur von der Marienpforte. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Kreatur an der Marienpforte - mit Krötenmaul? Foto Walter-Jörg Langbein

»353 Boten der Göttin«,
Teil  353 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 23.10.2016

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