Sonntag, 15. Dezember 2019

517. »Von einer Wüstenstadt zu ›fremden‹ Erden«

Teil 517 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Warum heißt die mysteriöse Ruinenstadt in einem weiten Talkessel im Bergland von Edom auf halbem Weg zwischen dem Golf von Akaba und dem Toten Meer Petra? Der Name der einstigen Metropole im Reich der Nabatäer im heutigen Jordanien ist rasch erklärt: »Petra« geht auf das altgriechische Πέτρα, zu Deutsch, »Fels«, zurück. Der Name Petra ist für die antike Hauptstadt Petra sehr gut gewählt. Wurden doch ihre imposanten Gebäude aus gigantischen Steinformationen herausgearbeitet. Wie die Ruinenstadt von den einstigen Erbauern genannt wurde, das ist umstritten.

Foto 1: Die mysteriöse Stadt in Stein Petra, Jordanien.

Vielleicht wird die geheimnisvolle Stadt bereits im »Alten Testament« erwähnt. Im Buch Richter (1), aber auch im 2. Buch Könige (2) taucht der Name »Sela« auf. »Sela« lässt sich mit »Fels« oder »Stein« übersetzen. Sollte damit »Petra« gemeint sein? Ist überhaupt eine von Menschen gebaute Stadt oder eine natürliche Felsformation gemeint?

Beim jüdisch-römischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus (* 37 oder 38 n.Chr.;† nach 100 n.Chr.) wird Petra »Reqem«, »Reqmu« oder »Rakmu« genannt. Der Name lässt sich mit »die Rote« übersetzen. Tatsächlich ist der Sandstein von Petra rötlich. Darf dies als ein Hinweis auf den ursprünglichen Namen Petras verstanden werden?

Von Petra zu Petrus. Warum nannte Jesus seinen Jünger Simon »Petrus«? Im Evangelium nach Matthäus lesen wir eine Begründung (3): »Und er führte ihn zu Jesus. Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels.« So steht es in der berühmten Luther-Bibel. So lesen wir in der Elberfelder Bibel: »Und er führte ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sprach: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du wirst Kephas heißen - was übersetzt wird: Stein.« Eine Fußnote verrät uns, dass »Stein« im Griechischen »petros« und im Lateinischen »petrus« heißt.

Foto 2: Die mysteriöse Stadt in Stein Petra, Jordanien.

Zahlreiche Namen werden in der Bibel erklärt. Oftmals sind die Begründungen für Namen sprachlich nicht so ohne weiteres nachvollziehbar und eher Eselsbrücken ohne echte linguistische Legitimation. Eine der wichtigsten »Erklärungen« für einen biblischen Namen bezieht sich auf die Umbenennung von »Simon« in »Petrus«. Warum macht Jesus aus Simon den Petrus? Die Luther-Bibel von 2017 lässt Jesus im  Evangelium nach Matthäus sagen (4): »Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen.« Die »Einheitsübersetzung« von 2016 geht einen Schritt weiter: »Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Pforten der Unterwelt werden sie nicht überwältigen.« In der »Einheitsübersetzung« wird aus Jesu »Versammlung« die »Kirche Jesu«.

Der folgende Vers (5) soll Petrus als Nachfolger Jesu legitimieren: »Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird im Himmel gelöst sein.« Auf diesem »Stein« basiert das Papsttum, hat doch Jesus selbst Petrus die Schlüssel zum Himmelreich gegeben. Petrus, der erste Papst, kann den Gläubigen das Tor zum Himmel öffnen. Ist es denn nicht Petrus, dem Jesus die Macht schlechthin überträgt? Was Petrus entscheidet, das gilt, so legt der Vers doch nahe, auf Erden wie im Himmel.

So einleuchtend die Erklärung auch anmutet, so unlogisch ist sie aber auch. Jesus sprach Aramäisch und nicht Griechisch oder gar Lateinisch. Jesus hätte einem Jünger nie einen griechischen oder lateinischen, sondern natürlich einen aramäischen Beinamen verliehen. Erinnern wir uns: Die Römer waren die Herren im »Heiligen Land«, die Besatzungsmacht. Von ihrem Messias erwarteten die Juden zu Lebzeiten Jesu den Sieg über die verhassten Römer.

Foto 3: Wollte Jesus seine »Kirche«
auf Petrus bauen?
Ich muss meine Frage wiederholen: Warum nun nannte Jesus seinen Jünger Simon »Petrus«? Die Antwort findet sich im Aramäischen. Sie ist weit weniger schmeichelhaft als katholische Theologen den Bibeltext gern interpretieren.

George Mamishisho Lamsa (*1892; †1975), profunder Kenner der Sprache Jesu, führt aus (6): »Der Name ›Simon‹ (aramäisch ›Schimun‹) wurde von vielen Müttern gewählt, die um einen Sohn gebetet hatten und erhört worden waren. Dankbar nannten sie ihr Kind dann Schimun, nämlich im Sinne von ›Gott hat mich erhört!‹ Schimun bedeutet nämlich ›gut hörend‹, allerdings auch ›schnell begreifend‹.«

Nun war aber »Simon«, George Mamishisho Lamsa weist darauf hin, alles andere als schnell von Begriff, sondern schwerfällig und langsam im Denken. Deshalb wurde er von Freunden offensichtlich spöttisch »Kepa«, also »Steinblock«, gerufen, eben, weil er träge im Denken war.

Die theologische Erklärung »auf diesen Felsen baue ich meine Gemeinde« muss als Interpretation im Nachhinein gesehen werden. Jesus hat Simon nicht in Petrus umbenannt. Simon trug den Beinamen »Kepa«, »Steinblock«. Und dieser Spitzname wurde ins Griechisch-Lateinische Petrus übersetzt. In östlichen Evangelientexten gibt es übrigens den Namen »Simon Petrus« nicht, sondern nur »Schimun Kepa«, weil man offensichtlich den Namen eben nicht ins Griechisch-Lateinische übertragen hat.

Theologie greift gern auf althergebrachte Texte zurück und interpretiert sie auf ihre Weise. Rückwirkend werden Lehrmeinungen und Dogmen bestätigt, auch wenn dabei die alten Texte verbogen werden müssen. Zurückgegriffen wird auf ältere Texte, denen allein schon ob ihres Alters Respekt entgegengebracht wird. Was schon lange überliefert wurde, hat sich nach und nach ins Bewusstsein der Menschen eingegraben und wird von vielen als »richtig« empfunden. Deshalb wird von Theologen gern auf ältere Texte und Bilder zurückgegriffen, die in neue religiöse Bilder eingebaut werden.

Es gibt Monstermauern aus Stein, die aber in der Regel nur befristet Feinde abhalten konnten. Es gibt Mumien als konservierte haltbar gemachte Leichname. Aber anders als steinerne Mauern und erstarrte Tote ändern sich Ideen und Gedanken auch der religiösen Art im Verlauf der Jahrtausende, führen aber grundsätzliche Vorstellungen aus uralten Zeiten nur fort. Es lohnt sich, zu den Monstermauern dieser Welt zu reisen, die Mysterien unseres Planeten von Ägypten bis Vanuatu zu erforschen. Es lohnt sich erst recht, unsere Wurzeln zu ergründen. Was in »Heiligen Büchern« wie Bibel und Koran steht, das sind keine Neuschöpfungen aus dem Nichts, da wurden vielmehr sehr viel ältere Bausteine aus sehr viel älteren Mythenwelten übernommen, mehr oder minder stark bearbeitet und wieder eingesetzt.

Foto 4: Sollte Petrus Jesu
»Nachfolger« werden?
Mich fasziniert es schon seit Jahrzehnten, archaischen Bildern, die wir in der Bibel, speziell im »Alten Testament« finden, auf den Grund zu gehen und nach ihren Ursprüngen zu suchen. Seit Jahrzehnten versuche ich die alten Quellen zu erforschen, aus denen geschöpft wurde. Es wird in der vermeintlich wissenschaftlichen Theologie meiner Meinung nach viel zu wenig beachtet, welches alte Material verformt und was beim Verfassen der neueren Texte weggelassen wurde. Aus reichem Quellenmaterial aus alten und uralten Zeiten wurde übernommen. Manches wurde fast unverändert abgeschrieben, viele Informationen ließ man unter den sprichwörtlichen Tisch fallen.

Manches, was aus alten Quellen übernommen wurde, findet sich noch im hebräischen Text des »Alten Testaments«, verschwindet aber in den Übersetzungen. Der erste Satz des »Alten Testaments« verkündet im Hebräischen, dass Gott am Anfang Himmel und Erde schuf. Die »Neue evangelistische Übersetzung« von Karl-Heinz Vanheiden verdeutlicht in einer Fußnote die Problematik der falschen Übersetzungen besonders gut: »Im Hebräischen steht das Verb bara (schuf) in der Einzahl, Gott und Himmel aber in der Mehrzahl. Bara im Sinne von Schaffen wird im Alten Testament nur für das Schaffen Gottes verwendet. Nie wird dabei ein Stoff erwähnt, aus dem Gott schafft.« Die »Elbefelder Bibel« spricht eindeutig von Himmel und von Gott in der Einzahl: »Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.« Andre Übersetzungen wie die »Elberfelder« lassen den Artikel weg und blieben zweideutig: »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.« In dieser Version erkennen wir nicht, ob »Himmel« in der Einzahl- oder in der Mehrzahlform verwendet wird.

Als besonders bibeltreu darf die vom Theologen Franz Eugen Schlachter (*1859; †1911) erarbeitete Übersetzung der »Heiligen Schrift« gelten. Sie wurde erstmals im Jahr 1905 veröffentlicht. 1951 erarbeitete die »Genfer Bibelgesellschaft« mit Zustimmung der Familie Schlachter eine revidierte Fassung der Schlachter-Übersetzung von 1905. Die heute gängige Ausgabe wurde als »Schlachter 2000« publiziert. Und hier lesen wir den ersten Satz des »Alten Testaments« korrekt übersetzt so: »Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde.«

Unbeeindruckt vom Originaltext verfälschen die »Menge Bibel« und »Neues Leben/ Die Bibel« im ersten Satz des Alten Testaments »die Himmel« (Mehrzahl!) zu »den Himmel«. Den gleichen Fehler macht auch die englische »King James Version« (7), während »The New International Version« korrekt die Mehrzahl wiedergibt: »the heavens« (Mehrzahl) und nicht »the heaven« (Einzahl).

Religiöse »Denker« sehen den Menschen als die Krone der Schöpfung, als das Nonplusultra schlechthin an. Da wird extreme Nabelschau betrieben und die Existenz von anderen »Erden« mit anderen »Himmeln« wird kategorisch verneint. Wir müssen nach diesem »Denken« ganz einfach die »allergrößten« Kreaturen der Schöpfung sein? Der religiöse »Denker« sieht das so, weil er über sich als höher stehendes Wesen nur noch Gott selbst dulden mag. Wenn Gott das Allerhöchste schlechthin ist, dann kommen wir – nach diesem »Denken« – in der Rangfolge schon auf Platz 2. In diesem religiösen Weltbild hat über uns nur Gott einen Platz, der Rest aber hat sich unter uns einzuordnen.

»Wissenschaftlicher« Hochmut ist allerdings nicht angebracht. Denn auch im »wissenschaftlichen« Weltbild der Evolution ist der Mensch die »Krone«, wenn auch nicht als das Ergebnis einer göttlichen Schöpfung, sondern einer erstaunlichen Verkettung von Zufällen. Im »wissenschaftlichen« Weltbild gibt es keinen Gott. Der Mensch steht ganz oben, wo im religiösen Weltbild Gott herrscht.

Die umfangreichen »Legenden der Juden« freilich wissen von Himmeln (Mehrzahl!) und von fremden »Erden« (Mehrzahl!) zu berichten, auf denen – wie auf Terra – auch »Menschen« leben, nur ganz andere. 

Zur Lektüre empfohlen
Bourbon, Fabio: »Petra/ Die geheimnisvolle Felsenstadt«, Köln 2004
Taylor, Jane: »Petra und das versunkene Königreich der Nabatäer«, Düsseldorf 2002

Bibelausgaben
Die im Text zitierten und die erwähnten diversen Bibelausgaben sind im Internet leicht auffindbar. Wer ernsthaft die Texte der Bibel studieren möchte, der sollte sich nicht auf eine bestimmte Übersetzung beschränken, sondern alle möglichen Übersetzungen vergleichend heranziehen.

Fußnoten
(1) Buch Richter Kapitel 1, Vers 36
(2) 2. Buch der Könige Kapitel 14, Vers 7
(3) Das Evangelium nach Johannes Kapitel 1, Vers 42 in der »Lutherbibel 2017«
(4)  Das Evangelium nach Matthäus Kapitel 16, Vers 18 in der »Lutherbibel 2017«
(5) Das Evangelium nach Matthäus Kapitel 16, Vers 19 in der »Einheitsübersetzung« von 2016
(6) Lamsa, George Mamishisho: »Die Evangelien in aramäischer Sicht«, St. Gallen 1963, Seiten 364 und 365
(7) »In the beginning God created the heaven and the earth.«

Zu den Fotos
Foto 1: Die mysteriöse Stadt in Stein Petra, Jordanien. Foto wikimedia commons, Berthold Werner (Ausschnitt).
Foto 2: Die mysteriöse Stadt in Stein Petra, Jordanien. Foto wikimedia commons, Berthold Werner (Ausschnitt).
Foto 3: Wollte Jesus seine »Kirche« auf Petrus bauen?
Foto 4: Sollte Petrus Jesu »Nachfolger« werden?

518. »Reise ins Vorgestern«,
Teil 518 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 22. Dezember 2019



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