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Sonntag, 14. Juni 2015

282 »Mönch und Monster«

Teil 282 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Fotos 1 und 2: Dom von Verden bei Nacht

Bei den Maya hatte der Ceiba-Baum eine ganz besondere, religiös-mythologische Bedeutung. Als Weltachse verband er den Himmel mit der Unterwelt. Die Krone des Baums versinnbildlichte die himmlischen Gefilde, das Wurzelwerk unter der Erde die Unterwelt.

Die Weltachse der alten Germanen war die Weltesche Yggdrasil. In der Krone lebten die Götter, unterirdisch hausten bei den Wurzeln Schlangen und Drachen. Schlangen und Drachen sind auch in der christlichen Kunst. Mich faszinieren diese Fabelwesen schon viele Jahre. Wenn ich sakrale Bauten besuche, achte ich auch und besonders auf Schlangen und Drachen…. Im Reich der Mayas ebenso wie in christlichen Kirchen Europas.

Zweimal, jeweils zur Tag- und Nachtgleiche, findet in Chichen Itza ein phänomenales Schauspiel aus Licht und Schatten statt: Eine Himmelsschlange steigt gemächlich die Stufen einer Pyramide vom Himmel zur Erde herab und klettert wieder in die himmlischen Regionen empor. Während bei den Maya die Himmelsschlange Quetzalcoatl eine positive Lichtgestalt war, galt und gilt sie im Christentum als teuflisches Wesen. Meiner Meinung nach lebt in der »bösen« Schlange der Bibel eine sehr viel ältere, positive Gottheit weiter.

Foto 3: Der Mönch lächelt milde...

Wiederholt wurde ich im Verlauf der letzten Jahre auf eine angeblich besonders interessante Schlangendarstellung hingewiesen, die von Steinmetzen schon vor Jahrhunderten für den Dom zu Verden an der Aller geschaffen wurde. So recherchierte ich und wurde nicht fündig. Ich studierte Kirchführer, nirgendwo gab es Abbildungen oder Beschreibungen von Schlangen im Verdener Dom. Relativ ausgiebig wurde in der Literatur eine Urkunde erwähnt, die angeblich die Gründung des Bistums Verden im Jahr 786 dokumentiert. Besagtes Dokument, so steht da geschrieben, gehe auf Karl den Großen selbst zurück. Inzwischen gilt die Urkunde als Fälschung, die erst Mitte des 12. Jahrhunderts fabriziert wurde.

Fotos 4 und 5: Sonnenuhr bei Nacht

Ich recherchierte gründlich, erfuhr viel Interessantes über Verden und seinen Dom, aber nichts über Schlangendarstellungen im und am Gotteshaus. Doch dann stieß ich in den Weiten des Internets auf ta-dip, die private Homepage von Reinhold Kriegler mit dem Themenschwerpunkt »Sonnenuhren« (1). Auf dieser umfangreichen Seite geht Reinhold Kriegler auch auf den Dom zu Verden und eine mysteriöse Sonnenuhr ein. Kriegler konstatiert da (2):

»Ich hatte vor etlichen Jahren die Verdener Sonnenuhren fotografiert. Damals noch mit Film. Für ta-dip hatte ich dann die Papierabzüge gescannt und diese eingestellt. Nun war ich am 17. Juli 2013 abermals dort. Ich bedaure es so sehr, daß niemand die absolut einzigartige Qualität dieser mittelalterlichen Sonnenuhr, getragen von einem sanft lächelnden Mönch erkennt!«

Fotos 6 und 7: Sonnenuhr bei Tag

Krieglers kurze Beschreibung machte mich neugierig. Krieglers Fotos faszinierten mich. Diese mysteriöse Sonnenuhr musste ich persönlich in Augenschein nehmen. Also fuhr ich nach Verden. Abends führte mich mein Weg gleich zum Dom. Da stand ich vor dem »Haupteingang«, der sich hinter einer großen hölzernen Tür verbirgt. Ich wandte mich nach rechts, umrundete den hinter massiven Mauern liegenden Kreuzgarten. So kam ich an den Glockenturm. Jetzt ging’s nach links, etwas mehr als dreißig Meter weiter war ich am Ziel.

In der Dunkelheit des Abends beeindruckt mich die geschickt von einem Scheinwerfer angestrahlte Sonnenuhr. Da ist ein stehendes menschliches Wesen zu sehen, das offensichtlich zum Teil erheblich beschädigt wurde. Der Kutte nach zu urteilen kann es sich um einen Mönch handeln. Vor seiner Brust trägt der Geistliche etwas. Es kommt mir so vor, als würde der Mönch ein Buch lesen. Ist das der Fall? Wohl eher nicht. Meine Taschenlampe kommt zum Einsatz. Ich erkenne etwas mehr als im Scheinwerferlicht. Es ist kein Buch, was der Mönch (?) da vor sich hin hält, dem Betrachter förmlich entgegenstreckt, sondern das Zifferblatt einer Sonnenuhr.

Foto 8: Der Mönch steht auf...?
Der Mönch steht auf irgendetwas, das heißt: er stand, denn seine Beine fehlen. Wurden sie mutwillig abgeschlagen? Oder fielen sie dem Zahn der Zeit zum Opfer? Worauf hat der Mann mit der Sonnenuhr einst gestanden? Im Schein der Taschenlampe versuche ich, Einzelheiten auszumachen.  Da sind Beine oder Füße zu erkennen, ein mächtiger Leib wie der eines Löwen und so etwas wie eine Schlange. Wieder sind erhebliche Schäden auszumachen, die eine klare Identifikation der Tiere unmöglich machen. Am nächsten Tag bin ich in aller Frühe wieder vor Ort.

Voller Spannung schraube ich meine Kamera (Nikon D3300) auf eine Teleskopstange, schiebe die Stange nach oben, bis die Kamera in Höhe des Mönchs eigentlich vorzügliche Fotos direkt von vorn und ohne perspektivische Verzerrung liefern könnte. Sie tut es aber nicht, der Fernauslöser verweigert seinen Dienst. Trotzdem gelingen mir per Teleobjektiv (Nikon D800E) interessante Aufnahmen, vom  Mönch und von den Fabelwesen zu seinen Füßen. Das heißt: Füße hat der steinerne Mann ja keine mehr. Man kann aber eher erahnen als sehen, wo sie einst standen.

Foto 9: Löwe ohne Kopf?

Vom Betrachter aus links imponiert ein vierbeiniges Wesen mit mächtigem Leib. Das Haupt fehlt leider völlig. Am Ende seines Schweifs hat das Tier eine Quaste. Es dürfte sich also wohl um einen Löwen handeln. Und der kämpft, ja mit wem? Mit seinen Pranken umklammert der Löwe etwas Langes, Schlangenartigs. Nur eine Schlange ist es wohl nicht, eher der stark beschädigte Schweif des zweiten Tieres. Ist es ein Drache, ein Lindwurm vielleicht? Schuppig ist sein Leib jedenfalls, was zum Drachen oder Lindwurm passen würde. Reckt das schuppige Tier den schlanken Hals gen Himmel? Ein Kopf ist nicht auszumachen.


Foto 10: Schuppentier mit Sattel?

Auf dem »Rücken« des Schuppentieres liegt etwas Undefinierbares, eine Art Decke (?) oder gar Sattel? Was es auch sein mag, es ist deutlich vom schuppigen Leib abgegrenzt, und zwar durch eine gezackte Linie. Spekulieren wir: Da kämpfen ein Löwe und ein Drache gegeneinander. Symbolisieren sie verschiedene Gruppierungen im Heidentum, auf denen triumphierend der Mönch als Stellvertreter für das Christentum steht? Der Mann Gottes lächelt milde, sanft. Warum? Weil er sich überlegen fühlt? Oder ist er wissend, eingeweiht? Steht für ihn das Christentum auf seinen heidnischen Vorläufern? Ersetzt die »neue« Religion die »alte« nicht, sondern baut auf ihr auf?

Wir wissen, dass der Dom zu Verden just dort errichtet wurde, wo einst eine heidnische Kultanlage Gläubige anlockte, wo auch Gericht abgehalten wurde. Sind die Monsterwesen unter dem Mönch eine Anspielung auf das Heidentum?

Wie lang mögen Christentum und Heidentum nebeneinander konkurrierend bestanden haben? Wurde die angeblich auf Karl den Großen zurückgehende Urkunde gefälscht, um die Gründung weit zurück in die Vergangenheit zu legen?

Sollte so das Christentum in Verden älter gemacht werden als es war… und die »Heidenzeit« weiter zurück in die Vergangenheit gedrängt werden?

Foto 11: Im Dom zu Verden, Blick zur Orgel

Warum findet sich in keinem von mir studierten Buch über Verden und den Dom eine Beschreibung der geheimnisvollen Sonnenuhr? Warum gab es am üppig bestückten Karten- und Schriftenstand im Dom unter den diversen Ansichtskarten vom Dom keine einzige von der Sonnenuhr? Nüchtern stellt die »Sonnenuhr-Bibel« von Dr. Hugo Philipp zur Sonnenuhr von Verden fest: »Gravur auf Platte, welche von einer Figur getragen wird, Werkstoff: Naturstein, entstanden vermutlich 1300, Stil: gotisch, Zustand mangel(haft)«

Fakt ist: Der Mönch und die Monster mit der Sonnenuhr… ein mysteriöses Kunstwerk von beachtlichem Alter … ist in seiner Art einzigartig. Etwas Vergleichbares gibt es nicht. Warum wird es dann so stiefmütterlich behandelt?

Foto 12: Im Dom zu Verden, Blick zum Altar
   
Fußnoten

(1) http://www.ta-dip.de/sonnenuhren.html

(2) http://www.ta-dip.de/sonnenuhren/sonnenuhren-aus-nah-und-fern/niedersachsen/sonnenuhren-in-verden.html

(3) Philipp, Hugo et al: »Sonnenuhren/ Deutschland und Schweiz«, Stuttgart 1994
(Das Werk enthält keine Seitenangaben, ist nach Postleitzahlen geordnet. Die
Sonnenuhr von Verden findet sich unter »27283 Verden Ni(edersachsen)«

DANK

Herrn Roland Kriegler möchte ich  recht herzlich für die interessante Korrespondenz danken! Seine Homepage ist sehr interessant! Ein Besuch lohnt sich allemal!


Zu den Fotos

Fotos 1 und 2: Dom zu Verden bei Nacht. Im rechten Foto habe ich die Sonnenuhr gelb markiert.
Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Ein Mönch lächelt milde. Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 4 und 5: Sonnenuhr bei Nacht. Fotos Walter-Jörg Langbein
Fotos 6 und 7: Sonnenuhr bei Tag. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Der Mönch steht auf..? Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Löwe ohne Kopf? Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Schuppentier mit Sattel? Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Im Dom zu Verden, Blick zur Orgel. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 12: Im Dom zu Verden, Nlick zum Altar. Foto Walter-Jörg Langbein


283 »Der Ritt auf zwei Eseln«,
Teil 283 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 21.06.2015



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Sonntag, 29. März 2015

271 »Hexen und ein Steinerner Mann«

Teil 271 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein


Der Dom zu Verden. Teilansicht. Foto W-J.Langbein
»Wir stehen hier im Zentrum von Verden an der Aller!«, schwadronierte der wütende Mann. Mir kam er wie ein Lehrer vor, der seiner Klasse beim Schulausflug kruden Unfug erzählte. »Und dieser Felsbrocken hier, das ist der Lögensteen! Man bezeichnet ihn auch als Lugenstein! Warum?« Die Schulkinder kicherten verlegen. »Das habe ich euch doch schon genau erklärt!« Der Lehrer wurde sichtlich ärgerlich. »Ich habe euch doch intensiv auf unseren Besuch hier vorbereitet! Der Steinbrocken trägt den Namen Lugenstein oder Lügenstein, weil…..« Jetzt setzte ein bebrillter Schüler ein: »…weil hier die Heiden gelogen haben!« Die Stimmung des Lehrers hellte sich auf. »So ist es! Die Heiden hatten einen falschen Glauben! Sie versammelten sich hier am Lügenstein und feierten ihre Feste. Ihr Glaube war natürlich die reine Lüge!« Einige Schüler lachten, einige zischten »Streber!«

Dom zu Verden. Innenansicht. Foto W-J.Langbein
Richtig ist, dass es einst im heutigen Verden an der Aller einen »Lugenstein« gab und gibt. Der Name leitet sich aber nicht von der »Lüge« ab, sondern geht über das Sächsische auf den lateinischen Begriff »Lex«, »Gesetz«, zurück. Es gab zu heidnischen Zeiten im heutigen Verden an der Aller einen markanten Stein am Gerichtsplatz, wo in vorchristlichen Zeiten Recht gesprochen wurde. Karl der Große soll dann just an dieser Stelle »Recht« gesprochen haben.  Zutreffender dürfte die bis heute gebräuchliche Bezeichnung »Blutgericht« von Verden sein. 4500 Sachsen, die sich weigerten, zum Christentum zu konvertieren, wurden anno 782 angeblich von Karl dem Großen zum Tode durch Enthaupten verurteilt und hingerichtet. Die Leichen habe man in die Aller geworfen. Das Wasser des Flusses sei vom vielen Blut rot geworden.

1921 gab es in Verden Notgeldscheine zu 25 Pfennig, 50 Pfennig, 75 Pfennig und 1 Mark. Auf dem 1-Mark-Schein wurde der »weltgeschichtlichen Hinrichtung der 4500 Sachsen bei Verden durch Karl den Großen 782« gedacht.

Notgeld von Verden. Archiv Langbein

Ob es sich beim heutigen »Lugenstein« um das Original aus vorchristlichen Zeiten handelt, muss dahingestellt bleiben. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein kurioser Monolith, der vor Jahrzehnten gesprengt und später ins örtliche »Heimat-Museum« geschafft wurde. Es könnte sich dabei um einen Opferstein gehandelt haben. Das, freilich, ist reine Spekulation. In der Schulwissenschaft besteht ja die Neigung, geheimnisvolle Objekte sogleich als »Kultobjekte« zu identifizieren.

Wie viele der rebellischen Sachsen in Verden ihr Leben lassen mussten, ist und bleibt umstritten. Waren es tatsächlich, wie lange allgemein angenommen, 4500 Tote, oder doch nur »einige wenige Dutzend«? Oder waren es zwischen 400 und 500 Hingerichtete?

Fest steht: Es gab einst im heutigen Areal von Verden eine Gerichtsstätte und ein heidnisches Heiligtum. Das heidnische Heiligtum dürfte auf Befehl Karl des Großen zerstört worden sein. Und just dort wurden gleich zwei kleine christliche Kirchen aus Holz gebaut.

Tikal in Guatemala. Foto W-J.Langbein
Während sich die Christen von Verden mit zwei bescheidenen Holzbauten begnügen mussten, ragten in einem anderen Teil der Welt weitaus beeindruckendere Bauten aus Stein in den Himmel. Im nördlichen Guatemala erlebte zu jener Zeit die Mayastadt Tikal einen glanzvollen Höhepunkt.

Allein im zentralen Bereich der Stadt – Fläche etwa 16 Quadratkilometer – gab es mehr als dreitausend Gebäude. Und die größten Stufenpyramiden Mittelamerikas ragten stolz in den Himmel. 100 Stufen mussten erklommen werden, wollte man das Heiligtum von »Ah Cacao« (»Tempel des Jaguars«) erreichen. Die Priesterastronomen waren Experten in Sachen Kalendererstellung. Sie beobachteten mit religiöser Inbrunst den Verlauf der Sonne, richteten die steinernen »Kultbauten« mit unglaublicher Präzision aus. Im späten 9., vielleicht erst im frühen 10. Jahrhundert endete abrupt die Bautätigkeit in Tikal. Die Stadt wurde aufgegeben und verlassen. Der Urwald eroberte die einst so glanzvolle Metropole zurück. Bis heute wurde erst ein kleiner Teil der Stadt von Archäologen ausgegraben. Besonders im riesigen Außenbereich der Stadt wurde erst ein Bruchteil der Bauten freigelegt.

Der Turm des Doms. Foto Langbein
Unklar ist, warum in Verden gleich zwei Holzkirchen in unmittelbarer Nähe gebaut wurden. Waren zwei christliche Gotteshäuser erforderlich, um das weit ältere heidnische Heiligtum zu übertrumpfen? Beide Sakralbauten fielen Bränden zum Opfer, um 850 der erste, um 950 der zweite. Ein erster Bau aus Stein folgte einige Jahrzehnte später, zu Beginn des elften Jahrhunderts. Wieder kam es zu einer Brandkatastrophe. Im späten zwölften Jahrhundert wurde – wieder just dort, wo einst die »Heiden« ihren Göttern gehuldigt hatten - zu Verden ein steinerner Dom gebaut. Lange bestand das Gotteshaus nicht.  Es wurde Ende des dreizehnten Jahrhunderts durch einen Brand zerstört. Die unteren Geschosse des wuchtigen Turms trotzten der Katastrophe und wurden als Basis für den »neuen« Turm genutzt. Vollendet wurde das Gotteshaus 1829.

»Wir stehen hier im Zentrum von Verden an der Aller!«, schwadronierte der Lehrer wieder vor seiner Schulklasse. Er reckte seine Arme prophetengleich gen Himmel. »Gott hat bewiesen, dass nach seinem Willen an dieser Stelle sein Haus stehen sollte! Der Teufel wollte das verhindern! Der Fürst der Finsternis hat alles unternommen, um den Bau des Doms zu verhindern. Zuletzt prozessierte er sogar gegen den Dom… und verlor!« Satan selbst soll gegen den Dom prozessiert haben? Der Pädagoge bezog sich wohl auf einen kuriosen Rechtsstreit, der vor einigen Jahren ausgetragen wurde.

Schon Wilhelm Busch konstatierte: »Musik wird störend oft empfunden, derweil sie mit Geräusch verbunden.«  In diesem Sinne zog eine Dame aus Verden vor den Kadi. Die langjährige Anwohnerin hatte zunächst vor dem Landgericht zu Verden auf Unterlassung des Orgelspiels im Dom geklagt. Was gemeinhin als sakrale Musik empfunden wird, das empfand sie als »unzumutbare Geräuschabsonderung«. Sie unterklag in erster Instanz vor dem Landgericht von Verden und in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht Celle. Das Urteil der ersten Instanz wurde bestätigt. Die »Lärmimmission« müsse nach dem »Empfinden eines Durchschnittsmenschen« als zumutbar gewertet werden. Weitere Schritte unternahm die Dame offenbar nicht. Zu behaupten, dass der Satan auf dem Wege der gerichtlichen Klage »gegen den Dom« vorgehen wollte, das kann nur als Ausgeburt eines außerhalb jeglicher Vernunft arbeitenden Gehirns bezeichnet werden.

Löwe und Einhorn. Foto Walter-Jörg Langbein

Es lohnt sich allemal, den Dom zu Verden zu besuchen. Sehenswert ist der romanische Taufstein aus der Zeit um 1150. Auf der Nordseite des Domes blieb ein romanischer Kreuzweg aus der gleichen Zeit erhalten. Er gehörte einst zu einem Kloster, von dem ansonsten kein Stein auf dem anderen blieb. Löwe und Einhorn zieren die Tür, die in den Kreuzgang führt. Man kann nur erahnen, wie der einst vierflügelige Kreuzgang ausgesehen haben mag. Er wurde anno 1180 angelegt, ist aber leider nur noch fragmentarisch erhalten. Durchschreitet man den Kreuzgang steht man schließlich vor Skulpturen, die einst Bischof Eberhard von Holle  im 16. Jahrhundert hat anfertigen lassen.


Der »Steinerne Mann«. Foto Walter-Jörg Langbein

Anno 1517 begann in Verden an der Aller die grausame Zeit der Hexenprozesse. Es wurde gefoltert, verurteilt und verbrannt: vor der Reformation und nach der Reformation. Mit Einführung der lutherischen Reformation durch Eberhard von Holle endete der Irrsinn der Hexenprozesse keineswegs. Martin Luther selbst befürwortete das Verbrennen der Hexen.

Auf die Anklage folgte die Folter, die Männern und Frauen absurdeste »Geständnisse“ abtrotzte. Sechs angeklagte Frauen wurden so grausam gemartert, dass sie starben, bevor sie verurteilt werden konnten. Fünf weitere Frauen verstarben in der Haft. 26 Frauen und sechs Männer wurden verurteilt und bei lebendigem Leib verbrannt. Einigen Angeklagten, so vermerken es die Akten, gelang rechtzeitig die Flucht.

In der Dommauer gefangen... Foto Walter-Jörg Langbein

Einst, so wird überliefert, veruntreute ein Küster Dom-Gelder und verprasste alles. Man kam ihm auf die Schliche und forderte Rechenschaft von dem Mann. Frech bestritt er bei einer Anhörung im Dom seine Diebstähle! »Ich habe die Wahrheit gesagt!«, soll er frech ausgerufen haben. »Und wenn ich lüge, soll mich der Teufel holen!« Satan soll daraufhin versucht haben, den Dieb durch das Domgemäuer zu zerren. So sehr er es auch versuchte, es gelang ihm nicht vollends. Der Küster blieb in der Dommauer stecken und wurde zu Stein.


Das ist nicht der »Steinerne Mann«. Foto Walter-Jörg Langbein

Den »Steinernen Mann« übersieht man leicht. Man findet ihn im Innenhof, an einer Ecke des nördlichen Seitenflügels, hoch oben, ein Stück unter dem Dach. Ich selbst hätte die kuriose Steinplastik fast verwechselt… mit einem seltsamen »Steinkreuz« auf dem Dach, das tatsächlich einer menschenähnlichen Gestalt ähnelt. Hat man dieses »Kreuz« erspäht, lässt man den Blick nach unten wandern und findet… den »Steinernen Mann«.

Der Kreuzweg von außen. Foto W-J.Langbein

Der Lugenstein. Foto W-J.Langbein
272 »Die Bremer Stadtmusikanten kamen nie nach Bremen«
Teil 272 der Serie

»Monstermauern, 
Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       

erscheint am 05.04.2015 

Und übernächsten Sonntag geht's um einen
»runden Geburtstag«....


273 »Erich von Däniken zum 80. Geburtstag«,
Teil 273 der Serie 
»Monstermauern, 
Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       

erscheint am 12.04.2015


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