Teil 573 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Foto 1: »Maria im Ährenkleid« Was wissen wir von der Wirklichkeit? Wie viel Wirklichkeit können wir erkennen?
In Platons berühmtem »Höhlengleichnis« sehen die Menschen nicht die
Wirklichkeit, sondern nur den Schatten eines Teils der Wirklichkeit. Was nahmen
unsere Vorfahren und unsere Vorvorfahren als »Realität« wahr? Der moderne Mensch
glaubt, dass der Jetztmensch von heute mehr von der Wirklichkeit weiß als alle
Generationen vor ihm. Aber ist das wirklich so?
Gewiss, das wissenschaftliche
Weltbild unserer Tage ist sehr viel faktenreicher als vor Jahrhunderten. Aber
wie war das vor Jahrtausenden? Wird uns Wissenschaft eines Tages verstehen
lassen, was wir heute noch nicht begreifen können? Was wäre, wenn wir dann
erkennen müssen, dass wissende Weise schon vor Jahrtausenden in bis heute
verkannten oder missverstandenen Werken die Ergebnisse modernster Wissenschaft
formulierten? Texte, die vor Jahrtausenden verfasst würden, dürfen aber kein
wissenschaftliches Wissen bieten, das womöglich das unsere weit übertrifft! Das
ließe sich mit unserer Eitelkeit nicht vereinbaren. Wir möchten uns als die
Menschen wissen, die mehr von der Welt verstehen als alle Menschen vor uns.
Unser Weltbild sieht ein kontinuierliches Wachstum an wissenschaftlichen
Erkenntnissen vor. Im Verlauf der Jahrtausende nach und nach aufgebaut wurde ein
Wissenschaftsschatz aufgebaut, der im Hier und im Jetzt kulminiert. Wenn uralte
Texte scheinbar Fantastisches bieten, dann dürfen die nur Fantastereien sein.
Dabei übersehen wir, dass unser aktuelles Wissen in Teilbereichen aus eigentlich
unvorstellbaren Fantastereien zu bestehen scheint. Max Karl Ernst Ludwig Planck
(*1858 in Kiel; † 1947), ein deutscher Physiker auf dem Gebiet der theoretischen
Physik, gilt als der »Vater« der Quantenphysik.
Um 1900 war die klassische
Physik an ihre Grenzen gestoßen, als es um die Beschreibung des Lichts oder des
Aufbaus der Materie ging. Die heutige Quantenphysik beschreibt Eigenschaften von
kleinsten Bestandteilen der Materie, die bescheidenen Lichtern wie mir wie pure
Magie vorkommen, ja vorkommen müssen. Mancher Zeitgenosse ist schon überfordert,
wenn es um die Frage von außerirdischen Wesen auf fernen Planeten geht. Dabei
diskutieren ernsthafte Wissenschaftler schon lange, ob es nur ein Universum
gibt. Oder ist unser Universum nur eines von vielen?
Wikipedia erklärt den
Terminus »Parallelwelt(en)« so (1): »Der Begriff Parallelwelt, auch
Paralleluniversum bezeichnet ein hypothetisches Universum außerhalb des
bekannten. Die Gesamtheit aller Parallelwelten wird als Multiversum bezeichnet.
Die Annahme von Parallelwelten (Mehrweltentheorie) wird in der Philosophie seit
der Antike erörtert. Zu unterscheiden ist dabei zwischen der Diskussion über
theoretisch mögliche Welten unter formalen Gesichtspunkten und den Hypothesen,
in denen solchen Welten eine wirkliche Existenz zugeschrieben wird. Auch in der
physikalischen Kosmologie wird die Möglichkeit der realen Existenz von
Parallelwelten diskutiert. Einer breiteren Öffentlichkeit ist die Vorstellung
vor allem aus der Science-Fiction bekannt.« Wikipedia schreibt weiter: »Die
Viele-Welten-Interpretation ist eine Interpretation der Quantenmechanik, die
1957 von Hugh Everett erstmals vorgeschlagen wurde.«
Parallelwelten werden
freilich nicht nur in Werken der Science-Fiction-Literatur beschrieben.
Wissenschaftsjournalisten wie Tobias Hürter (* 1972) und sein Kollege Max Rauner
(*1970) versuchen uns die Welt der Paralleluniversen verständlich zu machen (2).
Kluge Menschen wie Rüdiger Vaas (*1966) sind seit vielen Jahren bemüht, komplexe
Wissenschaftstheorien über Parallelwelten plausibel zu machen (3). In der
US-amerikanischen Zeichentrickserie von Justin Roiland und Dan Harmon »Rick and
Morty« geht es um Parallelwelten. Die Helden der Serie, der zynische geniale
Wissenschaftler Rick und sein leicht dümmlicher Enkel Morty, erleben
abenteuerliche Reisen in Paralleluniversen. Die Serie erlebte 2013 ihre Premiere
bei dem Kabelsender »Adult Swim«, ein Jahr später folgte in Deutschland bereits
die Ausstrahlung auf dem Sender »TNT Serie«. Im November 2019 ging Staffel 4 an
den Start. Wir schmunzeln über unterhaltsame Aufbereitung des Themas
»Parallelewelten« in Filmen wie »Yesterday«. Wir machen uns aber nicht bewusst,
dass das legendäre »Gilgamesch-Epos«, das vor gut drei Jahrtausenden vor allem
im babylonischen Raum entstand, auch im Sinne von Parallelwelten interpretiert
werden kann.
Gilgamesch besucht mit seinem Freund Enkidu fremdartige Orte:
Parallelwelten, wo »Götter« unsterblich sein dürfen. Und denken wir an das Reich
der »Ährenkönigin« hinter dem Felsentor unweit der »Burgruine Nordeck«. Handelt
es sich bei dem »Felsentor« um so etwas wie einen »Tunnel durch Raum und Zeit«?
Eine Überschreitung der Grenze zwischen zwei Welten soll sich der Sage nach bei
der »Ruine Blankenhorn« über Eibensbach (Ortsteil von Güglingen im Zabergäu,
Landkreis Heilbronn in Baden-Württemberg) zugetragen haben. Die Sage weiß zu
berichten, dass die heidnische »Ährenkönigin« – im christlichen Volksglauben zur
»Maria im Ährenkleid« verfremdet, von der einen in die andere Welt und wieder
retour gelangen kann. Rueland Frueauf der Ältere (* um 1430/50; †1507 in
Passau), ein deutscher beziehungsweise Salzburger Maler, leitete zunächst in
Salzburg, dann in Passau eine beachtliche Künstlerwerkstatt. Von ihm stammt ein
beeindruckendes religiöses Meisterwerk, das die »Ährenmadonna« in majestätischer
Pracht zeigt.
Andere Künstler schufen nicht minder beeindruckende Darstellungen
der »Madonna im Ährenkleid«, zum Beispiel der »Meister des Halleiner Altars«. Um
1440 verewigte der die christliche Variante der »Ährenkönigin« auf einem
kostbaren Flügelaltar. Das der Gotik zuzurechnende Bildnis befindet sich heute
im »Salzburg Museum« in Salzburg. Ein drittes Beispiel soll genügen: Im
»Castello Sforzesco«, das Schloss steht an der Piazza Castello im Nordwesten der
Altstadt Mailands, hat eine »Madonna im Ährenkleid« aus der Zeit vor 1485 einen
würdigen Platz gefunden. Die Marmorfigur stammt ursprünglich aus dem Mailänder
Dom. Die »Madonna im Ährenkleid« erfreute sich vor allem in der
mittelalterlichen und frühneuzeitlichen christlichen Kunst des deutschsprachigen
Raumes großer Beliebtheit. Zahlreiche Gemälde zeigen ihr majestätisches
Erscheinungsbild.
Zahlreiche Skulpturen wurden in jener Zeit in Auftrag gegeben.
Und immer wird die »Ährenmadonna« als jugendliche schöne Frau im
ährengeschmückten Kleid gezeigt. Ich habe einige von ihnen gesehen und
bewundert. Sie alle könnten die »Königin im Ährenkleid« der fränkischen
Sagenwelt personifizieren, die zwischen zwei »Parallelwelten« pendelte. Die
»Ährenkönigin« der Sagenwelt hat ohne Zweifel Vorbilder: Maria, die »Gottesmutter
im Ährenkleid«, und heidnische Göttinnen. Rudolf Reiser (*1941), ein deutscher
Historiker, Journalist und Bestsellerautor hat es auf den sprichwörtlichen Punkt
gebracht (4): »Die heilige Maria übernimmt mehrere Attribute der antiken
Göttinnen, so auch das Getreide. Von der ägyptischen Isis sagt man, sie habe den
Gebrauch von Weizen und Gerste erfunden. Im Römerreich sprechen die Menschen von
den ›Ähren der Ceres‹. Der Hauptstern der Jungfrau am nächtlichen Himmel ist die
Spica, die Kornähre. So nimmt es nicht Wunder, daß man Maria mit Gewändern
bekleidet, die mit Halmen bedeckt sind. Ährenmadonna von Soest, Maria zur Wiese
(um 1473).«
Fotos 2+3: Mein Großvater Emil Langbein
Von meinem Großvater Emil Langbein hörte ich so manche Sage aus der
fränkischen Heimat. Die Themenvielfalt dieser oft faszinierenden Erinnerungen an
mysteriöse Zeiten ist enorm. Als Jugendlicher notierte ich die eine oder die
andere Sage, die mir mein Großvater diktierte. Kurz zur Person: Mein Großvater
Emil Langbein war mit Leib und Seele Polizeibeamter. Herbert Perzel schreibt in
seinem Werk »800 Jahre Michelau in Oberfranken/ Vergangenheit und Gegenwart
einer fränkischen Gemeinde« über meinen Großvater (5): »Unsere Ordnungshüter. …
Sein Nachfolger wurde Hauptwachtmeister Emil Langbein, geboren am 1. Juni 1888
in Ebersdorf bei Ludwigstadt, der 1938 zum Kommissär befördert wurde. Er mußte
die Station durch die schweren Kriegs- und Nachkriegsjahre führen. …
Zwischendurch wechselte die Station ihren Leiter, nachdem der mittlerweile zum
Oberkommissar der Landpolizei beförderte, verdienstvolle Amtsvorsteher Emil
Langbein nach 17 Jahren Dienstzeit in Michelau am 1. Juni 1953 in den Ruhestand
trat.« Und weiter (6): »Emil Langbein konnte seinen Ruhestand wahrlich genießen,
verstarb er doch erst am 3. Mai 1983 im Alter von fast 95 Jahren.« (7)
Foto 4: Der Ochsenkopf im Winter
Auf dem
Ochsenkopf, dem mit über 1.000 m zweithöchsten Berg des Fichtelgebirges, scheint
es der Sage nach so einen Übergang zwischen zwei Parallelwelten gegeben zu
haben. Am Johannistag soll dort oben eine »einzigartige Blume« blühen, die den
Zugang in die andere, in eine Parallelwelt, öffnet. Ob es sich um eine
Schlüsselblume handelt, oder gar um eine Lilie? Beide sollen den Sagen nach Tore
in eine andere Welt auftun. Nur für sehr kurze Zeit kann man durch das sich
öffnende Tor in die andere Welt eindringen und auch wieder in die eigene Welt
zurückkehren. Wer zu lang verweilt, bleibt verschwunden. Den Ochsenkopf schätzte
mein Großvater Emil Langbein sehr. So manches Mal wanderte er bis zum Gipfel des
weithin sichtbaren Berges. Von heidnischen Ritzzeichnungen im Stein wusste er zu
berichten, die auf Rituale in vorchristlicher Zeit hindeuten könnten. Auf einem
womöglich einst »heiligen Stein« sei so etwas wie ein Stierkopf zu sehen
gewesen, eingemeißelt vor vielen Jahren. Nach meinen Recherchen ist der Stein
inzwischen so stark verwittert, dass man die Ritzzeichnung kaum noch erkennen
kann.
Fußnoten
(1) »Parallelwelt«, wikipedia-Artikel. https://de.wikipedia.org/wiki/Parallelwelt
Stand 16.09.2020
(2) Hürter, Tobias und Rauner, Max: »Die verrückte Welt der Paralleluniversen«, München und Zürich 2011
(3) Vaas, Rüdiger: »Tunnel durch Raum und Zeit«, 6., erweiterte Auflage, Stuttgart 2013
(4) Reiser, Rudolf: »Götter und Kaiser«, München 1995, Seite 33 unten, Bildkommentar (Rechtschreibung wurde unverändert übernommen!)
Brief Heidi Stahl an Walter-Jörg Langbein vom 13. September 2020
(5) Gemeinde Michelau i.Obfr. (Herausgeber): »800 Jahre Michelau in Oberfranken/ Vergangenheit und Gegenwart einer fränkischen Gemeinde«, »Schriften des Deutschen Korbmuseums Michelau Nr. 3«, Michelau 1994, Seite 132, rechte Spalte unten und Seite 133, linke Spalte oben
(6) Ebenda, Seite 133, linke Spalte unten
(7) Siehe auch Langbein, Walter-Jörg: »Monstermauern, Mumien und Mysterien«, Band 2, 2. überarbeitete und aktualisierte Fassung, Alsdorf September 2019, Kapitel 19, »Der Steinerne Riese von Thelitz«, Seite 131-139
(8) Siehe auch Langbein, Walter-Jörg: »Monstermauern, Mumien und Mysterien«, Band 9, Alsdorf Januar 2020, Kapitel 27, »Vom Ochsenkopf zur unverwüstlichen Maria«, Seite 196-203
Zu den Fotos
Foto 1: »Maria im Ährenkleid«, vermutlich von Rueland Frueauf d. Ä. um 1500
Fotos 2 + 3: Mein Großvater Emil Langbein, links in Polizeiuniform, rechts in Zivil. Foto Archiv Walter-Jörg Langbein.
Foto 4: Der Ochsenkopf im Winter um 1950. Der Ochsenkopf im Winter um 1950
574. »Durch Felsentore in andere Welten«,
Teil 574 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 17. Januar 2021
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