»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Der Nemrud Dag, im Südosten der Türkei gelegen, ist knapp über 2200 Meter hoch. Touristen verschlägt es eher selten in diese Region. Zu instabil sind oft die politischen Verhältnisse. Immer wieder kommt es zu gefährlichen Auseinandersetzungen, in die kein Reisender gern verwickelt werden möchte. Dabei hat der majestätische Berg eine echte Sensation zu bieten. Auf dem Gipfel wurde so etwas wie ein künstlicher Berg aufgeschüttet.... eine Pyramide der besonderen Art. Und in der Pyramide... steckt ein Geheimnis!
Wir kommen unserem Ziel recht nah. Nur die letzten Tausend Meter müssen wir in der kalten dünnen Luft zu Fuß zurücklegen. Wir brauchen für den kurzen Weg sehr viel länger. Der Pfad ist steil und steinig. Immer wieder gibt der Untergrund nach, rollen Steine zu Tal. Wir quälen uns weiter. Doch das Ziel entschädigt für die Anstrengung. Vor rund zwei Jahrtausenden hat König Antiochus hier oben ein Denkmal erschaffen lassen. Es sollte auf ewige Zeiten an seinen Vertrag mit den Göttern erinnern. Sein Deal mit den Göttern hat ihn aus der Schar der Menschen emporgehoben. Antiochus I. (69-36 v.Chr.) sah sich danach nicht mehr als frommen irdisch-sterblichen Untertan der Himmlischen. Er wähnte sich ihnen ebenbürtig. Stolz verlieh er sich selbst den Beinamen »Theos«, Gott! Und er setzte sein steinernes Bildnis zwischen das der Götter.
Fast zwei Jahrtausende war das Geheimnis vom Nemrud Berg selbst kundigen Archäologen vollkommen unbekannt. Die Welt der Wissenschaft erfuhr erst 1891 vom uralten Denkmal. Der deutsche Vizekonsul Müller-Raschdau vermeldete der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, dass in Izmir bis dato unbekannte Denkmäler von wahrhaft gigantischer Größe entdeckt worden seien: von einem gewissen Karl Sester. Gewaltige Statuen stünden, so hieß es in dem Brief, auf zwei einander gegenüber liegenden Terrassen. Dazwischen rage ein Hügel in den Himmel.
Die Sache schien den Gelehrten höchst fragwürdig zu sein. Dennoch wurde im Archiv nach Hinweisen gesucht. Man wurde fündig. Die Asienreisende Mary Gwendoline Scott-Stevenson hatte aus der Nemrud-Region vermeldet, sie habe im Mauerwerk eines Wirtshauses im Dörfchen Sakcagözü »Reliefs« gesehen. Ganz offensichtlich, so schrieb sie, hatte man »irgendwo« assyrische Kunstwerke geplündert und als Verschönerung des »modernen Gebäudes« verwandt.
Sollte es also doch Monumente auf dem Nemrud Berg geben, die von der ländlichen Bevölkerung geplündert worden waren? Der kurze Hinweis auf »assyrische Reliefs« ließ die preußischen Wissenschaftler hellhörig werden. Karl Sester hatte nämlich die Vermutung geäußert, die mysteriösen Riesenstatuen oben auf dem Berg gingen wohl auf die Assyrer zurück. Die Sache musste vor Ort überprüft werden!
Eine große Expedition wollte man noch nicht finanzieren. Zu teuer wäre es gewesen, eine Schar hochrangiger Wissenschaftler zu entsenden. Die Hoffnung auf eine große Entdeckung beschleunigte das weitere Vorgehen. Man entschied sich für eine »Sparversion«. Der junge Wissenschaftler Otto Puchstein erhielt einen konkreten Forschungsauftrag: Reise zum Nemrud Berg in der Türkei antreten! Vor Ort Nachforschungen anstellen, ob es dort Riesenstatuen gibt. 1882 kam die Bestätigung! Die stattlichen Überreste ein riesigen Heiligtums auf dem Nemrud Berg waren Realität.
Jetzt veranlasste Kaiser Wilhelm II. eine von Carl Human und Otto Puchmann geleitete Expedition erstaunlichen Umfangs. Am 7. Juni 1883 kam der Trupp mit zehn Reitpferden, zwanzig Lastpferden und fünf Wagen mit wissenschaftlichen Geräten und Proviant... nach geradezu höllischen Strapazen. Zentnerweise führten die Experten Gips mit sich, um von Reliefs und Figuren originalgetreue Abgüsse anfertigen zu können.
Carl Human schrieb in seinem Tagebuch: »Der erste Eindruck war ein wahrhaft überwältigender. Wie ein Berg auf dem Berge erhob sich auf dem höchsten Felsgipfel der Grabhügel, noch vierzig Meter über die Terrasse, die wir erstiegen, emporragend.
Ihm den Rücken wendend, saßen da auf erhöhter Felsbank die Riesenfiguren von fünf Gottheiten, von denen nur eine ganz unversehrt geblieben war. Vor uns lagen die herabgestürzten Köpfe der Statuen, jeder einzelne größer als eines Mannes Länge. Wir gingen um den Tumulus (Pyramidenhügel, der Autor) herum. An der anderen Seite erreichten wir im Westen wieder eine Terrasse, die bedeutend tiefer lag als die erste. Hier sind die Statuen ganz zerstört, die einzelnen Blöcke, aus denen sie ausgeführt gewesen, zuhauf daliegend, die Köpfe weit über die Terrasse hingerollt.«
Ein Blitz traf es anno 1964 und warf es zu Boden. Die alten Hethiter hätten dafür gewiss Zeus verantwortlich gemacht. Schließlich galt er auch als »Wolkensammler« und »Blitzschleuderer«. Wie auch immer: Auch der göttlichen Fortuna wurde das Haupt vom Leibe getrennt!
Die Statuen sollten wohl den Menschen verdeutlichen, wie klein sie im Vergleich zu den Himmlischen waren. Und mit den Göttern wuchs auch die Bedeutung ihrer irdischen Vertreter, die Priesterschaft. Die Größe der Götter färbt stets auf das Selbstbewusstsein ihres irdischen Bodenpersonals ab. König Antiochus begnügte sich nicht mit einem Job als Diener der Götter. Er machte sich selbst zum Gott und setzte seine Statue zwischen die der Götter. Ein Kuriosum am Rande: Manche Zeitgenossen meinen im steinernen König Antiochus den »King« des 20. Jahrhunderts erkennen zu können... Elvis Presley.
Wir haben in einer kleinen spartanischen Pension übernachtet. Die Zimmerchen sind schlicht, aber sauber. Das Frühstück ist einfach, aber durchaus schmackhaft. Luxuriös mutet der Swimmingpool im Garten an. Er wird direkt von einem eiskalten Gebirgsbächlein gespeist. Nur abgehärtete Gäste wagen sich in das eisige Nass. Gegen Mittag fahren wir mit dem Jeep hinauf auf den Nemrud. Wir wollen einige Stunden, bis zum Abend dort oben bleiben und die geheimnisvolle Atmosphäre genießen.
Wir kommen unserem Ziel recht nah. Nur die letzten Tausend Meter müssen wir in der kalten dünnen Luft zu Fuß zurücklegen. Wir brauchen für den kurzen Weg sehr viel länger. Der Pfad ist steil und steinig. Immer wieder gibt der Untergrund nach, rollen Steine zu Tal. Wir quälen uns weiter. Doch das Ziel entschädigt für die Anstrengung. Vor rund zwei Jahrtausenden hat König Antiochus hier oben ein Denkmal erschaffen lassen. Es sollte auf ewige Zeiten an seinen Vertrag mit den Göttern erinnern. Sein Deal mit den Göttern hat ihn aus der Schar der Menschen emporgehoben. Antiochus I. (69-36 v.Chr.) sah sich danach nicht mehr als frommen irdisch-sterblichen Untertan der Himmlischen. Er wähnte sich ihnen ebenbürtig. Stolz verlieh er sich selbst den Beinamen »Theos«, Gott! Und er setzte sein steinernes Bildnis zwischen das der Götter.
Fast zwei Jahrtausende war das Geheimnis vom Nemrud Berg selbst kundigen Archäologen vollkommen unbekannt. Die Welt der Wissenschaft erfuhr erst 1891 vom uralten Denkmal. Der deutsche Vizekonsul Müller-Raschdau vermeldete der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, dass in Izmir bis dato unbekannte Denkmäler von wahrhaft gigantischer Größe entdeckt worden seien: von einem gewissen Karl Sester. Gewaltige Statuen stünden, so hieß es in dem Brief, auf zwei einander gegenüber liegenden Terrassen. Dazwischen rage ein Hügel in den Himmel.
Die gelehrten Herren reagierten mit Skepsis. War es möglich, dass Karl Sester, ein Vermessungstechniker, eine höchst bedeutsame Entdeckung gemacht hatte? Kein Geringerer als Graf Helmuth von Moltke hatte jene Region genau erkundet. In seinem Buch »Briefe über die Zustände und Begebenheiten in der Türkei« war er besonders auf historische Stätten eingegangen. Mit keiner Silbe war Moltke auf ein Denkmal auf dem Nemrud Dag eingegangen.
Die Sache schien den Gelehrten höchst fragwürdig zu sein. Dennoch wurde im Archiv nach Hinweisen gesucht. Man wurde fündig. Die Asienreisende Mary Gwendoline Scott-Stevenson hatte aus der Nemrud-Region vermeldet, sie habe im Mauerwerk eines Wirtshauses im Dörfchen Sakcagözü »Reliefs« gesehen. Ganz offensichtlich, so schrieb sie, hatte man »irgendwo« assyrische Kunstwerke geplündert und als Verschönerung des »modernen Gebäudes« verwandt.
Sollte es also doch Monumente auf dem Nemrud Berg geben, die von der ländlichen Bevölkerung geplündert worden waren? Der kurze Hinweis auf »assyrische Reliefs« ließ die preußischen Wissenschaftler hellhörig werden. Karl Sester hatte nämlich die Vermutung geäußert, die mysteriösen Riesenstatuen oben auf dem Berg gingen wohl auf die Assyrer zurück. Die Sache musste vor Ort überprüft werden!
Eine große Expedition wollte man noch nicht finanzieren. Zu teuer wäre es gewesen, eine Schar hochrangiger Wissenschaftler zu entsenden. Die Hoffnung auf eine große Entdeckung beschleunigte das weitere Vorgehen. Man entschied sich für eine »Sparversion«. Der junge Wissenschaftler Otto Puchstein erhielt einen konkreten Forschungsauftrag: Reise zum Nemrud Berg in der Türkei antreten! Vor Ort Nachforschungen anstellen, ob es dort Riesenstatuen gibt. 1882 kam die Bestätigung! Die stattlichen Überreste ein riesigen Heiligtums auf dem Nemrud Berg waren Realität.
Jetzt veranlasste Kaiser Wilhelm II. eine von Carl Human und Otto Puchmann geleitete Expedition erstaunlichen Umfangs. Am 7. Juni 1883 kam der Trupp mit zehn Reitpferden, zwanzig Lastpferden und fünf Wagen mit wissenschaftlichen Geräten und Proviant... nach geradezu höllischen Strapazen. Zentnerweise führten die Experten Gips mit sich, um von Reliefs und Figuren originalgetreue Abgüsse anfertigen zu können.
Carl Human schrieb in seinem Tagebuch: »Der erste Eindruck war ein wahrhaft überwältigender. Wie ein Berg auf dem Berge erhob sich auf dem höchsten Felsgipfel der Grabhügel, noch vierzig Meter über die Terrasse, die wir erstiegen, emporragend.
Ihm den Rücken wendend, saßen da auf erhöhter Felsbank die Riesenfiguren von fünf Gottheiten, von denen nur eine ganz unversehrt geblieben war. Vor uns lagen die herabgestürzten Köpfe der Statuen, jeder einzelne größer als eines Mannes Länge. Wir gingen um den Tumulus (Pyramidenhügel, der Autor) herum. An der anderen Seite erreichten wir im Westen wieder eine Terrasse, die bedeutend tiefer lag als die erste. Hier sind die Statuen ganz zerstört, die einzelnen Blöcke, aus denen sie ausgeführt gewesen, zuhauf daliegend, die Köpfe weit über die Terrasse hingerollt.«
Einst bewachen gewaltige Statuen aus Stein eine Schotterpyramide. Sie besteht aus etwa faustgroßen Brocken, die herbeigeschleppt und aufgetürmt wurden. Heute sind die majestätischen Figuren alle enthauptet. Ihre Köpfe liegen zu ihren Füßen. Naturgewalten sind dafür verantwortlich, nicht der Mensch. Der letzte Götterkopf fiel erst 1964, vermutlich als Folge eines gewaltigen Gewitters, zu Boden. So verlor die Göttin Fortuna als Letzte ihr Haupt. Fortuna wurde als Herrscherin über die Naturkräfte verehrt. Ihr war es nach altem Glauben zu verdanken, wenn die Ernten üppig ausfielen. So zieren Obst und Gemüse das Haupt der mütterlichen Gottheit.
Ein Blitz traf es anno 1964 und warf es zu Boden. Die alten Hethiter hätten dafür gewiss Zeus verantwortlich gemacht. Schließlich galt er auch als »Wolkensammler« und »Blitzschleuderer«. Wie auch immer: Auch der göttlichen Fortuna wurde das Haupt vom Leibe getrennt!
Einst waren sie mehr als imposant, diese steinernen Gottheiten. Acht bis zehn Meter waren sie ursprünglich hoch, vom Sockel bis zu den Haarspitzen. Die in Trümmern liegende heilige Stätte lässt aber nach wie vor erahnen, wie pompös das Denkmal vor zwei Jahrtausenden auf die Menschen gewirkt haben muss!
Die Statuen sollten wohl den Menschen verdeutlichen, wie klein sie im Vergleich zu den Himmlischen waren. Und mit den Göttern wuchs auch die Bedeutung ihrer irdischen Vertreter, die Priesterschaft. Die Größe der Götter färbt stets auf das Selbstbewusstsein ihres irdischen Bodenpersonals ab. König Antiochus begnügte sich nicht mit einem Job als Diener der Götter. Er machte sich selbst zum Gott und setzte seine Statue zwischen die der Götter. Ein Kuriosum am Rande: Manche Zeitgenossen meinen im steinernen König Antiochus den »King« des 20. Jahrhunderts erkennen zu können... Elvis Presley.
Was die ehrfürchtigen Besucher damals wohl nicht wussten: Die Statuen sind innen hohl. Sie sind nicht etwa, wie es zunächst den Anschein hat, aus Monolithen gemeißelt. Sie wurden vielmehr einst aus exakt zugehauenen Blöcken millimetergenau zusammengesetzt. Mörtel kam nicht zum Einsatz. Krochen einst Priester ins Innere der Statuen? Versteckten sie sich dort in Erwartung der Gläubigen? Sprachen sie aus den Götterfiguren? Gaben sie den Menschen, die sich ehrfürchtig den Denkmälern genähert hatten, Befehle oder Ratschläge? Für die »tumben« Menschen müssen die Worte, die aus den steinernen Göttern zu kommen schienen.... himmlischem Munde entschlüpft sein! Wer wagte da zu widersprechen?
Ich habe mich durch eine enge Öffnung in das Innere einer der Figuren gequetscht. Viel Platz hatte ich nicht. Und der Aufenthalt war äußerst unbequem.
»Was steckt in der Pyramide?«.
Teil 28 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 25.7.2010
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