Sonntag, 11. Juli 2010

26 »John Frum und ketzerische Gedanken über die Göttin«

Teil 26 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Auch am Abend ist es noch schwül. Die drückende Hitze macht das Atmen schwer... die hohe Luftfeuchtigkeit lässt die Kleidung am Körper kleben. Ich stehe in einer großen Gruppe von Anhängern des John-Frum-Kults. Wir beobachten die Jahresfeierlichkeiten der Glaubensgemeinschaft. Die Menschen sind fröhlich und doch auch ernst. Unsere kleine Gesellschaft wird vorbehaltlos aufgenommen. Wir, in der aus unserer Sicht exotischen Südsee, sind hier die Exoten. Wir sind hier die »Heiden«. Es wäre erfreulich, wenn wir in unseren Gefilden Fremde so freundlich behandelt würden... wie uns das in der Südsee widerfahren ist!

»Die Kirche hat einen guten Magen, hat ganze Länder aufgefressen, und doch noch nie sich übergessen.« So lässt Goethe Mephistopheles im Faust (Faust 1, Spaziergang) sagen. Viele Jahrhunderte bedeutete Kirchenpolitik irdisches Machtstreben. Möglichst viele fremde Länder galt es zu erobern und mit dem eigenen Glauben zu beglücken.

Die Zeiten haben sich geändert. Aber nach wie vor wird missioniert. Nach wie vor will jede Kirche die Zahl der eigenen Gläubigen erhöhen. Aber oft ist in fernen Gefilden ein eigener Glaube heimisch, den man dort nicht so gern aufgeben möchte. Da hat das Christentum eine wirksame Methode entwickelt. Heute werden Andersgläubige nicht mehr wahlweise zwangsgetauft oder als Ketzer verbrannt.

Wie ein Chamäleon passt die Kirche den eigenen Glauben dem fremden an, wo sie den fremden Glauben nicht verdrängen kann. Auf Tann wird ein Messias »John Frum« verehrt. Christliche Missionare machen aus John Frum den christlichen Messias Jesus... und hoffen, dass so der ursprüngliche Messias nach und nach vergessen wird.

Gern verlachen gerade christliche Kritiker den John-Frum-Kult. Gehe er doch eindeutig auf den Besuch von amerikanischen Soldaten auf Tanna zurück. Nicht bestritten werden kann die militärische Prägung der John-Frum-Feierlichkeiten. Da wird militärisch marschiert, da werden Fahnen gehisst und durch Strammstehen geehrt.

Die »Uniformen« der gewöhnlichen John-Frum-Jünger sind eher schlicht und ohne Pomp. Die Männer tragen mehr oder minder einheitliche Hosen von mehr oder minder ähnlicher Farbe. Sie gehen mit energischen Schritten barfuß und mit bloßem Oberkörper um den Festplatz. Die Zuschauer harren geduldig am Rand des Zeremonialplatzes aus. Einige suchen Schatten in schilfgedeckten Unterständen. Alkohol trinkt niemand. Alle bleiben nüchtern.

Eine Ausnahme in Sachen Kleidung stellt der Chief der Jahresfeier dar: Er trägt eine geradezu imposante Uniform, stets würdevoll und ernst dreinblickend. Eine breite Schärpe schmückt die breite Brust, an der Orden auszumachen sind.

Was uns merkwürdig vorkommen mag: Warum wurde aus dem US-Soldaten »John Frum« so etwas wie eine Messiasgestalt, auf die die Anhänger des Kults heute noch warten?

Der Journalist Albrecht Joachim Bahr beschrieb die ersten Kontakte von Tanna-Bewohnern mit Flugzeugpiloten im 20. Jahrhundert so: »Sie tragen Fliegermontur. Ihre Sonnenbrillen blitzen in der gleißenden Sonne. Für die Einheimischen müssen sie wie Götter erscheinen, die Hilfsgüter bringen und versprechen, wiederzukommen und sodann mit ihren Flugmaschinen wieder verschwinden. Die Eingeborenen warten bis heute auf die Wiederkehr der Besucher aus einer ganz anderen Welt.«

Der »John-Frum-Kult« entstand keineswegs aus dem Nichts, als amerikanische Soldaten zu den Menschen von Tanna kamen. Gewiss, eine religiöse Bewegung wurde um 1940 unter dem Namen »John-Frum-Kult« bekannt. Die Regierung verbot den Glauben zunächst. Christliche Missionare bekämpften ihn wütend. Konkurrenz, die sich großer Beliebtheit erfreute, empörte die Vertreter jener Religion, die sich Toleranz und Nächstenliebe auf die wehenden Fahnen geschrieben haben. 1952 wurden Anhänger der John-Frum-Bewegung ins Gefängnis gesteckt. Dessen ungeachtet wurde fünf Jahre später ganz offiziell die »John-Frum-Glaubensgemeinschaft« gegründet. Erst 1957 bekam eine alte religiöse Bewegung nur ihren neuen Namen... »John-Frum-Religion«.

In der Südsee muss es einen uralten Glauben gegeben haben, in dessen Zentrum ein hilfreicher, den Menschen wohlgesonnener Gott stand. Er kam offenbar in uralten Zeiten zur Erde und verabschiedete sich wieder... nicht ohne zu versprechen, dereinst wieder zu kommen. So hielt man im 18. Jahrhundert Kapitän James Cook für einen göttlichen »John Frum« als er am 13. April 1769 mit seinem Schiff »Endeavour« vor Tahiti ankerte. Damals glaubten die Einheimischen, Gott Rongo sei zurückgekehrt. Einst habe sie Rongo mit seinem Wolkenschiff besucht... und nun sei er wieder erschienen.

Rongo, so wird überliefert, gehörte einer göttlichen Trinität an: Rongo, Rangi und Papa. »Rangi« war Vater Himmel, »Papa« war »Mutter Erde« und »Rongo« war der göttliche Sohn.

Am Abend löste sich die Veranstaltung langsam auf. Eine Gruppe von teilweise noch kleinen Kindern und Jugendlichen marschierte in die Dunkelheit. Der John-Frum-Kult soll überleben... Dafür wollen die führenden Männer und Frauen dieser religiösen Bewegung sorgen...

Bei strömendem Regen trat ich die »Rückreise« vom Festplatz von Tanna zu meinem »Urwaldbungalow« an... zu nächtlicher Stunde. Nach einem glutheißen Tag und einem kaum kühleren Abend schaukelte der alte Pickup über die marode »Straße« durch die Nacht. Es regnete... immer stärker. Die Scheinwerfer tasteten sich wie zu kurz geratene schwächliche Finger durch die Dunkelheit. Ich stand auf der glitschigen Ladefläche und hielt mich krampfhaft fest. Ein orkanartiges Gewitter setzte ein. Es goss wie aus gewaltigen Kübeln und wenige Minuten später war ich bis auf die Haut durchnässt. Ich genoss die Abkühlung... und den abenteuerlichen Transport.

Die Fahrt zog sich hin. In Kilometern gemessen war die Entfernung bescheiden. Aber bei den erbärmlichen Straßenverhältnissen und dem schauderhaften Wetter wurde daraus eine größere Reise. Wir kamen wir nur sehr langsam voran.

In den Monaten vor meiner Reise in die Südsee hatte ich unzählige Werke über die dortigen Religionen, Mythen und Mysterien gelesen. In jener Nacht kamen mir verblüffende Gedanken...

Rongo bedeutet in der Maori-Sprache: Frieden! Wie sich doch die Bilder ähneln: »Rongo« alias »Frieden« entspricht Jesus, dem göttlichen Sohn, der den Menschen Frieden bringen wollte. Gott Rongo war aber nicht das »Original«. Ihm vorausgegangen war ist Karaperamun. Karaperamun soll einst das erste Leben hervorgebracht gebracht haben. Zu Ehren von Karaperamun tanzten seine Anhänger... so wie »John Frum« auch heute noch in Tänzen gehuldigt wird.

Es lohnt sich, über die christliche Trinität (»Dreifaltigkeit«) nachzudenken.
Sie ist um Jahrtausende älter als das Christentum. Erst seit dem fünften nachchristlichen Jahrhundert wird sie als reine »Männergruppe« angesehen. Fakt ist: Das biblische Dreiergespann Gott, Sohn und Heiliger Geist hatte Vorläufer: In der uralten sumerischen Religion wird die Götterhierarchie durch ein Dreigespann, bestehend aus An, Enlil und Enki, angeführt.

Die Priesterschaft im babylonisch-assyrischen Raum übernahm die göttlichen Drei als Anu, Ellil und Ea. Auch die alten Ägypter verehrten ein göttliches Dreigespann: Osiris, Isis und Horus.

Bei den Römern dominierten zunächst Jupiter, Mars und Quirinus. Und in den ältesten indischen Texten, in den so genannten Veden, bestimmen Agni, Vayu und Surya die kosmischen wie die irdischen Geschicke. Selbst im Buddhismus sind eindeutig vergleichbare Strukturen zu erkennen.

Im christlichen Volksglauben allerdings wird die Dreifaltigkeit, die niemand wirklich zu verstehen vermag, als eine fromme Lehre christlichen Ursprungs gesehen. Gegen diesen Irrglauben geht die Kirche allerdings nicht vor...und das, obwohl es in der Theologie keinen Zweifel daran gibt, dass die Trinität weit älter als die Bibel ist. Mehr noch: Die wissenschaftliche Theologie lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass in der Bibel selbst die Trinitätslehre gar nicht vorkommt!

So muss der Theologe M.R. De Haan in seinem Werk »508 Answers to Bible Questions« (ohne Ortsangabe 1982) zugeben: »Es gibt keinen Vers in der Bibel, der aussagt, dass Gott eine Dreifaltigkeit ist, bestehend aus drei Personen.« Damit vertritt er keine moderne Außenseiterposition, sondern die allgemeine wissenschaftliche Lehrmeinung, die auch der Theologe Karl-Heinz Ohlig teilt. 1999 brachte er es in seinem Buch »Ein Gott in drei Personen?« (Mainz 1999) auf den Punkt. Kurz und bündig: Die Lehre von der Dreifaltigkeit »besitzt keinerlei biblische Grundlage«.

Ihren Ursprung hat die Lehre von der Dreifaltigkeit in uralten Zeiten... als Göttinnen Himmel und Erde beherrschten. Zu Zeiten des Matriarchats gab es Göttinnen-Triaden. Damals bestand die Dreifaltigkeit aus drei Göttinnen. Über alle Grenzen der Kulturen hinweg gab es sie. Mannigfaltig sind ihre Namen: Ereshkigal, Inanna und Nana zum Beispiel. Die drei Göttinnen wurden vor Jahrtausenden von den alten Sumerern verehrt und angebetet.

Auf Tanna hat die Göttin »Papa« (»Mutter Erde«) überlebt. Die christliche Trinitä besteht aus Gottvater, Sohn und Heiligem Geist. Was kaum jemand weiß: der »Heilige Geist« war ursprünglich weiblich. Was kaum jemand weiß: In einer uralten christlichen Kirche... wird die Dreifaltigkeit dargestellt als Gottvater, Gottsohn und als eine Frau.

Unweit von Prien am Chiemsee liegt das Dörfchen Urschalling. Der ländliche Weiler bietet im kleinen Kirchlein eine echte Sensation. Errichtet wurde das Gotteshaus zwischen 1160 und 1200.


Nicht ganz klar ist, wann die frommen Fresken angebracht wurden. Um 1550 jedenfalls wurden sie jedenfalls übermalt... und erst 1923 zufällig wieder entdeckt. Im Verlauf der Jahrhunderte wurden einige von ihnen stark beschädigt oder ganz zerstört, als die kleinen Fenster vergrößert wurden.

Warum wurden die kostbaren Malereien übertüncht? Als ein »Sakrileg« wurde wohl die »heilige Dreifaltigkeit« hoch oben im Gewölbe erachtet: Da wurde vor mehr als einem halben Jahrtausend eine seltsame »Gestalt« verewigt, bestehend aus einem Unterkörper und drei Oberkörpern. Das Wesen hat nur zwei Hände und ein Übergewand, aber drei ganz unterschiedliche Oberkörper. Man erkennt rechts »Gott Vater« mit weißem Bart, links Jesus mit blondem Bart und – in der Mitte – den »Heiligen Geist«. Und der »Heilige Geist« ist eindeutig als Frau dargestellt: mit weichen weiblichen Formen, langem femininen Haaren und vollem Busen.

Auf Tanna erkannte ich: Religionen sind nichts Statisches. Sie verändern sich ständig gehen ineinander über. Glaubensinhalte sind nicht auf alle Ewigkeiten fixiert. Sie sind stetigem Wandel unterworfen. Einst herrschten Göttinnen am Himmel. Mit dem Monotheismus kam der Herrschergott. Und doch leben die Göttinnen weiter: im uralten Südseeglauben als »Mutter Erde«, im Christentum als »Heiliger Geist«, der eigentlich eine »Geistin« war!

Quellen:
Andia, Ysabel de und Hofrichter, Peter Leander: »Der Heilige Geist
im Leben der Kirche«, Innsbruck 2005

Bahr, Albrecht-Joachim: »Papayas zwischen Mauern und Basalt«, »Die
Norddeutsche«, 16.10.2004

Haan, M.R. De: »508 Answers to Bible Questions«, ohne Ortsangabe, 1982

Hahn, Udo: »Heiliger Geist«, Gütersloh 2001

Ohlig, Karl-Heinz: »Ein Gott in drei Personen«, Mainz, Luzern 1999

Schneider, Herbert: »Das franziskanische Verständnis des Wirkens
des Heiligen Geistes in Kirche und Welt«, Mönchengladbach
2006

»Das Geheimnis des Götterbergs«,
Teil 27 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 18.7.2010

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