Freitag, 9. September 2016

Wolle Ficki-Ficki? – Sexuelle Übergriffe durch Antänzer: Wir sind Menschen, keine Hasen!

Kolumne von Ursula Prem

Noch im letzten Jahr hätte sie mancher für Satire gehalten, doch es gibt sie wirklich und sie sind leider notwendig: Die Schleswig-Holstein-Zeitung veröffentlichte im Juni 2016 Tipps der Polizei, die Frauen vor sexuellen Übergriffen durch »Antänzer« im öffentlichen Raum schützen sollen.

»Wenn Frauen ein beklemmendes Gefühl dabei haben, wenn sie auf eine Gruppe Männer stoßen oder eine Situation wahrnehmen, von der eine Gefahr ausgehen könnte, sollten sie ihrer Intuition auf jeden Fall vertrauen und vermeiden, in diese Situation hineinzugeraten«, wird der Pressesprecher des Bundeskriminalamts (BKA) auf shz.de zitiert. Notfalls müsse man auch bereit sein, hierfür Umwege in Kauf zu nehmen. Weitere Tipps des BKA: Frauen sollten sich mindestens zu zweit oder dritt in der Öffentlichkeit bewegen und dabei am besten Turnschuhe tragen, um gegebenenfalls schnell flüchten zu können. Alkohol sollten sie lieber meiden und Getränke nur aus original verschlossenen Flaschen zu sich nehmen.

Ein schöner Abend geht anders


Aus der Sicht der Polizei sind diese Tipps natürlich richtig. In der konkreten Situation können sie tatsächlich dabei helfen, es nicht zu einem Angriff kommen zu lassen. Diese Regeln aber einzuhalten, ist aus meiner Sicht nicht uneingeschränkt empfehlenswert. Wer Turnschuhe nicht sowieso gerne trägt, sollte sich nicht zum fluchtbereiten Hasen machen lassen, indem er das gewohnte Schuhwerk austauscht. Immer zu zweit oder dritt unterwegs sein zu müssen, stellt eine zusätzliche organisatorische Belastung dar und ist für notorische Einzelgänger, die es auch unter Frauen gibt, eine unzumutbare Einschränkung. Aber egal: In der eigenen Stammkneipe gemütlich im Lieblingsbuch zu schmökern und zwei Bier dazu zu trinken ist dann für Frauen sowieso passé, denn Alkoholkonsum wird ja ebenfalls nicht empfohlen. Stets fluchtbereit, mit einer Flasche Limo in der Hand: Ein schöner Abend geht definitiv anders!

Dennoch enthalten die Tipps der Polizei auch ein paar sehr zielführende Punkte: Im Ernstfall solle man nicht wie ein Opfer, sondern wie ein Gegner handeln (richtig!) und auf Genitalien, Gelenke, Augen, Nase oder Ohren des Angreifers zielen. Ob man hierzu in der Lage ist, wenn man sich durch das erzwungene Tragen von Turnschuhen schon längst psychologisch zum Opfer gemacht hat, ist jedoch zweifelhaft. Sie anzuziehen, obwohl man sie gar nicht tragen will, ist eine tägliche Affirmation der eigenen Schwäche, die schlimme Folgen für das eigene Selbstvertrauen haben muss.

Gerade das Vertrauen in die eigene Stärke ist es aber, das für die psychologische Abwehr von Gruppenangriffen notgeiler Männer unverzichtbar ist. Es ist die schärfste Waffe die wir in einer solchen Situation haben, denn machen wir uns nichts vor: Fünf oder sechs Männer im Alleingang durch tatsächliche körperliche Gegenwehr in die Flucht zu schlagen dürfte für nahezu jede unbewaffnete Einzelperson ziemlich aussichtslos sein.


Aufrichten, langsam gehen und tief durchatmen


Auch ich habe im Spätherbst 1999 eine entsprechende Erfahrung sammeln dürfen. Abends, es muss ca. 18:30 Uhr gewesen sein, war ich auf dem Weg vom Supermarkt zurück nach Hause. Da ich mit den schweren Tüten keinen Umweg laufen wollte und diesbezüglich noch nie ängstlich veranlagt war, ging ich mitten durch den dunklen Stadtpark und dachte gar nicht an die zahlreichen afrikanischen Drogendealer, die dort ihr Refugium hatten. Als im dunkelsten Bereich der Strecke plötzlich ein Pfiff ertönte, wurde ich hellhörig. Kurz darauf waren sie da: Fünf oder sechs Männer, mutmaßlich Schwarz- und Nordafrikaner, kamen langsam auf mich zu. Andere Menschen waren weit und breit nicht zu sehen. Einblick von der Straße aus gab es an dieser mit dichtem Gebüsch bewachsenen Stelle auch nicht und für eine Flucht wäre es bereits zu spät gewesen. Deshalb tat ich wohl instinktiv das Richtige: Ich hob den Kopf, richtete mich zu voller Körpergröße auf, verlangsamte meine Schritte, atmete tief und gleichmäßig und ging einfach geradeaus weiter, ohne jemanden direkt anzusehen. Sie bildeten einen Kreis um mich, sprachen miteinander, dem frechen Gestus nach über mich, doch außer »wolle Ficki-Ficki« verstand ich kein Wort. 

Da ich weiterhin langsam aber zielstrebig weiterging, ohne auf die Männer einzugehen, bewegte sich der Kreis ein stückweit mit mir mit. Kurz vor der nächsten Straßenlaterne, schon kurz vor dem Haus, in dem ich damals wohnte, blieben die Männer dann unentschlossen stehen und ließen mich einfach weitergehen. Ich zwang mich dann, meinen demonstrativ langsamen Gang bis zur Haustür beizubehalten, ohne dass mir noch jemand gefolgt wäre. Erst in der sicheren Wohnung erlaubte ich mir, überhaupt zu bemerken, dass ich am ganzen Körper zitterte.

Den Eindruck von Wehrhaftigkeit vermitteln


Niemand von den Kerlen hatte es gewagt, mich tatsächlich anzufassen. Ich führe das ausschließlich auf den Umstand zurück, dass ich mit keinerlei ängstlicher oder unterwürfiger Geste reagiert habe. Im Gegenteil: Das Heben des Kopfes legt die Halsschlagadern frei, eröffnet also Angriffsflächen und strahlt zudem Arroganz aus. Das Verlangsamen der Schritte suggeriert den Eindruck, dass kein Grund zur Flucht besteht. Die tiefe Atmung verhindert unwillkürlich-hastige Gesten. Potenziellen Angreifern wird so der Eindruck vermittelt, dass dieser Mensch sich aus irgendeiner überlegenen Position heraus seiner unantastbaren Wehrhaftigkeit sehr sicher sein muss, sodass es besser ist, ihn in Ruhe zu lassen.

Mein Tipp aus der Praxis deshalb: Vergessen wir die Sache mit den Turnschuhen. Wir sind Menschen, keine Hasen! Im eigenen Land auf der Flucht? – Nicht mit mir! Wer keine reelle Chance gegen eine Übermacht hat, sollte lieber lernen, sich so zu verhalten, als ob das anders wäre. Ein psychologischer Taschenspielertrick, der ein wenig Übung braucht, ich weiß. Aber für manche(n) vielleicht eine Hilfe, bis unsere Politik endlich den Weg zurück zur Vernunft gefunden hat.

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