Sonntag, 23. Dezember 2018

466 »Professor Robert Langdon und der Pfau«


Teil 466 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Fotos 1 und 2: Zwei Drachen am Grabmal des Fürstbischofs Dietrich von Fürstenberg

Dan Brown hat ihn erfunden: Professor Robert Langdon. Der fiktive Professor unterrichtet das fiktive Fach »Religiöse Ikonologie und Symbologie«. Schade, dass es Professor Langdon, den  akademischen Indiana Jones, in der Realität nicht gibt. Denn er könnte so manches Geheimnis in Sachen Symbolik lösen. Uralte Symbole begegnen uns in unseren Kirchen. Was bedeuten sie wirklich? Sind sie heidnischen Ursprungs? Es gibt so viele spannende Fragen, die auf Antworten warten! Was, zum Beispiel, würde Professor Langdon zum Symbol des Schwans sagen?

Wir verlassen die Abdinghofkirche durch den Haupteingang, gehen einige Schritte bis zur Straße. Auf der anderen Straßenseite führt eine Treppe hinab zu Wiesen und sprudelnden Quellen. Wir aber folgen der Straße nach rechts. Wir gehen an der Abdinghofkirche entlang, sehen schon in geringer Entfernung den Dom. Wir nähern uns rasch dem Dom, passieren (auf der linken Seite) die Alexiuskapelle.

Foto 3: Die Abdinghofkirche (rechts) und Dom zu Paderborn (Mitte).

Das kleine Gotteshaus,  dem Heiligen Alexius (*?;†417/430) geweiht, entstand in den Jahren 1670 bis 1673 und wurde 1728 erweitert. So verlor die Kapelle ihre markante achteckige Form. Bereits um das Jahr 1000 gab es einen Vorgängerbau. Noch im Frühjahr 2018 wurden in der Alexiuskapelle russisch-orthodoxe Gottesdienste abgehalten.

Rasch haben wir den Dom erreicht. Wir betreten den Dom, halten uns rechts und stehen schließlich vor dem mächtigen Grabmal von Fürstbischof Dietrich Theodor von Fürstenberg (1). Bischof Dietrich von Fürstenberg (*1546 - 1618) hat das beeindruckende Monument (Höhe: 17,87 Meter) selbst bei Meister Heinrich Gröninger in Auftrag gegeben.

Foto 4: Linker Drachen

Unten links und rechts fallen uns bei guter Beleuchtung zwei Drachen auf. Häufig liegt das Grabmonument des zu Lebzeiten wegen seiner teilweise fast schon demokratischen Ansichten angefeindeten Kirchenmanns im Halbdunkel, so dass besonders der Drachen rechts außen versteckt im Halbschatten liegt. Der Fürstbischof selbst wird unten in der Mitte kniend dargestellt. Was aber mögen die Drachen bedeuten? Was wir nicht so recht verstehen, wird schnell zum »Symbol« erklärt. 

Foto 5: Rechter Drachen

So kann jedem vorchristlichen, also heidnischen Bild eine christliche Bedeutung zugeordnet werden. Auch und gerade in diesem Zusammenhang muss immer wieder auf das bedeutsame Werk von Jacob Grimm hingewiesen werden. Jacob Grimm veröffentlichte anno 1835 sein Werk »Deutsche Mythologie«, das anno 2007 erneut und komplett publiziert wurde (2). Mir liegt ein Faksimile-Nachdruck der 4. Auflage vor, die ursprünglich in den Jahren 1875 bis 1878 erschienen ist (3).

Als ich in den 1970er Jahren evangelische Theologie studierte, wurde uns im Fachbereich Kirchengeschichte der Sieg des Christentums über das Heidentum gelehrt. Doch das Heidentum verschwand nicht spurlos von heute auf morgen, um dem Christentum Platz zu machen. Die »Heiden« gaben nicht einfach ihren alten Glauben auf. Jacob Grimm schreibt (4):

Foto 6: Pfauenbrunnen und Dreihasenfenster

»Obschon das untergehende heidenthum von den berichterstattern geflissentlich in schatten gesetzt wird, bricht doch zuweilen rührende klage über den verlust der alten götter, oder ehrenwerther widerstand aus gegen die äußerlich aufgedrungene neuerung.«  Mit anderen Worten: Missionierte wehrten sich, leisteten Widerstand gegen die von außen aufgezwungene Neuerung. Neuchristen, die den fremden Glauben angenommen hatten, beklagten sich über den Verlust der alten Götter. Heute leben wir in Deutschland in einem nach wie vor sehr stark vom Christentum geprägten Land.

Unsere Wurzeln sind nun einmal christlich, auch wenn viele diese unbestreitbare Tatsache leugnen. Nicht weniger verwechseln auch die Aufgabe der eigenen Wurzeln mit »Toleranz«. Das Heidentum war der alte, das Christentum der neue Glaube. Und der neue Glaube, so konstatiert Jacob Grimm (5), kam in einer fremden, Sprache, so wie der Islam in einer fremden Sprache zu uns kommt. Allerdings zeigten sich christlichen Missionare (Jacob Grimm nennt sie »bekehrer«) oft sehr viel toleranter. Diese »Toleranz« war freilich wohl das Ergebnis von Einsicht und von Kompromissbereitschaft.

Foto 7: Der Pfauenbrunnen unter dem Dreihasenfenster.

Die »Heiden« waren offensichtlich nicht dazu bereit, den alten Glauben aufzugeben und durch den neuen, sprich den christlichen zu ersetzen (6). Also ließ man den »Heiden« die alten »heiligen Stätten«, wies ihnen aber eine nicht minder heilige Bedeutung zu. So können wir davon ausgehen, dass uralte heilige Symbole auch heilige Symbole blieben, aber sanft christlich interpretiert wurden. Heidnisches Brauchtum wurde nicht verdammt, es wurde nur umbenannt. Allerdings rückten dann Jesus, Marie und Heilige an die Stellen der alten heidnischen Götter.
 
Jacob Grimm kritisierte aber auch die »bekehrer«, die eben auch höchst intolerant und zerstörerisch auftraten (7): »Anderntheils zerstörte und unterdrückte die frömmigkeit christlicher priester eine menge heidnischer denkmale, gedichte und meinungen, deren vernichtung historisch schwer zu verschmerzen ist.« Es wurde uraltes heidnisches Kulturgut ausgelöscht. »Heidnische Denkmale« wurden zerstört, was für Jacob Grimm »historisch schwer zu verschmerzen ist«. 


Foto 8: Der Pfau am kleinen Eingang zur Bischofskrypta

Historisch schwer zu verschmerzen ist es auch, wenn radikale Islamisten uralte fremde heilige Stätten verwüsten und Kulturgüter zerstören, so wie im Norden Malis geschehen. »Spiegel online« titelte »Islamisten zerstören Weltkulturerbe« (8). Ähnlich barbarisch gingen Islamisten in Syrien vor (9). Meldungen aus Bagdad lösten weltweit Empörung aus, als Islamisten (10) zunächst die Bibliothek und das Museum in der irakischen Stadt Mossul verwüsteten. Mit Bulldozern attackierten »Kämpfer der Terrormiliz ›Islamischer Staat‹ antike Stätten. Für die IS-Dschihadisten waren Jahrtausende alte Statuen aus der Provinz Ninive Götzenfiguren, geschaffen von den Assyrern und anderen Völkern, die der Vielgötterei dienten. So schlug man mit mächtigen Hämmern auf kostbare antike Stücke ein und setzte auch einen Presslufthammer ein. In einem kurzen Film erklärte ein IS-Anhänger nicht ohne Stolz, auch der Prophet Mohammed habe alle Götzenfiguren zerstört. Diese »Tradition« setzte man sehr viel wirkungsvoller zu Beginn des 21. Jahrhunderts nach Christus fort.

Es ist den »bekehrern« also nicht gelungen, das Heidentum auszulöschen. So erkannte Jacob Grimm (11) Spuren des Heidentums bei den Friesen noch im 9., bei den Sachsen noch im 10. und bei den Schweden noch bis ins 12. Jahrhundert. Es könnten also im und am Bremer Dom durchaus noch Spuren des Heidentums zu entdecken sein. Es ist also durchaus möglich, dass vermeintlich christliche Symbole in Wirklichkeit nur christianisiere heidnische Symbole sind. Ein solches ursprünglich rein heidnisches Symbol ist der Pfau, der vom Christentum vereinnahmt wurde. Wir finden den Pfau im unterirdischen Vorraum zur Bischofsgruft in einem farbig gehaltenen Mosaik. An sehr dominanter Stelle direkt über den Eingang zur Bischofsgruft entfaltet er sein stolzes Gefieder. Und auf dem Domhof in unmittelbarer Nähe des berühmten »Dreihasenfensters« krönt wiederum ein Pfau einen munter sprudelnden Brunnen.

Laut einer frommen Legende holte im 9. Jahrhundert eine geistliche Delegation die Gebeine des »Heiligen Liborius« von Chartres über Paris auf Umwegen nach Paderborn. Ein Pfau wies ihnen den Weg, flog ihnen voraus und landete schließlich in Paderborn. Am Ziel angekommen starb der Pfau. Der Pfau freilich kam von noch weiter her in unsere Gefilde. Kam er, so wie die »arabischen Zahlen«, ursprünglich aus Indien? Dort betrachtete man ihn als Reittier von Shivas Sohn Murugan (auch Skanda genannt). Murugan galt als Bruder des elefantenköpfigen Ganesha. Gott Indra war für segensreichen Regen zuständig. Manchmal wird Indra als Pfau dargestellt. Wegen seines »prunkvollen Rades«, so berichtet Symbolexperte Dr. Hans Biedermann in »Knaurs Lexikon der Symbole« (12), galt er in Indien auch als Sonnensymbol.

Von Indien dürfte der »heilige Pfau« nach China gelangt sein. Dort hatte er große symbolische Bedeutung, dort wurde (13) eng mit der Ming-Dynastie verbunden. Man kann sagen: Er gilt als Sinnbild für das Königtum schlechthin. »Seine Federn werden mit dem Himmelsrad verglichen und (er) stellt die Sonne, den Mond, das Himmelsgewölbe und die Sterne dar. Er ist damit auch eng mit dem Lebensbaum verbunden, ein wichtiges Symbol in Persien und Babylon und Pfauenthrone waren hier der bevorzugte Sitz der Könige.«

Foto 9: Ein leibhaftiger Pfau schlägt sein Rad
 
Der Pfau galt also in großen alten Kulturen als mächtiges, ja kosmisches Symbol. Wie kam er in christliche Gefilde? Wo wurde er zum ersten Mal als frühchristliches Symbol eingesetzt? Geschah dies erstmals in der Provinz Mauretanien, Nordafrika? Dort entstanden stark stilisierte Darstellungen von Pfauen. Gab es eine allgemein gültige Erklärung für das christliche Symbol »Pfau«? Häufig wird Augustinus angeführt und auf sein Werk »De civitate Dei« hingewiesen. Man glaubte offenbar, dass das Fleisch des Pfaus unverweslich sei. Interpretierte man also den Pfau als Symbol für Unsterblichkeit?

Eine völlig andere Interpretation hörte ich während meines Studiums der evangelischen Theologie, in einem Seminar über christliche Symbolik in der Kunst. Botticelli fertigte ein Bildnis an, das die Heiligen Drei Könige und allerlei sonstiges fremdes Volk an der Krippe mit dem Jesuskind zeigt. Deutlich zu sehen ist im Bild ein stolzer Pfau. Uns Theologiestudenten wurde damals in Erlangen erklärt, der Pfau symbolisiere die Anziehungskraft des christlichen Glaubens auf fremde Völker, oder die fremden Völker selbst, die Jesus huldig(t)en.

Professor Langdon, bitte melden!

Foto 10: Die Alexiuskapelle.

Fußnoten
(1) Siehe hierzu auch Alois Schröer, Alois: »Die Kirche in Westfalen im Zeichen der Erneuerung«, Münster 1987, S. 108–135.
(2) Grimm, Jacob: »Deutsche Mythologie«, Wiesbaden 2007
(3) Grimm, Jacob: »Deutsche Mythologie«, Akademische Druck- und Verlagsanstalt Graz 1968, dreibändige Faksimile-Ausgabe der 4. Auflage, Berlin 1875-78
(4) ebenda,  Band 1, Seite 4, Zeilen 5-9 von unten (Rechtschreibung unverändert übernommen)
(5) ebenda, Band 1, Seite 4 Mitte: »Der neue glaube erschien im geleit einer fremden sprache.«
(6) ebenda, Band 1, Seite 5 oben: »Es war auch weise oder kluge maßregel, viele heidnische plätze und tempel beizubehalten, indem man sie, wo es angieng, nur in christliche verwandelte, und ihnen andere, gleichheilige bedeutung überwies. Die heidnischen götter selbst wurden zwar als unmächtige im gegensatz zu dem wahren gott dargestellt, doch nicht überall als machtlose an sich selbst, sondern in feindliche, böse gewalten, in teufel, zauberer und riesen, verkehrt, die unterliegen müssen, denen aber noch eine gewisse schädliche thätigkeit und einwirkung beigelegt werden konnte. Einzelne heidnische überlieferungen und abergläubische gebräuche dauerten fort, indem sie bloß namen änderten, und auf Christus, Maria und die heiligen anwendeten, was vorher von den götzen erzählt und geglaubt wurde.«
(7) ebenda, Band 1, Seite 5, Zeilen 13-16 von oben
(11) Grimm, Jacob: »Deutsche Mythologie«, Akademische Druck- und Verlagsanstalt Graz 1968, dreibändige Faksimile-Ausgabe der 4. Auflage, Berlin 1875-78, Band 1, Seite 3, Zeilen 9-12 von unten
(12) Biedermann, Hans: »Knaurs Lexikon der Symbole«, München 1989, Seite 333, Stichwort »Pfau«

Foto 11: Der Pfau am kleinen Eingang zur Bischofskrypta
Zu den Fotos:
Fotos 1 und 2: Zwei Drachen am Grabmal des Fürstbischofs Dietrich von Fürstenberg. Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Die Abdinghofkirche (rechts) und Dom zu Paderborn (Mitte). Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Drachen am Grabmal des Fürstbischofs Dietrich von Fürstenberg links.
Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Drachen am Grabmal des Fürstbischofs Dietrich von Fürstenberg rechts.
Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Pfauenbrunnen und Dreihasenfenster, Dom zu Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Der Pfauenbrunnen unter dem Dreihasenfenster. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Der Pfau am kleinen Eingang zur Bischofskrypta, Dom zu Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Ein leibhaftiger Pfau schlägt sein Rad (Paradiesmühle Rischenau-Lügde). Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Die Alexiuskapelle. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Der Pfau am kleinen Eingang zur Bischofskrypta, Dom zu Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein

467 »Der mysteriöse Jodutenstein, Gott Mars und die Mutter der Kälte«,
Teil 467 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 30.12.2018
 



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