Sonntag, 2. Dezember 2018

463 »Böse Drachen, gute Drachen«

Teil 463 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein



Foto 1: 2 Drachen in der Krypta der Abdinghofkirche

Der »Bund Sankt Michael« informiert auf seiner Internetseite » Das christliche Kulturerbe des schützenden und bewahrenden Dienstes« (1) über »Symbole und Zeichen des schützenden Dienstes im Christentum« (2). Da lesen wir, kurz und bündig: »Drachen und Schlangen sind Symbole für das Böse, das alles Wertvolle sowie den Menschen und seine Seele bedroht, sowie für allgemeine Lebensbedrohung.« Wenn der Drachen so negativ gesehen wird, warum wurden dann in der Krypta der Abdinghofkirche gleich acht Drachen an einem Säulenkapitell verewigt?

Der Drachen ist in der christlichen Theologie ein Symbol für das Böse, das zu bekämpfen gilt. Drachentöter werden in der sakralen Kunst sehr häufig gezeigt: als Heroen, die böse Untiere besiegen. Belege für die böse Natur der Drachen finden sich im Alten Testament! Was selbst eifrigen Bibellesern meist verborgen bleibt: Im Alten Testament finden sich versteckte Hinweise auf Drachen aus uralten, vorbiblischen Zeiten. Ein Drachen wird gar namentlich genannt. Und der muss als böse angesehen worden sein, denn sonst hätte ihn Gott ja nicht vernichtet. Laut Bibel war dieser Drachen älter als die Schöpfung! Und er war nach Ansicht der Bibelautoren, böse!

Foto 2: Zwei der acht Drachen...

Im Buch Hiob (3) wird dieser Sachverhalt kurz angesprochen: »Durch seine Kraft hat er (Gott) das Meer erregt, und durch seine Einsicht hat er Rahab zerschmettert.« In der babylonischen Mythologie ist Rahab ein Meeresdrachen namens Tiamat. Tiamat aber war eine der ältesten Gottheiten überhaupt, nämlich die große Meeresgöttin. Als »Tehom« tritt die Meeresgöttin auch im »Alten Testament« auf, allerdings nur im hebräischen Original, nicht in den Übersetzungen der christlichen Interpreten. Die Übersetzer wussten mit der uralten Göttin nichts anzufangen. Sie ließen sie hinter Umschreibungen verschwinden.

»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe. Und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.« So, oder so ähnlich, werden für gewöhnlich die ersten Sätze des »Alten Testaments« übersetzt. Korrekter ist die berühmte »Elberfelder Bibel«: »Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Und die Erde war wüst und leer und Finsternis war über der Tiefe.« Auch die Schlachter-Übersetzung bietet Finsternis, die über der Tiefe lag... wie auch schon die legendäre lateinische Übersetzung fast zwei Jahrtausende früher von »abyssus«, also von »Abgrund« spricht. Im hebräischen Original finden wir »Tehom«. 

Das alttestamentarische »tehom« weist auf die babylonische Meeresgöttin Tiamat, Mutter aller Götter und Göttinnen, hin! Tiamat ist noch ein weiteres Mal im Schöpfungsbericht der Bibel verborgen. Wo es in Übersetzungen heißt »Und die Erde war wüst und leer!«, da steht im Hebräischen »Tohuwabohu«, »Tohu und Bohu«. Auch »Tohu« geht auf den Meeresdrachen Tehom zurück. Mit »Bohu« könnte das männliche Pendant Behom, der männliche Erdgott, gemeint sein.

Foto 3: Haben diese Drachen eine Aufgabe?

Uralt ist die Legende vom »Drachenkönig und seinen Söhnen« in China. Wann sie zum ersten Mal erzählt wurde, das vermag niemand zu sagen. Es gab sie schon sehr, sehr lange in China, ja eigentlich schon »immer«. Waren die neun Söhne des Drachenkönigs zunächst anonym, so bekamen sie in der Ming Dynastie ihre Namen. Damals, so überliefert es die Legende, wollte der Kaiser von seinem General wissen, wie denn die Namen dieser mysteriösen Wesen lauteten. Der General wusste es nicht, erfuhr aber, dass die Namen dem Volk durchaus vertraut seien. Also machte er sich auf die Suche und fragte das Volk aus.

Wann der Drachenkönig wohl zum ersten Mal auftauchte? Das war schon viel früher, nämlich vor 6000 Jahren. Im Jahr 1970 fand man in einem Grab in der Nähe der Stadt Chifeng in der Inneren Mongolei in einem Grab eine Darstellung des Drachenkönigs, den die Entdecker Zhu Long nannten. Der Name rührt daher, dass einige Archäologen in dem mysteriösen Wesen einen Drachen (Long), andere ein Schwein (Zhu) sahen. Weil die Archäologen sich nicht auf einen Namen einigen konnten, verknüpften sie beide Bezeichnungen zu einem, zu Zhu Long. Autorenkollege und Chinaexperte Alexander Knörr schrieb mir per Mail (4): »Später dann fand man in weiten Teilen Chinas ähnliche Grabbeigaben, die alle, wie auch der erste Fund, aus der Zeit der Hong Shan Kultur und deren Ablegern stammten (9.000 bis 6.000 Jahre alt).«

Fotos 4 und 5: Sollen sie erschrecken oder behüten?

Wikipedia schreibt (5): »Das in der Mythologie Chinas häufig vorkommende Wesen (Drachen!) ist, im Gegensatz zu den europäischen Drachen, eher mit einer Gottheit als mit einem (böswilligen) Dämon zu vergleichen.« 

Ein heute noch sehr beliebter Drachenkönigssohn hatte eine spezielle Aufgabe zu erledigen. Er war – und ist –  dafür zuständig, dass die Geldströme nicht versiegen und das Einkommen ständig wächst. In China sieht man ihn als Statuette in Restaurants und anderen Geschäften. Um sich den Drachenkönigssohn gewogen zu machen, legt man Münzen um diese Statuetten. Das soll das Einkommen des Spenders steigern. Chinaexperte und Buchautor Alexander Knörr (6): »Die Schildkröte steht im Chinesischen immer für langes Leben. Sie soll in diesem Fall dem Besitzer der Figur ein langes Leben schenken, und der Sohn des Drachenkönigs ein gutes Einkommen bescheren.«

Wer genau hinsieht, wird bei »meinem« »Schildkrötendrachen« Münzen und »Schiffchen« mit einer Kugel darin erkennen. Alexander Knörr erklärte mir (7): »Bei den Schiffchen handelt es sich um eine frühe Form des chinesischen Münzgeldes. Das sogenannte Barrengeld. Während man alle normalen Einkäufe mit den runden, eckigen oder schwertförmigen Cash-Münzen bezahlte (deswegen auch der Name Cash für Geld), nahm man für größere Anschaffungen kleine Silberbarren in dieser speziellen Form.«

Foto 6: Chinesischer Schildkrötendrachen mit Münzen.

In der Welt der christlichen Symbolik haben Drachen wie die Schlange im Paradies eine negative Bedeutung, in der chinesischen Mythologie häufig eine positive. Wie sind die acht Drachen in der Krypta der Abdinghofkirche zu verstehen? »Paderborn.de« erklärt (9)»Das östliche Kapitell verfügt über den reichsten Schmuck. Das Tierkapitell zeigt acht Drachen mit geringeltem Hinterleib, Flügeln und einem kleinen Spitzbart am Kopf. Diese mythischen Drachen waren seit der Antike bis ins hohe Mittelalter Sinnbild für Naturkräfte, die hier vermutlich die Wasserquellen der Pader schützen sollten. Diese Schlangendrachen sind hier eine kunstgeschichtliche Kostbarkeit.«

Im Blog »Museum in der Kaiserpfalz« (10) lesen wir etwas anderes (11): »Um die Paderquellen ranken sich Sagen und Legenden, u. a. die der Wasserdrachen. Die Krypta in der Abdinghofkirche besitzt ein Tierkapitell mit acht Drachen, welche als Metapher für die heilende Kraft der Natur die Paderquellen beschützt haben sollen und den Quellkeller bewohnen.«

Foto 7: Der Schatz des Schildkrötendrachen.

Die Säule mit den acht Drachen befindet sich ganz in der Nähe des Altars. Sie ist, das ergab meine Messung, nur 1,80 Meter hoch. An allen vier Seiten der Bündelsäule befinden sich schmale Reliefstreifen (Breite jeweils etwa 50 cm, Höhe jeweils etwa 10 cm). Ganz eindeutig sind die acht Fabelwesen als Drachen zu erkennen. Geringfügige Beschädigungen stören den Gesamteindruck nicht. So sind einige kleine Risse auszumachen. Zu erkennen sind auch, wenn man genau hinschaut, kleine Ausbesserungen. So fehlen winzige Teile der Reliefs. Auch sind an manchen Stellen die Umrisse der Drachen nur noch zu erahnen, was meiner Meinung nach für ein sehr hohes Alter der Darstellungen spricht. Unverkennbar sind die spitzen Bärte der Drachen. Sollte es sich um männliche Drachen handeln? Betrachtet man die detailreichen in den Stein geritzten Zeichnungen sehr sorgsam, so erkennt man Hinweise auf »Schuppen«, passend zu reptilienhaften Drachen.

Sollten die Quellen von Paderborn in heidnischen Zeiten als heilsam gegolten haben? Gab es einst in Paderborn ein heidnisches Quellheiligtum? Der Sage nach (12) wurden die Quellen einst von keinem Geringeren als vom höchsten Gott der heidnischen Sachsen, von Wotan alias Odin, geschaffen. Übrigens: Es gibt eine seltsame Parallele zwischen Jesus und Wotan! Nach christlichem Glauben ließ sich Jesus kreuzigen und vollzog damit ein Selbstopfer. Nach christlichem Verständnis brachte sich Gott als letztes Opfer selbst dar. So wie Jesus am Kreuz hing, so hängte sich Odin alias Wotan an den. Weltenbaum Yggdrasil.

Im »Geschichtsforum« (13) lesen wir im Kapitel »Paderborner Ortsnamen« (14): »Es gibt einige sagenhafte Hinweise auf den Fund heidnischer Opfergaben und die Quelle unter dem Gebäude der Kaiserpfalz gilt als heilig. Aber die Analyse von Sagen und Märchen hat bekanntlich ergeben, dass so ziemlich jedes Gewässer in der/den westgermanischen Religion/en als Zugang zum Jenseits galt.«»Böse« Drachen im Christentum, »gute Drachen« bei den »Alten Chinesen«.

Und welche Bedeutung haben die acht Drachen in der Krypta der Abdinghofkirche zu Paderborn?

Foto 8: Quellwasser unter der Kaiserpfalz.

Fußnoten
(1) https://bundsanktmichael.org/kultur/ (Stand 1.10.2018)
(2) https://bundsanktmichael.org/kultur/symbole-und-zeichen/ (Stand: 1.10.2018)
(3)  Buch Hiob Kapitel 26, Vers 12
(4) Email Alexander Knörr an Walter-Jörg Langbein, Datum: 18.5.2016, 6 Uhr 45. Ein herzliches Dankeschön geht an Alex für seine großzügige Hilfsbereitschaft!
(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Long_(Mythologie) (Stand: 1.10.2018)
(6) Email Alexander Knörr an Walter-Jörg Langbein, Datum: 29.1.2016
20 Uhr 29. Ein herzliches Dankeschön geht an Alex für seine großzügige Hilfsbereitschaft!
(7) Email Alexander Knörr an Walter-Jörg Langbein, Datum: 12.5.2016, 15 Uhr 10. Ein herzliches Dankeschön geht an Alex für seine großzügige Hilfsbereitschaft!
(8) https://www.paderborn.de/index.php (Stand 1.10.2018)
(9) https://www.paderborn.de/tourismus-kultur/sehenswuerdigkeiten/Abdinghofkirche_Sehensw.php (Stand 1.10.2018) : »Abdinghofkirche St. Peter und Paul«, Stichwort »Krypta«
(10) https://www.kaiserpfalz-paderborn.de/blog
(11) https://www.kaiserpfalz-paderborn.de/blog/ganz-schoen-cool-der-unterirdische-quellkeller (Stand 1.10.2018)
(12) https://www.paderborn.de/veranstaltungen/events/sagen-legenden-erzaehlungen.php (Stand 1.10.2018)
(13) http://www.geschichtsforum.de/  (Stand 1.10.2018)
(14) http://www.geschichtsforum.de/thema/paderborner-ortsnamen.52493/ (Stand 1.10.2018)

Foto 9: Quellwasser unter altem Gemäuer (Kaiserpfalz)

Zu den Fotos:
Foto 1: 2 Drachen in der Krypta der Abdinghofkirche. Foto/ Nachzeichnung Walter-Jörg Langbein
Foto 2: 2 der 8 Drachen. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Haben diese Drachen eine Aufgabe? Foto Walter-Jörg Langbein
Fotos 4 und 5: Sollen sie erschrecken oder behüten? Fotos Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Chinesischer Schildkrötendrachen mit Münzen. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Der Schatz des Schildkrötendrachen. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Quellwasser unter der Kaiserpfalz. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Quellwasser unter altem Gemäuer (Kaiserpfalz). Foto Walter-Jörg Langbein

464 »Drachen, Jungfrauen und ein himmlischer Fluss«,
Teil 464 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 09.12.2018



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