Sonntag, 28. Juni 2020

545. »Elohim (Götter) der Himmel«

Teil 545 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein



Foto 1: Der Turm zu Babel
(Pieter Bruegel der Ältere um 1563).
Adolf Holl (*1930; †23. Januar 2020) war einer der streitbarsten Theologen der Kirchengeschichte. 1954 wurde er zum Priester geweiht. 1955 promovierte er in katholischer Theologie, 1961 in Philosophie. 1963 wurde Dr. Dr. Adolf Holl Dozent an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. 1971 erschein  sein Werk »Jesus in schlechter Gesellschaft«. Der Bestseller machte ihn weit über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt und in manchen Kreisen sehr unbeliebt. Als Bestsellerautor zu einer Art Kultfigur geworden, gestand Adolf Holl in einer Fernsehsendung den Bruch des Zölibats. In Folge wurde er 1976 durch den Wiener Erzbischof Kardinal König, für den er auch Reden geschrieben hatte, vom Priesteramt suspendiert. Dies geschah auf Betreiben der »Kongregation für die Glaubenslehre« (Vatikan).

Holls Kritik am gedankenlosen Glauben fiel beißend aus: »Je religiöser ein Mensch, desto mehr glaubt er; je mehr er glaubt, desto weniger denkt er; je weniger er denkt, desto dümmer ist er; je dümmer er ist, desto leichter kann er beherrscht werden. Das gilt für Sektenmitglieder ebenso wie für die Anhänger der großen Weltreligionen mit gewalttätig intolerantem ›Wahrheits‹-Anspruch. Dagegen hilft, auf Dauer, nur Aufklärung.«

Was Holl autoritätsgläubigen religiös »denkenden« Menschen vorwirft, das trifft auch auf wissenschaftsgläubige Menschen zu, die keinen Zweifel an der vermeintlichen wissenschaftlichen Wahrheit aufkommen lassen wollen. Dabei wird geflissentlich übersehen, dass es die wissenschaftliche Wahrheit nur mit Verfallsdatum gibt. Religiöse wie wissenschaftlich orientierte Dogmatiker stellen gern Lehren in den Raum, die nicht angezweifelt werden dürfen. Wirklich ernsthafter Suche nach Antworten auf die großen Fragen stehen Dogmen allerdings im Weg. Wer nach der Wahrheit sucht, muss ungehindert denken dürfen. Denkverbote sind nach dem Geschmack von Dogmatikern, ernsthaft Suchenden stehen sie im Weg.

Was unsere Altvorderen überliefert haben, das mag heute manchmal recht märchenhaft anmuten, scheint aber doch dann und wann einen wahren Kern zu haben. Diese Botschaft alter Überlieferungen gilt es zu suchen und zu verstehen. Theologieprofessor Dr. Hermann Gunkel erklärt zahlreiche biblische Texte zu Märchen. Dabei geht er, scheint mir, willkürlich vor. Wir müssen uns die Frage stellen, welche Schilderungen nun auf Tatsachen beruhen und welche nicht. Dabei ist die literarische Klassifizierung als Märchen nicht wirklich hilfreich. Der Theologe Gunkel definiert zahlreiche Texte als Märchen, die seiner Meinung nach (1) »erdichtete Personen an erfundenen Orten auftreten lassen«.

Ich sehe das anders. Jeder Text, auch jeder biblische oder apokryphe Text, kann auf realen Begebenheiten beruhen, mag er uns auch noch so märchenhaft vorkommen.

Fotos 2 und 3: Tulum, Götter kommen vom Himmel herab.

 Dr. Gunkel schreibt (2): »In der Geschichte vom babylonischen Turmbau … ist märchenhaft der Plan der Menschen, sich einen Turm zu bauen, der so hoch ist, daß seine Spitze in den Himmel reicht.« Der Turm zu Babel ist aber kein Fantasieprodukt aus einem Märchen. Es hat ihn gegeben, lange bevor die Texte des »Alten Testaments« geschrieben wurden. Es gab in Mesopotamien Tempeltürme, Zikkurats genannt, die in der Geschichte vom Turmbau zu Babel verewigt wurden. Die ersten Zikkurats wurden im südlichen Mesopotamien bereits im 5. Jahrtausend vor Christus gebaut.

Im südlichen Irak, etwa 15 km westlich von Nasiriya gelegen, lässt die Ruine einer Zikkurat nur noch erahnen, was für ein monströses Bauwerk hier einst stand. Der Tempelturm wurde vor 4.000 Jahren der Mondgottheit Nanna geweiht, deren »Haus« oben auf der Zikkurat in den Himmel ragte. Als Hohepriesterin von Nanna hatte womöglich nur die Tochter des sumerischen Herrschers von Ur Zugang zum Heiligtum auf der Zikkurat. Da wundert es nicht, dass der patriarchalische Jahwe den Turm von Babel hasste und zerstören ließ. Ob das wirklich geschah, so wie es die Bibel überliefert? Vielleicht beschreibt das biblische »Märchen« nur den Übergang von einem Matriarchat mit einer Hohepriesterin zum Patriarchat Jahwes. Zu hinterfragen bleibt allerdings, ob im »Alten Israel« wirklich nur der göttliche Patriarch Jahwe verehrt wurde. Das ist mehr als zweifelhaft.

Meine Vermutung: Der Mondgott Nanna ist die vermännlichte Form der sumerischen Göttin der Liebe Inanna, die weiblich und männlich in Erscheinung treten konnte. Andere Namen dieser hohen Göttin waren Inana, Innin, Ninanna, Ninsianna und Ninegal. Unter welchem Namen sie auch fungierte, so war sie immer die Göttin der Weiblichkeit schlechthin. Ihr »Stern« war die Venus. Ich halte es für wahrscheinlich, dass die »Ur-Inanna« eine Fruchtbarkeitsgöttin war.

Die Geschichte vom Turmbau zu Babel basiert auf realen Tempelpyramiden. Und sie vermittelt einen Sachverhalt: Gott kam vom Himmel herab. Von Göttern, die vom Himmel herab zur Erde stiegen, hörte ich bei Reisen in den Gefilden der Südsee (Osterinsel und »Temwen Island«, Pohnpei im Archipel der Karolinen, »Föderierte Staaten von Mikronesien«).

Bei meinen Reisen durch Zentralamerika begegneten mir Darstellungen von Göttern, die vom Himmel kamen (3). In der »weißen Mayastadt« Tulum an der Karibikküste von Mexiko im Bundesstaat Quintana Roo, rund 130 Kilometer südlich von Cancún. Hier finden sich sichtbare Hinweise auf einen mysteriösen Gott. Wir kennen seinen Namen nicht mehr. In der Mythologie der Mayas wird er als »herabstürzender Gott« oder »herabsteigender Gott« bezeichnet. War damit »Ah Mucen Cab« gemeint, der göttliche »Honigsammler«? »Ah Muzencab«, wie das mächtige himmlische Wesen auch genannt wurde, war in der Mythenwelt der Mayas ein Bienengott. Und in den heiligen Überlieferungen der Mayas war er ein »herabstürzender Gott«. Die »Chilam Balam«-Bücher preisen ihn als einen der Weltschöpfer. Einer der Tempel von Tulum war ihm, dem »herabstürzenden Gott«, geweiht.


Fotos 4- 7: Tulum, Stadt der vom Himmel steigenden Götter.
Fotos Walter-Jörg Langbein

Schon im 1. Buch Mose wird der Gott des Alten Testaments gleich zwei Mal als »Gott des Himmels« oder »Himmelsgott« (4) bezeichnet. Auch bei Jona taucht die direkte Kombination von »Jahwe« und »Gott des Himmels« auf (5): » Er sprach zu ihnen: Ich bin ein Hebräer und fürchte Jahwe, den Gott des Himmels, …«. Nach Esra tituliert auch Perserkönig Kyrus Jahwe, den Gott der Juden genauso (6): »So spricht Kyrus, der König von Persien: Alle Königreiche der Erde hat mir Jahwe, der Gott des Himmels, gegeben, und er hat mir befohlen, ihm ein Haus zu Jerusalem in Juda zu bauen.« Im Buch Nehemia begegnet uns wieder »Jahwe, Gott des Himmels« (7): »Ach, Jahwe, Gott des Himmels, du großer und schrecklicher Gott, der da hält den Bund und die Treue denen, die ihn lieben und seine Gebote halten!« Brisant wird es ein Kapitel später. In der »Luther Bibel 2017« lesen wir (8): »Da betete ich zu dem Gott des Himmels.« Im hebräischen Original freilich steht: »Da betete ich zu (den) Elohim der Himmel.«

Einige Verse später tauchen sie wieder auf (9), die »Elohim der Himmel«. An anderer Stelle wird offenbar »Elohim« im Sinne von Gott (Einzahl) verwendet (10). Zunächst die Version der »Luther Bibel 2017«: »So spricht Kyrus, der König von Persien: Der HERR, der Gott des Himmels, hat mir alle Königreiche der Erde gegeben, und er hat mir befohlen, ihm ein Haus zu bauen zu Jerusalem in Juda. Wer nun unter euch von seinem Volk ist, mit dem sei der HERR, sein Gott, und er ziehe hinauf!« In beiden Fällen steht im hebräischen Original dort »Jahwe, Elohim der Himmel«, wo die Übersetzung »HERR, der Gott des Himmels«. Der Psalmist schließlich bringt im Hebräischen den »El der Himmel«, was in der Regel wieder mit »Gott des Himmels« übersetzt wird.

Prof. Dr. Georg Fohrer (*1915; †2002) wirkte über Jahre am »Fachbereich Altes Testament« an der »Friedrich Alexander Universität Erlangen«. Ich habe einige Vorlesungen und Seminare Fohrers besucht. Der Gelehrte machte mich darauf aufmerksam, dass das »Alte Testament« zwar fast vollständig im altehrwürdigen Bibel-Hebräisch verfasst wurde, dass es aber einige sehr wenige Verse in Aramäisch gibt. In den wenigen Versen in aramäischer Sprache taucht immer wieder das Pendant zum hebräischen Gott des Himmels auf.

Im Hebräischen gibt es immer wieder »Elohim«, eindeutig ein Pluralwort, das man mit »Götter« (Mehrzahl) übersetzen muss. Das Einzahlwort zu »Elohim« (»Götter«) lautet »Eloah« (»Gott«). Als das aramäische Pendant zum hebräischen »Eloah« werden »Elah« beziehungsweise »Elaha« angesehen. Ich vermute, dass sich das arabische »Allah« (»al aliah«, »der aliah«, »der Gott«) aus dem aramäischen »Eloah/ Elah« entwickelt hat.

Im kleinen Buch Daniel des »Alten Testaments« wurde ich bei meiner Suche nach dem »Gott des Himmels« fündig (11): Da sollen Hananja, Mischaël und Asarja »den Gott des Himmels um Gnade« bitten und »Daniel lobte den Gott des Himmels«. Da heißt es (12), dass »der Gott des Himmels« dem »König aller Könige … Königreich, Macht, Stärke und Ehre gegeben hat« und dass »der Gott des Himmels ein Reich aufrichten« werde.


Fußnoten
(1) Gunkel, Hermann: »Das Märchen im Alten Testament«, Tübingen 1921, Seite 9, 19.+20. Zeile von oben. (Die Rechtschreibung wurde unverändert übernommen und nicht nach der Rechtschreibreform »modernisiert«.)
(2) Ebenda, Seite 156, 8.-6. Zeile von unten
(3) Siehe Langbein, Walter-Jörg: »Monstermauern, Mumien und Mysterien«, Band 4, Kapitel 8 »Mysteriöse Tempel an der Karibik-Küste«, 2. Auflage August 2019, Seiten 49-54
(4) 1. Buch Mose Kapitel 24, Verse 3 und 7.
(5) Jona Kapitel 1, Vers 9
(6) Esra Kapitel 1, Vers 2
(7) Nehemia Kapitel 1, Vers 5
(8) Nehemia Kapitel 2, Vers 4
(9) Ebenda, Vers 20
(10) 2. Chroniken Kapitel 36, Vers 23
(11) Daniel Kapitel 2, Verse 18 und 19
(12) Daniel Kapitel 2, Vers 37 und Vers 44

Zu den Fotos
Foto 1: Der Turm zu Babel (Pieter Bruegel der Ältere um 1563). Foto Archiv Walter-Jörg Langbein
Fotos 2 und 3: Tulum, Götter kommen vom Himmel herab. Fotos Archiv Walter-Jörg Langbein.
Fotos 4- 7: Tulum, Stadt der vom Himmel steigenden Götter. Fotos Walter-Jörg Langbein.

546. »Herr der Himmel und der Welten«,
Teil 546 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 05. Juli 2020


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