Mittwoch, 7. Januar 2015

»Sagenhaft! Schreib Geschichte!« - Der Pferdefriedhof in der Dingdener Heide


Der Schreibwettbewerb ist beendet und die Gewinner stehen fest.
Nina Held konnte die Jury mit ihrem Beitrag überzeugen und freut sich über einen Gutschein für Jochen Schweizer über 500 Euro. Hier Ninas Geschichte:


Der Pferdefriedhof in der Dingdener Heide

Der Pferdefriedhof in der Dingdener Heide

Die Alten wissen Geschichten aus längst vergangenen Zeiten. Unglaubliches, Unheimliches und Schauriges wird berichtet. Man mag es glauben oder nicht, aber es gruselt doch so manchen, wenn er an den Pferdefriedhof in der Dingdener Heide denkt. Zurecht, so sei es allen Zweiflern gesagt.


Ein Bauer lebte mit Frau und Sohn auf seinem Hof in der Dingdener Heide. Die Frau war nach langer Zeit wieder guter Hoffnung und das Paar voller Freude. In einer stürmischen, von Blitzen und Donnergrollen durchzogenen Nacht, ächzte und krachte jeder Holzbalken des alten Hofes. Die Tiere im Stall traten unruhig gegen ihre Verschläge und der Bauer und sein Sohn hatten Mühe sie zu beruhigen. In dieser unheilvollen Nacht kämpfte der Bauer nicht nur um das Wohlergehen seiner Tiere, sondern auch um das Leben seiner Frau unter der Geburt. 

Das Schicksal wollte, das er einen Kampf verlor. Als der Morgen graute hatte das Unwetter seine Kraft verloren und der Bauer seine geliebte Frau mitsamt dem Kind.

Der Bauer war nach dem Tod seiner Frau nicht mehr derselbe. Das bekamen nicht nur sein Sohn, sondern auch seine Tiere zu spüren. Den alten Ackergaul trieb er mit der Peitsche über das Feld, dass das Tier am Ende des Arbeitstages voller Striemen war. Beim Scheren der Schafe packte er die Tiere und presste sie rücksichtslos zu Boden. So manche Wolllocke flog blutdurchtränkt in den Korb. 

Nach einem besonders harten Tag betrat der Sohn den Stall und kümmerte sich um die Tiere. Als er an den alten Ackergaul herantrat sah er, wie schlimm es um diesen stand. Das Tier zitterte und aus einer Wunde an seiner Flanke sickerte Blut. Der Bauernsohn mochte den alten Gaul sehr. Während er die Wunde säuberte und dem entkräfteten Pferd eine zusätzliche Portion Futter gab, liefen ihm die Tränen über das Gesicht. In der Nacht starb der geschundene Gaul. 

Der Bauer trug seinem Sohn auf, den Kadaver auf der benachbarten Lichtung zu verscharren. Der Junge zog den Kadaver, mithilfe des verbliebenen Ackergauls, zur Lichtung und begrub ihn neben einer Kiefer. Er pflückte ein Büschel Gras und legte es auf das Grab. „Leb` wohl Brauner“, flüsterte er.

Als der Junge am nächsten Tag nach dem Grab sehen wollte, war das Grasbüschel verschwunden. Der Junge dachte sich nichts dabei und legte erneut frisches Gras auf das Grab. Dieses und alle weiteren Grasbüschel fehlten jedes Mal, wenn der Junge das Grab besuchte.

Eines Abends, nach seiner gewohnten Runde durch den Stall, hörte der Junge das Wiehern eines Pferdes auf der nahen Lichtung. Neugierig nahm er sich die Stalllampe vom Haken und machte sich auf den Weg. Im Schein der Lampe konnte er nichts Auffälliges erkennen. Das Grab des Braunen lag still im Mondschein. Er wollte sich gerade auf den Rückweg machen, da nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung war. Der Junge drehte sich um und hob die Lampe. Er schrie –, stolperte, rappelte sich wieder auf und rannte so schnell er konnte zum Hof zurück. 

In der Stube saß der Vater vor einem Glas Schnaps. Der Junge polterte herein und stieß an den Tisch. Der Selbstgebrannte schwappte über. Der Vater erhob sich wankend, holte zu einer Ohrfeige aus und kippte dabei rücklings auf seine Bank. „Pass doch auf du, du ...“ lallte er. „Gleich setzt es was.“ 
„Vater, hör zu“, rief der Junge. „Der Geist des Braunen, er spukt auf der Lichtung!“ Mit einer energischen Geste deutete der Vater dem Jungen an, still zu sein und in seine Kammer zu gehen. „Lass mich mit deinen Geschichten in Ruhe“, zischte er ihm hinterher.

Der Junge lag noch lange wach, immer wieder tauchten die Bilder eines langsam über die Lichtung schwebenden Pferdeschattens vor seinem inneren Auge auf.

Kurz bevor er einschlief, fasste er einen Entschluss. „Schlimmer als mit meinem Vater kann die Begegnung mit einem Gespenstergaul nicht sein.“ Morgen, so nahm er sich fest vor, würde er nicht davon laufen.

In der folgenden Nacht machte er sich auf den Weg zur Lichtung. Er setzte sich neben das Grab und wartete. Gegen Mitternacht hörte er das Schnauben eines Pferdes. Halb hinter einer Nebelschwade verborgen, konnte er die Umrisse eines Gaules ausmachen. Langsam stand der Junge auf und ging auf den Umriss zu. Je näher er kam, desto weiter entfernte sich das Pferd von ihm. Schließlich senkte das Tier seinen Kopf und deutete mit seinen Hufen ein Scharren auf dem Wiesenboden an. Langsam verschmolz das Pferd mit dem Dunkel der Nacht und verschwand. 

Der Junge fühlte sich zu der Stelle hingezogen, an der er zuvor das Pferd hatte scharren sehen. Er kniete nieder und grub dort mit den bloßen Händen. Kurze Zeit später hielt er einen dunklen Klumpen in der Hand. Dieser war schwer und ließ sich nicht, wie ein gewöhnlicher Lehmklumpen, einfach zerbrechen. Er beschloss, das schwarz-braune Etwas bei Tageslicht näher zu untersuchen.

Am nächsten Tag stellte sich heraus, dass er ein Stück Raseneisenerz gefunden hatte. Sein Vater hatte davon immer mal wieder erzählt. Das Raseneisenerz wurde, in einer nicht allzu weit entfernten Hütte, zu Eisen eingeschmolzen. Stolz versteckte er seinen Fund im Stall. Auch in den folgenden Wochen führte ihn der Braune zu verschiedenen Stellen auf der Wiese und im Feld. Jedes Mal entdeckte der Junge eine größere Menge Raseneisenerz. Der Junge ahnte nicht, dass er dabei beobachtet wurde.

In den letzten Wochen ging es mit dem Bauern weiter bergab. Er trank fast den ganzen Tag und überließ die Arbeit seinem Sohn. Der Hof verfiel, mochte sich der Sohn noch so sehr anstrengen, er konnte es nicht verhindern.

In der siebten Woche entdeckte der Junge so viel Erz, dass er beschloss, seine gesammelten Stücke auf den Wagen zu laden und sie an die Eisenhütte in Liedern zu verkaufen. Der Vater erhielt in der Zwischenzeit Besuch vom Jäger. Dieser wohnte nahe der Lichtung in einer Jagdhütte. Er hatte den Jungen beobachtet und unterrichtete den Bauern nun über das nächtliche Treiben seines Sohnes. 

Der Bauer tobte und wollte seinen Sohn, wegen der nächtlichen Herumtreiberei, zur Rede stellen. Doch auch in den späten Abendstunden war dieser noch nicht zurückgekehrt. Da nahm sich der Vater Peitsche und Lampe vom Haken und machte sich auf den Weg zur Lichtung. 

Vor einer Kiefer konnte er die Umrisse eines Pferdes erkennen. Er hob die Peitsche und stürmte auf das Tier zu, doch je näher er der Kiefer kam, desto weiter entfernt schien der Gaul. Der Bauer fluchte und folgte dem Schnauben des Tieres. Immer weiter führte ihn der Gaul auf die Felder und Wiesen hinaus. Endlich hatte der Bauer das Gefühl dem Tier näher zu kommen. Er hob die Peitsche und tat einen langen Schritt auf den Schatten zu. In diesem Moment versank der Bauer bis zur Hüfte in einem Schlammloch. Das Pferd war verschwunden. Der Bauer konnte sich aus seiner misslichen Lage nicht mehr befreien und erfror jämmerlich. 

Der Jäger verbreitete die Geschichte des Bauern und seines Sohnes in der gesamten Umgebung. Viele Bauern kamen und begruben ihre Ackergäule auf der Lichtung, in der Hoffnung, von ihnen zu einem Schatz geführt zu werden. Doch die meisten von ihnen verschwanden für immer in den umliegenden Sümpfen. Der Bauernjunge aber verkaufte den alten Hof und stieg als Teilhaber bei der Eisenhütte in Liedern ein.

___

Nina Held
Nina Held, Jahrgang 79, ist Erzieherin und Mutter zweier Kinder. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie die Bildungsdokumentationssoftware GABIP entwickelt. In Kindergärten, Krippen, Ganztagsschulen etc. wird die Software eingesetzt, um die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu dokumentieren.   

Zurzeit konzentriert sie sich auf das Schreiben von pädagogischer Fachliteratur und Texten für Kinder.

Folgende Bücher sind von ihr im Ökotopia Verlag erschienen:




Weitere Bücher sind in Vorbereitung.



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