Sonntag, 24. Juli 2011

79 »Das Geheimnis der Dienerin«

Teil 79 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 24.7.2011


Heute gibt es weltweit rund 2,3 Milliarden Anhänger des Christentums, 1,6 Milliarden Menschen sind Anhänger des Islam, rund 900 Millionen Menschen werden dem Hinduismus zugerechnet. Vor rund zwei Jahrtausenden scharte Jesus ein kleines Häuflein von Anhängern um sich. Als er gekreuzigt wurde, gab es »das Christentum« noch gar nicht. Niemand hat damals geglaubt, dass sich das Christentum zu der am meisten verbreiteten Religion der Welt entwickeln würde.

Das mysteriöse »Abendmahl«
von Kirchbrak - Foto: W-J.Langbein
Jesus selbst wollte zunächst sein Wirken nur auf das kleine Volk der Kinder Israel beschränkt sehen. Überspitzt formuliert: Er war ausländerfeindlich. Für Menschen aus dem nahegelegenen Kanaan war er seiner Meinung nach nicht zuständig. Es war eine Frau, die Jesu Horizont erweiterte. Es war eine Frau, die dem Provinzprediger Jesus die Grenzen aufstieß. Diese namenlose kanaanäische Frau bat Jesus, ihre kranke Tochter zu heilen. Kanaanäische Gefilde aber waren »Ausland« für Jesus und er erwiderte barsch (1): »Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.« Und dann verglich Jesus die kanaanäischen Menschen – und das war eine schlimme, wirklich üble Beleidigung – mit Hunden (2): »Es ist nicht fein, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.« In geradezu unterwürfiger Weise griff die kanaanäische Frau den Vergleich Jesu auf (3): »Ja, Herr; aber doch essen die Hunde von den Brosamen, die von des Herrn Tisch fallen.«

Die anonyme Frau hat wie kaum ein zweiter Mensch Jesus beeinflusst. Sie brachte ihn dazu, ihre Tochter zu heilen ... Sie ließ Jesus über seinen Schatten springen. Sie legte den Grundstein zur Weltreligion Christentum, das sonst womöglich eine kleine jüdisch-christliche Sekte geblieben wäre ... von der heute niemand mehr sprechen würde.

Der unbekannte Künstler von Kirchbrak spielt meiner Meinung nach auf das Gleichnis Jesu von den Hunden, die unter dem Tisch des Herrn verköstigt werden an. Allerdings bekommen die Hunde nicht nur Brosamen, sie werden geradezu verwöhnt.

Hunde unter dem Tisch des Herrn
Foto: W-J.Langbein
Jesus sitzt im Zentrum einer Schar von dreizehn und nicht zwölf Jüngern. Vom Betrachter aus gesehen links hinten erkennen wir eine weibliche Person, jugendlich, bartlos, die Arme keusch bedeckt. Insgesamt zählen wir aber nicht vierzehn Personen (Jesus plus 13 Jünger)... sondern 15! Die 15. Person befindet sich etwas außerhalb der Gesellschaft Jesu, vom Betrachter aus gesehen vorn rechts. Auch sie hat die weiblichen Attribute, auch sie ist – wie Maria Magdalena – bartlos jugendlich, auch sie hat die Arme keusch bedeckt. Sie aber steht außerhalb der Gesellschaft um Jesus, sie ist eine Dienerin.

Im bunt bemalten hölzernen Schnitzwerk von Kirchbrak steht die Dienerin diagonal entgegengesetzt zu Maria Magdalena. Sie ist, vom Künstler symbolisch ausgedrückt, das Gegenstück zu Maria Magdalena. Oder anders ausgedrückt: Maria Magdalena ist das Gegenstück zur Dienerin, sie gehört zum engsten Kreis um Jesus. Sie ist die Jüngerin, die Jesus mehr liebte als alle männlichen Jünger.

Eine mysteriöse Dienerin schenkt
Wein ein - Foto: W-J.Langbein
Das Geheimnis der Dienerin: Sie unterstreicht die dominante Rolle Maria Magdalenas. Das Geheimnis der Maria Magdalena wird in verbotenen Evangelien von Nag Hammadi, die nicht in die Bibel aufgenommen wurden, verdeutlicht. Im »Evangelium der Maria (Magdalena)« wird der Neid der männlichen Jünger auf Maria Magdalena deutlich. Nach dem Tod Jesu wendet sich Petrus an Maria Magdalena und fragt scheinheilig (4): »Schwester, wir wissen, dass der Erlöser dich mehr liebt als die anderen Frauen. Sage uns daher die Worte des Erlösers, an die du dich erinnerst, die du kennst, wir aber nicht, und die wir auch nicht gehört haben.« Die Jünger sind eifersüchtig. Und das offenbar mit Recht. Offenbar hat Jesus Maria Magdalena Wissen anvertraut, das er seinen männlichen Jüngern vorenthielt (5): »Als Maria das gesagt hatte, schwieg sie. Denn dies war alles, was der Erlöser mit ihr besprochen hatte. Andreas aber hatte Einwände und sprach zu den Brüdern: ›Sagt an, was meint ihr zu dem, was sie gesagt hat? Ich jedenfalls glaube nicht, dass der Erlöser so gesprochen hat. Seine Lehren haben sicher ganz andere Bedeutungen.‹ Da machte auch Petrus Einwände zu dem Gesagten und fragte seine Brüder nach ihrer Meinung über den Erlöser: ›Sollte er wirklich mit einem Weibe unter vier Augen gesprochen haben und uns davon ausgeschlossen haben? Sollen wir uns etwa ihr zuwenden und alle auf sie hören? Hat er sie uns gegenüber bevorzugt?‹«

Die Dienerin schenkt ein
Foto W-J.Langbein
Nur einer der Jünger, Levi, engagierte sich für Maria Magdalena (6): »Petrus, du bist schon immer aufbrausend gewesen. Und auch jetzt sehe ich, wie du dich gegen diese Frau ereiferst, als wärest du ihr Widersacher. Wenn aber der Erlöser sie gewürdigt hat, wer bist du, dass du sie verwerfen dürftest?... Wir sollten uns schämen...und das Evangelium verkünden, wie er es uns aufgetragen hat, ohne dass wir ein weiteres Gebot oder Gesetz erlassen außer dem, worin uns der Erlöser unterwiesen hat.«

Pastor Andreas Pasewark, inzwischen in einer anderen Gemeinde tätig, betreute Kirchbrak als allseits beliebter Geistlicher. Zu meinen Thesen in Sachen Maria Magdalena auf dem Altarbild von Kirchbrak äußerte der Theologe in einem Interview durchaus wohlwollend (7): »Als ich das Buch von Langbein gelesen habe, bin ich direkt in die Kirche gelaufen und habe nachgeschaut. Der dreizehnte Jünger war für uns schon immer ein Rätsel, aber die Interpretation als Frau ist eine neue Möglichkeit.« Pastor Pasewark weiter: »Frauen sind für das Leben Jesu und die Entstehung des Christentums wichtiger, als es die Evangelisten darstellen!«

Leonardo da Vinci schuf sein weltberühmtes Abendmahl 1495 bis 1489, Philippe de Champaigne kreierte sein Abendmahl anno 1662... und um 1750 schnitzte und bemalte ein unbekannter Künstler das Abendmahl von Kirchbrak.Und auf allen diesen Kunstwerken taucht ein Geheimnis auf.... eine Frau im Kreis der Jünger Jesu.

Maria Magdalena und Jesus, von Philippe de Champaigne
Foto: Archiv Walter-Jörg Langbein
Ich bin davon überzeugt: Es ist Maria Magdalena, Apostelin der Apostel, wurde viele Jahrhunderte zu Unrecht als die »Sünderin« und Prostituierte verunglimpft... obwohl es für diese absurde Behauptung keinen Beleg in der Bibel gibt. Papst Gregor I. war es, der schon im Jahre 591 die Apostelin der Apostel zur Hure machte. Obwohl diese bösartige Verunglimpfung frei erfunden ist, dauerte es 1378 Jahre, bis die römisch-katholische Kirche anno 1969 Maria Magdalena vom falschen Makel, eine Prostituierte zu sein, befreite. Diese Rehabilitation wurde eher sehr verhalten-leise verkündet, so dass Maria Magdalena auch heute noch von vielen Menschen – christlich orientiert oder nicht – als Prostituierte gesehen wird.

Warum wird Maria Magdalena bis heute verächtlich gemacht? Warum werden seit fast zwei Jahrtausenden Evangelien ignoriert, die sie als Gefährtin Jesu titulieren? Meine Antwort: Weil eine starke, Jesus sehr nahestehende Frau immer noch nicht ihren verdienten Platz in der Kirche findet... In einer strikt patriarchalisch gestrickten Kirche wird man ihr auch weiterhin die verdiente Anerkennung vorenthalten. Eine Zukunft kann aber Kirche nur haben, wenn sie sich für Frauen öffnet... nicht nur in untergeordneten Positionen.

Dan Brown fasziniert mit seinen spannenden Romanen. Die Wirklichkeit aber ist oft spannender als jede Fiktion. Das erkennt man, wenn man alte Meisterwerke der Kunst mit offenen Augen studiert.... wie das Abendmahl von Kirchbrak!



Buch zum Thema von Walter-Jörg Langbein: »Das Sakrileg und die Heiligen Frauen«

Fußnoten
1: Evangelium nach Matthäus Kapitel 15, Vers 24
2: ebenda, Vers 26
3: ebenda, Vers 27
4: »Apokryphe Evangelien aus Nag Hammadi«, Andechs 1988, S. 258
5: »Apokryphe Evangelien aus Nag Hammadi«, Andechs 1988, S. 260
6: ebenda
7: Täglicher Anzeiger Holzminden, 5. Mai 2011

»Der Heilige Geist war eine Frau«,
Teil 80 der Serie
»Monstermauern, Mythen und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 31.7.2011


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