Teil 77 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Man muss nicht in fernste Ecken unserer Welt reisen, um Mysterien zu ergründen. Geheimnisvolles gibt es auch vor der sprichwörtlichen Haustür zu finden.... zum Beispiel in Kirchbrak. Das kleine Gotteshaus besitzt ein höchst ungewöhnliches Altarbild. Es zeigt Jesus und dreizehn Jünger...
Schon vor rund 1200 Jahren um taucht der Name Kirchbrak erstmals in einer amtlichen Urkunde auf. Das Dokument wurde im Kloster Fulda entdeckt. Interessant ist schon der Ortsname. Hans Hölscher bietet eine Erklärung an. Er schreibt in seinem informativen Heftchen »Sankt Michael Kirchbrak im Weserbergland« (1) heißt es: »Es bieten sich dafür an: brak = umgebrochenes Neuland; brach = Brachland; brak = Bruch (sumpfiges Gelände).« Kirchbrak kann also übersetzt werden mit: »Kirche im sumpfigen Brachland«.
Warum wurde eine Kirche in unwirtlicher Region gebaut? Zu vermuten ist, dass es dort ein heidnisches Heiligtum gab, an dessen Stelle ein christliches Gotteshaus errichtet wurde. Häufig wurden uralte Kultplätze von neuen Religionen einfach übernommen. Alte Tempel wurden abgerissen, auf ihren Grundmauern wurden neue Tempel erbaut. Einen heidnischen Vorgängerbau dürfte es auch in Kirchbrak gegeben haben.
Unklar ist, wann das erste christliche Gotteshaus in Kirchbrak gebaut wurde. Gab es schon im 11. Jahrhundert eine Kapelle? Im 13. Jahrhundert wurde wohl eine erste Wehrkirche errichtet. Sie diente nicht nur als Ort für katholische Gottesdienste, sondern auch als Zufluchtsort für die Bevölkerung im Kriegsfall. Die Sandsteinmauern sind über einen Meter dick. Noch heute macht die Kirche von Kirchbrak einen sehr wehrhaften Eindruck.
Der Eingang lag nicht ebenerdig, sondern einige Meter höher. Der machte das Betreten und Verlassen des Gotteshauses zum mühsamen Unterfangen. Aber im Falle eines feindlichen Angriffs konnten sich die Menschen in die Kirche zurückziehen. Wenige bewaffnete Männer genügten zur Verteidigung. Der ursprüngliche Eingang wurde längst zugemauert, das Gotteshaus kann bequem betreten werden.
Betritt man heute die Kirche durch den Seiteneingang, so beansprucht der schöne farbenfrohe Altar unsere Aufmerksamkeit. Sein herrliches, bunt bemaltes Schnitzwerk lässt uns nähertreten. So wie die Kirche in mehreren Etappen erbaut und erweitert wurde, so entstand der Altar auch nach und nach. Im 13. Jahrhundert gab es den Altar in seiner Urform, um 1750 wurde dann die Kanzel eingefügt. Zu dieser Zeit dürfte die Gruft unter der Kirche längst zugemauert gewesen sein. Damit war ein Geheimgang, der in das unterirdische Gewölbe führte, für immer verschlossen.
Versetzen wir uns in die religiöse Welt des »Heidentums«. Diese vorchristliche Zeit wurde über unvorstellbar lange Zeitepochen hinweg vom Prinzip des Matriarchats bestimmt. So konstatiert Adele Getty in ihrem fundamentalen Werk »Göttin, Mutter des Lebens« (2):
»Die Schöpfungsmythen zahlloser Kulturen legen Zeugnis ab... von der Rolle, die das weibliche Prinzip bei der Gestaltung der Welt spielte, in der wir leben. In der Vorstellung ist die Göttin allgegenwärtig und ewig.« Allgegenwärtig ist die Göttin für einen Heiden auch im Schnitzwerk des Altars von Kirchbrak!
Stellen wir uns vor: Ein Heide aus vorchristlichen Zeiten betritt die Kirche. Die christliche Lehre ist ihm vollkommen unbekannt. Die zentralen Gestalten des Alten und Neuen Testaments kennt er nicht. Und doch würde sich »unser« Heide durchaus heimisch fühlen....
Hoch oben steht triumphierend – über dem auferstandenen Jesus – eine Göttin: Justicia. Begleitet wird sie von zwei Engeln. Im »Alten Testament« waren Engel noch männliche Boten, die die Botschaften des männlichen Gottes übermittelten. Im »Neuen Testament« sind Engel immer noch Boten zwischen Himmel und Erde. Denken wir an die Weihnachtsgeschichte. Es ist ein Engel, der Maria auf ihre Schwangerschaft aufmerksam macht.... und vom Engel erfährt Maria, wie bedeutsam und segensreich ihre Schwangerschaft ist.
Die Engel von Kirchbrak sind eindeutig weiblich. Weibliche Engel, so erklärte mir Prof. Dr. Georg Fohrer, Fachbereich Altes Testament, sind die christliche Variante von Göttinnen, die in uralten Zeiten – lange vor Christentum und Judentum – angebetet wurden!
Weitere heilige Frauen nehmen am Altar eine herausragende Position ein. Sie stehen über den vier Aposteln. Es sind die Tapferkeit, die Mäßigkeit, der Glaube, die Hoffnung, die Liebe und die Klugheit. Die Liebe wird als Frau mit zwei Kindern dargestellt. Sie erinnert stark an die Erdmutter auf dem Relief vom Altar des Augustusfriedens aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert.
Diverse Darstellungen am Altar von Kirchbrak als »heidnisch« zu bezeichnen, das wird sicher den Widerspruch christlicher Interpreten auslösen. Es handele sich doch um allegorische Darstellungen! Warum aber erscheinen wichtige Gestalten an einem christlichen Altar in heidnischem Gewand? Warum wird die personifizierte »Hoffnung« als überaus attraktive Frau in Begleitung einer Taube gezeigt? Die Taube war das Symboltier der vorchristlichen Göttin, etwa der Venus!
Für einen vorchristlichen Heiden ist die attraktive Lady mit der Taube... die Göttin der Liebe, die Venus! Und »unser« Heide wird seine Sichtweise bestätigt finden: Gibt es doch unzählige Muscheln am Altar von Kirchbrak, wunderbar geschnitzt und in der Regel – was auf ihre besondere Bedeutung hinweist – golden angemalt! Mich schockiert »Heidnisches« in »christlichem Gewand« oder »Christliches« in »heidnischem Gewand« überhaupt nicht! Ganz im Gegenteil! Wir leben in einer Zeit, in der – auch und gerade in Deutschland – verstärkt unterschiedlichste Glaubensformen auf immer engerem Raum begegnen werden. Anstatt nun die trennenden Momente zu betonen, die uns voneinander unterscheiden... sollten wir erkennen: Unterschiedliche Religionen suchen nach der Wahrheit. Da es nur eine Wahrheit gibt, können unterschiedliche Religionen doch eben diese eine Wahrheit im Blick haben, allen scheinbaren Unterschieden zum Trotz!
Mein Rat: Wenn es Ihnen möglich ist, besuchen Sie doch einmal das Kirchlein von Kirchbrak! Von Bodenwerder kommend müssen Sie die Bundesstraße 240 verlassen und der ländlichen Kreisstraße folgen. Schon nach wenigen Kilometern werden sie das von waldigen Höhen umgebene Kirchbrak erblicken. Besuchen Sie die Kirche... gehen Sie zum Altar. Zählen Sie die Jünger auf dem Abendmahlsbild... Sie werden dreizehn, nicht zwölf Jünger sehen! Wer aber ist der 13. Jünger?
Fußnoten
1 Hölscher, Hans: »Sankt Michael im Weserbergland«, Kirchbrak, 2. Auflage 1984, S.1
2 Getty, Adele: »Göttin, Mutter des Lebens«, München 1993, S.5
Buchtipp:
Maria Magdalena - Die Wahrheit über die Geliebte Jesu von Walter-Jörg Langbein
»Maria Magdalena und das Abendmahl«,
Teil 78 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 17.7.2011
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»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Die Wehrkirche von Kirchbrak Foto: W-J.Langbein |
Schon vor rund 1200 Jahren um taucht der Name Kirchbrak erstmals in einer amtlichen Urkunde auf. Das Dokument wurde im Kloster Fulda entdeckt. Interessant ist schon der Ortsname. Hans Hölscher bietet eine Erklärung an. Er schreibt in seinem informativen Heftchen »Sankt Michael Kirchbrak im Weserbergland« (1) heißt es: »Es bieten sich dafür an: brak = umgebrochenes Neuland; brach = Brachland; brak = Bruch (sumpfiges Gelände).« Kirchbrak kann also übersetzt werden mit: »Kirche im sumpfigen Brachland«.
Warum wurde eine Kirche in unwirtlicher Region gebaut? Zu vermuten ist, dass es dort ein heidnisches Heiligtum gab, an dessen Stelle ein christliches Gotteshaus errichtet wurde. Häufig wurden uralte Kultplätze von neuen Religionen einfach übernommen. Alte Tempel wurden abgerissen, auf ihren Grundmauern wurden neue Tempel erbaut. Einen heidnischen Vorgängerbau dürfte es auch in Kirchbrak gegeben haben.
Blick ins Kirchenschiff Foto: W-J.Langbein |
Der Eingang lag nicht ebenerdig, sondern einige Meter höher. Der machte das Betreten und Verlassen des Gotteshauses zum mühsamen Unterfangen. Aber im Falle eines feindlichen Angriffs konnten sich die Menschen in die Kirche zurückziehen. Wenige bewaffnete Männer genügten zur Verteidigung. Der ursprüngliche Eingang wurde längst zugemauert, das Gotteshaus kann bequem betreten werden.
Betritt man heute die Kirche durch den Seiteneingang, so beansprucht der schöne farbenfrohe Altar unsere Aufmerksamkeit. Sein herrliches, bunt bemaltes Schnitzwerk lässt uns nähertreten. So wie die Kirche in mehreren Etappen erbaut und erweitert wurde, so entstand der Altar auch nach und nach. Im 13. Jahrhundert gab es den Altar in seiner Urform, um 1750 wurde dann die Kanzel eingefügt. Zu dieser Zeit dürfte die Gruft unter der Kirche längst zugemauert gewesen sein. Damit war ein Geheimgang, der in das unterirdische Gewölbe führte, für immer verschlossen.
Der Altar - Foto: Barbara Kern |
»Die Schöpfungsmythen zahlloser Kulturen legen Zeugnis ab... von der Rolle, die das weibliche Prinzip bei der Gestaltung der Welt spielte, in der wir leben. In der Vorstellung ist die Göttin allgegenwärtig und ewig.« Allgegenwärtig ist die Göttin für einen Heiden auch im Schnitzwerk des Altars von Kirchbrak!
Stellen wir uns vor: Ein Heide aus vorchristlichen Zeiten betritt die Kirche. Die christliche Lehre ist ihm vollkommen unbekannt. Die zentralen Gestalten des Alten und Neuen Testaments kennt er nicht. Und doch würde sich »unser« Heide durchaus heimisch fühlen....
Hoch oben steht triumphierend – über dem auferstandenen Jesus – eine Göttin: Justicia. Begleitet wird sie von zwei Engeln. Im »Alten Testament« waren Engel noch männliche Boten, die die Botschaften des männlichen Gottes übermittelten. Im »Neuen Testament« sind Engel immer noch Boten zwischen Himmel und Erde. Denken wir an die Weihnachtsgeschichte. Es ist ein Engel, der Maria auf ihre Schwangerschaft aufmerksam macht.... und vom Engel erfährt Maria, wie bedeutsam und segensreich ihre Schwangerschaft ist.
Justitia und zwei Engel - Foto: W-J.Langbein |
Weitere heilige Frauen nehmen am Altar eine herausragende Position ein. Sie stehen über den vier Aposteln. Es sind die Tapferkeit, die Mäßigkeit, der Glaube, die Hoffnung, die Liebe und die Klugheit. Die Liebe wird als Frau mit zwei Kindern dargestellt. Sie erinnert stark an die Erdmutter auf dem Relief vom Altar des Augustusfriedens aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert.
Göttin der Liebe Foto: W-J.Langbein |
Für einen vorchristlichen Heiden ist die attraktive Lady mit der Taube... die Göttin der Liebe, die Venus! Und »unser« Heide wird seine Sichtweise bestätigt finden: Gibt es doch unzählige Muscheln am Altar von Kirchbrak, wunderbar geschnitzt und in der Regel – was auf ihre besondere Bedeutung hinweist – golden angemalt! Mich schockiert »Heidnisches« in »christlichem Gewand« oder »Christliches« in »heidnischem Gewand« überhaupt nicht! Ganz im Gegenteil! Wir leben in einer Zeit, in der – auch und gerade in Deutschland – verstärkt unterschiedlichste Glaubensformen auf immer engerem Raum begegnen werden. Anstatt nun die trennenden Momente zu betonen, die uns voneinander unterscheiden... sollten wir erkennen: Unterschiedliche Religionen suchen nach der Wahrheit. Da es nur eine Wahrheit gibt, können unterschiedliche Religionen doch eben diese eine Wahrheit im Blick haben, allen scheinbaren Unterschieden zum Trotz!
Hoffnung oder Venus Foto: W-J.Langbein |
Fußnoten
1 Hölscher, Hans: »Sankt Michael im Weserbergland«, Kirchbrak, 2. Auflage 1984, S.1
2 Getty, Adele: »Göttin, Mutter des Lebens«, München 1993, S.5
Buchtipp:
Maria Magdalena - Die Wahrheit über die Geliebte Jesu von Walter-Jörg Langbein
»Maria Magdalena und das Abendmahl«,
Teil 78 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 17.7.2011
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