Freitag, 17. Mai 2013

Besuch bei Gustl Mollath – die Freitagskolumne von Ursula Prem

Mein erster Besuch bei Gustl Mollath im BKH Bayreuth beginnt mit einer Suche. Nicht einmal eine zufällig des Weges kommende Klinikmitarbeiterin scheint je von ihm gehört zu haben: In welcher Abteilung dieser Herr Mollath liege, unter welcher Krankheit er leide und wie lange er schon da sei, fragt sie mich mit verständnislosem Blick. »Ich möchte zu Gustl Mollath, Deutschlands bekanntestem politischen Gefangenen, der sich schon seit Jahren hier in der Forensik befindet!«, wiederhole ich meine Frage etwas deutlicher. – »Nein, den kenne ich leider nicht!«, antwortet die Gefragte erschrocken und läuft schnell weiter, nicht ohne einen hilflos-entschuldigenden Schulterblick, als fürchte sie, persönlich für meine Frage zur Verantwortung gezogen zu werden.


Der Weg auf das Klinikgelände führt über eine vergitterte Brücke
Foto: U. Prem


Auch die Beschilderung des Geländes ist nicht gerade aussagekräftig, weshalb ich schließlich in das nächstbeste Gebäude hineinlaufe, in der Hoffnung, eine gehaltvollere Auskunft zu bekommen. Wie ausgestorben scheint alles zu sein, an diesem trüben Samstagnachmittag. Als ich mich suchend umblicke, verfängt sich mein Auge an einer imposanten Gedenktafel. Die Botschaft darauf ist in Großbuchstaben in den edlen Stein hineingehauen und scheint den Anlass meines Besuchs höhnisch zu konterkarieren. Ich bleibe also stehen und lese die Worte zur Sicherheit ein zweites Mal. Anschließend zücke ich die Kamera und halte das Unfassbare fotografisch fest, um auch später noch sicher sein zu können, unter keinem Sehfehler zu leiden:


Wandtafel im BKH Bayreuth
Foto: U. Prem

»Im Gedenken an die Opfer der Psychiatrie im Nationalsozialismus«, ist da zu lesen. Ich schlucke. Das leichte Gefühl des Unbehagens, das mich schon beim Gang über die vergitterte Brücke, die auf das Gelände führt, ergriffen hatte, steigert sich zu einer deutlichen Panik. Die alte, entsetzliche Schuld, abgespalten und in Stein verewigt, um den Epigonen so das Leben zu erleichtern. – Nun ja. Dass die kognitiven Dissonanzen an diesem Ort fröhliche Urständ feiern, hatte ich schließlich vorher gewusst. Ein mir entgegenkommender Patient einer anderen Abteilung ist es schließlich, der mir die richtige Richtung weist. Ganz nach hinten durchgehen müsse ich, erklärte er freundlich, das weiße Haus mit den grünen Fenstern und den Überwachungskameras liege ein wenig versteckt. Warum bloß wundert mich das nicht?


Samstagsnachmittagsgrabesruhestimmung


Als ich es gefunden habe, betätige ich eine Türklingel. Durch eine Sprechanlage trage ich mein Anliegen vor. »Da sind Sie auf der falschen Seite, Sie müssen um das Gebäude rumgehen, da kommen Sie an ein weißes Gitter, dahinter ist der Eingang«, sagt eine schwer einschätzbare Männerstimme. Aha, danke! Nochmals rufe ich alle Kräfte meiner Ratio zur Hilfe. Suggeriere mir, dass dies ein ganz normaler Besuch und kein Grund zur Panik sei. Dass man mich ganz sicher nach der Besuchszeit wieder gehen lassen werde. Ich versuche, mich zu erinnern, wem ich alles von meinem Besuchsvorhaben erzählt hatte und wann die betreffenden Menschen im Zweifelsfall beginnen würden, nach meinem Verbleib zu forschen. Hatte ich nicht eindeutig zu wenigen Leuten davon erzählt?


In diesem Gebäude des BKH Bayreuth ist Gustl Mollath noch immer
gegen seinen Willen untergebracht.
Foto: U. Prem


Alberne Gedanken. Doch sie kommen unwillkürlich, in dieser Samstagnachmittagsgrabesruhestimmung, die wie ein unsichtbares, doch umso schwereres Leichentuch auf dem Gelände lastet. Dies ist kein freundlicher Ort, so viel ist klar. Umso mehr nehme ich mir vor, Gustl Mollath nach Kräften aufzuheitern, der inzwischen schon im achten Jahr unter solchen Umständen existieren muss.

Eine automatische Tür öffnet sich, ich trete ein. Rechts von mir eine Pförtnerloge. Panzerverglast. Den dahintersitzenden Mann vom Sicherheitsdienst erkenne ich nur schemenhaft. Ich trage mein Sprüchlein vor. »Ihren Personalausweis bitte!« – Wie von Zauberhand bewegt fährt ein Schubfach aus der Wand, ich lege den Ausweis hinein, der sofort in der Mauer verschwindet. »Den bekommen Sie oben auf der Station wieder!«, sagt die panzerverglaste Stimme sachlich. Warum fühlt sich das an wie eine beginnende Entrechtung?

Ich habe keine Zeit, darüber nachzudenken und nehme Schließfachschlüssel und Besucherausweis aus dem sich erneut öffnenden Schubfach. Ein zweiter SD-Mann mustert mich mit berufsmäßigem Grundmisstrauen, bittet mich, meine Handtasche abzulegen und durch eine Sicherheitsschleuse zu treten. Ob vielleicht ein Foto mit Herrn Mollath gestattet sei, frage ich, doch er verneint. Dies bedürfe einer ausdrücklichen Genehmigung der Klinikleitung. Also nehme ich Notizblock, Stift und einen Umschlag mit Zeitungsartikeln heraus und schließe die Kamera samt der Tasche ein. Selbstverständlich werden auch die Zeitungsartikel, die ich für Gustl Mollath mitgebracht habe, einer kritischen Prüfung unterzogen, doch ich darf sie schließlich mit hineinnehmen.


Katakomben ohne Fluchtmöglichkeiten


Ein weiterer SD-Mann tritt hinzu und bedeutet mir, ihm zu folgen. Obwohl er nicht unfreundlich ist, will es mir nicht recht gelingen, ein locker-flockiges Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Nun ja. Ich habe es wenigstens versucht. Der Weg zum Besucherraum ist aber auch allzu bizarr: ein kahler, weiß getünchter Gang, Katakomben ohne Fluchtmöglichkeit, ohne Fenster. Sehen so rechtlose Räume aus? Welche Möglichkeiten gibt es wohl in einer solchen Umgebung, Menschen auf Nimmerwiedersehen verschwinden zu lassen?, denke ich unwillkürlich und spüre Atemnot in mir aufkommen. Einatmen. Ausatmen. Weiter.

Wenig später haben wir den Gang durchmessen und treten wieder ans Tageslicht. Ich atme auf. Noch eine kurze Fahrt mit dem Fahrstuhl, kurz darauf stehe ich im Besucherraum. »Bitte warten Sie hier, ich hole Herrn Mollath!«, sagt der SD-Mann und verschwindet durch eine andere Tür.

Ich stehe alleine in einem Raum mit vier Tischen, ein paar Topfpflanzen und Bildern. Gustl Mollath wird mir im Laufe des Gesprächs erzählen, dass erst der wachsende Blick der Öffentlichkeit zu diesen kosmetischen Maßnahmen geführt habe. Auch ein paar Tischdecken seien ab diesem Zeitpunkt plötzlich realisierbar gewesen. Etwa fünf Minuten bin ich alleine. Sehe mir die Sicherheitsfenster an. Überlege, ob die Sprechanlage zugleich eine Abhöranlage sein könnte. Spüre Beklemmungen in mir aufsteigen: Was für eine Strafe, in dieser seelenlosen Umgebung sein Dasein fristen zu müssen!

Kurz darauf öffnet sich die Tür und Gustl Mollath steht im Raum. Offenbar ist er der einzige Gefangene, der an diesem Tag Besuch erwartet, denn kurz danach sind wir alleine. Der Sicherheitsdienst scheint sehr genau um Mollaths friedfertige Natur zu wissen, denn beide Türen werden geschlossen. Abgesehen von einer kurzen Unterbrechung durch einen Mitarbeiter, der mir mit neutraler Miene meinen Ausweis zurückgibt, werden wir in den folgenden drei Stunden ungestört sein: Zum ersten Mal seit dem Betreten des Klinikgeländes fühle ich mich durch die Anwesenheit des »ach so Gefährlichen« wieder sicher.

Der »Staatsfeind Nr. 1« erweist sich als sympathischer, hochintelligenter Gesprächspartner. Ja: Genau so hatte ich mir Gustl Mollath vorgestellt. Nüchtern und dennoch nicht ohne Galgenhumor berichtet er von seinen albtraumhaften Erlebnissen der vergangenen über sieben Jahre. Seiner Gefangennahme. Seiner vollständigen Entrechtung. Der kompletten Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz. Ganz klar: Ich werde ihn weiter unterstützen, bis seine Entlassung und vollständige Rehabilitierung erreicht ist. Jetzt erst recht!


Aktuelle Mitteilung vom 16. Mai 2013  
Heute Mittag wurde die Zelle von Herrn Mollath im BKH Bayreuth durchsucht. Herr Mollath wurde aufgefordert, während der Durchsuchung die Zelle zu verlassen. Es wurden vier CDs von Report Mainz und eine CD von Film-Produktionsgesellschaften abgenommen. Herr Mollath bekam die Auflage, bis nächste Woche drei Umzugskartons mit Akten vollzupacken und abzugeben. Dies sei wegen der Brandgefahr erforderlich. 
Herr Mollath hat derzeit verschiedene Verfahren laufen, deshalb ist ein Zugriff auf seine Unterlagen erforderlich. Die Aufforderung, die Kartons außerhalb seines direkten Zugriffs zu geben, stellt eine Behinderung der Verteidigung dar. 
Die Zellendurchsuchung erfolgte, wie der Pfleger der Anwältin von Gustl Mollath bestätigte, aufgrund des Zufallsprinzips, weil immer wieder die Zellen durchsucht werden müssen. Es gab also keinen konkreten Anlass für die Durchsuchung, außer dem, dass Herr Mollath in einem psychiatrischen Krankenhaus zwangsweise untergebracht ist.

Es wird verwiesen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11.03.2008: 1 BvR 2074/05, 1 BvR 1254/07 
Herr Dr. Strate hat der Maßnahme gegenüber dem BKH widersprochen. Zwischenzeitlich wurde RAin Lorenz-Löblein mündlich mitgeteilt, dass im Lauf der nächsten Woche eine Entscheidung ergehen soll, wo die Akten gelagert werden könnten. 

Erklärung zu Gustl Mollaths Telefonbeschränkungen 
Wenn das Personal Anrufern mitteilt, Herr Mollath möchte mit ihnen nicht telefonieren, so ist das falsch. Richtig ist, aufgrund einer Telefonregelung seit dem Tag des Interviews mit dem Bayerischen Rundfunk ist es Herrn Mollath nicht möglich, jeden Anruf wahrzunehmen. Herr Mollath bittet um Verständnis. 
(Quelle: Erika Lorenz-Löblein, Anwältin von Gustl Mollath)


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7 Kommentare:

  1. Liebe Frau Prem,

    zunächst freue ich mich erst einmal - mit Ihnen (?) -, dass man gerade Sie wieder rausgelassen hat. Oder aber schreiben Sie etwa von drinnen? Bitte antworten Sie, beruhigen Sie die vielen Leser und mich, sofern Sie können.

    Andererseits wären Sie eine Privilegierte, so nah an GM und Journalistin, sozusagen investigativ. Kann auch von Vorteil sein.

    Ich korrigiere mich: Ihr zu erwartendes Schweigen macht mich um so gespannter auf weitere Kolumnen, hoffentlich nicht erst wieder Freitag - Pfingsten könnte doch Anlass zu einer Sonderausgabe sein!

    Toi, toi, toi wünscht Ihnen
    Dian

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    1. An ,Dian,

      Kurz -nur SOLCHE wie Sie können das ,,System Mollath,, am Leben erhalten- ich wünsche Ihnen das was Sie geben zurück zu bekommen.

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  2. Liebe Frau Prem,

    auch ich halte Ihren heutige pro-Mollath-Text grad weil Sie das anstaltliche Heute mit dem damaligen kontrastieren, wodurch die nachhaltige moralische Verkommenheit „der Behörden“ deutlich wird, für exzellent, auch als Abschluß Ihrer freitäglichen Mai-Serie[1]. Sobald es die Möglichkeit gibt, hier auf diese drei m.E. journalistisch preiswürdigen Beiträge von Ihnen aufmerksam zu machen, kann ich gern aktiv werden,

    best;-) R.A., 170513

    [1]
    http://www.ein-buch-lesen.de/2013/05/besuch-bei-gustl-mollath-die.html#comment-form
    http://www.ein-buch-lesen.de/2013/05/christine-haderthauer-forensik.html
    http://www.ein-buch-lesen.de/2013/05/gustl-mollath-im-schattenreich-des.html

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  3. Liebe Frau Prem,

    danke, daß Sie Gustl Mollath besucht haben und darüber berichten.

    Ein beeindruckender Bericht bei dem es mir die Haare aufstellt.


    Liebe Grüße vom @Muschelschloss

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  4. Selten so einen Schwachsinn und übertriebene Darstellung gelesen...ohne Worte.

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    1. Mittelmäßige Geister sollen dem Vernehmen nach nicht selten das verurteilen, was über ihren Horizont hinaus geht - (mit oder) ohne Worte der Begründung.

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    2. Ich dachte auch zuerst, es wäre selten, solche Geschichten zu hören. Aber in Bayern scheinen solche Vorfälle gängige Praxis zu sein, was der weitere Verlauf im Fall Mollath uns allen leider bestätigt. Es wird höchste Zeit ein Mahnmal vor der Forensik Bayreuth aufzustellen, für die heutigen Opfer.

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