Sonntag, 16. Juni 2013

178 »Das Geheimnis der Kuppelbauten«

Teil 178 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein


Der Rundbau von Cuilcuilco
Foto: W-J.Langbein
Völlig übermüdet kam ich in Mexiko City mit einigen Stunden Verspätung an. Freudestrahlend empfing mich eine Lady als Guide. Leider, so schien es, waren ihre Kenntnisse der englischen Sprache nicht die besten. Jedenfalls reagierte sie nicht wirklich auf meinen Wunsch, die Überreste des runden „Kuppelbaus“ von Cuilcuilco zu besuchen. So wurden mir in einem kleinen Familienbetrieb Steinbearbeitungen vorgeführt. Ich staunte, mit welcher Schnelligkeit kleine steinerne Skulpturen fabriziert wurden, Darstellungen der Göttin Chicomeocatl, zu Deutsch »Sieben Schlangen« zum Beispiel. Kleine Figürchen aus Stein vom Coatlicue, zu Deutsch »Die mit dem Schlangenrock«, Mutter der Erde, des Mondes und der Sterne, wurden im Handumdrehen fabriziert. Ich aber wollte unbedingt Cuilcuilco sehen.

Wie der Komplex von Cuilcuilco ursprünglich ausgesehen hat? Wir wissen es nicht wirklich. Von zentraler Bedeutung war offenbar die runde Pyramide von Cuilcuilco. Man stelle sich eine riesige, runde Torte vor. Nach und nach werden runde, immer kleiner werdende Tortenscheiben aufeinander getürmt. So entsteht der Eindruck einer kuppelförmigen Torte. In der Realität war die Pyramide von Cuilcuilco alles andere als klein wie eine Torte. Die unterste Schicht hatte einen Durchmesser von fast 140 Metern und eine Höhe von fast zehn Metern. Insgesamt wurden mindestens 100 000 Kubikmeter Steine und Erdreich verbaut. 250 000 Tonnen Erdreich, so schätzt man, mussten bewegt werden.

Wann geschah dies? Vor vielen Jahrtausenden, wie angeblich geologische Untersuchungen ergeben haben? Cuilcuilco fiel nämlich einer Naturkatastrophe zum Opfer, verschwand unter unvorstellbaren Massen von Lava. Ein schweres Leichentuch von bis zu zehn Metern Dicke heute erstarrter Lava liegt über den archäologischen Rätseln. Brach der alles verwüstende Vulkan vor vielen Jahrtausenden aus? Oder ist Cuilcuilco wesentlich jünger? Eine Urform des mysteriösen Rundbaus von Cuilcuilco soll es bereits im fünften Jahrhundert v. Chr. gegeben haben.

Cuilcuilco ist bislang nur wenig erforscht. Ein Tunnel, von Archäologen in den Bau getrieben, ergab: die Rundpyramide hat so etwas wie ein steinernes »Gerippe«, bestehend aus zwei Meter hohen und einen Meter dicken Monolithen. Die Steinblöcke sind in konzentrischen Kreisen angeordnet und stecken – um ihnen bestmöglichen Halt zu gewähren – im Erdreich. Der Kern der mysteriösen Anlage soll ebenfalls aus massiven Steinquadern bestehen.

Der Bienenkorb von Quito
Foto: W-J.Langbein
Darf man die Bauweise als primitiv bezeichnen, weil weder Mörtel, noch Zement verwendet wurden? Oder beweist das Fehlen von Mörtel und Zement erstaunliche Meisterschaft in der Steinbearbeitung?

War die Rundpyramide von Cuilcuilco der Versuch eines Kuppelbaus? Außerhalb von Quito, Ecuador, hoch über der Stadt ... steht ein seltsames »Gebäude« aus, eine steinerne Kuppel ohne Fenster. Man nennt das geheimnisvolle Bauwerk »Bienenkorb«, aber auch »Kochtopf«. Fenster hat der Kuppelbau keine, nur ein kreisrundes Loch an der höchsten Stelle ... in rund sechs Metern Höhe. Knapp einen halben Meter misst es im Querschnitt. Welchem Zweck diente die Kuppel aus Stein?

Auf dem »Kuppelbau« von Cuilcuilco standen »Gebäude« aus Holz. »Tempel« seien das gewesen. Dienten sie astronomischen Beobachtungen? War der Kuppelbau von Quito so etwas wie ein Observatorium? Die Völker Zentralamerikas – etwa die Mayas – waren von der Beobachtung der Sterne geradezu besessen. Das minutiöse Beobachten von Planeten und Sternen hatte religiösen Charakter. Man wollte das Geheimnis der Zeitabläufe erforschen. Quintessenz der Kalenderwissenschaft der Mayas: Die Zeit verläuft in Zyklen. Es gibt immer wieder gewaltige Katastrophen, die ein Weltzeitalter beenden. Doch es folgt auf die Katastrophe stets ein Neuanfang.

Cuilcuilco wurde von einem gewaltigen Vulkanausbruch verwüstet. Konnten die Menschen rechtzeitig fliehen?

Auch in Indien pflegte die Elite der Wissenschaft die Kunst der astronomischen Beobachtung. Jahrtausende alt ist das indische Wissen. So soll der »Ursprung der Welt« in einem »heiligen Ei« seinen Anfang genommen haben. Wir denken an die Theorie vom »Big Bang«, wonach am Anfang das Universum auf einen Punkt – auf ein Ei – verdichtet war und sich explosionsartig ausdehnte. Schon vor drei Jahrtausenden muss es in Indien eine ausgeklügelte Astronomie gegeben haben. Waren die ersten »Tempel« in Wirklichkeit astronomische Forschungsstationen, von denen aus Planeten und Sterne beobachtet wurden?

Fest steht, dass im »Alten Indien« Gebäude errichtet wurden, die an »Himmelstreppen« erinnern – und die präzisen astronomischen Beobachtungen dienten! Leider sind die Beschreibungen astronomischen Wissens in heutiger Zeit kaum noch verständlich. Offenbar galt vor Jahrtausenden – in der sogenannten »vedischen Zeit« - das Wissen um Planeten und Sterne als eine Art Geheimwissenschaft.

Sanchi-Kuppel und Bienenkorb
Fotos: W-J.Langbein, links, und Willi Dünnenberger, rechtes Foto
In Sanchi (im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh) sprach ich mit einem Astronomen, der in Oxford studiert hatte. Hauptamtlich übersetzte der Mann vedische Texte im Rahmen eines groß angelegten Forschungsprojekts, mit dem Ziel die alten »Gottesdienstordnungen« aus vedischen Zeiten wieder verständlich zu machen. »Meine Arbeit ist theologischer Natur. Aber man kann nicht wirklich eine Trennlinie ziehen zwischen Religion und Wissenschaft. Was mich wirklich interessiert, das ist eine Entschleierung uralten vedischen Wissens um Planeten und Sterne. Wie wurden die astronomischen Beobachtungen durchgeführt? Wie sahen die astronomischen Werkzeuge und Instrumente aus? Wie müssen wir uns die astronomischen Observatorien aus uralten Zeiten vorstellen?«

Leider, so der kundige Übersetzer, hätten viele Wissenschaftler in Indien kein Interesse an »prosaischen Wissenschafts-Texten«. »Für Hinweise auf Jahrtausende alte Observatorien nehmen sich viele Gelehrte keine Zeit!«

Das Maya-Observatorium - Foto: W-J.Langbein
Vermutlich gab es einst kuppelförmige »Tempelbauten«, die in erster Linie der Beobachtung des Himmels dienten. So einen Kuppelbau gibt es noch in Sanchi. Er ähnelt in verblüffender Weise dem mysteriösen Bau von Quito ... oder dem Maya-Observatorium von Chichen Itza. Wie mag der »Urbau« von Sanchi ausgesehen haben? War es eine einfache Kuppel mit einem »Auge« zum Observieren? Nach und nach, so ist zu vermuten, kamen Verzierungen hinzu. Zu hinterfragen ist, wie originalgetreu moderne Archäologen den Kuppelbau von Sanchi rekonstruiert haben. Ergänzten sie mehr Zierrat, als ursprünglich vorhanden war? Oder war vor Jahrhunderten noch sehr viel mehr schmückendes Beiwerk angebracht? Sah Sanchi vielleicht so aus, wie in der Rekonstruktion auf dem Foto?

Wiederholt sprach ich ausführlich mit Robert K. G. Temple, einem Wissenschaftler, der sich intensiv mit den alten Götterkulten unserer Vorfahren auseinandergesetzt hat. Temple, 1945 in Amerika geboren, studierte an der Universität von Pennsylvanien in Philadelphia, erwarb einen akademischen Grad in Orientalistik und Sanskrit. Er ist Mitglied der »Royal Astronomical Society« und lebt in England.

Robert K. G. Temple: »Der bekannte Bibeltext spricht davon, dass Gott vom Himmel herabgestiegen sei und den Turm von Babel zerstört habe. Vom Himmel herab kamen auch die Götter der Babylonier. Meiner Meinung nach spiegeln diese mythischen Texte konkrete Erinnerungen wieder. In grauer Vorzeit kamen Außerirdische zur Erde. Sie wurden als Götter verehrt. Deshalb sollten ihre Tempel dem Himmel so nah sein, wo man die Heimat der kosmischen Besucher vermutete. Deshalb wurde im Alten Sumer Astronomie betrieben - in den Tempeln der Götter. Man wollte so viel wie möglich über ihre Heimat, die Sterne, in Erfahrung bringen.«

Mein Gesprächspartner in Sanchi - Foto: W-J.Langbein
Wie dem auch sei, ob nun Götter von den Sternen kamen oder nicht: Unsere Altvorderen haben mit religiöser Inbrunst das Geschehen am Himmel beobachtet. Der »Turm zu Babel« war wohl ebenso ein prähistorisches Observatorium wie die Kuppel von Chichen Itza, der »Bienenkorb« von Quito und der Rundbau von Cuilcuilco ... und sein Pendant von Sanchi, Indien!

Mein Gesprächspartner von Sanchi: »Ich lebe nach westlichen Standards in Armut. Ich empfinde aber ganz anders. Ich habe ein Privileg, das sich niemand mit noch so viel Geld kaufen kann. Ich darf mit den vielleicht ältesten Texten der Menschheit arbeiten! Ich lese die uralten Berichte, ich übersetze sie. Auf diese Weise wird es mir ermöglicht, wie in einer Zeitmaschine in die Vergangenheit zu reisen!«

Auf Anerkennung sei er nicht aus, nur auf Erkenntnis durch eigene Arbeit. Einen Seitenhieb auf die »westliche Wissenschaft« konnte er sich nicht verkneifen. »Da studiert der junge Mensch beim alten Professor. Der Professor fördert ihn nur, wenn er die Ansichten des Professors geradezu nachbetet. Irgendwann wird der junge Student zum Professor. Dann müssen wiederum die Studenten bestätigen, was er verkündet. Neue Erkenntnisse setzen sich nicht durch! Oder nur schwer!«

Was denn seiner Meinung nach das große Hindernis auf dem Weg zur Erkenntnis sei, wollte ich wissen. »Der materielle Reichtum! Wer nach Anerkennung und Gewinn strebt, der verliert das Ziel des wissenschaftlich suchenden Menschen aus den Augen ...«

»Von Büchern aus Stein«,
Teil 179 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 23.06.2013


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