Sonntag, 30. Oktober 2016

354 »Heinrich II., Napoleon, Adolf Hitler und die Lanze des Longinus«,

Teil  354 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein
                       

Foto 1: Die Marienpforte
Nachdem wir die beiden »Domkröten« ausgiebig betrachtet haben, wenden wir uns der »Marienpforte« am Ostchor des Bamberger Doms zu. Was sofort auffällt: Anders als bei vielen christlichen Sakralbauten sind die Skulpturen im Tympanon der Marienpforte nicht durch ein störendes Netz geschützt.

Im Zentrum thront majestätisch Maria, die Gottesmutter.  Auf ihrem Schoß sitzt das Jesuskind, ein Miniatur-Erwachsener mit lockigem Haar. Maria ist im Begriff, Jesus als Symbol seiner Autorität eine Weltkugel auszuhändigen. Maria wirkt wie eine mächtige Herrscherin, mehr wie eine Kaiserin, weniger wie die bescheidene Mutter Jesu, über die wir im Neuen Testament der Bibel nur so wenig erfahren. Die Pose der Mutter Jesu wirkt weltlich. So hat man sonst Kaiser wie den Gründer des Bamberger Doms Heinrich II. mit der Weltkugel in der Hand dargestellt. Und wenn ein irdischer Regent wie Heinrich II. die Insignien seiner Macht erhielt, dann ist es häufig Jesus Christus selbst, der das Ritual vollzieht. Eine sehr schöne Darstellung dieses Akts findet sich im Perikopenbuch Heinrich II., das in der Bayerischen Staatsbibliothek zu München verwahrt wird. In diesem kostbaren Werk ist es Jesus höchstpersönlich, der Heinrich II. und Gemahlin Kunigunde krönt.

Foto 2: Die Marienpforte mit dem Tympanon

Foto 3: Das Tympanon

Im Tympanon der Marienpforte stehen an Marias rechter Seite die beiden Patrone des Doms, Georg und Petrus. Petrus (rechts im Bild) hält ein Buch und trägt seinen Schlüssel am Gewand.

Foto 4: Petrus und Georg

An Marias linker Seite machen wir die zu Heiligen  erklärten Heinrich II  und Gemahlin  Kunigunde.

Foto 5: Heinrich II und Kunigunde

Aus den ersten Jahren des 11. Jahrhunderts entstand eine Buchmalerei, die die Krönung Heinrich II. durch Christus zeigt. Die kunstvolle Darstellung aus dem »Sakramentar« Heinrichs zeigt den Herrscher als Günstling des Himmels. Zwei Engel, aus dem Himmel kommend, überreichen ihm ein Schwert und eine Lanze. Bei der Lanze handelt es sich um eine Reliquie der besonderen Art. Nach einer frommen Legende soll einst der römische Hauptmann Longinus mit just jener Waffe in Jesu Seite gestochen haben, um auf diese Weise zu überprüfen, ob denn der Gekreuzigte auch wirklich tot sei. Nur im Evangelium nach Johannes finden wir einen Hinweis auf  den Lanzenstich, erfahren freilich weder den Namen noch den genauen militärischen Rang des Mannes (1): 

»Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht; sondern einer der Soldaten stieß mit dem Speer in seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus.«

Foto 6: Maria mit dem Jesuskind
Im Evangelium nach Matthäus wird der Lanzenstich nicht erwähnt, es taucht aber ein Hauptmann auf (2): »Als der Hauptmann und die Männer, die mit ihm zusammen Jesus bewachten, das Erdbeben bemerkten und sahen, was geschah, erschraken sie sehr und sagten: Wahrhaftig, das war Gottes Sohn!« Auch im Evangelium nach Markus taucht der anonyme Hauptmann auf, ohne allerdings den ominösen Lanzenstich zu erwähnen. Wie bei Matthäus bekundet der Römer auch bei Markus Anerkennung der Sohnschaft Gottes (3): »Als der Hauptmann, der Jesus gegenüberstand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.«  In der Theologie ist man sich weitestgehend einig, dass es eben jener Hauptmann war, der in Jesu Seite stach.

Erst im apokryphen »Nikodemusevangelium«, das nicht in die Bibel aufgenommen wurde und frühestens 310 n.Chr. entstanden, werden »Annas und Kaiphas« als vermeintliche Zeugen der Kreuzigung zitiert. Ihre Aussagen gehen in einem entscheidenden Punkt über die der biblischen Evangelien hinaus (4): »Wir sahen, wie er Backenstreiche erhielt, wie man ihm ins Gesicht spie, daß die Soldaten ihm eine Dornenkrone aufsetzten, daß er gegeißelt und von Pilatus verurteilt wurde und dann auf der Schädelstätte gekreuzigt wurde; man tränkte ihn mit Essig und Galle, und der Soldat Longinus durchbohrte mit einer Lanze seine Seite.«

Foto 7: Das Tympanon der Marienpforte

Erst im apokryphen Nikodemusevangelium, dessen erster Teil auch als »Pilatusakten« bekannt ist, wird das Bild wie wir es aus den biblischen Evangelien kennen, vervollständigt. Der Soldat Longinus stach mit seiner Lanze Jesu Seite, Blut floss heraus. Das Nikodemusevangelium schildert ausführlich Prozess und Kreuzigung Jesu, wobei der Eindruck erweckt wird, dass der Text auf ein in hebräischer Sprache verfasstes Dokument zurückgeht, verfasst von einem gewissen Nikodemus. Dieser Nikodemus war laut dem Evangelium nach Johannes ein bedeutender Pharisäer, der heimlich Jesus aufsuchte, um theologische Fragen zu erörtern (5). Und eben dieser Nikodemus soll, wieder nach dem Evangelium nach Johannes zugegen gewesen sein, als Jesus starb (6). Sollte dieser Nikodemus nicht der ideale Zeuge sein, der die letzten Augenblicke im Leben des Jesus von Nazareth beschreiben kann? Macht das die Überlieferung von Longinus glaubwürdig? Wir müssen bedenken, dass das angeblich in Hebräisch verfasste Nikodemusevangelium bis heute nicht gefunden wurde. Es liegt lediglich die »Übersetzung« ins Griechische vor. Wie dem auch sei: Das Nikodemusevangelium wird als Quelle herangezogen, wenn es um den legendären Lanzenstich des Longinus geht.

Foto 8: Blick Richtung Kaisergrab
Als heiligste Reliquie schlechthin gilt im Katholizismus das Blut Jesu. Die Lanze des Longinus aber ließ Jesu Blut fließen, saugte Blut des Gekreuzigten auf. So wurde die legendäre Lanze zum sakralen Objekt. Von der Wirkung der Lanze soll Otto III. überzeugt gewesen sein, der das blutige Objekt immer mit sich führte. Als Otto anno 996 sein Heer nach Rom marschieren ließ, war auch die Lanze dabei. Anno 1002 wurde der Leichnam Otto III nach Aachen geschafft. Heinrich II. ließ den Leichenzug unterwegs überfallen, um in den Besitz der Reichskleinodien und der Lanze zu gelangen. Groß war die Enttäuschung, als ausgerechnet die Heilige Lanze nicht erbeutet werden konnte. Daraufhin nahm Heinrich II.  Heribert, Erzbischof von Köln, gefangen. Als Lösegeld forderte er die Heilige Lanze. Es wäre Heribert womöglich an den frommen Kragen gegangen, hätte nicht Bischof Heinrich von Würzburg, ein Bruder Heriberts, die Auslieferung der Longinus-Lanze zugesagt. Der Kirchenmann hielt Wort und so kam die begehrte Lanze in den Besitz Heinrich II. Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Heilige Lanze in Aachen beherbergt.

Foto 9: Das Kaisergrab
Als anno 1796 französische Truppen den Rhein überquerten, befürchtete man, Napoleon wolle in den Besitz des Speers gelangen. Auf Umwegen gelangte sie so schließlich nach Wien. Anno 1938 ließ Adolf Hitler die Reichsinsignien nebst Lanze ins Deutsche Reich holen. In der Katharinenkirche konnten die Kostbarkeiten bestaunt werden. Als im II. Weltkrieg der so oft beschworene »Endsieg« immer unwahrscheinlicher wurde, sollte vor allem die Lanze dem Zugriff der feindlichen Truppen entzogen werden. Sie wurde in einem Luftschutzbunker versteckt. 1945 wurde sie von US-Soldaten gefunden und gelangte 1946 wieder zurück nach Wien. Dort befindet sie sich auch heute noch, und zwar in der Schatzkammer der Wiener Hofburg. Sie wird unter der Inventarnummer XIII/19 geführt und ausgestellt. Dort fristet sie ein eher kümmerliches Dasein, gilt doch inzwischen als gesichert, dass sie nicht aus Jesu Zeiten stammt. Sie wurde von Experten wie Peter Paulsen, Michael Hesemann weist darauf hin (7), als »karolingische Flügellanze aus dem 8. Jahrhundert identifiziert. Michael Hesemanns Fazit: »Eine Passionsreliquie ist sie nicht.«

Foto 10: Blick auf das Kaisergrab
Sakrale Objekte wie die Bundeslade des Alten Testaments, aber auch der »Heilige Gral«, Splitter vom »wahren Kreuz Jesu« und Nägel, mit denen Jesus ans Kreuz geschlagen worden sein soll, faszinieren seit vielen Jahrhunderten. Ihnen wird von vielen Gläubigen wundersame Wirkung nachgesagt. Ob sie freilich wirklich magische Kräfte besitzen, das sei dahingestellt. Ob die diversen Mächtigen, die im Lauf der Jahrhunderte immer wieder die Heilige Lanze einsetzten, an ihre Zauberkraft glaubten? Oder nutzten sie nur den Volksglauben für ihre Zwecke aus? Wenn die Lanze einem Heer vorangetragen wurde, mag das die gegnerischen Truppen beeinflusst haben. Wer glaubt, dass die »andere Seite« magische Reliquien besitzt, kämpft womöglich gar nicht mit voller Kraft.

Ich selbst lernte in Bamberg einen auf mich eher bieder wirkenden Schatzsucher der besonderen Art kennen. Er stand vor dem Kaisergrab im Dom und fotografierte emsig die Reliefs am marmornen Sarkophag, der in den Jahren 1499 bis 1533 von keinem Geringeren als Tilman Riemenschneider geschaffen wurde. Es ist anzunehmen dass Riemenschneider selbst Hand anlegte und das wichtige Hochgrab nicht seinen Angestellten überließ.

Foto 11: Eines der Reliefs am Kaisergrab

Als ich ebenfalls Aufnahmen des Sarkophags machte, da zischte mir der Möchtegern- Indiana-Jones fast ein wenig ungnädig zu: »Sie suchen wohl auch nach der wahren Lanze des Longinus?« Er ließ mich wissen, dass seiner festen Überzeugung nach Heinrich II. wirklich die echte Lanze besaß. Allerdings ließ er eine Kopie anfertigen, die er als die echte ausgab. Die zwei Jahrtausende alte »Originallanze« aber bewahrte er angeblich in einem Versteck auf. So wollte Heinrich II., der übrigens kinderlos starb, verhindern, dass die mächtige Reliquie mit echtem Blut des Jesus von Nazareth, in »falsche Hände« geriet. Ob man sie dem toten Herrscher ins Grab legte? Ob die Reliefplatten an der Tumba Kaiser Heinrichs II und der Kaiserin Kunigunde verschlüsselte Hinweise auf die Lanze enthalten?

Fußnoten
(1) Evangelium nach Johannes Kapitel 19, Verse 33 und 34
(2) Evangelium nach Matthäus Kapitel 27, Vers 54
(3) Evangelium nach Markus Kapitel 15, Vers 39
(4) Nikodemusevangelium  Kapitel XVI, Vers 7, zitiert nach Schneemelcher, Wilhelm: »Neutestamentliche Apokryphen«, Band I, »Evangelien«, 6. Auflage, Tübingen 1990, Seite 413
(5) Evangelium nach Johannes Kapitel 3, Verse 1-7
(6) Evangelium nach Johannes Kapitel 19, Vers 39
(7) Hesemann, Michael: »Die stummen Zeugen von Golgatha/ Die faszinierende Geschichte der Passionsreliquien Christi«, München 2000, Kapitel 5. »Der Speer des Schicksals«, S. 104-116, Zitat S. 116

Foto 12: Petrus, Maria, das Jesuskind und Heinrich II im Tympanon

Zu den Fotos:

Foto 1: Die Marienpforte. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Die Marienpforte mit dem Tympanon. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Das Tympanon. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Petrus und Georg. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Heinrich II und Kunigunde. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: Maria mit dem Jesuskind. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Das Tympanon der Marienpforte. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Blick Richtung Kaisergrab. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 9: Das Kaisergrab. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 10: Blick auf das Kaisergrab. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 11: Eines der Reliefs am Kaisergrab. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 12: Petrus, Maria, das Jesuskind und Heinrich II im Tympanon. Foto Walter-Jörg Langbein

355 »Kunigundes Kopf«,
Teil  355 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                         
von Walter-Jörg Langbein,                       
erscheint am 06.11.2016



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Sonntag, 23. Oktober 2016

353 »Boten der Göttin«

Teil  353 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                        
von Walter-Jörg Langbein


Foto 1: Die Ruinen von Mesaverde
Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel von Durango, Colorado. Eine knappe Autostunde von der indianischen Ruine von Mesaverde entfernt führten Nachkommen der Anasazi Tänze auf. Wir kamen ins Gespräch. Die »modernen Anasazi« zeigten Sympathien für uns Germans. Sie erkundigten sich nach unserer Heimat, nach dem Ort in Deutschland, wo wir zuhause waren. Von dem oberfränkischen Michelau hatten sie natürlich noch nie etwas gehört. Fast elektrisiert reagierten sie aber, als mein Vater beiläufig erwähnte, dass wir Michelauer früher den Spitznamen (phonetisch geschrieben) »Michlaarer Frassgrüädn«, zu Deutsch »Michelauer Fress-Kröten«, trugen. Dieser Beiname, heute weitestgehend in Vergessenheit geraten, ging wohl auf den sehr gesunden Appetit von uns Michelauern zurück, die wir rekordverdächtige Mengen an Nahrungsmitteln, etwa echte Thüringer Kartoffelklöße, verputzen konnten.

Unsere Gesprächspartner fanden das sehr amüsant, lachten herzhaft und laut, wurden dann aber wieder ernst. »Unsere Mütter und Großmütter erzählen, dass die Frau der Sonne eine Kröten-Göttin ist! Manche meinen, dass sie auf dem Mond lebt und gelegentlich den Mond frisst, manchmal ganz, manchmal nur ein Stück. Das würde erklären, warum der Mond manchmal rund und groß, manchmal nur eine kleine Sichel ist!« Kurios: In uralten Mythen der Chinesen kommt eine dreibeinige Kröte vor, die auf dem Mond lebt und die für die unterschiedlichen Mondphasen verantwortlich gemacht wird.

Foto 2: Ritualtanz mit geheimer Bedeutung

Im christlichen Europa hatten Kröten einen überaus schlechten Ruf. Sie wurden in Verbindung mit dem Teufel selbst und mit Hexenzauberei gebracht. Im nordfranzösischen Arras kam es anno 1459 zu einem Hexenprozess. Eine junge Frau hatte die intimen Avancen eines Möchtegernliebhabers zurückgewiesen, der sie dann der Hexerei bezichtigte. Unter schwerer Folter gestand sie, was man von ihr hören wollte. So gab die junge Frau, um weiteren Torturen zu entgehen, zu Kröten mit gestohlenen geweihten Oblaten gefüttert zu haben. Die Körper der so gemästeten Kröten habe sie zu einer Salbe verarbeitet, mit der sich Hexen einschmierten, um fliegen zu können. Unter der Folter bezichtigte die »Hexe« dann zwölf weitere Frauen. Alle fanden auf dem Scheiterhaufen den Tod.

Foto 3 Vor über 50 Jahren ...
Was im christlich verbrämten Aberglauben verteufelt wurde, ging häufig auf vorchristliche, sprich heidnische Vorstellungen zurück. In der Welt des Christentums war die Kröte eine am Boden kriechende, im Erdreich hausende Verbündete des Teufels. Bei den Kelten hingegen wurde die Kröte sehr positiv gesehen, nämlich als eingeweihte Weise und Lehrerin, als Überbringerin von uralten, wichtigen Wahrheiten um Leben und Tod. Sie allein konnte den Weg ins Erdreich, ins Reich der Toten, zur Erdgöttin weisen. Sie allein wusste, wie man zur Göttin kommen konnte.

Kröten als Wächterinnen zu einer anderen Wirklichkeit? Kröten als Teil einer Hexensalbe, die man sich auf den Leib schmierte, um fliegen zu können? Was wie tumber Aberglaube anmutet, kann einen wahren Kern haben. Bestimmte Krötenarten wie die Colorado-Kröte sondern ein milchig weißes Sekret ab, das von seiner chemischen Struktur dem Rauschgift LSD gleicht. So gibt es in amerikanischen Drogenkreisen Spezialisten, die Kröten zur Produktion und Absonderung ihres Sekrets bringen und dann die wenig appetitliche Substanz von den Tieren lecken, um so Drogentausch der besonderen Art zu erleben. Drogenfahnder in den USA wissen, dass sich Süchtige Kröten als »Haustiere« halten, um so in den Genuss von Bufotenin und Dimethyltryptamin, die Wirkstoffe des Krötengifts zu kommen. Die beiden Substanzen gelten als illegale Drogen, die Haltung von Kröten als »Haustiere« freilich ist gestattet. Selten gelingt der Nachweis, dass die Besitzer ihre Tierchen zum Zwecke des Giftableckens halten. Waren »Hexen« in die Geheimnisse des Krötengifts eingeweiht? Genossen sie die spezielle Droge tatsächlich, um »zu fliegen«? Wussten sie, wie man eine Salbe aus Krötengift herstellen kann, die man sich auf die Haut streicht, um Rauschzustände der besonderen Art zu erleben?

Fotos 4-7: Domkröte 1
Der Konsum von Drogen gehörte im Schamanismus zum religiösen Ritual. Alexandra Rosenbohm verfasste zu diesem heute brisanten Thema ihre Doktorarbeit »Halluzinogene Drogen im Schamanismus«. Drogen waren für Schamanen die Schlüssel zu einer anderen Welt, zu einer anderen Wirklichkeit. Alexandra Rosenbohm schreibt (2): » Die Ekstase ist durch einen Wechsel von der Alltagswelt in die spirituelle Welt gekennzeichnet. Für den Kontakt mit der spirituellen Welt bedarf es physischer und psychischer Vorbereitungen. Diese und die zu schaffenden Rahmenbedingungen beziehen sich auf das Sammeln, die Zubereitung und die Einnahme der Droge, außerdem auf die dazugehörenden oder zu schaffenden Umstände, wie Anlass, Wahl des Einnahmeortes und des Zeitpunktes.«

Weiter schreibt Alexandra Rosenbohm: »Das gemeinsame Erleben religiöser und mythischer Themen im Rausch und deren Betonung und Prägung durch die schamanische Interpretation soll zur Stabilisierung des jeweiligen Weltbildes beitragen. Insofern tragen diese Erlebnisse auch zur kulturellen Identität bei. Dies gilt ebenso für die nicht-kollektiven Zeremonien, an denen neben dem Schamanen auch der zu behandelnde Patient oder andere Stammesmitglieder das Halluzinogen einnehmen.«

Sollten die steinernen Wesen an der Marien- und an der Adamspforte nicht vielleicht doch ursprünglich Kröten dargestellt haben?

Der Dom zu Bamberg wurde auf einer uralten Quelle gebaut, die wohl schon zu vorchristlichen Zeiten als heilig angesehen war. Quellheiligtümer standen in direkter Verbindung mit der Erdgöttin, die wiederum Teil der weiblichen Dreifaltigkeit war: Werden, Leben und Vergehen. Geburt, Leben, Tod. Schon vor Jahrtausenden standen weibliche Göttinnen-Triaden für diesen ewigen Kreislauf des Seins. Hans Biedermann schreibt in seinem Standardwerk »Knaurs Lexikon der Symbole« (3) ausführlich über die Kröte als Symbol. Da heißt es: »In Europa war die Kröte seit der Antike einerseits ein verachtetes Tier ›voll bösen Zaubers ›voll bösen Zaubers‹, andererseits aber auch ein Symbol der Gebärmutter, und Krötenplastiken wurden oft bei Frauenleiden als Votivgegenstand in Wallfahrtsorten dargebracht.«

Fotos 8-11: Domkröte 2
Im Internet-»Symbollexikon« lesen wir: »Die Kröte mit ihrer polaren Symbolik, einerseits als Tier der Erdmutter, das Fruchtbarkeit und Wachstum (Schwangerschaft) ermöglicht, anderseits als Hexentier, das mit Gift, Vergiften und Tod verbunden wird, ist wie alle Tiere, die in Zusammenhang mit der großen Mutter stehen, ein Orakeltier und gehört zum Archetyp des Mütterlich/ Weiblichen.«

Keine Frage: Die Kröte war wichtiges, positives Symbol in heidnischen Göttinnenkulten und wurde vom Christentum verteufelt. Die Kröte als das Symboltier der Göttin lässt sich nicht so einfach in den Orkus des Vergessens versenken. Dafür war sie schon viel zu lange geheiligtes Tier, was Hans Biedermann deutlich macht (3): »Nicht selten wurde die Kröte wegen ihres auffälligen Gestaltwandels auch mit dem Ideenkomplex von Auferstehung und Wiedergeburt in Verbindung gebracht, wie prähistorische Felsbilder … wahrscheinlich machen.«

Es ist an der Zeit, die heidnische Vergangenheit christlicher Symbole offenzulegen. Besuchen wir mit offenen Augen alte Gotteshäuser, dann werden wir immer wieder die heidnischen Wurzeln christlicher Symbolik erkennen, die sehr viel älter als das Christentum sind. Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel von Durango, Colorado. Wir wurden Zeugen von Tänzen, die Nachkommen der Anasazi aufführten. Wir kamen ins Gespräch, auch über die Bedeutung des Symboltiers Kröte. Ein würdiger alter Mann, der sich in der Nachkommenschaft der Anasazi sah, vertraute uns manches an: »Die Kröte steht für die Muttergöttin. Kröten sind Botinnen aus dem Reich der Muttergöttin. Wenn wir zuhören, weiht sie uns ein in Botschaften der Göttin. Wer auf diese Botschaften hört, wird Mutter Erde nicht weiter zerstören!«

Foto 12: Indianertänze
Fußnoten

1) Jobes, Gertrude und Jobes, James: »Outer Space: Myths Name Meanings Calendar/Myths, Name Meanings, Calendars from the Emergence of History To The Present Day«, New York und London 1964
2) Siehe hierzu: Rosenbohm, Alexandra: »Halluzinogene Drogen im Schamanismus. Mythos und Ritual im kulturellen Vergleich«, Reimer Dietrich Verlag, Berlin 1991
3) Biedermann, Hans: »Knaurs Lexikon der Symbole«, München 1989, Artikel »Kröten«, S. 255-256

Zu den Fotos
Foto 1: Die Ruinen von Mesaverde. Foto: Walter Langbein sen.
Foto 2: Ritualtanz mit geheimer Bedeutung. Foto: Walter Langbein sen.
Foto 3:  Vor über 50 Jahren ... Foto: Walter Langbein sen.
Fotos 4-7: Domkröte 1 an der Marienpforte. Foto 4, erstes Foto oben, Querformat, wiki commons Johannes Otto Först. Fotos 5-7: Walter-Jörg Langbein
Fotos 8-11: Domkröte 2 an der Adamspforte. Foto 8, ganz oben, Querformat, wiki commons Reinhard Kirchner, Fotos 7-11
Foto 12: Indianertänze. Foto Walter Langbein sen.

354 »Heinrich II., Napoleon, Adolf Hitler und die Lanze des Longinus«,
Teil  354 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«                        
von Walter-Jörg Langbein,                      
erscheint am 30.10.2016

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