Donnerstag, 1. Oktober 2009

Tabu und Tod


Auf mein Buch "Bestatten, mein Name ist Tod!" gab es durchaus unterschiedliche Reaktionen. Einige Leser fanden die Storys teilweise recht hart, für andere lagen die Erzählungen noch im akzeptablen Rahmen.

Dass die Meinungen über das Buch auseinandergehen würden, war mir natürlich klar, bevor ich das Buch schrieb. Auch, dass gefragt werden würde, was mich dazu getrieben hat, ein Buch über so schreckliche Todesarten zu schreiben. Die Antwort ist einfach. Weil diese Dinge nun einmal geschehen. Ein altes Markenzeichen meiner Geschichten ist mein Motto: "Meine Geschichten enthalten immer einen wahren Kern. Manche geraten während sie geschehen zu einem Desaster, andere erst, wenn ich sie aufschreibe." Und das gilt natürlich für alle Lebensbereiche. Genauso wie ich heitere Kurzgeschichten über alltägliche Widrigkeiten und Situationskomik schreibe, schreibe ich auch über die vielfältigen Möglichkeiten, dieses Leben wieder zu verlassen.

Es ist leider eine Tatsache, dass nicht jeder Mensch friedlich, des Nachts oder mittags entschlummert. Manch einer muss sich lange quälen bis zur erlösenden Sekunde, mancher muss viel zu früh gehen und gar nicht so selten, bestimmen andere, wann einem die Stunde schlägt. Bestatter und Totengräber erleben diese Situationen immer wieder. Morde geschehen, Unfälle, die keine sind, und Selbstmorde, die nicht selbst entschieden wurden. Der Tod hat nicht nur friedliche Gesichter. Der Tod kann sehr dramatisch daherkommen.

Insgesamt ist das Thema Sterben und Tod noch immer ein großes Tabu. Auch das erleben Bestatter täglich. Verstorbene sollen so schnell wie möglich zu Hause abgeholt werden, weil Angehörige sich vor ihnen fürchten oder ekeln. Und manch einer verzichtet sogar auf das Abschiednehmen am offenen Sarg, die nackte Angst im Nacken, bis endlich die Erde alles verdeckt hat.

Tatsächlich ist aber für die Hinterbliebenen gerade der direkte Kontakt mit dem Verstorbenen eine unglaublich wichtige und tröstliche Erfahrung. Noch einmal die Hand zu halten, über das Haar zu streichen und vielleicht noch ein Wort zu sagen, dass man im Leben, versäumt hat, auszusprechen. Immer wieder hört man anschließend die Menschen sagen: "Sie oder er sah so friedlich aus." Oder: "Es war ganz anders, als ich befürchtet hatte. Es war, als schliefe er oder sie." In der Tat ist der Kontakt mit dem verstorbenen Menschen ein wertvoller Augenblick im eigenen Leben, der einem auch die Angst vor dem eigenen Sterben, der eigenen Endlichkeit nimmt.

Auch unnatürliche, gewaltsame Tode sind tabu- und angstbehaftet, obwohl sie täglich geschehen. Warum sollte man darüber nicht schreiben? Warum sollten diese Dinge nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt werden? Menschen sind grausam zu Menschen. Das darf man sich genauso ehrlich ansehen, wie die heiteren Seiten des Lebens. Welchen Sinn hat es, Dinge aus dem Leben auszublenden? Sind sie dann nicht mehr vorhanden? Doch, sie sind immer noch da und sie geschehen weiterhin. Es sei denn, man lässt solche Geschichten an sich heran, lässt sie wirken, macht sich klar, dass auch das ein Teil des Lebens ist. Vielleicht wird man etwas sensibler im Umgang mit seinem und dem Leben anderer, wenn man spürt, dass die erzählten Geschichten sich an tatsächlichen Ereignissen orientieren. Vielleicht schaut man etwas genauer hin, und vielleicht lässt sich dadurch manches Unglück verhindern und mancher Schmerz vermeiden. Wer in dem Bewusstsein lebt, dass sein Leben zu Ende gehen wird, und niemand weiß, wann und auf welche Weise dies geschehen wird, kann sich versöhnen mit seinem eigenen Tod. Diese Hilfe können nicht die Lebenden geben, sondern nur die Verstorbenen.
Das Erzählen und Aufschreiben von dramatischen Todesfällen und Unfällen ist eine Möglichkeit, mit den Entsetzlichkeiten umzugehen und zu verarbeiten. Nicht zuletzt - und auch da sollte man ehrlich sein - eine Prise Voyeurismus steckt in jedem Menschen. Dramatische Dinge mitzuerleben, ohne selbst direkt betroffen zu sein, ist ein Bedürfnis, das ganz und gar menschlich ist. Man findet die unglaublichsten Geschichten in alten Märchenbüchern oder auch in der Bibel. Selbst in Zeiten, in denen es noch keine Bücher gab, wurden Schlachten, Kämpfe, Waffen-und Giftmorde in Rinden und Felsen geritzt dargestellt.

Und letztlich weiß nur ich, Bestatter Olbers und natürlich der verschwundene Totengräber David, was an meinen Geschichten wahr ist und was nicht. Aber ein Körnchen Wahrheit, aus dem die Storys entstanden sind, steckt in jeder einzelnen Erzählung.

Neulich hörte ich übrigens, dass David auf dem Friedhof gesehen wurde, mitten in der Nacht, bei Vollmond. Wer weiß, vielleicht treffe ich ihn demnächst dort wieder und wer mag, kann wieder ein Buch lesen, mit seinen ungewöhnlichen Erlebnissen.

g.c.roth

1 Kommentar:

  1. Liebe Grete!
    Ob mit einem Tabu belegte Themen Anstoß erregen, hängt nicht nur von den einzelnen Ereignissen ab, sondern auch sehr stark von der Art des Erzählens und dem Fingerspitzengefühl des Erzählers oder der Erzählerin.
    Da ich deine Geschichten bereits gelesen habe, kann ich ohne Einschränkung behaupten, dass du das Fingerspitzengefühl hast.
    Dein Buch zu lesen sollte niemandem einen Schock versetzen.
    Ich warte auf weitere Geschichten.
    Liebe Grüße
    Wolf-Gero

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