Dienstag, 19. März 2013

Der Kunsthistoriker Richard Hamann

Eine Buchvorstellung von Richard Albrecht

Der Kunsthistoriker
Richard Hamann
amazon
Jost Hermand (*1930) nennt sein Buch über den deutschen Kunsthistoriker Richard Hamann (1879-1961) nicht, was nahegelegen hätte, ein intellektuelles Porträt. Sondern eine politische Biographie. Das ist sowohl zutreffend als auch unzutreffend: Hamann war vor allem ein aus nichtakademischem Milieu kommender, hart arbeitender, intellektuell bedeutender Kunsthistoriker und (wie man heute sagen könnte) selbständig forschender Kulturwissenschaftler. Und zugleich als Persönlichkeit „ein Mann mit Unterkiefer“ (Carlo Mierendorff)(1). Politisch wird diese Biographie, die im besten Sinn und emphatisch dokumentiert, wie ein anderer „zu seiner Zeit mit dem Leben zurecht zu kommen versucht“,(2) durch die Zeit, in der Hamann lebte, und ihre besonderen gesellschaftlichen Umstände, unter denen er arbeitete.

Hermands Hamann-Biographie unterliegt als entscheidende Besonderheit das einzigartige Verhältnis von Biograph und Biographendem: Hermand kannte Hamann nicht nur persönlich. Sondern war auch der letzte wissenschaftlicher „Schüler“ seines damals schon jahrelang emeritierten „Lehrers“ und in dessen letzter Lebensphase ein entscheidender Weggenosse. Das gibt dieser Biographie zusätzlichen Reiz: Hermand schreibt im entsprechenden, dem vorletzten der insgesamt acht biographischen Kapitel (denen als neuntes eine Rezeptionsskizze zum Nachleben folgt), auch über sich. Damit ist dieses Grenzgänger zwischen Ost und West (1949-1961) genannte Kapitel, nolens volens, auch eine (Teil-) Autobiographie Hermands.

Im Buch abgebildet sind Totenmaske, eine 1954 angefertigte, in Bronze gegossene Büste des damals bekannten DDR-Staatskünstlers Fritz Cremer und ein Photo mit der Unterschrift: „Ernst Bloch und Hamann nach einer Sitzung der Deutschen Akademie der Wissenschaften, 1955.“ Hamann steht links: erkennbar ein aufrechter, hagerer, knorriger Mittsiebziger. Wie Hamann dies wurde erzählt Hermand in acht chronologischen Kapiteln seiner politischen Biographie dieses in seiner Zeit als Pionier wirkenden Pioniers der wissenschaftlichen Kunstgeschichte im Deutschland des ersten Hälfte des 20. Jahrhundert. Und auch wenn Hamann nie der Kunst-Hamann wurde wie sein alters- und karrierevergleichbarer Kollege Wilhelm Pinder (1878-1947)(3) als der Kunst-Pinder – Hamanns persönliche Leistung als Wissenschaftler, Forscher und Autor ist immer noch anerkannt. Hermand kennzeichnet sie so:

„Hamann gehört zu der Generation der Gründer und Pioniere der deutschen Kunstwissenschaft, die die Formanalyse in den Mittelpunkt ihrer Forschung stellten. Er hat auf zahlreichen Gebieten der kunstgeschichtlichen Forschung neue Wege gewiesen, vor allem durch seine Beschäftigung mit der deutschen und französischen Kunst des Mittelalters, mit Rembrandt und der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts. Sein besonderes Verdienst ist eine grundlegende Darstellung der Entwicklung der mittelalterlichen Plastik in Deutschland, mit einer klaren Abgrenzung des Ottonischen gegen die Romanik, sodann seine intensive Beschäftigung mit der romanischen Plastik Frankreichs und die systematische Heranziehung der Bauornamentik zur Klärung der Baugeschichte. Hamanns Methodik der Kunstbetrachtung und seine Gesamtkonzeption vom Ablauf der Kunstentwicklung sind niedergelegt in seinem Hauptwerk, der „Geschichte der Kunst“. In der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Geschichtswissenschaft und Philosophie fand er seine fundamentale Auffassung vom gesetzmäßigen Werdeprozeß der künstlerischen Stile und der Gesamtkultur, von einem Frühstadium zu einem Endstadium (archaisch, klassisch, barock) und einer Parallelisierung der Entwicklung der antiken Kunst und der Kunst des Mittelalters und der Neuzeit.“

In den ersten fünf Buchkapitel geht es um die Jahre von der Geburt des – so Hermand – „halbproletarischen“ Sohns eines Landbriefträgers, derzunächst in kümmerlichen äußeren Verhältnissen“ lebt, in Madgeburg aufwächst, dort 1898 an einem katholischen Gymnasium das Reifezeugnis erhält, an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität mithilfe eines Stipendiums Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte studieren kann und 1902 beim (damals bekannten) Philosophen Wilhelm Dilthey mit der Dissertation Das Symbol zum Dr.phil. promoviert wird. Hamanns Lehr- und Wanderjahre, „mühsame Selbstfindung zwischen Philosophie und Kunstgeschichte (1902-1911)“ genannt, werden nach Buchveröffentlichungen über Rembrandts Radierungen (1906), den Impressionismus in Leben und Kunst (1907), die Frührenaissance der italienischen Malerei (1909), den Magdeburger Dom (1910) und seine Ästhetik abgeschlossen durch die Habilitation (1911) und einen noch in diesem Jahr erfolgten Ruf an die Akademie Posen als Professor für Kunstgeschichte.

Noch vor dem Beginn des ersten „großen Weltfest des Todes“ (Thomas Mann) wird Hamann 1913 auf einen neueingerichteten Lehrstuhl, den er bis zur Emeritierung 1949 behält, an die Philipps-Universität  Marburg berufen. Dort wirkt er vielfältig als Hochschullehrer und Autor, Forscher und Sammler, gründet in den 1920er Jahren das Bildarchiv Foto Marburg mit seinen zuletzt annähernd 250.000 Negativen von Kunstwerken, den Verlag des Kunstgeschichtlichen Seminars und das Forschungsinstitut für Kunstgeschichte, ediert das Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, die Marburger Kunstbücher für Jedermann und veröffentlicht außer zahlreichen Einzelstudien unter anderem zur deutschen und französischen Malerei, zur Plastik, Bau- und Kirchengeschichte, seine zweibändige weitverbreitete Geschichte der Kunst (Band 1: Von der Vorgeschichte bis zur Spätantike; Band 2: Von der Altchristlichen Zeit bis zur Gegenwart).

Dies alles und noch viel, viel mehr erzählt Hermand als Nachgeborener über Leben und Werk seines ihn prägenden akademischen Lehrer (bevor er ihn traf) in den Kapiteln „Die wechselvollen Jahre der Weimarer Republik (1919-1932/33)“, „Unterm Faschismus (1933-1945)“, „Die unmittelbare Nachkriegszeit (1945-1949)“. Der Höhepunkt dieser politischen Biographie (4) jedoch ist das hier besonders interessierende (und mit vierzig Druckseiten auch längste) Buchkapitel „Als Grenzgänger zwischen Ost und West (1949-1961)“, das sowohl an Leben und Werk des (damals jungwissenschaftlichen) Biographen als auch an eine heute vergangene untergegangene Welt in Form des 1949 gegründeten alternativen und im Sommer/Herbst 1990 gescheiterten separaten Staats erinnert: so gesehen, sucht auch Hermand den „Sinn einer vergangenen Zeit“.(5)

Hermands Schlußkapitel auf vierzig Druckseiten erinnert Hamann als „Grenzgänger zwischen Ost und West (1949-1961)“. Der Text ist chronologisch angelegt. Er endet mit einem achtzigjährigen Biographenden, der nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern auch sozial vereinsamt: Hamann „bekam jetzt in aller Deutlichkeit zu spüren, daß er wegen seiner ´gesamtdeutschen´ Anschauungen immer stärker zwischen den Fronten des Kalten Krieges in ein ideologisches Niemandsland geraten war und man ihm daher weder im Osten noch im Westen wohlwollend entgegenkam.“

Hermand arbeitete als promovierter Germanist gut zwei Jahre lang, von Frühjahr 1956 bis Sommer 1958, Hamand zu und mit ihm auf Honorarbasis zusammen („ich war nicht Hamanns Assistent, sondern sein freiberuflicher ´Schreibcompagnon´“). Aus dieser Zeit erzählt Hermand informativ, nicht retrospektiv allwissend, durchs ständige name-dropping damaliger DDR-Prominenz auch leicht geschwätzig und sprachlich ungelenk („sein Institut“, „sein Marburger Lehrstuhl“). Aufgelistet werden die gemeinsamen Publikationen von Hamann/Hermand (leicht als Autorenname Hamand ironisierbar) im Akademie-Verlag, vor allem die seit 1959 erschienenen fünf Bände Deutsche Kunst und Kultur von der Gründerzeit bis zum Expressionismus (Gründerzeit, Naturalismus, Impressionismus, Stilkunst um 1900, Expressionismus), die später auch in Westausgaben erschienen (1971 in der Nymphenburger Verlagsanstalt und 1977 im S. Fischer Verlag).

Hamanns „Stellung in Ostberlin“ wurde nach dessen „Pensionierung“ 1957 „immer schwieriger“ und betraf auch die Arbeitsmöglichkeiten Hermands, der denn auch Ende 1957 die DDR verlassen mußte, gleichwohl „nach dem Verlassen der DDR ein monatliches Fixum in Westgeld“ überwiesen erhielt zur Fertigstellung des dritten Bands der Buchreihe. Und auch Hermann leitete „weiterhin die Forschungsstelle für Kunstgeschichte an der Deutschen Akademie der Wissenschaften mit der „nötigen finanziellen Unterstützung.“

Dabei war es kein Alterstarrsinn, wenn Hamann Sätze wie diese schrieb: „Es gibt keinen Sozialismus des Parteibuchs, es gibt nur einen Sozialismus der Leistung […] Mein Motto: Gesinnung kann man heucheln, Können muß man beweisen.“

Begonnen hatte die Zusammenarbeit Hermand-Hamann im März 1956 mit einem Telegramm Hamanns an Hermand: „Bitte umgehend nach Marburg zurückkommen. Schreiben zusammen Bücher, Hamann.“ Hermand, damals „ohne irgendeine Berufsaussicht“, wurde knapp zweiundhalb Jahre lang Coautor Hermanns, der Hermand im Sommer 1958 „für einen vakant gewordenen Lehrstuhl in der Neugermanistik“ vorschlug - wohl wissend, daß der 28-jährige Hermand „für viel zu jung“ befunden wurde.“ Hermann selbst meinte:

„Schließlich konnte ich wegen meiner Zusammenarbeit mit Hermann und dem Akademie-Verlag nach meinem Rauswurf aus der DDR in der BRD nirgends beruflich Fuß fassen und sah mich daher gezwungen, im Spätsommer 1958 eine Assistenzprofessur in den Vereinigten Staaten an der Staatsuniversität von Wisconsin in Madison anzunehmen.“

Und so wurde aus dem mittellosen „Wirtschaftsflüchtling“ des Jahres 1958 ein Associated Professor, sodann ein Chairholder und von 1967 bis zur Emeritierung 2004 ein bekannter Research Professor of German (6).


Jost Hermand, Der Kunsthistoriker Richard Hamann. Eine politische Biographie (1879–1961). Köln: Böhlau, 2009, ISBN 978-3-412-20398-6, € 29.90 [D], € 30.80 [A] - jetzt bei amazon bestellen


Fußnoten:
1 Bio-Bibliographisches Kirchenlexikon, XXXI (2010): 894-898
2 Werner Mittenzwei, Zur Biographie Brechts; in: Sinn und Form, 37 (1985) 2: 255-258
3 http://bibliothek.bbaw.de/kataloge/literaturnachweise/pinder/literatur.pdf 
4 Wenige buchkritische Hinweise seien angemerkt: inhaltlich ist das vierzehnseitige Schlußkapitel udT. „Tod und Nachleben (1961-2008)“ als erste Rezeptionskizze eher Appendix oder Anhang und im Vergleich zum vorstehenden Text subkomplex oder bestenfalls eine seminaristische Hausarbeit; formal ist das einmotierte Illustrationsmaterial anschaulich, aber nicht immer textcompatibel und in einem Fall, der Abbildung Wahldrehscheibe 1932 (p. 98 sowie Register p. 222) falsch: es handelt sich um eine schwarz-weiß-Montage des Künstlers Gerd Arntz; vgl. Richard Albrecht, Schwarz-Weiss & Gegen den Strom: Gerd Arntz (1900-1988); in: liberal, 38 (1996) 4: 75-86; http://soziologieheutenews.files.wordpress.com/2012/09/richard-albrecht-gerd-arntz-portrc3a4t.pdf
5 Werner Mittenzwei, Zwielicht. Auf der Suche nach dem Sinn einer vergangenen Zeit. Eine kulturkritische Autobiographie. Leipzig: Faber & Faber, 2004, 512 p
6 http://german.lss.wisc.edu/homes/hermand/ 

Richard Albrecht ist „gelernter“ Journalist, extern provomierter und habilitierter Sozialwissenschaftler, lebt seit seiner Beurlaubung als Privatdozent (1989) als Freier Autor & Editor in Bad Münstereifel und war 2002/07 Herausgeber von rechtskultur.de. Unabhängiges online-Magazin für Menschen und Bürgerrechte. Bio-Bibliographie -> http://wissenschaftsakademie.net

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