»(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.« (Art. 21 GG)
Ursula Prem |
Woran die Väter und Mütter
unseres Grundgesetzes wohl gedacht haben mögen, als sie diesen Passus in der
Verfassung verankerten? War es tatsächlich in ihrem Sinne, einer echten
Demokratie grobe Vorfilter aufzupflanzen und der Gewissensfreiheit des
einzelnen Abgeordneten mittels Parteidisziplin und Fraktionszwang einen Riegel
vorzuschieben? Hätten sie sich vorstellen können, dass gerade die großen
Volksparteien sich eines Tages nur noch in Nuancen unterscheiden und gemeinsam
eine große, dröge Fläche in deprimierenden Grautönen bilden, während die
kleineren Gruppierungen als Knochenbeilage dienen würden? Wünschten sie sich
eine auf Telefonumfragen basierende, statistikgestützte Klientelpolitik, die
wahlweise mal dieser und mal jener Gruppierung ein paar steuerfinanzierte Krümel
zuschiebt, um so die zum Machterhalt notwendigen Stimmen zusammenzukratzen? Die
Aussicht auf eine möglicherweise bevorstehende große Koalition macht die Lage
nicht besser: Die Bildung einer bundesdeutschen Einheitspartei ist bereits weit
vorangeschritten.
Machen wir uns nichts vor:
Alleine die Summe persönlicher Gewissensentscheidungen der einzelnen
Abgeordneten könnte eine funktionierende Demokratie sicherstellen, die diesen
Namen auch verdient. Doch die ernsthafte Bearbeitung von Sachfragen ist längst
einem ganz anderen Grundsatz gewichen, der da lautet: Machterhalt um jeden
Preis. Ergebnis solcher Scheindemokratie ist ein kurzatmiges klein bei klein,
das sich in wachsender Bürokratieflut und zunehmender Verbotskultur
niederschlägt, statt sich den tatsächlich brennenden Fragen zu widmen. Alle
nennenswerten Kräfte setzen sich gegenseitig schachmatt, der Berg kreißt und
gebiert eine Maus.
Rückgratlose Lieferanten von Mehrheiten
Dass selbst den überaus
anspruchslosen deutschen Wählern die Parteidisziplin eines Tages zu weit geht,
musste nun die FDP feststellen: Von Kanzlerin Merkel als rückgratlose Lieferanten
von Mehrheiten hoch geschätzt, verfehlten die »Liberalen« nun zum ersten Mal
seit Bestehen der Bundesrepublik den Einzug in den Deutschen Bundestag. Die
Kanzlerin steht somit ohne ihren Wunschkoalitionspartner da, was für viele
traditionelle FDP-Wähler durchaus ein Antrieb gewesen sein mag, ihr Kreuzchen
diesmal anderswo zu machen.
Gustl Mollath Foto: U. Prem |
Menschenrechtspolitik aus strategischen Gründen?
Doch hätte die FDP sich tatsächlich aus strategischen Gründen mit Gustl Mollath beschäftigen sollen? Ich denke: nein. Gerade eine traditionell den Bürgerrechten verpflichtete Partei hätte dies vielmehr aus echtem Interesse heraus tun müssen, da der gesamte Vorgang mitten in ihre eigentlichen Kernkompetenzen fällt. Erstaunte Bürger, die sich noch daran erinnern können, dass das F mal für Freiheit stand, mögen sich angesichts dieses Totalausfalls gefragt haben, ob ausgerechnet der ehemalige Markenkern der FDP heute mangels empathiefähiger Akteure personell völlig ungedeckt dasteht. Nach all den Fehlleistungen einschließlich Kuschelkurs mit der Kanzlerin und Horst Seehofer dürfte dieser weitere Glaubwürdigkeitsverlust eine große Rolle beim Totalabsturz der FDP gespielt haben.
Hier weiterlesen: Gewissen oder Partei?
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Nicht nur bei der FDP hat sich dieses F inzwischen wirklich nahezu ausschließlich zur Freiheit des Geldes, seiner Macht und Prioritaet gewandelt.
AntwortenLöschenDie große Herausforderung zur Bewahrung der menschlichen Freiheit (des Menschen) besteht inzwischen darin, diese Freiheit (und resultierende All-Macht) einzuhegen, einzugrenzen, zu regulieren.
Da gibt es bisher extrem wenig angewandte Rezepte. Auch wenig Bewußtsein ueber die Tragweite.
Die Zeit draengt. Der "Mollath-Faden" kann helfen.
http://www.zeit.de/2013/40/rettung-hypo-real-estate
AntwortenLöschenFDP:
AntwortenLöschenIm Menschenrechtsausschuss des Bundestages hat die FDP (stur nach Koalitionslinie) die Befassung mit dem Fall Gustl Mollath niedergestimmt.
Bundestag:
Es ist zu befürchten, dass nun das Innenressort wieder an die CSU geht (Friedrich bleibt). - Traditionell geht dann Justiz an die anderen, also wohl die SPD. - Die SPD hat keine kompetenten liberalen Rechtspolitiker mehr! Ich fürchte, es kommt zu einer rein ideologischen Besetzung (wie damals Frau Zypries). - Also werden die Themen Rechtsbeugungen/Justizverbrechen, angemessene Entschädigung von Justizopfern, Freiheitsrechte und § 63 StGB nicht gelöst. Und Falschbeschuldigerinnen gibt es nicht, weil das wäre unfeministisch.
* * *
M.E. wäre aber auf Bundesebene eine Enquete zu den Fällen Gustl Mollath, Horst Arnold und Peggy mehr als überfällig!!!
Bayerischer Landtag:
Habe ich das richtig mitbekommen: ausgerechnet Dr. Martin Runge (Grüne), einer der wichtigsten Aufklärer im UA Mollath, ist nicht mehr im Landtag?
(Von der direkt gewählten Abgeordneten des Wahlkreises Neu-Ulm schweigen wir mal lieber...)
Sonst noch:
Ist die deutsche Sektion von Amnesty International schon aus ihrem Schönheitsschlaf erwacht und findet bei dem § 63 StGB "echt ein Problem"? - Ich habe ja eher den Verdacht, dass die sich mit der deutschen Justiz gutstellen. Vielleicht kriegen sie ja ab und zu mal einen gemeinnützigen Batzen rübergeschoben, wenn von einem Gericht ein Verfahren gegen Auflage der Zahlung einer Spende eingestellt wird...
A.B.
Wenn die FDP sich die "Freiheit des Menschen" einmal auf die Fahnen geschrieben hatte, dann hat sich der Sinn der Buchstaben FDP m.E. inzwischen auf die Freiheit Dickes Portemonnaie reduziert.
AntwortenLöschenDas bekam bisher auch Gustl Mollath reichlich zu spüren.
Und wenn @ "Anonym - A.B." zu Recht auf das traurige Abstimmungsverhalten der FDP im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages hinweist, dann darf auch die mangelnde Bereitschaft der FDP zur Ratifizierung der UN-Konvention gegen Korruption nicht vergessen werden. So hatten CDU/CSU und FDP noch im Juni das Thema von der Tagungsordnung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages gestrichen.
Die Bundesjustizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), hat als Juristin zwar eine Änderung des § 63 StGB gefordert, sie hat allerdings - ebenso wie ihr Partei- und Berufskollege, Herr Kubicki, bisher nicht erkennen lassen, die wissentlichen Verfälschungen der Staatsanwälte und Richter im "Fall Mollath" näher zu beleuchten.
Die von Gustl Mollaths Anwalt, Herrn Dr. Strate, dazu ins Internet gestellte Ergänzung zum Klageerzwingungsverfahren zeigt jedoch die Notwendigkeit. Sie zeigt zudem, wie kostbare Zeit für juristische Winkelzüge verbraten wurde.
http://www.strate.net/de/dokumentation/Mollath-Klagerzwingung-2013-09-19.pdf
Als Literatur würde ich den FDP-Mitgliedern das Buch ihrer ehemaligen Parteikollegin, Frau Dr. Hamm-Brücher, "Der freie Volksvertreter - eine Legende?" empfehlen.
Das Thema Geld verdient eine differenzierte Betrachtung. Meiner Ansicht nach gehört es einfach entmystifiziert. Die Freiheit zum dicken Portemonnaie kann ruhig erhalten bleiben: Viel mehr sollte die Frage in den Vordergrund gerückt werden, wodurch das Portemonnaie so dick wurde. Bei der heutigen Art der Berufswahl wird viel zu wenig darauf geachtet, welche gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen die eine oder die andere Tätigkeit hat. Verändert sie die Welt zum Besseren, so mag der Ausübende ruhig Ruhm und Reichtum damit erwerben, ohne dass der Umverteilungsstaat ihn zur Strafe dafür enteignet.
LöschenAnders sieht es mit Tätigkeiten aus, die fett Kohle bringen und gleichzeitig der Gesamtheit schaden. Da man dem Geld nicht ansieht, womit es erworben wurde, ist es hier zu unguten Verlagerungen der Bewertungsmaßstäbe gekommen, denen auch die FDP voll auf den Leim gekrochen ist. Das nimmt nicht wunder: An der Spitze ein gefühlt Dreijähriger, der mit strahlendem Lächeln Papa Genschers viel zu große Schuhe spazieren trägt, dazu ein paar verdruckste Klientelpolitiker, die weder durch Charme noch Leistung punkten konnten ... das Experiment musste einfach auf Dauer schiefgehen.
Die Aktivität von Frau Leutheusser-Schnarrenberger war für sich gesehen durchaus ehrenwert, doch sie kam leider viel zu spät: Der Wahlkampf war in vollem Gange, sodass die Motivation leicht durchschaubar war. Wer den Ablauf von Gustl Mollaths Fall verfolgt und die schnarchzapfigen, CSU-konformen Reden bayerischer FDP-Landtagsabgeordneter in Erinnerung hatte, ließ sich dadurch eben nicht mehr täuschen.
Zu "ehrenwerter" Frau Leutheusser-Schnarrenberger:
Löschenhttp://www.zwangspsychiatrie.de/2012/10/aufgedeckt-leutheusser-schnarrenberger-ein-tarnkappenbomber-zwangsbehandlun/
@U.P.
LöschenEs würde m.E. zu weit ab führen, eine Reichtumsdebatte anzufangen. - Ich stimme mit Ihnen soweit überein, dass gegen Wohlstand als legitmes Ergebnis gesellschaftlich nützlicher Tätigkeit gar nichts zu sagen ist. (Soziale Marktwirtschaft, "Wohlstand für alle"...)
Nur ist es so, dass sich die Paradigmen leider verschoben haben. Ich kann mich noch gut an eine Zeit erinnern, als Lebensqualität und die Humanisierung der Arbeitswelt ins Zentrum gestellt wurden.
Dann kam die geistig-moralische Wende und damit die ekle Zeit der Neondekos, des Lifestyles und der Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche. "Mittelstand wurde zur hohlen Phrase, die Sozis prostituierten sich von der Programmpartei Willy Brandts bis runter zum Schröder-Blair-Papier.
Die Geschichte der F.D.P. (bzw. FDP) war auch nicht immer ein Ruhmesblatt! - Das schwärzeste Kapitel liegt ganz zu Anfang, als nach dem Verbot der SRP die Alt-Nazis den Verein unterwandern wollten. - Die Personaldecke war immer dünn. In Berlin wurde die Partei nach dem Zusammenbruch des sozialliberalen Senats via Strohmännern von den Bauspekulanten regelrecht unterwandert. Vom Flick-Parteispenden-Skandal noch gar nicht zu reden ... und etwa dem antisemitischen Pamphlet des Jürgen W. Möllemann, und, und, und...
Klar, Rechtsstaat und Freiheit sind eine prima Sache. Aber nach der "Wende" Lamsdorff/Genschers (und den damit einhergehenden Verlusten des Rechtsstaats-Flügels), gab es neben dem Thema Marktwirtschaft pur eben nur noch die Außenpolitik. (Zugegebenermaßen mit Genscher gut besetzt.)
Nun kam eben der unvermeidliche Absturz des leeren Heißluftballons namens FDP.
Ich muss sogar sagen, ich bin darüber froh. Vor allem in der Gesundheitspolitik hat sie in den letzten Jahren unermesslichen Schaden angerichtet.
A.B.
"Die Neue Politische Ökonomie" hat nicht nur dem Prof. Überla die Argumente gegeben, nahezu alle deutschen Bluter aus Kostengründen an AIDS sterben zu lassen:
AntwortenLöschenhttp://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13491890.html
sondern stellt auch die tollkühne Behauptung auf, die Parteien müssten durch ihr Handeln den Bürgern gefallen, müssten sich daher den Vorstellungen des Volkes beugen.
Zum Glück gibt es zu allen Details unserer verkehrten Welt eine verkehrte Theorie.
@ Ursula Prem:
AntwortenLöschenSie schreiben:
"Bei der heutigen Art der Berufswahl wird viel zu wenig darauf geachtet, welche gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen die eine oder die andere Tätigkeit hat."
=> Das kann man so nicht sehen, ich gehe ganz im Gegenteil davon aus, dass sehr überlegt bedacht wird, wer wofür eingesetzt wird. Geht es um Tätigkeiten, für die man Schurken benötigt, dann sucht man sich dafür eben Schurken aus.
ÄRGERLICH!
AntwortenLöschenDer Handel mit Blut und Blutprodukten, die Geschichte/Vergangenheit des Bundesgesundheitsamtes und des IQWiG, entfesselte Profitgier, die (übrigens seit Anbeginn der Welt) in purer Kriminalität endet ("strictly business" heißt das in der Filmtrilogie "Der Pate") ... Eigentlich alles irgendwie interessante Themen. Aber so??? Was soll das?
Freiheit ist das Recht zur Beteiligung am Wettbewerb.
AntwortenLöschenWohlstand für alle