»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Autor Langbein in einer der Höhlen im Leib der Osterinsel Foto: Anne Choulet, Frankreich |
Die Jungfrauen der Osterinsel fristeten ein trauriges Los in der Dunkelheit ihrer engen Höhle. Hunderte Meter weit reichte sie in den felsigen Leib des Eilands. Bei meinen Besuchen auf Rapa Nui lernte ich die friedliche Atmosphäre der Südseeinsel lieben. Aber Rapa Nui hat auch eine finstere, düstere Seite. Damit meine ich nicht die Verbrechen, die an den Insulanern verübt wurden ... von Vertretern der »zivilisierten Welt«. Fast die gesamte Bevölkerung wurde im 19. Jahrhundert ausgerottet ...
Alfred Métraux schreibt, dass junge Mädchen »von ihren Eltern in Höhlen eingesperrt wurden, in denen sie in völligem Nichtstun lebten.« Die »Jungfrauenhöhle«, aber auch andere »Gefängnishöhlen« für »neru« (1), waren ja so eng, dass man sich darin kaum bewegen konnte. Längere Aufenthalte in diesem Gefängnis müssen unglaublich qualvoll gewesen sein.
Unserem Schönheitsideal entsprachen die Jungfrauen nicht. Wenn wir an holde, liebreizende und sehr feminine Ladies denken, wie sie in Hollywoodfilmen auftreten, machen wir uns vollkommen falsche Gedankenbilder. Die Wirklichkeit sah ganz anders aus ... Ihre Fingernägel wurden »übermäßig lang«. Ernährt, man muss wohl sagen gemästet, wurden die jungen Damen von ihren Eltern. Essen war das einzige »Vergnügen« der eingesperrten Mädchen, die deshalb immer dicker und dicker wurden. Bewegung hatten sie ja keine. An die frische Luft kamen sie, wenn überhaupt, in höchst bescheidenem Maße ... und das nur bei Nacht.
Wiederholt schilderten mir Einheimische das Aussehen der weggesperrten »Jungfrauen«: Überlange, oft verfilzte Haare, überlange Fingernägel, starkes Übergewicht und Bemalung in Rot. Welche Mädchen wurden in Höhlen weggesperrt? Wir dürfen nicht mit heutigen Wertmaßstäben beurteilen. Vor Jahrhunderten waren es auf der Osterinsel vermutlich nicht gesellschaftliche Benachteiligte, sondern – ganz im Gegenteil – Töchter aus privilegierten Schichten, die in Höhlen hausen durften.
Blick in eine der Osterinselhöhlen (Ana Kai Tangata) Foto: Jürgen Huthmann |
Man muss demnach davon ausgehen, dass die Jungfrauen auf mysteriöse Rituale von wohl religiöser Bedeutung in der Abgeschiedenheit vorbereitet wurden. Wie diese Rituale ausgesehen haben? Wir wissen es nicht. Ging es um den Übergang vom Kind oder Jugendlichen zum Erwachsenen?
Prof. Hans Schindler-Bellamy, Wien, bezweifelte das: »Solche Riten, die das Erwachsenwerden bewusst betonen, gab es sicher auch. Aber die ›bleichen Jungfrauen‹ wurden wohl auf etwas anderes vorbereitet. Ich kann mir vorstellen, dass es eine eher kleine Zahl von Jungfrauen war, die in den Höhlen auf das Amt der Priesterin vorbereitet wurden!«
Für die künftigen Priesterinnen oder Schamaninnen ging es um die Kernfrage des Lebens, so der Wissenschaftler im Gespräch mit dem Verfasser, um Geburt, Leben, Sterben, Tod und was danach kommt!
Der Übergang vom Kind zum Erwachsenen erlebt jeder Mensch. Weltweit gab es in allen Kulturen Initiationsriten, die diesen natürlichen Wandel begleiteten. Lange Aufenthalte in einer Höhle indes machen den Menschen nicht gerade fit für das Alltagsleben. Und deshalb meinte Prof. Hans Schindler-Bellamy, dass eben nur ein kleiner Kreis von auserwählten Jungfrauen initiiert wurde, eben zur »weisen Frau«, zur »Priesterin« oder »Schamanin«.
Besuch in der Höhle Ana Te Pahu Foto: Jürgen Huthmann |
»Ana O Keke«, das wissen wir, war eine uralte Kultstätte. Kurioser Weise soll es auf den Kanaren eine ähnliche Höhle geben, in der ganz ähnliche Petroglyphen wie in der Jungfrauenhöhle der Osterinsel gefunden wurden. In der Kulthöhle der Osterinsel wurde eine Vielzahl von seltsamen Zeichen gefunden, die sonst nirgendwo auf dem Eiland vorkommen. Die Übereinstimmungen zwischen den Höhlen der Osterinsel und auf den Kanaren verblüffen. Hartwig-E. Steiner schreibt (2): »Wer beide Höhlen, die Ana O Keke auf Rapa Nui und die Cueva del Agua auf der Kanaren-Insel El Hierro, besucht und studiert hat, ist von der Vielzahl an Übereinstimmungen überrascht. Die eine Höhle ist ein nahezu spiegelbildliches Abbild der anderen.«
Steiner kommentiert (3):
»Es ist sicher, das die beiden Gesellschaften auf den Kanaren und der Osterinsel keine Verbindung oder Kenntnisse voneinander hatten. Aber es ist durchaus vorstellbar, dass unter selben Bedingungen sich auch gleichartige kulturelle Phänomene, Bräuche, Lebensformen und Techniken entwickeln.«
Erkundung einer Höhle Foto: Jürgen Huthmann |
»Ana More Mata Puku« heißt eine weitere Höhle, ebenfalls auf der Halbinsel Poike gelegen. Sie ist im Vergleich zur Bleichhöhle der Jungfrauen geradezu winzig. Die Grundfläche entspricht mit etwa 24 Quadratmetern einem heutigen Zimmer. Die »Höhe« von durchschnittlich nur 1,30 m allerdings gestattet nur ein Sitzen, Hocken oder Liegen.
Bei meinen Besuchen auf der Osterinsel versuchte ich immer wieder, Näheres über sie zu erfahren. Vergeblich! Es sieht so aus, als ob nur sehr wenige Kundige wissen, wo sich die mysteriöse Höhle genau befindet. Ihr Standort ist nur wenigen Eingeweihten bekannt ... und die schweigen, selbst gegenüber anderen Osterinsulanern, von Fremden ganz zu schweigen. Einige handverlesene Osterinsulaner, so heißt es, haben die mysteriöse Stätte zwei oder drei Mal besucht. Die überwiegende Mehrheit auf dem Eiland hat angeblich noch nie davon gehört. Nach mehreren Besuchen auf der Osterinsel glaube ich herausgefunden zu haben, wo in etwa der Eingang zu finden ist.
»Maunga Parehe« liegt im Nordosten von Vulkan Poike ... ein eher unscheinbarer Hügel. Ob es sich um einen kleinen Nebenkegel des Poike handelt? »Maunga Pehe«, davon bin ich nach intensiven Recherchen überzeugt, muss erklommen werden, um zur mysteriösen Höhle zu gelangen. Der Anstieg ist problemlos, der Abstieg zur Höhle ... lebensgefährlich. Man muss einen gefährlichen Steilabhang meistern ... und genau wissen, wo der versteckte Eingang zu finden ist.
Der Eingang soll früher besser zu erkennen gewesen sein. Im Verlauf der vergangenen Jahrhunderte lösten sich vom Steilhang immer wieder Gerölllawinen, stürzten teils Lavabrocken von beachtlicher Größe in die Tiefe ... und versperrten den Blick auf den Zugang zur Höhle. Heute soll nur noch ein Spalt von weniger als einem Quadratmeter offen sein.
Ritzzeichnung in der Höhle der Jünglinge Foto: Archiv W-J.Langbein |
Eine Skizze so einer Ritz-Zeichnung erhielt ich ausgerechnet ... bei einem Gottesdienst in der kleinen Kirche von Rapa Nui. Steiner hat ganz ähnliche veröffentlicht, vermag aber auch nicht zu erklären, was dargestellt ist ...
Die Osterinsel - Panoramafoto; Foto: Rivi |
Fußnoten
1 »neru«, Osterinsulanisch für Jungfrau
2 Steiner, Hartwig-E.: »Die Jungfrauen-Höhle auf der Osterinsel«, in »Institutm Canarium«, Wien 2008, S. 286
3 ebenda
4 Meine Informationen decken sich mit den Angaben von Steiner.
5 Meine Angaben basieren weitestgehend auf eigenen Recherchen vor Ort, decken sich weitestgehend mit den Erkenntnissen von Steiner. Siehe hierzu...
Steiner, Hartwig-E.: »Ritual-Höhle für Jünglinge der Osterinsel«, in »Institutm Canarium«, Wien 2012, S. 261-290
6 ebenda S. 284, S. 285 und S. 290
Anmerkung zu den Fotos: Wo keine Fotos von den Originalschauplätzen vorliegen, habe ich möglichst passende, ähnliche Motive ausgewählt.
Mein Dank geht an meine Reisegefährten Ingeborg Diekmann und Jürgen Huthmann,
die mir immer wieder vorzügliche Fotos zur Verfügung gestellt haben!
Ein fliegender Gott, Wolkenmenschen und rätselhafte Figuren ...
Teil 193 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 29.09.2013
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