Sonntag, 24. Februar 2019

475 »Vom Wasserheiligtum zur Mordhöhle«


Teil 475 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein

Auch »Der Standard« setzte sich ausführlich mit dem mysteriösen Wasserheiligtum auseinander. In der Rubrik »Wissen und Gesellschaft« vermeldete er am 26.11.2018 (1): »Anzeichen für eine Verknüpfung des Pragmatischen mit dem Spirituellen fanden deutsche Forscher auf der Osterinsel: Auf der von Ressourcenmangel gezeichneten Insel im Ostpazifik wurde offenbar der Wasserverschwendung durch Tabus vorgebeugt, berichtet das Deutsche Archäologische Institut.«

Weiter lesen wir: »In Ava Ranga Uka a Toroke Hau – einer an einem kleinen Wasserfall gelegenen Fundstätte aus dem 13. bis 17. Jahrhundert – machten die Forscher einige überraschende Funde. An den Wasserfall schließen sich die Überreste künstlicher Kanäle, mehrerer Wasserbecken und einer Prozessionsstraße an.«


Foto 1: Das ist kein Fake, sondern eine Fotomontage. Als solche habe ich das Bild, es wurde horizontal und vertikal gespiegelt, von Anfang an in »Zu den Fotos« bezeichnet. Siehe ganz unten. Foto 4 zeigt das Original. Foto 1 verstehe ich als symbolische Darstellung des Geheimnisvollen und Mysteriösen. Im »Kasten«  links oben: das Original.


Der Ausdruck »Wasserfall« ist etwas irreführend, dürfte er doch kaum höher als zwei oder drei Meter gewesen sein. Dessen ungeachtet: Das trinkbare Wasser, das das Heiligtum »Ava Ranga Uka a Toroke Hau« speiste, war für die Menschen der Osterinsel eine Kostbarkeit von unschätzbarem Wert. Trinkwasser war auf dem kleinen Eiland in der unendlichen Salzwasserwüste.

Zu meiner Schande muss ich gestehen: Bei meinem ersten Besuch auf der Osterinsel führte mich mein Pensionswirt auf den dritten und jüngsten erloschenen Vulkan des Eilands. Etwas mehr als 500 Meter ragt Maunga Terevaka in den Himmel. Er ist somit fast genauso hoch wie der lippische Köterberg vor meiner Haustür. Doch während an sonnigen Sommertagen manchmal tausend und mehr Motorräder auf den Köterberg hinauf und wieder retour sausen, bot Maunga Terevaka nur einsame Stille.

»Es gab mehrere zusätzliche kleinere Krater!«, erklärte mir mein Pensionswirt, ein fülliger Einwanderer aus Polynesien. »Besonders wichtig ist der Kratersee Rano Aroi, denn hier sammelt sich das Regenwasser!« Das Wasserreservoir bot den Insulanern schon vor tausend und mehr Jahren trinkbares Wasser. Unweit des Sees: eine heilige Kulthöhle. Mein »Guide« bedeutungsschwer: »Hier gab es einst eine heilige Stätte, die dem Wasser geweiht war. Davon ist heute nichts mehr zu sehen. Zum gesamten Komplex gehörte die Höhle ebenso wie ein großes Heiligtum.«


Foto 2: Wenn sie nur reden könnten ...

Begeistert fabulierte er von einem »Röhrensystem«, das auf verschlungenen Wegen Wasser vom Kratersee zu einem »Wassertempel« führte. In einer Vertiefung sammelte sich angeblich einst angeblich Regenwasser, das in das Wasserheiligtum geleitet worden sei. Nur spezielle Eingeweihte durften sich, so mein Informant, der sakralen Installation nähern. Je zweifelnder ich seiner Meinung nach schaute, desto größer und fantastischer wurde die Beschreibung des angeblichen »Wasserheiligtums«. So erfuhr ich von millimetergenau geschnittenen Steinquadern und Steinplatten, von einem rätselhaften hydraulischen System mit Pumpen. All das sei in grauer Vorzeit geschaffen worden. All das sei bewusst verborgen, sprich abgedeckt und zugeschüttet worden. Deshalb war natürlich vom angeblichen sakralen Wunderwerk nichts zu sehen. Eine genaue Ortsangabe konnte ich nicht in Erfahrung bringen.

Zu sehen war nichts Ungewöhnliches. Selbst Lavabrocken, die man auf der Osterinsel in unterschiedlichen Größen zu Millionen findet, waren grün überwuchert. Der Ausflug zum Maunga Terevaka Vulkan war in meinen Augen Zeitverschwendung. Als ich gar keine besonders große Lust zeigte, die für meinen Geschmack langweilige Landschaft im Bilde festzuhalten, ging es in den Schilderungen meines leicht ärgerlich werdenden Führers immer schauriger weiter. Menschenopfer, so schleuderte mir mein Führer entgegen, wurden in der Höhle dem Supergott Make Make dargebracht, wenn eine Trockenperiode das Trinkwasser mehr als knapp werden ließ. 

Foto 3: Riesenrätsel in Stein. Collage. Gespiegelt wie Foto 1!


»Dann drohten die Menschen zu verdursten, die Felder zu vertrocknen, was eine Hungersnot auslösen würde!« Hinweise auf meine tägliche Nutzung der Dusche erzeugten in mir ein schlechtes Gewissen. So machte ich meinem Wirt die Freude und fotografierte zum Schein den grün bewachsenen, sanft ansteigenden Hang des Kraters. Zu meiner Verteidigung darf ich anführen, dass ich damals noch analog fotografierte. Die Negativ- und Dia-Filme gingen langsam zur Neige und neue konnte ich damals in keinem der Geschäfte von Hanga Roa, der einzigen Ansiedlung, kaufen. Und es gab noch so viel zu fotografieren, vor allem natürlich die mysteriösen Steingiganten, die so süffisant ob meiner mangelhaften Kenntnisse zu lächeln schienen.

Die genaue Stelle des Wasserheiligtums wurde mir nicht gezeigt. Ich erfuhr nur, dass sie sich jetzt irgendwo in der »Unterwelt« des »Maunga Terevaka«-Kraters befindet. Angeblich hat man die heilige Stätte schon vor Jahrhunderten zum Schutz vor Schändung mit massiven steinernen Deckplatten gesichert und dann auch noch zusätzlich mit Erdreich überschüttet. So war das einstige Heiligtum für Unkundige unauffindbar. Auch wo sich der angeblich überwachsene Höhleneingang in der Nähe des Wasserheiligtums befand, konnte ich meinem Informanten nicht entlocken. Wortkarg war er, was die Lokalisation von Heiligtum und Höhle angeht, weitschweifig äußerte er sich begeistert über die angeblich fantastischen Steinmetzarbeiten. So seien die Wände der zum Wasserheiligtum gehörenden Kanäle mit den gleichen glatt polierten Steinen eingefasst, die auch im Eingangsbereich der Opferhöhle eingesetzt wurden. Derlei präzise bearbeitete Steine würden besonders sakrale Orte kennzeichnen.

Foto 4: Blasiertheit in Stein?
Das Wasserheiligtum, so erfuhr ich immer wieder, war nur auserwählten Eingeweihten zugänglich. Das Wasser war angeblich Teil eines vergessenen Rituals und durfte nicht zum Durstlöschen missbraucht werden. Deshalb wurde es, als das Heiligtum noch Teil eines lebendes Kults war, bewusst geschützt und später ganz zum Verschwinden gebracht.

Heute weiß ich, dass die manchmal fantastisch anmutenden Schilderungen meines begeisterten Führers zumindest in  zwei Punkten der Realität entsprachen. Es gab dieses Wasserheiligtum, wie wir heute wissen. Und tatsächlich wurden seine (2),  »Wasserbecken und Kanäle mit monumentalen Terrassen« überbaut. Der Arbeitsaufwand war enorm, wie die Archäologen der »Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen des Deutschen Archäologischen Instituts« feststellen konnten (3): »Eine weitere Überraschung bildeten große Mengen von Stein- und Schottermaterial, die die ehemaligen Osterinsel-Bewohner einst bewegt haben, um ältere Anlagen wie Wasserbecken und Kanäle mit monumentalen Terrassen zu überbauen. Die Terrassen scheinen die früheren Installationen förmlich zu versiegeln und von einer weiteren Nutzung auszuschließen. Für die Forscher liegt daher die Vermutung nahe, dass damit der Zugang zum Wasser des Baches gesellschaftlich und religiös sanktioniert und durch Tabus reglementiert wurde.«

Und es gibt unweit des Wasserheiligtums eine uralte Höhle, deren Eingang mir freilich nicht gezeigt wurde. Ich fand ihn auch nicht, als ich mich am folgenden Tag allein auf die Suche machte. Als ich kürzlich von der Entdeckung des Wasserheiligtums erfuhr, durchforstete ich meine Fachliteratur in Sachen Osterinsel und wurde im opulenten Standardwerk »Ethnology of Easter Island« von Alfred Metraux fündig. Schon als Gymnasiast hatte ich ein Exemplar beim Bernice P. Bishop Museum«, Hawaii, bestellt und per Luftpost kommen lassen (4).

Foto 5: Kopfzerbrechen über...

Der aus der Schweiz stammende Ethnologe Alfred Metraux (*1902; †1963) berichtet Interessantes über den König der Osterinsel und erwähnt nebenbei die Ermordung eines Königssohnes. Demnach war der ariki-mau, »king of Easter Island« ein Nachkomme der Götter Tangaroa und Rongo. Lassen wir Alfred Metraux zu Wort kommen (5): »Der ariki-mau oder König der Osterinsel war ein göttlicher Chief, der über mana (übernatürliche Macht) verfügte und deshalb von tapus umgeben.«

Dann zitiert Metraux eine Legende, die den Besitz von übernatürlicher Macht als Unglück für die Bevölkerung beschreibt (6): »Der König Nga-ara schlief mit drei Frauen, die alle schwanger wurden und drei Söhne gebaren. Die ersten beiden Söhne hatten kein mana, aber der dritte Sohn, Rokoroko-he-tau, besaß es mysteriöser Weise. Das Volk brachte Blumenkränze und Fahnen (standards) für Rokoroko-he-tau, den sie als König ansahen. Haie und Seelöwen kamen zur Insel, jagten und fraßen die Menschen. … Nga-ara befürchtete, dass Haie und Seelöwen alle Menschen töten würden, deshalb stahl er Rokoroko-he-tau während der Nacht und versteckte ihn nahe beim Rano-aroi-(Krater) und tötete ihn später. Die Haie (und) Seelöwen verschwanden, um niemals wiederzukehren.«

Foto 6: ... die Geheimnisse der Osterinsel

Metraux erwähnt, dass der Mord in der Nähe des Rano-aroi-Kraters geschah, geht aber nicht auf den konkreten Ort des Geschehens ein. John Macmillan Brown (*1845; † 1935) hingegen berichtet in seinem Werk über das Geheimnis des Pazifik (7), 1924 erschienen, dass König Ngaara seinen zehnjährigen Sohn und Nachfolger einschläferte und dann in eine Höhle im Zentrum der Insel trug. Dort beließ er seinen Sohn für einige Zeit. Weiter heißt es: »Die Leute fragten ihn, was denn mit dem Jungen geschehen sei. Er antwortete nichts, ging dann aber in die Höhle und durchschnitt dem Schlafenden die Kehle. Die Ausführungen von Alfred Métraux und John Macmillan Brown legen nahe, dass der Königssohn tatsächlich in einer Höhle unweit des Wasserheiligtums ermordet wurde.


Foto 7: Gefallener Riese


Fußnoten
(1) https://derstandard.at/2000091932733/Osterinsel-Wasserverschwendung-durch-Tabus-verhindert (Stand 12.01.2019)
(2) ebenda
(3) ebenda
(4) Métraux, Alfred: »Ethnology of Easter Island«, Reprint der Originalausgabe von 1940, »Bernice P. Bishop Museum Bulletin 160«, Honolulu, Hawaii 1971
(5) ebenda, Seite 130, Zeilen 12 und 13 von oben, Zwischenüberschrift als Zeile mitgezählt, Übersetzung aus dem Englischen durch den Verfasser
(6) ebenda, Seite 130, Zeilen 17-25 von oben, Zwischenüberschrift als Zeile mitgezählt, Übersetzung aus dem Englischen durch den Verfasser
(7) Brown, John Macmillan: »The Riddle of the Paific«, Honolulu, Hawaii,
     Nachdruck 1996
(8) ebenda, Seite 108, Zeilen 18-21 von oben

Zu den Fotos
Foto 8: Insel des Schweigens (Buchcover)
Foto 1: Vieles ist rätselhafter als es auf den ersten Blick scheint. Foto, Fotocollage Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Wenn sie nur reden könnten... Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Riesenrätsel in Stein. Foto, Fotocollage Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Blasiertheit in Stein? Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 5: Kopfzerbrechen über...  Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 6: ... die Geheimnisse der Osterinsel. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 7: Gefallener Riese. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 8: Insel des Schweigens, Buchcover, Foto Verlag

476»Insel des Schweigens«,
Teil 476 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 3. März 2019


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