Samstag, 5. Dezember 2020

568. »Nun überschreiten wir unsere Wissensgrenze«

Teil 568 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein



Foto 1: Die Mayas hatten ein zyklisches Weltbild
(Kukulkan Pyramide von Chichen Itza).

In der Theologie wird immer noch darüber diskutiert, ob denn nun der Sonnengesang Echnatons von den Verfassern von Psalm 104 leicht abgewandelt und plagiiert worden ist. Die Frage ist eigentlich geklärt. Katharina Schaub hat unvoreingenommen und mit wissenschaftlicher Akribie Echnatons Lobpreisung mit der Hymne auf Jahwe verglichen. Sie verfasste im Seminar »Schöpfungstheologien im Ersten Testament« eine »Exegetische Hausarbeit zum Psalm 104« und kam zu einem eindeutigen Ergebnis: »Oft sind Hymnen, die zum gleichen Thema geschrieben werden ähnlich und können sich inhaltlich überschneiden. Die Übereinstimmungen dieser beider Hymnen sind allerdings so groß, dass man nicht von Zufall reden kann.«

Für christliche Theologen mag es wichtig sein, ob der angebliche Autor von Psalm nun ein Plagiator ist oder nicht. Sie mögen sich darüber streiten, ob Moses seinen Eingottglauben von Echnaton übernommen hat. Wichtiger ist aber ein Paradigmenwechsel, der klammheimlich vollzogen wurde: Die göttliche Sonne wurde von den Jahweanhängern durch Jahwe ersetzt. Von nun an wurde ein neues Zeitbild propagiert. Es galt nicht mehr der unendliche, ewige Kreislauf der sich ständig wiederholenden Natur.

Foto 2: Echnaton
betet zum Sonnengott.
Ein neuer Gott wurde propagiert. Vom eher unbedeutenden Lokalgott wurde er zum Schöpfer des Universums erhoben. Der »neue« biblische Gott setzte mit seiner Schöpfung einen Anfang. Er initiierte den Anfang einer neuen Geschichte. Die Weltzeit wurde nicht mehr als ein ewiger Kreislauf angesehen. Vielmehr gab es jetzt einen Nullpunkt und einen Schlusspunkt. Am Anfang war der göttliche Schöpfungsakt, die Kreation aus dem Nichts. Von da an lief alles zielstrebig auf die Apokalypse zu. Die neue Weltsicht sah einen Anfang und ein Ende vor. Die ältere – wie sie noch von den Mayas vertreten wurde – hatte ein zyklisches Weltbild. Es gab eine Aufeinanderfolge von Zeitepochen, von Zeitzyklen. Wenn ein Zyklus zu Ende ging, folgte ein neuer.

Schon immer gab es in der Mythologie der Ägypter Apophis, die Schlangengottheit im Urozean. Das war schon so, bevor aus dem Chaos das Universum geschaffen wurde. Nacht für Nacht musste die Sonnenbarke des Sonnengottes die Unterwelt durchqueren. Nacht für Nacht wurde sie von Apophis angegriffen. Wäre Apophis erfolgreich gewesen, wäre die Zeit in ihrem Fluss unterbrochen worden. Doch Nacht für Nacht gelang es dem Sonnengott, den Widersacher abzuwehren und die Unterwelt zu durchfahren. So war es der Sonne möglich, jeden Tag aufs Neue aufzugehen und in der Barke wieder den Himmel von Ost nach West zu durchqueren.

Apophis war aber nicht nur das böse Monster und ein Feind des Sonnengottes. Apophis stand auch für das ewige Leben, für den Kreislauf des ewigen Lebens. So wurde Apophis Nacht für Nacht besiegt und zerstückelt. Es ist das Blut des Apophis, das den morgendlichen Himmel rot färbt. Im ewigen Konzert der ägyptischen Götterwelt verschwinden die Grenzen zwischen Gut und Böse. Seth war nach biblischer Terminologie das Böse, also der Satan. In der ägyptischen Götterwelt war Seth das Böse, aber im Kampf von Apophis gegen den Sonnengott stand Seth dem Sonnengott bei. Seth war destruktiv. Aber die Zerstörung der Apophis-Schlange war Voraussetzung dafür, dass Sonnengott Ra nach überstandener Nacht am folgenden Morgen wieder seine Fahrt über den Himmel antreten konnte.

»Ist da jemand da draußen?« Diese Frage stellten Dr. Simon Mitton (*1946) und Dr. Roger Lewin (*1944) anno 1973 in einem spannenden Artikel (1). Dr. Mitton, Astronom, und Dr. Lewin, Wissenschaftsjournalist, erörterten im seriösen, in der Welt der Wissenschaft anerkannten und geschätzten »New Scientist« die Frage nach außerirdischem Leben. Konkreter: Sie diskutieren die Frage, wie das Leben auf unserem Planeten entstanden sein mag. Zwei Gruppen, so die beiden Wissenschaftler, vertreten zwei recht unterschiedliche Thesen (2):

»Eine Gruppe folgte Darwins Führung und befürwortete eine lange, langsame Entwicklung von Organismen aus sehr primitiven Anfängen. Aber eine Sekunde war radikaler. Diese Idee – formuliert vom schwedischen Chemiker Svente Arrhenius Ende des letzten Jahrhunderts – war, dass das Leben hier in Form von Bakteriensporen ankam, die von einem anderen Planeten entkommen waren, auf dem das Leben bereits etabliert war. Später modifizierte Lord Kelvin Arrhenius‘ Vorschlag – bekannt als Panspermie – indem er vorschlug, dass die Sporen Meteoriten als Vehikel für ihre lange Reise durch den unwirtlichen Raum verwendet haben könnten. Angesichts der offensichtlichen Unwahrscheinlichkeit, dass das Leben in der sprichwörtlichen Ursuppe entstanden ist, fanden viele Menschen die Idee der Panspermie attraktiv.«

Sollte es in der zeitlichen wie räumlichen Unendlichkeit des Alls auch zyklisch wie – zum Beispiel – in der Mythenwelt der Mayas und der Ägypter zugehen? Auch wenn man im Christentum schon lange zum linearen Weltbild – Schöpfung bis Apokalypse – übergegangen ist, so erinnert doch das Kirchenjahr an zyklisches Denken! Das Kirchenjahr beginnt nach katholischer wie evangelischer Tradition mit der Vesper am Vorabend des ersten Adventssonntags. Es folgt Christi Geburt im Stall von Bethlehem, Christi Wirken im »Heiligen Land«, seine Verhaftung, sein Prozess und seine Hinrichtung, gefolgt von Auferstehung und Himmelfahrt. Jahr für Jahr wiederholen sich die gleichen Ereignisse in gleicher Abfolge. Das ist Erinnerung an uralte zyklische Zeitvorstellungen!


Foto 3: Das Kirchenjahr - Erinnerung an zyklische Weltbilder.
Krippe im Dom zu Paderborn.

Primitives Leben entsteht auf einem Planeten, entwickelt sich, erobert den Planeten, um schließlich ins All vorzudringen? Wiederholt sich dieser Prozess in der Ewigkeit immer und immer wieder? Ich darf noch einmal den »New Scientist«-Artikel von Dr. Simon Mitton (*1946) und Dr. Roger Lewin (*1944) zitieren (3):

»Das Leben muss natürlich irgendwo beginnen, aber Arrhenius hat diese Schwierigkeit umgangen, indem er sagte, dass das Leben ewig sein muss; das Problem seiner Entstehung tritt also nicht auf!« Svante August Arrhenius (*1859; † 1927) war ein schwedischer Physiker und Chemiker. Er wurde 1903 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. So wie für Arrhenius das Leben ewig war, also nie »geschaffen« wurde, so sah Albert Einstein die »Raumzeit« (4): 

»Einstein … lehrte uns, dass es zwei äquivalente Vorstellungen über unsere materielle Wirklichkeit gibt: Wir können sie uns entweder als dreidimensionalen Ort namens Raum denken, wo sich die Dinge im Lauf der Zeit ändern, oder als einen vierdimensionalen Ort namens Raumzeit, die einfach nur existiert, unveränderlich, niemals erschaffen und niemals zerstört.«

»Ewigkeit« kann sich kein Mensch wirklich vorstellen. Wir werden, wie jedes andere Tier auch, geboren, wir leben und wir sterben. Es gibt also im Kleinen einen Anfang und ein Ende. Das können wir uns begreifbar machen. Aber eine Ewigkeit ohne Anfang und Ende ist nicht wirklich gedanklich fassbar. Ein Zitat von Francis Bacon (*1561; †1626) kommt mir in den Sinn:

»Wir dürfen das Weltall nicht einengen, um es den Grenzen unseres Vorstellungsvermögens anzupassen, wie der Mensch es bisher zu tun pflegte. Wir müssen vielmehr unser Wissen ausdehnen, so dass es das Bild des Weltalls zu fassen vermag.«

Der britischer Schriftsteller Douglas Noël Adams (*1952; †2001) veröffentlichte eine sarkastischen Science-Fiction-Satire mit dem Titel »Per Anhalter durch die Galaxis« als »intergalaktische Trilogie in fünf Teilen«. In diesem seinem Opus gibt es zahlreiche skurril anmutende Aussagen. Dem zweiten Band »Das Restaurant am Ende des Universums« stellte Adams folgendes Wort voraus (5): »Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch noch etwas Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. - Es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.«
 
Wir bilden uns viel auf unser Wissen ein, doch wenn es zum Beispiel um die Ewigkeit geht, versagt unser Verstand. Eine Million Jahre nach dem ominösen Urknall, so heißt es (6), »war der Raum mit fast gleichförmig durchsichtigem Gas gefüllt. Könnten wir uns das kosmische Drama rückwärts in der Zeit laufend ansehen, würden wir erkennen, wie dieses Gas allmählich heißer wird und seine Atome zunehmend härter ineinander krachen, bis sie in Atomkerne und freie Elektronen zerfallen.

 Dann sähen wir Heliumatome in Protonen und Neutronen auseinanderbrechen. Anschließend werden diese in ihre Bausteine, die Quarks, zerlegt. Nun überschreiten wir unsere Wissensgrenze und betreten einen Bereich wissenschaftlicher Spekulation.« Jetzt erst? Wer oder was führte die Temperaturänderung dieses ominösen Gases herbei? Wieso kam es an unendlich vielen Punkten gleichzeitig zum »Urknall«? Was löste diese »Miniurknalle« (»Miniurknälle«?) aus?

Foto 4: Blick in die Gefilde jenseits unseres Wissens.
Mittelalterliches Weltbild. Holzschnitt, um 1530

Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Was löste den Urknall aus? Der Urknall soll nicht an einem, sondern an unendlich vielen Punkten gleichzeitig stattgefunden haben. Das heißt also, dass es vor dem Urknall bereits etwas gegeben hat. Und das war »unendlich«. Es war also etwas am Anfang. Was? Was liegt in den weiten Gefilden jenseits unserer Wissensgrenze?



Fußnoten
(1) Mitton, Dr. Simon und Lewin, Dr. Roger: »Is Antone out Theres?«, »New Scientist«, London, 16. August 1973, S. 380-382.
(2) Ebenda, Seite 380, recite Spalte, 2.-19. Zeile von oben. Übersetzung aus dem Englischen: Walter-Jörg Langbein. Zitat im Original:
»One group followed Darwin's lead and favored a long, slow evolution of organisms from very primitive beginnings. But a second took a more radical view. This idea – formulated by the Swedish chemist Svente Arrhenius at the end of the last century – was that life arrived here in the form of bacterial spores that had escaped from another planet where life was already established. Later, Lord Kelvin modified Arrhenius's proposal – known as Panspermia – by suggesting that the spores may have used meteorites as vehicles for their long journey through inhospitable space.
Faced with the apparent improbability of life generated in the proverbial primeval soup, many people found the idea of Panspermia attractive.«
(3) Ebenda, Seite 380, rechte Spalte,19.-21. Zeile von oben. Übersetzung aus dem Englischen: Walter-Jörg Langbein. Zitat im Original:
»Life must start somewhere, of course, but Arrhenius got round this difficulty by saying that life must be eternal; the problem of its origin therefore does not arise!«
(4) Tegmark, Max: »Unser mathematisches Universum/ Auf der Suche nach dem Wesen der Wirklichkeit«, Berlin 2015, eBook-Version, Seite 39 von 573/ Position 5932 von 11847
(5) Adams, Douglas: »Das Restaurant am Ende des Universums«, eBook-Version, Zürich 2017
(6) Tegmark, Max: »Unser mathematisches Universum/ Auf der Suche nach dem Wesen der Wirklichkeit«, Berlin 2015, eBook-Version,  Seite 106 von 573/ Position 1439 von 11847

Zu den Fotos
Foto 1: Die Mayas hatten ein zyklisches Weltbild (Kukulkan Pyramide von Chichen Itza). Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 2: Echnaton betet zum Sonnengott. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 3: Das Kirchenjahr - Erinnerung an zyklische Weltbilder. Krippe im Dom zu Paderborn. Foto Walter-Jörg Langbein
Foto 4: Blick in die Gefilde jenseits unseres Wissens. Mittelalterliches Weltbild. Holzschnitt, um 1530

Leben wir in einer Simulation?
Leben wir in einem simulierten Universum?
Lektüreempfehlung für trübe Corona-Zeiten
Walter-Jörg Langbein empfiehlt...

Bryan Blackwater und Nefatari Nimjah:
»Das simulierte Universum«


Man stelle sich vor: Man liest einen spannenden Roman und folgt den Helden auf wahrhaft wagemutigen Reisen in andere Wirklichkeiten. Dabei vergisst man gern den Alltagstrott. Oder: Man sitzt im Kino und lässt sich in die fantastische Welt eines Sciencefiction-Fiction-Films entführen. Für kurze Zeit werden Alltagstrott und widrige Lebensumstände vergessen. Aber irgendwann muss man in die oft langweilige Realität zurückkehren.

Was wäre, wenn unser Leben alles andere als dröge Realität, sondern fantastischer als jeder Roman oder jeder Film wäre? Was wäre, wenn es ein Buch gäbe, das einem die Augen öffnet für die Wirklichkeit in der wir leben. Was wäre, wenn es ein Buch gäbe, das mehr als atemberaubend erkennen lässt, dass unsere Realität sehr viel fantastischer als jede Fiktion ist? Was wäre, wenn..?

Das Buch gibt es: »Das simulierte Universum« von Bryan Blackwater und Nefatari Nimjah. Das Buch ist mit »atemberaubend« nur unzulänglich beschrieben. In präziser Sachlichkeit erfahren wir, dass unsere Realität so ganz anders ist als wir wahrzunehmen meinen. In überzeugender Weise wird uns der Blick auf die Wirklichkeit freigegeben, von der wir ein Teil sind. Und diese Realität ist atemberaubend. Sie ist spannender als jeder Roman und als jeder Film, weil es nicht um amüsante Gedankenspiele, sondern eben um uns und unsere Wirklichkeit geht. 

Es geht um die Essenz unseres Seins, um unsere Existenz, um unser wirkliches Sein. Es geht darum, dass wir erkennen können, was wir wirklich sind und um die Chancen und Möglichkeiten zur Entfaltung, die wir haben! »Das simulierte Universum« von Bryan Blackwater und Nefatari Nimjah öffnet nicht die Tür in eine andere Wirklichkeit. Es bietet uns an, dass wir wirklich erfahren und nachvollziehen können, was wir, wie wir und wo wir sind.

»Das simulierte Universum« von Bryan Blackwater und Nefatari Nimjah – das vielleicht wichtigste Werk über uns und unsere Welt: mehr als nur atemberaubend, dabei geradezu erschreckend überzeugend. Unverzichtbar für jeden unvoreingenommen denkenden Menschen und jeden, der wirklich bereit für kühnste Gedanken ist!

569. »Das wäre eine armselige Wissenschaft...«
Teil 569 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 13. Dezember 2020


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