Dienstag, 22. September 2009

Südsee- Magie... Voodoo auf der Osterinsel

I
»Ein Buch lesen«....Bücher können uns die Augen öffnen, wenn wir uns auf sie einlassen. Wir sehen die Dinge dann aus anderer, ungewohnter Perspektive. Gute Bücher lassen uns nachdenklich werden. Was ist Wirklichkeit? Gibt es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde als uns die Schulweisheit lehrt? In den vergangenen dreißig Jahren erlebte ich auf meinen Reisen immer wieder Geheimnisvolles und Mysteriöses. Ich bekam Zweifel, ob die Grenze zwischen »Wirklichkeit« und »Magie« wirklich so scharf gezogen ist.

Ich war Zeuge einer Voodoo-Zeremonie, die mit großem Ernst auf der »Osterinsel« abgehalten wurde. Recherchen zu einem Buch hatten mich wieder einmal auf das ferne Eiland geführt. Die mysteriöse Zeremonie war nicht gerade kurz. Sie währte immerhin einen ganzen Tag, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Beteiligt waren insgesamt sieben Personen, vier Chilenen, zwei Peruaner und ein Brasilianer. Ich war als stiller Teilnehmer dabei. Der Chef der Gruppe nannte sich »Houngan-Man«. Er leitete als Priester das magische Ritual.

Das ich mit von der Partei sein durfte, das war keine Selbstverständlichkeit. Erst nach wirklich langwierigen Verhandlungen wurde ich Autor als Zeuge toleriert. Voraussetzung dafür war eine »Spende«: fünf Flaschen Whisky einer bekannten Edelmarke und zwei Stangen Zigaretten.

Zunächst, so verkündete »Houngan-Man«, müsse ein »himmlisches Signal« abgewartet werden. Allerdings verriet er auch auf fast schon unhöfliches Nachfragen nicht, wie denn der himmlische Fingerzeig aussehen werde. So fühlte sich der Autor fast in das Bühnenstück »Warten auf Godot« versetzt. Die Zeit, sie scheint auf der Osterinsel sowieso schon langsamer als in der übrigen Welt zu verstreichen, tröpfelte träge dahin. Eineinhalb Tage harrte unsere kleine Gesellschaft beim altehrwürdigen Steinbruch der Osterinsel aus. Was würde uns eine überirdische Nachricht vermitteln. Und wie sollte das geschehen? Das wusste nur der schweigsame Priester.

Am frühen Morgen des dritten Tages endlich sollte plötzlich alles ganz schnell gehen. Etwa eine Stunde nach Sonnenaufgang brach ein starker Regenschauer über das Südseeeiland herein. Sofort handelte der »Zeremonienmeister«. Er kommandierte uns in die beiden Jeeps. Auf teilweise halsbrecherischen Wegen, manchmal auch querfeldein, fuhren wie die Küste des Eilands ab. Wir suchten einen Regenbogen, dem biblischen Zeichen der Gottesnähe. Immer wieder musste die Fahrt kurz unterbrochen werden. Manchmal lagen Felsbrocken auf der Straße, manchmal umgestürzte Bäume. Hurtig sprangen wir aus den Wagen und räumten schwitzend Hindernisse aus dem Weg. Bald waren wir vom Regen bis auf die Haut durchnässt. Die sogenannten »Straßen« erwiesen sich meist als seit Jahren nicht mehr benutzten Feldwege. Manchmal hörten sie abrupt auf und endeten im Gebüsch oder an einer Steilklippe. Wir mussten immer wieder querfeldein fahren. Die Götter - oder waren es die Geister - waren uns gnädig. Sie belohnten unsere Suche und schenkten uns ein bemerkenswertes Schauspiel. Es war der schönste Regenbogen meines Lebens.

Plötzlich stand eine Brücke aus Licht im Himmel. Wie eine überirdische Erscheinung wuchs sie aus dem vom Regen aufgepeitschten Meer. Sie verband schaumgekröntes Wasserwogen und festes Land. »Erzulie hat uns einen Hinweis gegeben, Erzulie danken wir!« verkündete der »Houngan-Priester« mit Pathos. Nur einige Minuten später änderte sich das Wetter im wahrsten Sinne des Wortes blitzartig. Starke Windböen rissen die dichte Wolkendecke auf. Die Regenwolken wurden weit aufs Meer hinaus getrieben. Plötlich strahlte der Himmel wieder unschuldig blau.

Wir hatten jene Stelle erreicht, an der scheinbar der Regenbogen das Land berührt hatte. Nach alten Märchen soll das ein Hinweis auf einen Schatz sein. Doch wir gruben nicht nach verborgenen Kostbarkeiten. Hastig trugen wir Felsbrocken unterschiedlicher Größe zusammen. Es war fast immer Lavagestein. Nach den präzisen Anweisungen des Priesters errichteten wir daraus eine nur etwa fünfzehn Zentimeter hohe Mauer. Unser Bauwerk war alles andere als beeindruckend. Und doch war ich vollkommen verschwitzt. Meine Hände schmerzten und bluteten.

Schließlich nickte der »Houngan-Priester« zustimmend. Er war also zufrieden. Nur wenige Meter vom Strand entfernt hatten wir ein steinernes Quadrat gebaut. Es war etwa zwei mal zwei Meter »groß«. Der »Houngan-Mann« trat erst jetzt in Aktion. Nur er durfte das Innere des so geschaffenen »Tempels« betreten. Pedantisch ermittelte er das Zentrum des Quadrats. Dort breietete er Pappe aus. Darauf streute er helle Steinkörnchen. Sie ergaben ein Quadrat. Vom Zentrum aus führten vier gerade Linien durch die Ecken des Quadrats. Sie führten zu kleinen Steinhäufchen außerhalb des Quadrats. Der Schnittpunkt dieser Linien kennzeichnete das geometrische Zentrum des Quadrats. Dort legte der der »Houngan-Man« einen dunkelen, eiförmiger Stein.Und den hatte er höchstselbst am Strand entdeckt. Das war der eigentliche »Altar«. Bald würde, so wurde mir bedeutet, die eigentliche Zeremonie beginnen.

»Ich bitte um Ruhe... muss mich konzentrieren! Jetzt beginne ich mit dem Opfer!« gab mir der Priester zu verstehen. Er ließ er die von mir spendierten Whiskyflaschen herbei holen. Würde er sich betrinken? Oder mussten wir uns alle einem allgemeinen Besäufnis auf meine Kosten hingeben. Tatsächlich schien sich meine negative Phantasie zu bewahrheiten. Der »Houngan-Schamane« setzte eine Flasche an die Lippen nahm einen kräftigen Schluck. Es mögen auch zwei oder drei gewesen sein. War ich etwa Betrügern aufgesessen, die unter dem Vorwand, eine »heilige Feier« abzuhalten, Genussmittel beschaffen wollten? Mein Misstrauen erwies sich allerdings als volkommen unbegründet. Der »Houngan-Man« goss den weitaus größten Teil des hochprozentigen Getränks ins unruhige Meer. Die Wogen besänftigten sich nicht.

Nun wurden auch noch meine beiden Stangen Zigaretten ausgepackt. Der Priester riss sie kraftvoll auf. Er entnahm eine Schachtel, öffnete sie und steckte sich genussvoll eine Zigarette an. Seine Begleiter gingen wie schon beim Whisky leer aus. Ich sah sie befremdet an. Einer der Männer klärte mich auf: »Das sind alles Gaben für die Götter, nicht für uns Menschen!« Weitere Zigaretten wurden zerfetzt und um den Altarstein herum gestreut. Die restlichen »Glimmstängel« folgten dem Whisky ins Meer. Die Wogen glätteten sich immer noch nicht.

Schließlich wurde der lang erwartete, der eigentliche magische Ritus eingeleitet. Die sechs Gehilfen des Priesters packten einen kleinen Kassettenrecorder aus. Sie nahmen ihn umständlich in Betrieb und spielten Songs von Elvis Presley ab. Sie selbst blieben dabei nicht passiv. In würdigem Ernst begleiteten die Musik auf drei großen und drei kleinen Trommeln, auf die sie mit eisernen Schlegeln einschlugen. Die ungewöhnliche musikalische Darbietung zog sich in die Länge. Vier Stunden musste ich ausharren. Währenddessen saß der Priester im »steinernen Viereck« und murmelte Gebete und magische Worte. Schließlich verstummte die Musik. Einer der sechs Gehilfen des Magiers raunte mir zu: »Nun sind aus den vier Himmelsrichtungen vier Erdgeister angereist! Sie sind unsichtbar... aber wir spüren ihre Gegenwart!« Er ermahnte mich: »Ruhe bewahren!«

Der »Houngan-Man« sammelte einige der weißlichen, kalkähnlichen Steinchen auf, bespuckte sie und warf sie dann in alle vier Himmelsrichtungen. Er bekreuzigte sich noch, wobei er sich einmal im Kreis drehte. Während er seine Stirn berührte, blickte er gen Osten. Dann wandte er sich gen Westen, legte die Hand auf die Brust. Nach Norden schauend tippte er seine linke, gen Süden gerichtet noch die rechte Schulter an. Laut schrie er »Linsahmawu, Vuvulivhawe« und segnete würdevoll die Erde. Eine lange Litanei folgte, die durchaus an einen christlichen Gottesdienst erinnerte. In einer fremden, geheimnisvollen Sprache brüllte er zahlreiche Namen, die mich manchmal an Heilige der katholischen Kirche erinnerten.

Der monotone Sprechgesang schien sich endlos hinzuziehen. Mir schmerzten Rücken und Beine... und andere Körperteile. Der Ritus mochte etwa drei Stunden gedauert haben. Die »gefühlte Zeit« war wesentlich länger. Schließlich entfachte der »Houngan-Priester« vier Kerzen. Er stellte sie um den eiförmigen Altarstein im Zentrum der kleinen »Kultanlage«. Ich wollte mich schon erleichtert erheben... Doch es ging weiter. Erneut folgte eine lange Litanei von teils exotischen, teils vertrauten Namen. Dann trat Stille ein. Eine Stunde lang lauschten wir den Wogen des Meeres, die nun langsam ruhiger zu werden schienen. Und irgendwann setzte wieder Regen ein. Nach und nach verlöschten zischend die Kerzen. Wieder wurde der Kassettenrecorder in Betrieb genommen. Wieder schlugen die sechs Männer auf ihre Trommeln ein. Wieder wurde weitere vier Stunden musiziert. Der »Houngan-Priester« wurde lauter und lauter. Er stolzierte gravitätisch im »steinernen Viereck« auf und ab. Heftiges Windesbrausen setzte ein. Der »Houngan-Magier« übertönte es lautstark. Er schrie aus Leibeskräften, schleuderte seltsame Namen in den Wind. Ob es einen Orkan geben würde?

Wieder verstummte die Musik. Alles deutete auf das Ende der magischen Handlungen hin. Der »Houngan-Man« hob nach und nach Steine aus der quadratischen Umrandung. Er schleuderte sie energisch ins Meer. Das blieb er irgendwie bedächtig, ja gelassen. Und wieder rief er dabei einen Zauberspruch oder einen »heiligen Namen« aus. Die Sonne hatte wohl genug gesehen von unserem Treiben. Als sie im Meer versank, da war die kleine Mauer vollständigabgetragen. Der Priester bückte sich langsam und nahm vorsichtig den eiförmigen Altarstein. Gemessenen Schritts ging er zum Meer. Bedächtig tauchte er das Steinei in die Wogen. Zu guter letzt holte er die Pappe an den Strand. Er schüttete die feinkörnigen Kalksteinchen ebenfalls ins Meer. Die Pappe schleuderte er in die Südsee.

Was war genau geschehen? Die Gehilfen des »Houngan-Man« hüllten sich in Schweigen. »Unsere Lippen sind versiegelt!« beteuerten sie mir. Irgendwann am Abend erklärte mir der Priester, dass ich einem Voodoo-Ritus beigewohnt hatte. Vier Erdgeister habe er mit Erfolg herbeigerufen . »Sie mussten von weit her kommen. Deshalb mussten wir uns in Geduld fassen und ihnen viel Zeit lassen.« Er habe die Geister inständig gebeten, von sich an der friedlichen Kraft der Osterinsel zu erquicken und dann gesättigt wieder in alle vier Himmelsrichtungen auszuschwärmen. Sie sollten die positive Energie des Eilandes über die Erde verteilen.

Der »Houngan-Man« beteuerte, dass er ähnliche Zeremonien in verschiedenen Staaten Südamerikas, aber auch auf einigen anderen Südseeinseln abhielte, um so für den Weltfrieden zu wirken. Leider, so beklagte er, habe sein Vater mit »bösen, sehr einträglichen Geschäften« in Brasilien viel Unheil angerichtet. Von schlechtem Gewissen geplagt habe ihn sein greiser Vater auf dem Totenbett angefleht, durch Voodoo-Magie sein Unrecht so weit wie möglich zu neutralisieren. Stolz verriet mir der »Houngan-Man«: »Ich erbte ein beträchtlichesVermögen.Einem regulären Beruf musste ich nicht nachgehen. Ich ließ mich auf Haiti zum Voodoo-Priester ausbilden.So erfülle nun schon seit Jahren den letzten Willen meines Vaters.«

Am späten Abend war ich endlich wieder in meinem Hotelzimmer. Schmerzen hinderten mich am Einschlafen. Oder waren es meine Gedanken, die mich um die ersehnte Ruhe brachten?`Was hatte ich erlebt? Hatte der »Houngan-Man« mit seiner Magie tatsächlich etwas für den Weltfrieden getan? Oder war alles nur Schwindel? Die lange Prozedur hat der Gruppe um den Magier keine finanziellen Vorteile gebracht. Sie weigerten sich strikt, eine »Spende« anzunehmen. Den »Houngan-Man« fragte ich erst gar nicht.

Fotografieren durfte ich nicht. Das würde die Geister vertreiben. Allerdings nahm der »Houngan-Man« mit meinem Apparat ein Bild vom Altarstein auf der Pappe auf. Viele Jahre sind seit der geheimnisvollen Zeremonie verstrichen. Bis heute weiß ich nicht, was ich von den seltsamen Geschehnissen halten soll.

1 Kommentar:

  1. Thank you, George! You are, of course, most welcome! Be our guest... and come back as often as you wish! Walter

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