Teil 42 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Auf einem meiner Rundgänge durch die weitläufige Anlage von Chichen Itza zeigte mir ein tüchtiger Guide eine seltsame, verwaschene Gravur... »Das ist eine der legendären Himmellsschlangen, die einst zur Erde herabstiegen... Göttliche Besucher waren das...« Und dann verwies er mich auf eine uralte Zeremonie, die nur einen Steinwurf entfernt von der Kukulkan-Pyramide zur Aufführung komme: der Flug der Voladores....
Zum ersten Mal erlebte ich die »fliegenden Männer«, die geheimnisvollen »Vogelmenschen«, im Sommer 1964... vor dem Pavillon von Mexico auf der Weltausstellung in New York. Ich war damals neun Jahre alt und staunte über eine wagemutige Demonstration von tollkühnen Akrobaten. Seither ist fast ein halbes Jahrhundert verstrichen, aber ich erinnere mich sehr genau an die unglaubliche Darbietung:
Ein Indio kletterte behände auf einen etwa fünfzig Meter hohen Mast. Dort oben war ein hölzernes quadratisches Viereck angebracht. Es ruhte offenbar auf einem Lager und konnte sich wie ein Rad auf der Spitze des Mastes drehen. Der erste Indio erklomm den Mast. Seine vier Kollegen umkreisten ihn am Boden. Dabei vollführten sie stets einen bestimmten Bewegungsablauf, der sich endlose Male zu wiederholen schien.
Die Männer gingen tänzelnd, sich immer wieder in kurzen Pausen verbeugend, um den Mast. Sie blickten, den Kopf weit in den Nacken geworfen, gen Himmel. Suchten sie etwas? Oben auf der Spitze spielte der erste Indio auf einer kleinen Flöte. Er stampfte mit den Füßen, bewegte sich im Kreis. Mit spielerischer Leichtigkeit erklommen nun die vier Indios die Höhe. Oben angekommen, schlangen sie jeweils ein Seil um ihr rechtes Fußgelenk und hielten kurz inne.
Ihr Kollege auf der kleinen Plattform tanzte immer schneller ... die Vier stürzten sich in die Tiefe ... kopfüber. Nun bekann der Tanz der fliegenden Männer. Die Vier streckten ihre Arme weit aus, wie beschwörend, umreisten dabei den Mast ... sich auf weiter werdenden Kreisen gleichmäßig zur Erde bewegend. Ein Aufatmen ging durch die Menge, als die Männer den Flug vollendet hatten. Allein schon, wie die kopfüber hängenden stolzen Nachkommen der Mayas nach der letzten Runde wieder auf die Beine kamen, erforderte akrobatische Fähigkeiten!
Ich erinnere mich noch gut an die prächtige Kleidung der Voladores: rote Hose, weißes Hemd, rote Schärpe um die Schultern, dazu ein edler Federschmuck auf dem Kopf. So sehr mich die Leistung der Voladores auch beeindruckte, so beschlich mich auch ein seltsames Gefühl der Betroffenheit. Da standen wir Nachfahren jener wüsten Eroberer, die die hochstehenden Kulturen Zentral- und Südamerikas ausgelöscht hatten. Und die Nachfahren der Mayas führten zu unserer Erbauung Tänze auf.
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein
Auf einem meiner Rundgänge durch die weitläufige Anlage von Chichen Itza zeigte mir ein tüchtiger Guide eine seltsame, verwaschene Gravur... »Das ist eine der legendären Himmellsschlangen, die einst zur Erde herabstiegen... Göttliche Besucher waren das...« Und dann verwies er mich auf eine uralte Zeremonie, die nur einen Steinwurf entfernt von der Kukulkan-Pyramide zur Aufführung komme: der Flug der Voladores....
Ein geheimnisvoller »Herabsteigender« |
Ein Indio kletterte behände auf einen etwa fünfzig Meter hohen Mast. Dort oben war ein hölzernes quadratisches Viereck angebracht. Es ruhte offenbar auf einem Lager und konnte sich wie ein Rad auf der Spitze des Mastes drehen. Der erste Indio erklomm den Mast. Seine vier Kollegen umkreisten ihn am Boden. Dabei vollführten sie stets einen bestimmten Bewegungsablauf, der sich endlose Male zu wiederholen schien.
Die Männer gingen tänzelnd, sich immer wieder in kurzen Pausen verbeugend, um den Mast. Sie blickten, den Kopf weit in den Nacken geworfen, gen Himmel. Suchten sie etwas? Oben auf der Spitze spielte der erste Indio auf einer kleinen Flöte. Er stampfte mit den Füßen, bewegte sich im Kreis. Mit spielerischer Leichtigkeit erklommen nun die vier Indios die Höhe. Oben angekommen, schlangen sie jeweils ein Seil um ihr rechtes Fußgelenk und hielten kurz inne.
Aufstieg der Voladores Foto: Walter-Jörg Langbein |
Ich erinnere mich noch gut an die prächtige Kleidung der Voladores: rote Hose, weißes Hemd, rote Schärpe um die Schultern, dazu ein edler Federschmuck auf dem Kopf. So sehr mich die Leistung der Voladores auch beeindruckte, so beschlich mich auch ein seltsames Gefühl der Betroffenheit. Da standen wir Nachfahren jener wüsten Eroberer, die die hochstehenden Kulturen Zentral- und Südamerikas ausgelöscht hatten. Und die Nachfahren der Mayas führten zu unserer Erbauung Tänze auf.
Würde Winnetou, der von mir so verehrte Häuptling der Apachen, aus der Fantasiewelt Karl Mays, so für Touristen tanzen? War das mutige Treiben mit der Würde eines uralten Kulturvolkes zu vereinbaren? Im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte habe ich die Voladores immer wieder gesehen: in Mexico City zum Beispiel, auch in Tulum, direkt an der Karibikküste Mexikos gelegen. In Details unterschieden sich die Darbietungen. Manchmal spielten die »fliegenden Männer« bei ihrem sausenden Weg nach unten auch noch Flöte. Aber egal wie hoch der Mast auch war, immer benötigten die vier Männer je dreizehn Umrundungen des Masts, bis sie am Boden ankamen. Dreizehn Umdrehungen pro Mann, das ergibt – bei vier Voladores – exakt 52 Umdrehungen.
Gleich stürzen sich die vier Voladores in die Tiefe. Foto Ingeborg Diekmann |
Der Kult der Voladores hat mit den alten Göttern zu tun, zum Beispiel mit Quetzalcoatl, dem »Morgenstern«. »Quetzalcoatl« lässt sich mit »Grünfederschlange« übersetzen. Quetzalcoatl war nicht die vom Christentum verteufelte Schlange aus dem Paradies-Mythos. Quetzalcoatl wurde nicht von einem Gott zum Herumkriechen verurteilt wie das Reptil der Bibel. Quetzalcoatl war selbst göttlich... und wird mit einer heiligen, fliegenden Schlange in Verbindung gebracht. Prof. Hans Schindler-Bellamy, Erforscher südamerikanischer Mysterien uralter Kulturen, im Interview: »Quetzalcoatl alias Kukulkan war die fliegende Schlange.«
Bildunterschrift: Der Absprung. Foto: Walter-Jörg Langbein |
Manchen Abend habe ich in den Ruinen von Chichen Itza verbracht und zu Füßen der Pyramide des Kukulkan über die Götter Süd- und Zentralamerikas nachgedacht. Immer wieder wurde mir bewusst, dass – wie zum Beispiel in der europäischen Mythologie – Götter in unterschiedlichen Regionen unterschiedliche Namen tragen. Es waren aber die gleichen Götter, die nur anders tituliert wurden. Manches Mal habe ich diesem geheimnisvollen Ritus beigewohnt. Zu Beginn umtanzen die Voladores den Pfahl, blicken suchend gen Himmel. Dann steigen sie empor und fliegen wie die mythologischen Schlangen zur Erde herab. Erinnern uns die Voladores an den Besuch von »Göttern« aus himmlischen Gefilden? Warteten die Mayas auf die Rückkehr dieser Götter? Offensichtlich! Die Azteken rechneten mit der Rückkehr der Mächtigen... und das wurde ihnen zum Verhängnis. Hielten sie doch zunächst die marodierenden Spanier für Götter, denen man sich als Mensch nicht widersetzen konnte!
Kopfüber geht es in die Tiefe Foto: Ingeborg Diekmann |
Harold Osborne hat sich intensiv mit der verwirrenden Götterwelt Mittel- und Südamerikas beschäftigt. Sein Werk über die Mythologie Südamerikas ist leider nur in englischer Sprache erhältlich. Ausführlich wird auf göttliche Himmelsschlangen hingewiesen, die den Menschen Kultur schenkten (2).
Viracocha alias Kukulkan brachte den Menschen »die Geschenke des Lichts und der Zivilisation« (3)... so wie der verteufelte Luzifer, dessen Namen Lichtbringer bedeutet!
Die Ursprünge des Kultes um die »fliegenden Männer«, die »Vogelmenschen« verliert sich in uralten Zeiten. Bis heute wird der uralte Ritus zelebriert... sehr zum Ärger der christlichen Kirche. Nachdem der alte Brauch nicht verboten werden konnte, wurde er christianisiert. Mag sein, dass die ersten »Voladores« in Tajin (etwa 300 Kilometer nordöstlich von Mexico-City gelegen) durch die Luft tanzten. Hier siedelten schon vor 6000 Jahren Menschen, Von der riesigen Kultstadt ist bis heute erst ein Zehntel erforscht.
Der Flug der Vogelmenschen Foto: Walter-Jörg Langbein |
Anstatt zu verbieten, wird nun von der katholischen Kirche der Kult in christliche Bahnen gelenkt. Alljährlich zum Fronleichnamsfest schweben die Voladores zu Boden. Gefeiert wird die leibhaftige Gegenwart Jesu in der Oblate und im Wein. Vergessen ist längst der wirkliche Ursprung der »Voladores«... so wie die Bedeutung von »Fronleichnam« auch im christlichen Abendland nur noch einer Minderheit bekannt ist.
Ich frage mich: Werden wir je die Wahrheit über die Schlangengötter, die vom Himmel herabstiegen und in den Kosmos zurückkehrten, erfahren?
Noch ein Herabsteigender von Chichen Itza Foto Walter-Jörg Langbein |
(2) Osborne, Harold: South American Mythology; London 1968
(3) Osborne, Harold: South American Mythology; London 1968, Seite 74
Hinweis: Die Fotos von den Voladores entstanden bei zwei verschiedenen Aufführungen!
Dank: Ein herzliches Dankeschön an Ingeborg Diekmann, Bremen, für die Genehmigung, ihre Fotos zu publizieren!
»Tempel im Paradies«,
Teil 43 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 14.11.2010
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
+++ Aus aktuellem Anlass +++
Schon von zwei Seiten kam nun der Hinweis, dass es beim Absenden von Kommentaren aus dem Browser Firefox zu Problemen kommen kann: Der Kommentar wird dem Nutzer dann zwar als versandt gemeldet, landet aber im Nirgendwo. Wir empfehlen Ihnen deshalb nach Möglichkeit die Nutzung von Google Chrome oder des Microsoft Internet Explorers. Bei diesen Browsern sind solche Schwierigkeiten unserem Kenntnisstand nach bisher nicht aufgetreten.
Zur Formatierung Ihrer Kommentare stehen Ihnen einige HTML-Befehle zur Verfügung. Eine Vorlage zum Abkopieren >>gibt es hier.