Teil 44 der Serie
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
Es war ein ruhiger Herbstabend in den direkt am Karibikstrand gelegenen Ruinen von Tulum. Die Busse der Touristen waren abgefahren, die mysteriöse Anlage von Tulum war fast menschenleer... Ich kam mit einem amerikanischen Geistlichen ins Gespräch. Seine Vorfahren, bettelarme Weber aus Sachsen, hatten verzweifelt die Heimat verlassen und waren nach Michigan ausgewandert. Dort lebte er in einer kleinen dörflichen Gemeinde am Michigansee... als Geistlicher.
Gab es an Mexikos Karibikküste einst ein ›Babylon‹ wie in der Bibel? Foto: Walter-Jörg Langbein |
»Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache. Da sie nun zogen gen Morgen, fanden sie ein ebenes Land im Lande Sinear, und wohnten daselbst. Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, laß uns Ziegel streichen und brennen! und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen: ›Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen, denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder!‹«
Meine heftigen Zweifel ließ der sich in Rage redende Gottesmann nicht gelten. Der Turm zu Babel, so warf ich ein, stand doch in biblischen Landen... und nicht im mexikanischen Tulum. Wütend ergriff mich der Gottesmann und führte mich zu den Resten des babylonischen Turms zu Tulum.
Der ›babylonische Turm‹ von Tulum? Foto: Walter-Jörg Langbein |
Die von der Bibel angebotene sprachliche Erklärung ist allerdings vollkommen falsch: Babel hat mit dem hebräischen »balal«, zu Deutsch »verwirren« nichts zu tun. Der Name Babel verweist auf eine recht unbiblische Geschichte. »Babel« leitet sich eindeutig vom Babylonisch-Sumerischen »bab-ili« her. »Bab-ili« heißt zu Deutsch »Tor der Götter«. Das reale Vorbild für den biblischen Bericht vom Turmbau zu Babel ist der babylonische Zikurrat. Zikkurats waren mehrstufige Türme. Ähnlich wie die ältesten Pyramiden dienten sie vermutlich als Ersatz für heilige Berge. Wer die höchsten Gipfel der Berge erklomm, der fühlte sich den kosmischen Göttern näher.
Rund zwei Jahrtausende vor Christus entstand das reale Vorbild für den biblischen Turm, der »Etemenanki«. Er ragte in Babylon direkt beim Tempel des Gottes Marduk hoch in den Himmel. Ganz oben gab es einen Tempel. In diesem Gotteshaus wurde die »Heilige Hochzeit« zelebriert.
Die Priesterin erklomm den Turm gen Himmel, die »Gottheit« kam vom Himmel herab und wartete im Heiligtum auf seine Partnerin. Gemeinsam zelebrierten sie dann die »Heilige Hochzeit« im Tempel.
Allerdings war es nicht der leibhaftige Gott selbst, der ins Brautgemach kam, sondern ein Stellvertreter. Babylonische Städte waren Stadtstaaten, die von einem Priesterkönig geleitet wurden. Der Priesterkönig und die Oberpriesterin vollzogen die »heilige Hochzeit«. Zwei Menschen aus Fleisch und Blut schlüpften in die Rolle von Göttern. Aus Sicht der Jahwepriester war das Blasphemie: Menschen, die sich für die Zeit des Rituals als Götter fühlten. Wenn das keine Gotteslästerung war! Es durfte nur einen Gott, nämlich Jahwe, geben! Und kein Mensch durfte sich wie ein Gott aufführen!
Der Turm zu Babel in seinem Umfeld. Rekonstruktion. Foto: Archiv Langbein |
Dieser heilige Ritus wurde nicht in Babylon »erfunden«. Er wurde wohl schon Jahrtausende früher importiert und zelebriert: auf heiligen Bergen, deren hohe Gipfel dem Himmel näher waren als der Erde. Die Stufenpyramiden im babylonisch-assyrischen Bereich dürften Nachbildungen der heiligen Berge gewesen sein, errichtet von den Nachkommen der einstigen Ahnen, die aus einem bergreichen Land nach Babylon kamen.
Im heiligen Gemach des Tempels auf dem »Turm zu Babel« feierten der Priesterkönig und die Oberpriesterin das Ritual der »Heiligen Hochzeit«: der Priesterkönig in Vertretung von Gott Marduk, die Oberpriesterin für die Göttin Ischtar. Sollte es weltweit so etwas wie einen Urkult gegeben haben... von einem herabsteigenden Gott?
Gab es weltweit herabsteigende Götter .. wie in Tulum? Foto: Walter-Jörg Langbein |
Wie sich die Bilder gleichen... Beginnen wir mit der Bibel: Bei Jesaja (1) heißt es über den Sturz des Königs von Babylon: »Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern!« Jesus sagte nach Lukas (2): »Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz.« Die biblische Tradition machte aus dem König von Babylon und dem Teufel, der vom Himmel stürzte... den Oberteufel Satan. In Tulum begegnet uns immer wieder plastisch dargestellt der »herabstürzende Gott«, der auch als »Abendstern« und »Blitz« gedeutet wird. In den Augen der christlichen Geistlichkeit war der »herabsteigende Gott« von Tulum der böse Luzifer.
Ein herabsteigender Luzifer von Tulum? Foto: Ingeborg Diekmann |
Wir wissen wenig über Tulum. Wo Wissen fehlt, wird auch von Wissenschaftlern viel spekuliert. Schriftliche Dokumente der Mayas mag es einst gegeben haben. Sie können uns keine Auskunft mehr über Tulum erteilen, wurden doch die Codices der Mayas von der katholischen Geistlichkeit gezielt gesucht und verbrannt. Stumm sind die Gemäuer von Tulum. Die Stuckskulpturen der herabsteigenden Götter sind oft übel zugerichtet und hüten uralte Geheimnisse. Werden wir sie jemals verstehen?
Wenn man aufpasst, dann kann man in Tulum dann und wann eine Begegnung beobachten... zwischen einem herabsteigenden Gott und einer Schwalbe, der Stellvertreterin der Göttin...zwischen dem Luzifer der Südsee und der Göttin....
Eine Schwalbe der Göttin und ein herabsteigender Gott ... in Tulum. Foto Ingeborg Diekmann |
(2) Das Evangelium nach Lukas Kapitel 10, Vers 18
Ich danke Frau Ingeborg Diekmann für die schönen Fotos!
»Das Geheimnis der Maria von Guadalupe«,
»Monstermauern, Mumien und Mysterien«
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 28.11.2010
von Walter-Jörg Langbein,
erscheint am 28.11.2010
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